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Die Rolle der katholischen Kirche in der faschistischen Epoche

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<strong>Die</strong> <strong>Rolle</strong> <strong>der</strong> <strong>katholischen</strong> <strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>faschistischen</strong> <strong>Epoche</strong><br />

Dr. Anton Szanya<br />

Im Zuge <strong>der</strong> Er<strong>in</strong>nerungsakte an die vergangenen historischen Ereignisse wird auch<br />

e<strong>in</strong>e Institution des österreichischen politischen und gesellschaftlichen Lebens immer<br />

wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung treten, die im Geschichtsbewusstse<strong>in</strong> <strong>der</strong> Österreicher zwar<br />

ziemlich beherrschend vorhanden ist, aber gleichzeitig auf e<strong>in</strong>e seltsame Art<br />

geschichtslos ersche<strong>in</strong>t: die katholische <strong>Kirche</strong>. <strong>Die</strong> katholische <strong>Kirche</strong> pflegt dieses<br />

ihr ungeschichtliches Ersche<strong>in</strong>ungsbild sehr sorgfältig, weil sie dadurch aus den<br />

B<strong>in</strong>dungen und Wirren des geschichtlichen Ablaufes herausgehoben und als<br />

ruhen<strong>der</strong> Pol <strong>in</strong> <strong>der</strong> Flucht <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen ersche<strong>in</strong>t. „Super gentes et regna“ -<br />

über den Völkern und Reichen -, so will die <strong>Kirche</strong> gesehen werden, um als<br />

Verfechter<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>gültiger, dauern<strong>der</strong> und von den gesellschaftlichen und<br />

politischen Interessensgegensätzen unberührter Wertvorstellungen auftreten und<br />

<strong>der</strong>en allgeme<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dlichkeit for<strong>der</strong>n zu können. Im Rahmen <strong>der</strong><br />

Jubiläumsfeiern zum dreißigjährigen Bestehen <strong>der</strong> Zweiten Republik hat Kard<strong>in</strong>al<br />

Franz König <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Festansprache diesen Anspruch <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> deutlich <strong>in</strong><br />

Er<strong>in</strong>nerung gebracht, als er sagte:<br />

„<strong>Die</strong> gesellschaftliche Funktion, die <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> unserem demokratischen<br />

Staatswesen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vergangenheit zugefallen ist und, so hoffe ich, auch <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Zukunft möglich se<strong>in</strong> wird, besteht erstens: <strong>in</strong> <strong>der</strong> Verteidigung von unabhängigen<br />

Rechtsgrundsätzen, das heißt, es ist ihre Aufgabe, die Rechtsordnung und das Recht<br />

jenseits menschlicher Willkür immer wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung zu rufen, die<br />

moralischen Ordnungskräfte zu unterstützen und vor je<strong>der</strong> Überwältigung des<br />

Rechts durch die Macht unablässig zu warnen. Zweitens: <strong>in</strong> <strong>der</strong> pluralistischen<br />

Demokratie gehört es zu ihrer gesellschaftlichen Funktion, öffentliches Gewissen im<br />

<strong>Die</strong>nste des Geme<strong>in</strong>wohles zu se<strong>in</strong>, alle Son<strong>der</strong><strong>in</strong>teressen den Gesamt<strong>in</strong>teressen<br />

unterzuordnen. Dazu gehört drittens, auf die Wahrung <strong>der</strong> rechten Wertordnung<br />

h<strong>in</strong>zuweisen, und viertens die Stärkung <strong>der</strong> sittlichen Kräfte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er technischen<br />

Welt zu for<strong>der</strong>n. ... Zu den geistigen Aufgaben <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> hat es <strong>in</strong> den vergangenen<br />

dreißig Jahren gehört, auf ihre Weise den Staat daran zu er<strong>in</strong>nern, dass er nicht<br />

absolut ist, dass se<strong>in</strong>e Gewalt nicht grenzenlos, dass se<strong>in</strong>e Existenz nicht auf bloßer<br />

äußerer Macht beruhen kann. ... Wenn die <strong>Kirche</strong> sich verpflichtet fühlt, den Staat<br />

daran zu er<strong>in</strong>nern, dass er se<strong>in</strong>e Gesetze nicht aus dem Nichts schaffen kann und<br />

dass se<strong>in</strong> gesetztes positives Recht e<strong>in</strong>er vorgegebenen ethischen Rechtsnorm<br />

entsprechen muss - ja, dass es nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em solchen Maß Recht ist, als es nicht im<br />

Gegensatz steht zu e<strong>in</strong>er ewigen natürlichen Rechtsordnung steht, dann handelt die<br />

<strong>Kirche</strong> nicht aus Sorge um ihre Macht, son<strong>der</strong>n nur aus Sorge um den Menschen.<br />

Denn die <strong>Kirche</strong> ist nicht für sich selbst da, son<strong>der</strong>n für die Menschen.“ 1<br />

1 Franz König: Der geistige Wie<strong>der</strong>aufbau. In: Georg Wagner (Hg.): Österreich – Von <strong>der</strong><br />

Staatsidee zum Nationalbewußtse<strong>in</strong>; Studien und Ansprachen mit e<strong>in</strong>em Bildteil zur<br />

Geschichte Österreichs. Wien: Österreichische Staatsdruckerei 1982. S. 21.


<strong>Die</strong> folgenden Ausführungen werden zeigen, <strong>in</strong>wieweit das Ersche<strong>in</strong>ungsbild <strong>der</strong><br />

<strong>Kirche</strong> im historischen Bewusstse<strong>in</strong> <strong>der</strong> Österreicher mit ihrer historischen<br />

Wirklichkeit und Wirksamkeit übere<strong>in</strong>stimmt.<br />

HAUPTTHEMEN DER KURIALEN POLITIK AM<br />

VORABEND DES ERSTEN WELTKRIEGES<br />

<strong>Die</strong> zunehmend sich beschleunigenden Verän<strong>der</strong>ungen, ja mitunter sogar<br />

Umwälzungen, auf den Gebieten <strong>der</strong> Wissenschaften, <strong>der</strong> Gesellschaftspolitik und<br />

<strong>der</strong> traditionellen Machtpolitik im Rahmen des europäischen Staatensystems, die die<br />

zweite Hälfte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts kennzeichnen, blieben natürlich nicht ohne<br />

E<strong>in</strong>flüsse und Auswirkungen auf die <strong>Kirche</strong>. <strong>Die</strong> <strong>Kirche</strong> war gezwungen, auf die<br />

Entwicklungen und Fragen <strong>der</strong> Zeit Antworten zu suchen und zu geben, und zwar<br />

<strong>in</strong> zweierlei Funktion. Als Träger<strong>in</strong> und Verkün<strong>der</strong><strong>in</strong> e<strong>in</strong>er religiösen Lehre, die ihre<br />

Inhalte auf göttliche Offenbarungen zurückführt und die daher auch unverän<strong>der</strong>lich<br />

wahr und richtig ist, musste die <strong>Kirche</strong> e<strong>in</strong>erseits sich mit <strong>der</strong> Tatsache<br />

ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzen, dass die fortschreitenden Erkenntnisse vor allem <strong>der</strong><br />

Naturwissenschaften, aber auch <strong>der</strong> mit sich ständig verfe<strong>in</strong>ernden Methoden<br />

arbeitenden Geschichtswissenschaft den Wahrheitsanspruch <strong>der</strong> religiösen Lehren <strong>in</strong><br />

wachsendem Maß aushöhlten. Zum an<strong>der</strong>en war die <strong>Kirche</strong> immer noch e<strong>in</strong> Faktor<br />

<strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> wechselnden Konstellationen des europäischen Staatensystems. Zwar<br />

war im Gefolge des Zusammenbruches des Zweiten Französischen Kaiserreichs im<br />

Jahre 1870 <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong>nstaat von italienischen Truppen besetzt und von <strong>der</strong><br />

politischen Landkarte Europas gelöscht worden, aber die Päpste ruhten nicht mit<br />

ihren Bemühungen um e<strong>in</strong>e Wie<strong>der</strong>errichtung ihres Staates.<br />

Es lag im Wesen <strong>der</strong> Doppelnatur <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong>, e<strong>in</strong>erseits e<strong>in</strong>e religiöse Institution,<br />

an<strong>der</strong>erseits e<strong>in</strong>e politische Macht zu se<strong>in</strong>, dass sie ihre religiöse<br />

Glaubensverkündung untrennbar mit ihren politischen Bestrebungen vermengte,<br />

sodass die folgende Analyse <strong>der</strong> Hauptthemen <strong>der</strong> kurialen Politik am Vorabend<br />

des Ersten Weltkrieges den E<strong>in</strong>druck e<strong>in</strong>er klaren Trennung <strong>der</strong>selben vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

vermitteln kann, die aber tatsächlich nicht bestanden hat.<br />

DER KAMPF GEGEN DEN MODERNISMUS<br />

<strong>Die</strong> raschen Entwicklungen des späten 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts bewogen viele<br />

fortschrittliche Denker des Katholizismus, nach Wegen zu suchen, das kirchliche<br />

Dogmengebäude und die religiöse Lehre <strong>der</strong> Denkweise <strong>der</strong> neuen Zeit anzupassen,<br />

um damit die Attraktivität des Katholizismus sowohl bei <strong>der</strong> kritischen Intelligenz<br />

als auch bei <strong>der</strong> aufstrebenden Arbeiterschaft zu bewahren und nach Möglichkeit zu<br />

steigern. Ermutigt wurden diese Versuche durch Leo XIII. (1878-1903), <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Enzyklika „Immortale Dei“ vom 1.11.1885 die <strong>Kirche</strong> als För<strong>der</strong><strong>in</strong> und<br />

Vorkämpfer<strong>in</strong> <strong>der</strong> Künste und Wissenschaften darstellen wollte. Unter an<strong>der</strong>em<br />

heißt es dort:


„Es gibt eben ke<strong>in</strong>e Wahrheit, welche den Lehren <strong>der</strong> Offenbarung wi<strong>der</strong>streitet;<br />

diese empfängt vielmehr vielfache Bestätigung durch die Wissenschaft. Ebendarum<br />

muss je<strong>der</strong> Fortschritt <strong>der</strong>selben uns e<strong>in</strong> Antrieb werden, Gott immer mehr zu<br />

erkennen und zu preisen; was immer diesen för<strong>der</strong>t, begrüßt deswegen die <strong>Kirche</strong><br />

gern und mit Freuden. Und wie sie allen Zweigen <strong>der</strong>selben ihre Sorge und Pflege<br />

widmet, so will sie auch, dass das Studium <strong>der</strong> Naturwissenschaften emsig<br />

betrieben werde. Wenn durch <strong>der</strong>artige Studien Neues an den Tag geför<strong>der</strong>t wird,<br />

so ist die <strong>Kirche</strong> nicht dagegen; ebenso wenig, dass man sich bestrebt, mehr und<br />

mehr das Leben schöner und zweckmäßiger zu gestalten; weil Fe<strong>in</strong>d<strong>in</strong> aller Trägheit<br />

und Untätigkeit, ist es vielmehr ihr sehnlichster Wunsch, dass durch Bildung und<br />

Pflege des Geistes reichlich Früchte gewonnen werden, und sie selbst ist es, welche<br />

auf allen Gebieten <strong>der</strong> Wissenschaft und Kunst zur Tätigkeit anspornt. Indem sie<br />

aber alle diese Bestrebungen durch ihre E<strong>in</strong>wirkung zu e<strong>in</strong>em edlen und<br />

heilbr<strong>in</strong>genden Ziel h<strong>in</strong>richtet, sucht sie nur vorzubeugen, dass Intelligenz und<br />

Industrie die Menschen Gott und den himmlischen Geistern nicht entfremden.“ 2<br />

Trotz <strong>der</strong> unüberhörbaren E<strong>in</strong>schränkung <strong>der</strong> freien wissenschaftlichen Forschung,<br />

wie sie <strong>der</strong> letzte Satz zweifelsfrei darstellt, sahen viele <strong>in</strong> dem päpstlichen<br />

Rundschreiben e<strong>in</strong> Signal für die Öffnung <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> gegenüber <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Zeit.<br />

Vor allem und zuerst <strong>in</strong> den Vere<strong>in</strong>igten Staaten von Amerika versuchte man unter<br />

Berufung auf diese Enzyklika e<strong>in</strong>e Anpassung des römischen Katholizismus an den<br />

angelsächsischen Lebensstil <strong>der</strong> Staaten. In Europa waren es vor allem die<br />

wissenschaftlichen Diszipl<strong>in</strong>en <strong>der</strong> Philosophie, Theologie und Geschichte, wo e<strong>in</strong>e<br />

Anzahl Gelehrter versuchte, <strong>in</strong> Anlehnung an die Philosophie Henri Bergsons o<strong>der</strong><br />

an den Skeptizismus Immanuel Kants die kirchliche Lehre von mittelalterlichem<br />

Wun<strong>der</strong>glauben und legendarischem Beiwerk zu säubern. Verschiedentlich wurde<br />

sogar <strong>der</strong> Versuch unternommen, auf die Bibeltexte die Methoden <strong>der</strong> historischen<br />

Textkritik anzuwenden. Wi<strong>der</strong>sprüche zur <strong>katholischen</strong> Dogmatik konnten dabei<br />

nicht ausbleiben.<br />

Unter dem E<strong>in</strong>druck <strong>der</strong> angeblichen Auflösung <strong>der</strong> <strong>katholischen</strong> E<strong>in</strong>heit formierten<br />

sich an <strong>der</strong> Kurie die Integralisten, die alles geistige und öffentliche Leben an die<br />

<strong>katholischen</strong> Pr<strong>in</strong>zipien b<strong>in</strong>den wollten. Ihren ersten Vorstoß gegen die mo<strong>der</strong>nen<br />

Geistesströmungen, die von ihnen bald unter dem Begriff des Mo<strong>der</strong>nismus<br />

zusammengefasst wurden, obgleich jene vielfach mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> überhaupt nicht <strong>in</strong><br />

Verb<strong>in</strong>dung standen, richteten sie noch während des Pontifikats Leos XIII. gegen die<br />

„Häresie des Amerikanismus“. Leo XIII. griff mit <strong>der</strong> Enzyklika „Testem<br />

benevolentiae“ im Jahre 1899 die Positionen <strong>der</strong> amerikanischen <strong>katholischen</strong> <strong>Kirche</strong><br />

scharf an, musste sich jedoch von Kard<strong>in</strong>al James Gibbons, Erzbischof von<br />

Baltimore, sagen lassen, dass die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Enzyklika geäußerten Anschuldigungen und<br />

Verdächtigungen je<strong>der</strong> tatsächlichen Grundlage entbehrten. Da man auf seiten <strong>der</strong><br />

Kurie ke<strong>in</strong>en Bruch mit <strong>der</strong> aufstrebenden und reichen amerikanischen <strong>Kirche</strong><br />

riskieren wollte, wich man zurück.<br />

Gegenüber den vielfach von <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> abhängigen und auch mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> kaum <strong>in</strong><br />

Berührung stehenden Theologen und sonstigen Vertretern des europäischen<br />

Mo<strong>der</strong>nismus g<strong>in</strong>gen die römischen Integralisten schärfer <strong>in</strong>s Gericht. Schon kurz<br />

2 Zitiert nach: J. R. Grigulevic: <strong>Die</strong> Päpste des XX. Jahrhun<strong>der</strong>ts; Von Leo XIII. bis<br />

Johannes-Paul II. Moskau: Verlag Progreß 1984. S. 21.


nach se<strong>in</strong>er Thronbesteigung wandte sich Pius X. (1903-1914) <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Allokution<br />

am 8.12.1904 gegen die liberale Theologie. Nicht ganz drei Jahre später erließ die<br />

römische Inquisition am 3.7.1907 das Dekret „Lamentabili“, <strong>in</strong> dem fünfundsechzig<br />

ziemlich willkürlich zusammengestoppelte angebliche Thesen <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>nisten<br />

verworfen wurden. In e<strong>in</strong>er Instruktion vom 25.8.1907 wurden alle Bischöfe und<br />

Ordensoberen aufgefor<strong>der</strong>t, mo<strong>der</strong>nistische Bücher und mo<strong>der</strong>nistische Lehrer aus<br />

den Sem<strong>in</strong>aren zu entfernen und des Mo<strong>der</strong>nismus verdächtige Kandidaten nicht zu<br />

den Weihen zuzulassen.<br />

Den Hauptschlag gegen den Mo<strong>der</strong>nismus führte Pius X. sodann mit <strong>der</strong> Enzyklika<br />

„Pascendi dom<strong>in</strong>ici gregis“ vom 8.9.1907, <strong>in</strong> <strong>der</strong> er die Ansprüche <strong>der</strong> <strong>katholischen</strong><br />

Lehre gegenüber dem Mo<strong>der</strong>nismus bekräftigte. Pius X. sieht <strong>in</strong> dieser Enzyklika<br />

den Mo<strong>der</strong>nismus als „Sammelbecken aller Häresien“, e<strong>in</strong> „gut organisiertes<br />

System, dessen Teile so fest mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verbunden s<strong>in</strong>d, dass die Anerkennung des<br />

e<strong>in</strong>en unvermeidlich zur Anerkennung des gesamten Systems führt.“ <strong>Die</strong><br />

Mo<strong>der</strong>nisten seien deshalb für die <strong>Kirche</strong> so gefährlich, weil, wie Pius X. weiter<br />

ausführt, „diese Gegner <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> kämen nicht von außen, son<strong>der</strong>n hielten sich im<br />

Herzen <strong>der</strong>selben verborgen, teils als Laien, teils als Priester, um sich zu kirchlichen<br />

Reformern aufzuwerfen und alles Heilige an Christi Werk, ja dessen Person selbst<br />

anzugreifen; sie seien um so schädlicher und gefährlicher, als sie <strong>in</strong> den A<strong>der</strong>n o<strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>geweiden <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> wühlten und ihre Axt an <strong>der</strong>en Wurzeln legten, ebenso<br />

verwegen wie raff<strong>in</strong>iert, h<strong>in</strong>terlistig und heuchlerisch, e<strong>in</strong>erseits Arbeitsamkeit,<br />

Bildungsdrang und Sittenstrenge aufweisend, an<strong>der</strong>erseits stolz und halsstarrig, jede<br />

Zügelung verschmähend.“ Nachdem er auf diese Weise die Vertreter des<br />

Mo<strong>der</strong>nismus moralisch heruntergemacht hat, geht Pius X. auf die Inhalte <strong>der</strong><br />

mo<strong>der</strong>nistischen Lehren e<strong>in</strong>, die se<strong>in</strong>er Ansicht nach nur e<strong>in</strong>e Konsequenz haben<br />

können: „Im Symbolismus und Immanentismus liegt <strong>der</strong> Weg zum Pantheismus, <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Unterscheidung von Glaube und Wissen <strong>der</strong> zur Auflösung von jenem im<br />

Unerkennbaren gegenüber <strong>der</strong> Realität des Erkennbaren. So bleibt als Endziel nur<br />

Atheismus und Religionslosigkeit übrig.“ Dem kann die <strong>Kirche</strong> selbstverständlich<br />

nicht zustimmen, und somit erhebt Pius X. die For<strong>der</strong>ung: „In allem, was die<br />

Religion betrifft, darf die Philosophie nicht herrschen, son<strong>der</strong>n muss ihr dienen; sie<br />

darf nicht vorschreiben, was zu glauben ist, son<strong>der</strong>n muss sich den Glauben mit<br />

vernünftigem Gehorsam aneignen; sie darf sich nicht anmaßen, die Tiefen <strong>der</strong><br />

göttlichen Geheimnisse erforschen zu wollen, son<strong>der</strong>n soll sie gottesfürchtig und<br />

fromm verehren.“ 3<br />

In <strong>der</strong> Folge wurden die Bücher <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>nisten auf den „Index librorum<br />

prohibitorum“ (Verzeichnis <strong>der</strong> verbotenen Bücher) gesetzt, ihre Autoren, sofern sie<br />

ihre Aussagen nicht wi<strong>der</strong>riefen, exkommuniziert.<br />

Doch damit war es nicht genug. In se<strong>in</strong>em Motu proprio vom 1.9.1910 verpflichtete<br />

Pius X. alle Beamten <strong>der</strong> römischen und bischöflichen Kurien, Oberen und Lehrer<br />

<strong>der</strong> Orden und Kongregationen, alljährlich den sogenannten Antimo<strong>der</strong>nisteneid<br />

abzulegen. Neben dem Trident<strong>in</strong>ischen Glaubensbekenntnis be<strong>in</strong>haltete dieser Eid<br />

auch zahlreiche antimo<strong>der</strong>nistische Formeln, unter an<strong>der</strong>em, dass<br />

− Gott kraft <strong>der</strong> menschlichen Vernunft aus <strong>der</strong> Schöpfung erkannt und bewiesen<br />

werden könne;<br />

3 Alle Zitate aus „Pascendi dom<strong>in</strong>ici gregis“ nach Grigulevic, <strong>Die</strong> Päpste... S. 117.


− die Wun<strong>der</strong> <strong>der</strong> Prophezeiungen Christi sichere Zeichen des göttlichen Ursprungs<br />

<strong>der</strong> christlichen Religion s<strong>in</strong>d und dem Geist <strong>der</strong> Gegenwart entsprechen;<br />

− die <strong>Kirche</strong> durch Christus unmittelbar e<strong>in</strong>gesetzt und auf Petrus und se<strong>in</strong>e<br />

Nachfolger gebaut wurde;<br />

− die von den Aposteln durch die Väter überlieferte Glaubenslehre vorbehaltlos<br />

angenommen und die irrgläubige Erf<strong>in</strong>dung von <strong>der</strong> Anpassungsbedürftigkeit<br />

<strong>der</strong> Glaubenssätze verworfen werden muss;<br />

− <strong>der</strong> Glaube nicht e<strong>in</strong> bl<strong>in</strong>des religiöses Gefühl sei, son<strong>der</strong>n die Zustimmung des<br />

Verstandes zu den von Gott geschaffenen Wahrheiten;<br />

− es ke<strong>in</strong>en Wi<strong>der</strong>spruch zwischen den Erkenntnissen <strong>der</strong> Geschichtswissenschaft<br />

und dem kirchlichen Glauben gebe. 4<br />

Der Kampf gegen den Mo<strong>der</strong>nismus nahm <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge Formen mittelalterlicher<br />

Ketzerverfolgungen an: Päpstliche Legaten <strong>in</strong>spizierten Bistümer, spürten ohne<br />

Rücksicht auf die Me<strong>in</strong>ungen von Bischöfen und Kard<strong>in</strong>älen mo<strong>der</strong>nistische Priester<br />

auf und maßregelten sie, Bischöfe wurde dazu verpflichtet, jährliche Berichte über<br />

ihre antimo<strong>der</strong>nistischen Maßnahmen an die Kurie e<strong>in</strong>zuschicken und an<strong>der</strong>es<br />

mehr. <strong>Die</strong> Krone setzte dem antimo<strong>der</strong>nistischen Kampf allerd<strong>in</strong>gs Monsignore<br />

Umberto Benigni auf, als er im Jahre 1909 das „Sodalitium Pianum“ gründete.<br />

<strong>Die</strong>ses war e<strong>in</strong> Geheimbund von etwa e<strong>in</strong>tausend Mitglie<strong>der</strong>n, den Pius X. <strong>in</strong><br />

eigenhändigen Schreiben aus den Jahren 1911 und 1913 ausdrücklich genehmigt und<br />

<strong>der</strong> Konsistorialkongregation unterstellt hat. Mit den Methoden <strong>der</strong> Bespitzelung,<br />

<strong>der</strong> Denunziation, des Psychoterrors, des Informationsaustausches, <strong>der</strong> Öffnung von<br />

Korrespondenzen und an<strong>der</strong>en wurde von <strong>der</strong> Gründung des Sodalitiums bis zu<br />

se<strong>in</strong>er Auflösung im Jahre 1921 die Existenz von rund 40.000 Klerikern ru<strong>in</strong>iert. Mit<br />

<strong>der</strong> Auflösung des Sodalitium Pianum hatte jedoch die Ketzerjagd ke<strong>in</strong> Ende,<br />

wurden doch se<strong>in</strong>e Agenden dem Heiligen Offizium, also <strong>der</strong> Inquisition,<br />

übertragen. 5<br />

DER KAMPF GEGEN DEMOKRATIE UND SOZIALISMUS<br />

Das 19. Jahrhun<strong>der</strong>t war bestimmt von zwei aufsteigenden gesellschaftspolitischen<br />

Theorien: von dem Gedanken <strong>der</strong> bürgerlich-liberalen Demokratie, entstanden <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Aufklärung als Reaktion auf den Verfall des fürstlichen Absolutismus und mit<br />

<strong>der</strong> Französischen Revolution des Jahres 1789 auch immer wie<strong>der</strong> zum politischen<br />

Programm erhoben, und dem Gedanken des Sozialismus, e<strong>in</strong>em Ergebnis <strong>der</strong><br />

Verelendung breitester Volksmassen durch den <strong>in</strong>dustriellen Kapitalismus. Mit<br />

beiden Theorien musste sich die <strong>Kirche</strong> ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzen.<br />

DIE STELLUNG DER KIRCHE ZUR DEMOKRATIE<br />

4 Inhaltsangabe des Antimo<strong>der</strong>nisteneides wurde mit Verän<strong>der</strong>ungen übernommen aus:<br />

Helmut Hiller: <strong>Die</strong> Geschäftsführer Gottes; E<strong>in</strong>e kritische Geschichte <strong>der</strong> Päpste.<br />

München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1986. S. 146.<br />

5 Über das „Sodalitium Pianum“ siehe Näheres bei: Karlhe<strong>in</strong>z Deschner: E<strong>in</strong> Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

Heilsgeschichte; <strong>Die</strong> Politik <strong>der</strong> Päpste im Zeitalter <strong>der</strong> Weltkriege. Bd 1: Von Leo XIII. 1878<br />

bis Pius XI. 1939. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1982. S. 169 ff.; Grigulevic: <strong>Die</strong> Päpste... S.<br />

120 ff.; Hiller: <strong>Die</strong> Geschäftsführer... S. 246 f.


<strong>Die</strong> Gedankenwelt <strong>der</strong> Demokratie war für die <strong>Kirche</strong> seit jeher unannehmbar und<br />

wurde von ihr immer bekämpft. So war im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t die Schweiz als e<strong>in</strong>ziger<br />

demokratischer und republikanischer Staat Europas <strong>der</strong> Kurie dauernd e<strong>in</strong> Dorn im<br />

Auge. Mehr als e<strong>in</strong>mal wurde <strong>der</strong> Papst bei den <strong>katholischen</strong> Kaisern Napoléon III.<br />

(1851-1870) und Franz Joseph (1848-1916) mit dem Wunsch nach e<strong>in</strong>er Intervention<br />

vorstellig. 6 Von <strong>der</strong> Fruchtlosigkeit dieser Bemühungen unbeirrt, richteten die Päpste<br />

immer wie<strong>der</strong> heftige Angriffe gegen die Demokratie.<br />

Es war vor allem Leo XIII., <strong>der</strong> <strong>in</strong> verschiedenen Aussendungen die kirchliche<br />

Haltung gegenüber <strong>der</strong> Demokratie für viele Jahrzehnte festlegte. In <strong>der</strong> Enzyklika<br />

„Immortale Dei“ des Jahres 1885 beteuerte er, dass „alle öffentliche Gewalt von<br />

Gott“ ausgehe - mit <strong>der</strong> unausgesprochenen Schlussfolgerung, dass sie unmittelbar<br />

von Gottes Stellvertreter auf Erden legitimiert werden müsse. In <strong>der</strong> Enzyklika<br />

„Sapientiae Christianae“ vom Jahre 1890 wurde Leo XIII. diesbezüglich schon<br />

deutlicher, wenn er als Hauptpflicht christlicher Bürger „vorbehaltlose<br />

Unterwerfung und unbed<strong>in</strong>gten Gehorsam gegenüber <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> und dem<br />

römischen Bischof, nicht an<strong>der</strong>s als gegenüber Gott“ 7 bezeichnet. Dazwischen, am<br />

20.6.1888, verwarf Leo XIII. <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Enzyklika „Libertas praestantium donum“ die<br />

Idee <strong>der</strong> Menschen- und Bürgerrechte mit den Ausführungen: „<strong>Die</strong><br />

une<strong>in</strong>geschränkte Freiheit des Denkens und die öffentliche Bekanntmachung <strong>der</strong><br />

Gedanken e<strong>in</strong>es Menschen gehören nicht zu den Rechten <strong>der</strong> Bürger“. An an<strong>der</strong>er<br />

Stelle nannte er es „völlig ungerechtfertigt, die unbegrenzte Freiheit des Denkens,<br />

<strong>der</strong> Rede, des Schreibens o<strong>der</strong> des Gottesdienstes zu for<strong>der</strong>n, zu verteidigen o<strong>der</strong> zu<br />

gewähren, als handle es sich dabei um Rechte, die dem Menschen von Natur aus<br />

verliehen s<strong>in</strong>d“. Denn schließlich verbieten es „Gerechtigkeit und Vernunft ..., die<br />

verschiedenen Religionen, wie sie sich auch nennen, auf gleiche Stufe zu stellen,<br />

ihnen fälschlicherweise gleiche Rechte und Privilegien zuzubilligen.“ 8<br />

Trotz dieser grundsätzlichen Ablehnung <strong>der</strong> Demokratie war die kuriale Diplomatie<br />

geschmeidig genug, ihre Wirkungsmöglichkeiten zur Hebung des kirchlichen<br />

E<strong>in</strong>flusses im Rahmen e<strong>in</strong>er demokratischen Staatsform zu erkennen und zu nutzen.<br />

In <strong>der</strong>selben schon genannten Enzyklika „Libertas praestantissimum donum“ wird<br />

den Klerikern und Laien die Zusammenarbeit mit republikanischen Regierungen<br />

gestattet, sofern diese die kirchlichen Rechte und Privilegien anerkennen und<br />

wahren. Immer wie<strong>der</strong> ermunterte Leo XIII. die Priester: „Geht aus <strong>der</strong> Sakristei<br />

unters Volk!“ um die <strong>Kirche</strong> zu e<strong>in</strong>er politischen Macht werden zu lassen. Im<br />

Gefolge dieser Auffor<strong>der</strong>ung kam es zur Gründung katholischer Gewerkschaften,<br />

die die Schwächung <strong>der</strong> sozialistisch organisierten Arbeiterschaft und die<br />

Herbeiführung e<strong>in</strong>er Klassenharmonie zum Zwecke hatten. Klerikale<br />

Organisationen wie beispielsweise die verschiedenen Leo-Gesellschaften sollten <strong>der</strong><br />

Propagierung christlich-katholischer Anschauungen dienen. Christliche<br />

Massenparteien, die <strong>in</strong> den achtziger Jahren <strong>in</strong> Österreich-Ungarn, im Deutschen<br />

Reich, <strong>in</strong> Belgien und an<strong>der</strong>swo <strong>in</strong>s Leben gerufen wurden, sollten als weltlicher<br />

Arm <strong>der</strong> Kurie bei <strong>der</strong> Durchsetzung ihrer jeweiligen nationalen und <strong>in</strong>ternationalen<br />

6 Peter Stadler: Das Papsttum und die Schweiz; Geschichtliche Rem<strong>in</strong>iszenzen anläßlich<br />

<strong>der</strong> Schweizer Reise Johannes Pauls II., <strong>in</strong>: Neue Zürcher Zeitung, 18.5.1984. S. 33.<br />

7 Deschner: Heilsgeschichte Bd 1., S. 42.<br />

8 Deschner: Heilsgeschichte Bd 1., S. 42.


Interessen wirken. Nichtsdestoweniger verfolgten die kurialen Integralisten das<br />

Wirken <strong>der</strong> <strong>katholischen</strong> Parteien und Massenorganisationen mit Misstrauen und<br />

Angst, dass sie sich e<strong>in</strong>er kirchlichen Gängelung entziehen könnten. <strong>Die</strong> im Jahre<br />

1902 erlassene Anweisung <strong>der</strong> Kongregation für außerordentliche kirchliche<br />

Angelegenheiten: „<strong>Die</strong> christliche Demokratie ist strengstens verpflichtet, ihr<br />

Programm unter Beachtung <strong>der</strong> kirchlichen Autorität zu verwirklichen, mit voller<br />

Unterwerfung und im Gehorsam gegen die Bischöfe und ihre Vertreter“ 9 , war nicht<br />

die e<strong>in</strong>zige Warnung vor zu deutlichen Emanzipationsbestrebungen des weltlichen<br />

Arms <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong>.<br />

DIE STELLUNG DER KIRCHE ZUM SOZIALISMUS<br />

Konnte sich die <strong>Kirche</strong> zwar unter e<strong>in</strong>igen Vorbehalten aber im großen und ganzen<br />

doch mit <strong>der</strong> bürgerlichen Demokratie verständigen, so erkannte sie richtigerweise<br />

im Sozialismus ihren gefährlichsten Fe<strong>in</strong>d. Dementsprechend stand sie dem<br />

Sozialismus im allgeme<strong>in</strong>en und <strong>der</strong> marxistischen Richtung ganz beson<strong>der</strong>s<br />

ablehnend gegenüber. Schon kurz nach Antritt se<strong>in</strong>es Pontifikats gab Leo XIII. <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er am 28.12.1878 veröffentlichten Enzyklika „Quod apostolici muneris“ den Ton<br />

und den Inhalt <strong>der</strong> kirchlichen Erklärungen vor, wenn er von den Sozialisten spricht<br />

als von <strong>der</strong> „Partei jener Menschen, welche mit verschiedenen, fast barbarischen<br />

Namen Sozialisten, Kommunisten o<strong>der</strong> Nihilisten genannt werden und über die<br />

ganze Welt verbreitet s<strong>in</strong>d.“ Er beruhigte aber die Erschrockenen mit dem H<strong>in</strong>weis,<br />

„dass zur Abwehr <strong>der</strong> Pest des Sozialismus die <strong>Kirche</strong> Gottes e<strong>in</strong>e so große Macht<br />

besitzt, wie sie we<strong>der</strong> menschlichen Gesetzen noch den Verboten <strong>der</strong> Behörden noch<br />

den Waffen <strong>der</strong> Soldaten zukommt“. Allerd<strong>in</strong>gs hilft die <strong>Kirche</strong> nur unter <strong>der</strong><br />

Bed<strong>in</strong>gung, dass ihr die Staaten „jene Stellung und Freiheit wie<strong>der</strong>geben, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sie<br />

ihren so höchst heilsamen E<strong>in</strong>fluss zum besten <strong>der</strong> ganzen Gesellschaft geltend<br />

machen kann“. 10<br />

<strong>Die</strong> Wirtschaftskrise <strong>der</strong> achtziger Jahre des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts vergrößerte das<br />

Massenelend <strong>in</strong> <strong>der</strong> Arbeiterschaft und verstärkte die revolutionäre Unruhe <strong>in</strong> ihren<br />

Reihen. Der Internationale Sozialistenkongress des Jahres 1889 <strong>in</strong> Paris und die dort<br />

beschlossenen Feiern zum 1. Mai des Jahres 1890 zeigten die Kraft <strong>der</strong><br />

<strong>in</strong>ternationalen Arbeiterbewegung. Von verschiedenen Seiten wurde <strong>der</strong> Papst zu<br />

e<strong>in</strong>em klärenden Wort über die Stellung von <strong>Kirche</strong> und Christentum gedrängt.<br />

Am 15.5.1891 veröffentliche Leo XIII. die Enzyklika „Rerum novarum“ als die so<br />

sehnlich erwartete Antwort auf die Herausfor<strong>der</strong>ung des Sozialismus:<br />

<strong>Die</strong> Enzyklika beg<strong>in</strong>nt mit e<strong>in</strong>er Verurteilung des „unersättlichen Kapitalismus“, <strong>der</strong><br />

„dem arbeitenden Stande nahezu e<strong>in</strong> sklavisches Joch“ auferlege. Sodann wendet sie<br />

sich heftig gegen den Sozialismus, <strong>der</strong>, wie sie grob vere<strong>in</strong>fachend me<strong>in</strong>t, „die<br />

Besitzlosen gegen die Reichen aufstacheln“ will und behauptet, „<strong>der</strong> private Besitz<br />

müsse aufhören, um e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>schaft <strong>der</strong> Güter Platz zu machen“; „das<br />

Vermögen und dessen Vorteile“ sollten gleichmäßig unter den Staatsangehörigen<br />

verteilt se<strong>in</strong>. <strong>Die</strong> Enzyklika verwirft das Programm des Sozialismus mit drei<br />

Behauptungen: „Er schädigt ... die arbeitenden Klassen selbst; er ist ferner<br />

9 Hiller: Geschäftsführer, S. 241.<br />

10 Zitiert nach Grigulevic: <strong>Die</strong> Päpste... S. 54.


ungerecht, <strong>in</strong>dem er die rechtmäßigen Besitzer vergewaltigt; er ist endlich <strong>der</strong><br />

staatlichen Ordnung zuwi<strong>der</strong>, ja bedroht die Staaten mit völliger Auflösung“. <strong>Die</strong><br />

Ausführungen <strong>der</strong> Enzyklika kommen zusammenfassend zu dem abschließenden<br />

Urteil über den Sozialismus, er sei „offenbar <strong>der</strong> Gerechtigkeit zuwi<strong>der</strong>, denn das<br />

Recht zum Besitz privaten Eigentums hat <strong>der</strong> Mensch von <strong>der</strong> Natur erhalten“. In<br />

weiterer Folge beklagt das päpstliche Lehrschreiben die elende Lage <strong>der</strong> Arbeiter<br />

mit ergreifenden Worten, kommt jedoch zu dem Schluss: „Reiche und Arme hat es<br />

immer gegeben und wird es immer geben. <strong>Die</strong> Arbeiter sollen nicht gegen die<br />

Kapitalisten kämpfen, son<strong>der</strong>n mit ihnen zusammenarbeiten, denn ohne sie können<br />

sie nicht existieren, wie auch <strong>der</strong> Kapitalist nicht ohne die Arbeiter“. Das<br />

Privateigentum ist nach den Worten <strong>der</strong> Enzyklika „e<strong>in</strong>e For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Natur“ und<br />

somit „unantastbar und heilig“. 11 Es entspricht somit auch „<strong>der</strong> e<strong>in</strong>mal gegebenen<br />

unverän<strong>der</strong>lichen Ordnung <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge.., wonach <strong>in</strong> <strong>der</strong> bürgerlichen Gesellschaft<br />

e<strong>in</strong>e Gleichmachung von hoch und niedrig, von arm und reich schlechth<strong>in</strong> nicht<br />

möglich ist. Es mögen die Sozialisten solche Träume zu verwirklichen suchen, aber<br />

man kämpft vergebens gegen die Naturordnung an ... <strong>Die</strong> erträumte Gleichheit<br />

käme <strong>in</strong> Wahrheit nur h<strong>in</strong>aus auf die unterschiedslose Gleichheit desselben Elends<br />

und <strong>der</strong>selben Entwürdigung für alle“. Außerdem würde e<strong>in</strong>e <strong>der</strong>artige Gleichheit<br />

den Arbeiter <strong>der</strong> Möglichkeit berauben, se<strong>in</strong> Eigentum zu vermehren und<br />

möglicherweise selbst zum Kapitalisten zu werden - e<strong>in</strong> Ziel, das für ihn mit Demut,<br />

Fleiß und Sparsamkeit durchaus erreichbar wäre. Überdies, führt die Enzyklika<br />

weiter aus, würde die Abschaffung des Privateigentums die Menschen auf den<br />

Zustand <strong>der</strong> Tiere zurückwerfen, die ja auch ke<strong>in</strong> Eigentum besäßen. Doch ist die<br />

Erörterung <strong>der</strong> Frage des Privateigentums überhaupt müßig, denn „ob <strong>der</strong> Mensch<br />

an Reichtum o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en D<strong>in</strong>gen, die man Güter nennt, Überfluss habe o<strong>der</strong><br />

Mangel leide, darauf kommt es für die ewige Seligkeit nicht an“. 12 Aus dieser<br />

Argumentationsl<strong>in</strong>ie heraus ergibt sich selbstverständlich, dass die Enzyklika auch<br />

die Nationalisierung des Großgrundbesitzes ablehnt, denn „wie immer unter den<br />

e<strong>in</strong>zelnen verteilt, hört <strong>der</strong> Boden nicht auf, <strong>der</strong> Gesamtheit zu dienen, denn es gibt<br />

ke<strong>in</strong>en Menschen, <strong>der</strong> nicht von se<strong>in</strong>em Erträgnis lebt. Wer ohne Besitz ist, hat dafür<br />

die Arbeit“. Folgerichtig gipfelt die Enzyklika <strong>in</strong> <strong>der</strong> „For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> natürlichen<br />

Gerechtigkeit“, dass <strong>der</strong> Lohn nicht etwa so niedrig sei, dass er „e<strong>in</strong>em genügsamen<br />

rechtschaffenen Arbeiter den Lebensunterhalt nicht abwirft“. 13 <strong>Die</strong> Enzyklika endet<br />

mit dem Aufruf an die Arbeiter, sich <strong>in</strong> den <strong>katholischen</strong> Arbeitervere<strong>in</strong>en<br />

zusammenzuschließen, und mit <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung nach e<strong>in</strong>er Wie<strong>der</strong>belebung des<br />

Glaubens und <strong>der</strong> freien Betätigungsmöglichkeit für die <strong>Kirche</strong>.<br />

So seicht die Enzyklika „Rerum novarum“ <strong>in</strong> ihrer Analyse <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />

Zustände auch ist, - so gelang es beispielsweise ihren Verfassern nicht, den<br />

Unterschied zwischen dem Privateigentum an Produktionsmitteln und persönlichem<br />

Besitz zu erkennen -, und wie rührend e<strong>in</strong>fältig oft die <strong>in</strong> ihr vorgeschlagenen<br />

Maßnahmen zur Beseitigung des Elends <strong>der</strong> Arbeiterschaft auch s<strong>in</strong>d, so wurde<br />

dieses Lehrschreiben von den bürgerlichen Kreisen zum Schlüssel zur Lösung <strong>der</strong><br />

sozialen Frage hochgejubelt. Tatsächlich wurde die Enzyklika „Rerum novarum“<br />

denn auch zur programmatischen Plattform <strong>der</strong> christlichen<br />

11 Bis hierher alle Zitate aus „Rerum novarum“ nach Grigulevic: <strong>Die</strong> Päpste... S. 64/65.<br />

12 Bis hierher alle Zitate aus „Rerum novarum“ nach Deschner: Heilgeschichte, Bd 1., S.<br />

99.<br />

13 Bis hierher alle Zitate aus „Rerum novarum“ nach Grigulevic: <strong>Die</strong> Päpste... S. 65.


Gewerkschaftsbewegung und <strong>der</strong> christlichen Massenparteien im Kampf gegen den<br />

Sozialismus. Wie wenig ihre Aussagen wirklich die Interessen <strong>der</strong> Arbeiterschaft<br />

vertraten, zeigte die Tatsache, dass <strong>der</strong> Deutsche Kaiser Wilhelm II. (1888-1918) die<br />

Enzyklika dem Zaren Aleksandr III. (1881-1894) zuschickte, da er nur allzu gut<br />

wusste, dass sie auch und gerade für diesen annehmbar sei.<br />

Nichtsdestoweniger war die Enzyklika „Rerum novarum“ den reaktionären Kreisen<br />

<strong>in</strong> Europa und vor allem <strong>in</strong> Late<strong>in</strong>amerika zu fortschrittlich. Immer wie<strong>der</strong> wurde<br />

von diesen an die Kurie die Befürchtung herangetragen, dass die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Enzyklika<br />

gefor<strong>der</strong>te Klassenharmonie die Arbeiter schrittweise zum Sozialismus führe, und<br />

mit Beispielen belegt, dass unter Berufung auf sie für die Besitzenden unzumutbare<br />

For<strong>der</strong>ungen erhoben wurden. Unter dem E<strong>in</strong>druck dieser Gefahren aus <strong>der</strong> Sicht<br />

<strong>der</strong> Reaktion veröffentlichte Leo XIII. Am 18.1.1901 die Enzyklika „Graves de<br />

communi“, <strong>in</strong> <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Reihe von Aussagen <strong>der</strong> Enzyklika „Rerum novarum“ neu<br />

<strong>in</strong>terpretiert und damit faktisch zurückgezogen wurden. „Graves de communi“<br />

bestritt kategorisch jedwede Vere<strong>in</strong>barkeit zwischen Christentum und Sozialismus.<br />

<strong>Die</strong> seit „Rerum novarum“ verbreitete Losung <strong>der</strong> „christlichen Demokratie“ dürfe<br />

nicht als Kampfruf zur Err<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> Volksherrschaft missbraucht werden. Nach<br />

Me<strong>in</strong>ung des Papstes waren die evangelischen Gebote <strong>der</strong> Liebe und E<strong>in</strong>tracht die<br />

e<strong>in</strong>zige erlaubte Grundlage zur Lösung <strong>der</strong> sozialen Frage und daher ermahnte er<br />

immer wie<strong>der</strong> die Reichen und die Armen, diesen Boden nicht zu verlassen, und<br />

beson<strong>der</strong>s die Armen er<strong>in</strong>nerte er immer wie<strong>der</strong> daran, dass Geduld e<strong>in</strong>e <strong>der</strong><br />

höchsten christlichen Tugenden sei.<br />

<strong>Die</strong>se L<strong>in</strong>ie wurde <strong>in</strong> den folgenden Jahren beibehalten. E<strong>in</strong>erseits erhielten die<br />

<strong>katholischen</strong> Organisationen vor allem <strong>in</strong> Italien, aber auch im übrigen Europa die<br />

Weisung, die bürgerlichen Kräfte zu unterstützen, an<strong>der</strong>erseits unterstützten die<br />

Päpste <strong>in</strong> ihren Äußerungen immer wie<strong>der</strong> den Gedanken <strong>der</strong> Klassenharmonie. So<br />

sagte beispielsweise Pius X. (1903-1914) im Jahre 1909 vor e<strong>in</strong>er Delegation<br />

italienischer Katholiken: „Mögen die Reichen nicht mit Almosen geizen, und mögen<br />

die Armen Stolz empf<strong>in</strong>den, denn sie gleichen dem Vorbild Jesu Christi! Mögen sie<br />

aus ihrem Herzen den Neid vertreiben, mögen Geduld und Demut sie nie<br />

verlassen!“ 14<br />

Wie sehr <strong>der</strong> Kampf gegen den Sozialismus die kuriale Politik beherrscht hat, geht<br />

aus <strong>der</strong> Tatsache deutlich hervor, dass <strong>der</strong> <strong>in</strong> den ersten Monaten des Ersten<br />

Weltkrieges gewählte und <strong>in</strong>thronisierte Benedikt XV. (1914-1922) <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er ersten<br />

Enzyklika ke<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es Thema fand, als über den Sozialismus herzuziehen. Unter<br />

an<strong>der</strong>em heißt es dort: „<strong>Die</strong> weniger Bemittelten, die sich gegen die Reichen<br />

auflehnen, versündigen sich nicht nur an <strong>der</strong> Gerechtigkeit und Barmherzigkeit,<br />

son<strong>der</strong>n sie tun <strong>der</strong> Vernunft selbst Gewalt an, um so mehr als auch sie sich durch<br />

ehrlichen Arbeitseifer bessere Lebensbed<strong>in</strong>gungen verschaffen könnten ...“ Nach<br />

diesem H<strong>in</strong>weis darauf, dass die Arbeiter nur wegen ihrer Faulheit <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Gesellschaft so schlecht gestellt s<strong>in</strong>d, kommt Benedikt XV. sodann auf die<br />

Nächstenliebe zu sprechen. „<strong>Die</strong>se Liebe darf nicht die Aufhebung <strong>der</strong><br />

Klassenunterschiede und die Gleichmachung <strong>der</strong> Lebensbed<strong>in</strong>gungen zur Folge<br />

haben - dies ist e<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g <strong>der</strong> Unmöglichkeit, ebenso wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em lebendigen Körper<br />

allen Gliedmaßen unmöglich die gleiche Wichtigkeit zukommt. Jedoch soll diese<br />

14 Zitiert nach Grigulevic: <strong>Die</strong> Päpste... S. 123.


Liebe bewirken, dass die, die e<strong>in</strong>e höhere Stellung e<strong>in</strong>nehmen, sich <strong>in</strong> gewissem<br />

Maße ihren Untergebenen zuneigen und nicht nur gerecht mit ihnen umgehen,<br />

son<strong>der</strong>n sie leutselig und geduldig behandeln. <strong>Die</strong> Untergebenen aber sollen sich<br />

über Glück und Gedeihen jener freuen und ihnen vertrauen...“ 15 <strong>Die</strong>se Worte des<br />

Papstes mussten den Armen wie e<strong>in</strong> Hohn ersche<strong>in</strong>en, nachdem sie schon seit<br />

Monaten von den Höhergestellten mit Zuneigung, Gerechtigkeit, Leutseligkeit und<br />

Geduld zu Millionen auf die Schlachtfel<strong>der</strong> getrieben wurden!<br />

DAS VERHÄLTNIS DER KIRCHE ZU ITALIEN<br />

Als am 19.7.1870 <strong>der</strong> deutsch-französische Krieg ausbrach und die preußischen<br />

sowie die mit ihnen verbündeten Truppen <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en deutschen Staaten rasche<br />

und entscheidende Siege errangen, war Frankreich gezwungen, se<strong>in</strong>e Schutztruppe<br />

aus dem <strong>Kirche</strong>nstaat abzuziehen. In <strong>der</strong> Folge besetzten italienische Truppen den<br />

<strong>Kirche</strong>nstaat und erstürmten am 20.9.1870 die Stadt Rom. <strong>Die</strong> am 2.10.1870<br />

durchgeführte Volksabstimmung erklärte mit <strong>der</strong> überwältigenden Mehrheit von<br />

133.681 gegen 1.507 Stimmen die weltliche Herrschaft des Papstes für erloschen. Das<br />

Gebiet des <strong>Kirche</strong>nstaates wurde dem Königreich Italien e<strong>in</strong>geglie<strong>der</strong>t und Rom zur<br />

Hauptstadt proklamiert. Obwohl es italienische Truppen gewesen waren, die Papst<br />

Pius IX. (1846-1878) <strong>in</strong> den Tagen nach <strong>der</strong> Besetzung Roms vor <strong>der</strong> Volkswut<br />

geschützt hatten, und obwohl <strong>der</strong> italienische Staat im Garantiegesetz vom 13.3.1871<br />

dem Papst weiterh<strong>in</strong> die volle Souveränität, den ungeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ten diplomatischen<br />

Verkehr, die steuerfreie Nutznießung <strong>der</strong> päpstlichen Paläste, <strong>Kirche</strong>n und Gärten<br />

sowie e<strong>in</strong>e großzügige Jahresdotation als Ersatz für die verlorenen E<strong>in</strong>künfte aus<br />

dem <strong>Kirche</strong>nstaat zusicherte, beharrte Pius IX. auf <strong>der</strong> am 1.11.1870<br />

ausgesprochenen Exkommunikation <strong>der</strong> Urheber und Teilnehmer an <strong>der</strong><br />

„Usurpation“ Roms, wies er nach <strong>der</strong> ersten Zahlung <strong>der</strong> Dotation alle weiteren<br />

zurück und stilisierte er sich zum „Gefangenen im Vatikan“ hoch. Für die<br />

verbleibenden Jahre des Pontifikats Pius IX. blieb das Verhältnis zwischen <strong>der</strong> Kurie<br />

und dem Königreich Italien vergiftet. <strong>Die</strong> „Römische Frage“, die noch Jahrzehnte die<br />

europäische Politik bestimmen sollte, war geboren.<br />

<strong>Die</strong>se päpstliche Haltung versetzte den italienischen Katholizismus <strong>in</strong> nicht ger<strong>in</strong>ge<br />

<strong>in</strong>nere Schwierigkeiten. Auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Seite standen die sogenannten „Sanfedisten“<br />

als bed<strong>in</strong>gungslose Gegner des italienischen Staates und Verfechter <strong>der</strong><br />

Wie<strong>der</strong>aufrichtung <strong>der</strong> weltlichen Souveränität des Papstes. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite<br />

des Spektrums waren die christlichen Demokraten zu f<strong>in</strong>den, die zwar<br />

antisozialistisch e<strong>in</strong>gestellt waren, aber die Vorteile e<strong>in</strong>er Zusammenarbeit mit <strong>der</strong><br />

bürgerlich-liberalen Führungsschicht Italiens für die <strong>Kirche</strong> erkannten. Dazwischen<br />

gab es e<strong>in</strong>e Vielfalt von gemäßigten und opportunistischen Gruppierungen, die je<br />

nach <strong>der</strong> augenblicklichen Lage <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite zuneigten.<br />

Der Pontifikat Leos XIII. war geprägt von den unablässigen Versuchen des Papstes<br />

zur Wie<strong>der</strong>gew<strong>in</strong>nung des <strong>Kirche</strong>nstaates, wobei er e<strong>in</strong>e sehr undurchsichtige<br />

Politik betrieb. Während er das von Pius IX. im Jahre 1874 für Katholiken<br />

ausgesprochene Verbot, an den Wahlen zum italienischen Parlament teilzunehmen,<br />

aufrecht erhielt, för<strong>der</strong>te er an<strong>der</strong>erseits die Gründung e<strong>in</strong>er Vielzahl katholischer<br />

Massenorganisationen, die, unter <strong>der</strong> Dachorganisation <strong>der</strong> „Opera dei congressi“<br />

15 <strong>Die</strong> Zitate s<strong>in</strong>d entnommen aus Grigulevic: <strong>Die</strong> Päpste... S. 146.


zusammengefasst, E<strong>in</strong>fluss auf die italienische Innenpolitik nehmen sollten. Mit<br />

beständigen Angriffen auf den italienischen Staat und <strong>der</strong> bei allen sich bietenden<br />

Gelegenheiten wie<strong>der</strong>holten For<strong>der</strong>ung nach e<strong>in</strong>em eigenen päpstlichen Territorium,<br />

versuchte Leo XIII. überdies direkt auf diplomatischer Ebene o<strong>der</strong> <strong>in</strong>direkt durch die<br />

christlich-<strong>katholischen</strong> Parteien Europas über die europäischen Staaten auf das<br />

Königreich Italien Druck auszuüben.<br />

Der italienische Staat reagierte auf diese ständigen päpstlichen Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

mit Klugheit und Besonnenheit. E<strong>in</strong>erseits wurden die Garantiegesetze des Jahres<br />

1871 pe<strong>in</strong>lich genau e<strong>in</strong>gehalten, was den Klagen des Papstes über se<strong>in</strong>e<br />

unerträgliche Situation im Ausland viel an Glaubwürdigkeit nahm, an<strong>der</strong>erseits<br />

wurde Schritt für Schritt durch die Säkularisierung katholischer Stiftungen und<br />

karitativer Werke, E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> staatlichen Schule, E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> Zivilehe,<br />

Verpflichtung des Klerus zum Militärdienst und an<strong>der</strong>es mehr <strong>der</strong> kirchliche<br />

E<strong>in</strong>fluss auf das öffentliche Leben zurückgedrängt. Darüber h<strong>in</strong>aus setzte die<br />

liberale Führung des Landes durch Gedenkfeiern für den im Jahre 1155 als Ketzer<br />

verbrannten Arnold von Brescia und die Errichtung e<strong>in</strong>es Denkmals für den im<br />

Jahre 1600 gleichfalls verbrannten Giordano Bruno akzentuiert kirchenfe<strong>in</strong>dliche<br />

symbolische Akte.<br />

Der Versuch Leos XIII., den italienischen Staat mit <strong>der</strong> mehrmals öffentlich<br />

geäußerten Drohung zu erpressen, se<strong>in</strong>en Sitz nach Österreich o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es<br />

Land zu verlegen, scheiterte. Österreich-Ungarn war nicht gewillt, se<strong>in</strong>e trotz des<br />

Dreibundvertrages nicht ganz problemfreien Beziehungen zu Italien mit e<strong>in</strong>er<br />

Asylgewährung für den Papst zu belasten, und auch die an<strong>der</strong>en europäischen<br />

Staaten standen päpstlichen Exilplänen <strong>in</strong> ihrer Mehrheit kühl gegenüber.<br />

Nichtsdestoweniger beharrte Leo XIII. starr auf se<strong>in</strong>er bed<strong>in</strong>gungslosen Ablehnung<br />

des italienischen Staates. Noch im Jahre 1897 richtete anlässlich e<strong>in</strong>er Konferenz <strong>der</strong><br />

„Opera dei congressi“ <strong>der</strong>en Präsident, Marchese Sacchetti, an die italienischen<br />

Liberalen die Worte: Wenn sie „wollen, dass die <strong>Kirche</strong> sie vor dem Sozialismus<br />

rettet, mögen sie sich uns erst auf Gnade und Ungnade ergeben, mögen sie vor <strong>der</strong><br />

Fahne <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> sich verneigen“. 16 <strong>Die</strong> Liberalen dachten klarerweise nicht daran,<br />

dies zu tun.<br />

E<strong>in</strong>e Än<strong>der</strong>ung des Verhältnisses zwischen Kurie und italienischem Staat leiteten die<br />

Ereignisse des Jahres 1904 e<strong>in</strong>, als e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e Streikwelle das ganze Land<br />

erschütterte. Pius X. nützte die Situation, um ohne Gesichtsverlust für die Kurie e<strong>in</strong>e<br />

Annäherung an Italien e<strong>in</strong>zuleiten.<br />

Am 2.7.1904 verfügte Pius X. die Auflösung <strong>der</strong> „Opera dei congressi“, <strong>der</strong>en<br />

Führung mittlerweile auf Romolo Murri übergegangen war. Murri war e<strong>in</strong><br />

entschiedener Vertreter des Programms e<strong>in</strong>er christlichen Demokratie, die zwar<br />

gleichermaßen gegen Kapitalismus wie Sozialismus gerichtet war, aber <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Vertretung <strong>der</strong> Interessen <strong>der</strong> Arbeiter den e<strong>in</strong>zigen Weg sah, diese dem<br />

atheistischen Sozialismus abspenstig zu machen. Als Nachfolgeorganisation zu den<br />

„Opera dei congressi“ wurde die „Lega popolare“ geschaffen, die <strong>der</strong> direkten<br />

Leitung durch die Hierarchie unterstellt war und den Auftrag hatte, bei Wahlen<br />

16 Zitiert nach Grigulevic: <strong>Die</strong> Päpste... S. 54.


konservative und reaktionäre Kandidaten zu unterstützen. Zu diesem Zwecke<br />

lockerte die Kurie auch das seit dreißig Jahren für Katholiken bestehende<br />

Teilnahmeverbot an Wahlen mit dem Edikt. „Das Fernbleiben von den Wahlen wird<br />

als allgeme<strong>in</strong>e Regel festgestellt. <strong>Die</strong> Klugheit <strong>der</strong> Bischöfe kann <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen Fällen<br />

e<strong>in</strong>e Ausnahme gestatten, <strong>in</strong>dem man die Wahlbeteiligung dort erlaubt, wo die<br />

Wahl e<strong>in</strong>es Antiklerikalen ernstlich droht.“ Im Pf<strong>in</strong>gstrundschreiben an den<br />

italienischen Episkopat vom 11.6.1905 werden die Bischöfe nochmals darauf<br />

h<strong>in</strong>gewiesen, dass vom Wahlverbot „dispensiert werde, namentlich wenn ihr<br />

erkennt, dass das Heil <strong>der</strong> Seelen und die höchsten Interessen eurer <strong>Kirche</strong>n dabei<br />

auf dem Spiele stehe und ihr um Dispensation e<strong>in</strong>kommt.“ 17 Mit diesem<br />

Entgegenkommen hat Pius X. die Machtstellung <strong>der</strong> reaktionären und<br />

imperialistischen Kräfte <strong>in</strong> Italien auf viele Jahre gefestigt.<br />

<strong>Die</strong> Beweggründe für diese Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> kurialen Haltung gegenüber Italien lagen<br />

schon um die zwei Jahrzehnte zurück. Im Jahre 1880 war <strong>der</strong> Banco di Roma<br />

gegründet worden. Der Vorsitzende des Adm<strong>in</strong>istrativrates dieser Bank und<br />

Stadtrat von Rom, Ernesto Pacelli, war <strong>der</strong> engste Berater Leos XIII. <strong>in</strong> Börsen- und<br />

F<strong>in</strong>anzangelegenheiten. Pacelli konnte se<strong>in</strong>e Vertrauensstellung an <strong>der</strong> Kurie auch<br />

unter dem Pontifikat Pius X. bewahren. Um die Jahrhun<strong>der</strong>twende und <strong>in</strong> den<br />

folgenden Jahren tätigte <strong>der</strong> Banco di Roma umfangreiche Investitionen im Nahen<br />

Osten und beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong> Nordafrika:<br />

− Eröffnung e<strong>in</strong>er Filiale <strong>in</strong> Alexandria mit Nebennie<strong>der</strong>lassungen <strong>in</strong> Kairo und<br />

an<strong>der</strong>en ägyptischen Städten im Jahre 1905;<br />

− Im gleichen Jahr Beteiligung an <strong>der</strong> „Abess<strong>in</strong>ischen Staatsbank“ <strong>in</strong> Addis Abeba;<br />

− Im Jahre 1906 Eröffnung e<strong>in</strong>er Filiale <strong>in</strong> Malta;<br />

− Im gleichen Jahr auch Beteiligung an <strong>der</strong> marokkanischen Staatsbank <strong>in</strong> Tanger;<br />

− Im Jahr 1907 Eröffnung e<strong>in</strong>er Filiale <strong>in</strong> Tripolis;<br />

− Im Jahre 1911 schließlich auch Eröffnung e<strong>in</strong>er Filiale <strong>in</strong> Istanbul.<br />

Der Banco di Roma kontrollierte schließlich die Län<strong>der</strong>eien, Faktoreien,<br />

Eisenbahnl<strong>in</strong>ien und an<strong>der</strong>es <strong>in</strong> Tripolitanien, e<strong>in</strong>em Teil des heutigen Libyen, für<br />

<strong>der</strong>en Ausbau er Investitionskapital suchte. Es darf angenommen werden, dass über<br />

den Präsidenten <strong>der</strong> Bank, Ernesto Pacelli, und se<strong>in</strong>en Neffen, den aufstrebenden<br />

Kuriendiplomaten Eugenio Pacelli, auch kuriale Gel<strong>der</strong> nach Tripolitanien geflossen<br />

waren.<br />

Als nun das Osmanische Reich im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts den<br />

Versuch unternahm, se<strong>in</strong>e Oberhoheit über Tripolitanien stärker zur Geltung zu<br />

br<strong>in</strong>gen, fürchtete <strong>der</strong> Banco di Roma um se<strong>in</strong> Anlagekapital und das se<strong>in</strong>er Klienten<br />

und übte auf den italienischen M<strong>in</strong>isterpräsidenten Giovanni Giolitti Druck aus,<br />

Tripolitanien militärisch zu erobern. Mit Rücksicht auf die e<strong>in</strong>em <strong>der</strong>artigen<br />

Unternehmen entgegenstehende Stimmung im Lande zögerte Giolitti. Während <strong>der</strong><br />

Banco di Roma mit deutschen und österreichischen Kapitalgruppen über e<strong>in</strong>e<br />

Abgabe se<strong>in</strong>er Anteile an den Geschäften <strong>in</strong> Tripolitanien verhandelte, führte die<br />

Kurie durch e<strong>in</strong>e gezielte Indiskretion <strong>in</strong> <strong>der</strong> Presse e<strong>in</strong>en Stimmungsumschwung<br />

unter den italienischen F<strong>in</strong>anzkreisen herbei, die sich plötzlich vor <strong>der</strong> Gefahr sahen,<br />

von <strong>der</strong> weiteren Ausbeutung Tripolitaniens ausgeschlossen zu se<strong>in</strong>. Auf Betreiben<br />

dieser Kreise, die von e<strong>in</strong>er durch den Banco di Roma <strong>in</strong>itiierten Pressekampagne<br />

17 Beide Zitate nach Deschner: Heilsgeschichte Bd 1. S. 128.


unterstützt wurden, entschloss sich Giolitti im Jahre 1911 zur Kriegserklärung an das<br />

Osmanische Reich und zum militärischen E<strong>in</strong>fall <strong>in</strong> Tripolitanien. Der nun folgende<br />

verlustreiche Krieg machte e<strong>in</strong>erseits den Banco di Roma zur zweitgrößten Bank<br />

Italiens, verschlechterte allerd<strong>in</strong>gs die Position des M<strong>in</strong>isterpräsidenten so sehr, dass<br />

dieser für die im Jahre 1913 bevorstehenden Wahlen e<strong>in</strong>e Ausdehnung des<br />

Wahlrechts zugestehen musste. <strong>Die</strong> Kurie fand <strong>in</strong> dieser Situation wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Gelegenheit, sich für die Wahrung ihrer Interessen durch den italienischen Staat<br />

erkenntlich zu zeigen, <strong>in</strong>dem sie dem Grafen V<strong>in</strong>cenzo Gentiloni als Vertreter <strong>der</strong><br />

<strong>katholischen</strong> Wahlvere<strong>in</strong>igung, e<strong>in</strong>em Zusammenschluss aller klerikalen<br />

Organisationen des Landes, erlaubte, für das Jahr 1913 e<strong>in</strong> Wahlbündnis mit den<br />

Liberalen Giolittis abzuschließen. Tatsächlich gelang es, bei den Wahlen hun<strong>der</strong>t<br />

l<strong>in</strong>ke Kandidaten zu Fall zu br<strong>in</strong>gen.<br />

Damit hatte sich das von Pius X. herbeigeführte Verhältnis zum italienischen Staat<br />

wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>mal bewährt, das Giovanni Giolitti bereits im Jahre 1905 folgen<strong>der</strong>maßen<br />

charakterisiert hat: „Für uns ist es wichtig, dass die Stimme des Papstes e<strong>in</strong>e<br />

italienische Stimme ist, aber unter e<strong>in</strong>er Bed<strong>in</strong>gung: dass die Welt davon überzeugt<br />

bleibt, <strong>der</strong> Papst, obwohl Italiener, repräsentiere e<strong>in</strong>en von jedem E<strong>in</strong>fluss<br />

unabhängigen Standpunkt. An dem Tage, wo diese Überzeugung <strong>in</strong>s Wanken gerät,<br />

ist das Papsttum für uns ohne Nutzen. Daher unsere Politik: Es ist notwendig, dass<br />

wir uns <strong>in</strong> fe<strong>in</strong>dseligen Beziehungen zum Papst bef<strong>in</strong>den. Aber nicht bis zu dem<br />

Grade, dass er se<strong>in</strong>e Koffer packt und Italien verlässt, son<strong>der</strong>n nur so weit, dass <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>druck entsteht, das Papsttum habe nichts Geme<strong>in</strong>sames mit <strong>der</strong> italienischen<br />

Regierung.“ 18<br />

DIE KURIALE OSTPOLITIK<br />

Seit <strong>der</strong> großen <strong>Kirche</strong>nspaltung zwischen <strong>der</strong> abendländischen und orthodoxen<br />

<strong>Kirche</strong> im Jahre 1054 versuchte das Papsttum bei sich bieten<strong>der</strong> Gelegenheit immer<br />

wie<strong>der</strong>, e<strong>in</strong>e Wie<strong>der</strong>vere<strong>in</strong>igung mit <strong>der</strong> Orthodoxie herbeizuführen - sei es durch<br />

Verhandlungen, sei es durch Gewalt - aber immer mit dem Ziel <strong>der</strong> Oberhoheit über<br />

die gesamte Christenheit.<br />

In <strong>der</strong> zweiten Hälfte des 19. und zu Beg<strong>in</strong>n des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts hatte die kuriale<br />

Ostpolitik zwei Hauptstoßrichtungen: Russland und die Balkanhalb<strong>in</strong>sel.<br />

RUSSLAND<br />

Der Pontifikat Leos XIII. war gekennzeichnet von fünf diplomatischen Vorstößen,<br />

um mit dem russischen Kaiserreich diplomatische Beziehungen aufnehmen zu<br />

können.<br />

Sofort nach se<strong>in</strong>er Wahl zum Papst zeigte Leo XIII. diese dem Zaren Aleksandr II.<br />

(1855-1881) an mit dem Wunsch nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Das<br />

Motiv Leos XIII. zu diesem Schritt lag <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Wunsch, <strong>in</strong> Russland e<strong>in</strong>en starken<br />

Verbündeten im Kampf gegen Liberalismus und Sozialismus zu gew<strong>in</strong>nen. Der Zar<br />

18 Zitiert nach Grigulevic: <strong>Die</strong> Päpste... S. 105.


stand dem Wunsche des Papstes anfänglich positiv gegenüber, än<strong>der</strong>te se<strong>in</strong>e<br />

Haltung aber, als Leo XIII. <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Enzyklika „Grande munus“ vom 30.9.1880 die<br />

Slavenmissionare Kyrill und Method zu Heiligen <strong>der</strong> <strong>katholischen</strong> <strong>Kirche</strong> erhob. <strong>Die</strong><br />

misstrauische russische Orthodoxie sah dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Indiz für römische<br />

Expansionsbestrebungen <strong>in</strong> die slavische Welt. Mit <strong>der</strong> Ermordung des Zaren<br />

brachen die Kontakte vorerst ab.<br />

Obwohl <strong>der</strong> neue Zar Aleksandr III. (1881-1894) dem Papsttum ablehnend<br />

gegenüberstand, bewog ihn <strong>der</strong> katholische Antisozialismus doch zur Aufnahme<br />

von Gesprächen. Es war wie<strong>der</strong> die Ungeschicklichkeit Leos XIII., die den Abbruch<br />

<strong>der</strong> Kontakte herbeiführte. Ende 1883 for<strong>der</strong>te <strong>der</strong> Papst e<strong>in</strong>e Gruppe polnischer<br />

Pilger auf, das Uniatentum <strong>in</strong> Russland zu unterstützen, was <strong>der</strong> Zar als<br />

E<strong>in</strong>mischung <strong>in</strong> die <strong>in</strong>neren Angelegenheiten Russlands zurückwies.<br />

Vier Jahre später nahm Aleksandr III. das goldene Priesterjubiläum Leos XIII. zum<br />

Anlass, mit e<strong>in</strong>er Glückwunschbotschaft die Verb<strong>in</strong>dung wie<strong>der</strong> herzustellen. Leo<br />

XIII. antwortete mit dem Vorschlag, zur besseren Bekämpfung demokratischer und<br />

sozialistischer Bestrebungen diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Der Zar<br />

entsandte daraufh<strong>in</strong> im Jahre 1888 den bewährten Diplomaten Aleksandr Izvolskij<br />

als Unterhändler nach Rom. Das russische Misstrauen gegenüber allfälligen<br />

römischen Vere<strong>in</strong>igungsbestrebungen mit <strong>der</strong> Orthodoxie gestaltete die<br />

Verhandlungen sehr langwierig. Als Zeichen se<strong>in</strong>es guten Willens richtete Leo XIII.<br />

im März 1894 die Botschaft „Caritatis providentiae Nostrae“ an den polnischen<br />

Episkopat mit <strong>der</strong> Auffor<strong>der</strong>ung zur Unterstützung <strong>der</strong> monarchischen Regierungen<br />

<strong>in</strong> Deutschland, Österreich-Ungarn und Russland und mit beson<strong>der</strong>s e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glichen<br />

Mahnungen an die unter russischer Herrschaft stehenden Polen. In Anerkennung<br />

dieses päpstlichen Schrittes erhob <strong>der</strong> Zar Izvolskij zum „M<strong>in</strong>isterresidenten beim<br />

Heiligen Stuhl“. Der plötzliche Tod Aleksandrs III. brachte den <strong>in</strong> Gang<br />

gekommenen Prozess <strong>der</strong> Annäherung zwischen Kurie und Russland für e<strong>in</strong>e Weile<br />

<strong>in</strong>s Stocken.<br />

Leo XIII. schien am Ziel se<strong>in</strong>er Wünsche, als <strong>der</strong> nach <strong>der</strong> Thronbesteigung Nikolajs<br />

II. (1894-1917) bestellte Außenm<strong>in</strong>ister Lobanov-Rostovskij <strong>der</strong> Eröffnung e<strong>in</strong>er<br />

päpstlichen Nuntiatur <strong>in</strong> St. Petersburg zustimmend gegenüberstand. Ehe es jedoch<br />

noch dazu kam, starb <strong>der</strong> Außenm<strong>in</strong>ister und mit se<strong>in</strong>em Nachfolger führte e<strong>in</strong><br />

Vertreter <strong>der</strong> romfe<strong>in</strong>dlichen Richtung die russische Außenpolitik.<br />

Unverdrossen setzte Leo XIII. se<strong>in</strong>e Bemühungen fort. Im Jahre 1898 schmeichelte er<br />

gegenüber dem neuen russischen M<strong>in</strong>isterresidenten <strong>in</strong> Rom, Nikolaj Carykov, <strong>der</strong><br />

russischen Autokratie <strong>in</strong> überschwänglichen Worten: „Ähnlich wie <strong>der</strong> Papst als<br />

Vertreter <strong>der</strong> geistlichen Autorität gilt, ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gegenwart <strong>der</strong> russische Imperator<br />

<strong>der</strong> mächtigste und sogar e<strong>in</strong>zige Vertreter des Autoritätspr<strong>in</strong>zips <strong>in</strong> <strong>der</strong> zivilen<br />

Sphäre. Nur <strong>der</strong> russische Zar ließ sich auf ke<strong>in</strong>en Kompromiss mit den Pr<strong>in</strong>zipien<br />

<strong>der</strong> Revolution und <strong>der</strong> Volksherrschaft e<strong>in</strong>. Ich habe eben dem österreichischen<br />

Gesandten erklärt, wie stark die Macht und die Bedeutung <strong>der</strong> österreichischen<br />

Monarchie gesunken ist seit <strong>der</strong> Zeit, da sie den falschen Weg des<br />

Konstitutionalismus beschritten hat. ... Auch <strong>in</strong> Deutschland wird die kaiserliche<br />

Macht durch das ständige Wachstum des Sozialismus geschmälert. <strong>Die</strong> Armee ist<br />

natürlich e<strong>in</strong> guter Schutz. Aber <strong>der</strong> sicherste Schutz - das ist das menschliche<br />

Gewissen. Über diesen Schutz verfügt <strong>der</strong> russische Zar, und wenn zwischen ihm als


Haupt <strong>der</strong> weltlichen Gewalt und dem Papst als Träger des Pr<strong>in</strong>zips <strong>der</strong> geistlichen<br />

Gewalt e<strong>in</strong>e Übere<strong>in</strong>stimmung erzielt wird, so muss das im höchsten Grade wertvoll<br />

für die Welt und für den geistigen Frieden auf dem ganzen Erdenraum se<strong>in</strong>.“ 19<br />

Jedoch alle Beteuerungen Leos XIII. konnten das Misstrauen des Zaren und se<strong>in</strong>er<br />

Umgebung gegenüber den kurialen Avancen nicht zerstreuen. Sie befürchteten<br />

e<strong>in</strong>erseits, als Werkzeug allfälliger päpstlicher Interessen gegenüber England und<br />

Deutschland missbraucht zu werden, und an<strong>der</strong>erseits, mit <strong>der</strong> Eröffnung e<strong>in</strong>er<br />

Nuntiatur <strong>in</strong> St. Petersburg dem Katholizismus e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>fallspforte für se<strong>in</strong>e<br />

Bestrebungen zur Unterwerfung <strong>der</strong> Orthodoxie zu bieten. Selbst e<strong>in</strong> persönliches<br />

Gespräch Leos XIII. mit dem im W<strong>in</strong>ter 1901 <strong>in</strong> Rom zu Besuch weilenden<br />

Großfürsten Sergej konnte ke<strong>in</strong>e Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> russischen Haltung bewirken. So<br />

starb Leo XIII., ohne se<strong>in</strong> Ziel <strong>der</strong> Errichtung e<strong>in</strong>er päpstlichen Nuntiatur <strong>in</strong> St.<br />

Petersburg erreicht zu haben.<br />

<strong>Die</strong> im Gefolge des russisch-japanischen Krieges im Jahre 1905 ausgebrochene<br />

Revolution gab Papst Pius X. Gelegenheit, die Verbundenheit <strong>der</strong> Kurie gegenüber<br />

dem autokratischen Zarismus erneut unter Beweis zu stellen. Er empf<strong>in</strong>g im<br />

Dezember 1905 den russischen M<strong>in</strong>isterresidenten Naryšk<strong>in</strong> und teilte ihm mit,<br />

„dass er es für se<strong>in</strong>e Pflicht halte, sich mit Worten <strong>der</strong> Beruhigung an die römischkatholische<br />

Geistlichkeit <strong>in</strong> Russland zu wenden, <strong>in</strong>dem er sie an die heilige Pflicht<br />

er<strong>in</strong>nere, ihre Herde im Geist <strong>der</strong> Ergebenheit gegenüber den russischen Behörden<br />

zu leiten.“ 20 Der Kernsatz e<strong>in</strong>es Rundschreibens vom 3.12.1905 an die polnischen<br />

Bischöfe lautete dann auch: „<strong>Die</strong> Untertanen s<strong>in</strong>d verpflichtet, ihre Fürsten zu achten<br />

und ihnen ergeben zu se<strong>in</strong>, ebenso wie Gott.“ 21 <strong>Die</strong> Gründung re<strong>in</strong> polnischer<br />

Arbeitervere<strong>in</strong>e sollte die polnischen Arbeiter von den russischen abspalten und auf<br />

diese Weise das revolutionäre Potential <strong>der</strong> Arbeiterschaft des Russischen Reiches<br />

schwächen.<br />

Zar Nikolaj II. machte daraufh<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>katholischen</strong> <strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> Russland e<strong>in</strong>ige<br />

Zugeständnisse, etwa die Aufhebung <strong>der</strong> Strafbestimmungen für den Übertritt von<br />

<strong>der</strong> Orthodoxie zum Katholizismus. In <strong>der</strong> Umgebung des Zaren war man darüber<br />

h<strong>in</strong>aus vom Versagen <strong>der</strong> russisch-orthodoxen <strong>Kirche</strong> bei <strong>der</strong> Bekämpfung <strong>der</strong><br />

revolutionären Umtriebe enttäuscht, während man die diesbezüglichen Aktivitäten<br />

und Erfolge <strong>der</strong> <strong>katholischen</strong> <strong>Kirche</strong> bewun<strong>der</strong>te. Im Jahre 1906 bildete sich <strong>in</strong><br />

Moskau e<strong>in</strong>e Vere<strong>in</strong>igung mit dem Ziel, die russische <strong>Kirche</strong> zum Papsttum<br />

h<strong>in</strong>zuführen. In den höchsten Kreisen <strong>der</strong> russischen Gesellschaft kam es sogar zu<br />

e<strong>in</strong>igen Übertritten zum Katholizismus. Pius X. wie<strong>der</strong>um setzte se<strong>in</strong>e Bemühungen<br />

fort, die Polen ruhig zu halten, wenngleich manchmal nur mit ger<strong>in</strong>gem Erfolg. So<br />

bedauerte er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gespräch mit dem russischen M<strong>in</strong>isterresidenten Sazonov im<br />

April 1906, nicht mehr für den Zaren tun zu können als Botschaften an den<br />

polnischen Episkopat zu schicken, die manchmal nicht die gewünschte Wirkung<br />

hätten. <strong>Die</strong> Polen, me<strong>in</strong>te Pius X., „s<strong>in</strong>d vor allem Polen und dann wie<strong>der</strong>um Polen<br />

und zum dritten Mal Polen und erst dann Katholiken.“ 22<br />

19 Zitiert nach Grigulevic: <strong>Die</strong> Päpste... S. 74<br />

20 Zitiert nach Grigulevic: <strong>Die</strong> Päpste... S. 103.<br />

21 Zitiert nach Deschner: Heilsgeschichte Bd 1. S. 134<br />

22 Zitiert nach Deschner: Heilsgeschichte Bd 1. S. 135.


<strong>Die</strong> revolutionären Erschütterungen <strong>in</strong> Russland <strong>in</strong> den Jahren 1905 bis 1907 weckten<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Kurie aber auch Zweifel an <strong>der</strong> Festigkeit <strong>der</strong> zaristischen Autokratie.<br />

Während man e<strong>in</strong>erseits den Zaren weiterh<strong>in</strong> unterstützte, begann man <strong>in</strong> aller<br />

Heimlichkeit e<strong>in</strong> doppeltes Spiel, um das Ziel <strong>der</strong> Unterwerfung <strong>der</strong> Orthodoxie<br />

unter Rom zu erreichen. <strong>Die</strong> Kurie näherte sich vorsichtig den beiden an<strong>der</strong>en<br />

reaktionären Mächten Europas, dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn, an.<br />

E<strong>in</strong> allfälliger Sieg dieser Mächte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em allfälligen Krieg gegen Russland sollte<br />

auch die russische Orthodoxie unterwerfen.<br />

<strong>Die</strong> erste Phase dieses Doppelspiels begann Pius X. kurz nach se<strong>in</strong>er<br />

Thronbesteigung im Jahre 1904, als er den Jesuiten Felix von Wierc<strong>in</strong>ski nach<br />

Russland e<strong>in</strong>schleusen ließ, wo er <strong>in</strong> Moskau e<strong>in</strong>e geheime katholische Geme<strong>in</strong>de<br />

aufbaute. Wierc<strong>in</strong>ski wurde erst im Jahre 1911 enttarnt und des Landes verwiesen.<br />

E<strong>in</strong>en größeren Umfang erreichte die kuriale Doppelstrategie mit den Bemühungen<br />

um die Schaffung e<strong>in</strong>es unierten russisch-<strong>katholischen</strong> Bistums. Hierbei kam dem<br />

Erzbischof von Lvov, damals Lemberg, Graf Andreas Šeptyckyj, e<strong>in</strong>e bedeutsame<br />

<strong>Rolle</strong> zu, <strong>der</strong> sich seit dem Jahr 1900 als unierter Metropolit von Galizien und als<br />

Vorkämpfer e<strong>in</strong>es klerikal-nationalistischen und scharf antirussischen Ukra<strong>in</strong>ertums<br />

profiliert hatte. Šeptyckyjs Ziel war e<strong>in</strong>e katholische <strong>Kirche</strong> <strong>der</strong> Ukra<strong>in</strong>e, die von<br />

Lvov aus regiert werden sollte. Für dieses Projekt erhielt er sowohl von Kaiser Franz<br />

Joseph als auch von Pius X. volle Unterstützung. Am 17.2.1908 erhob Pius X. den<br />

galizischen Metropoliten geheim zum Exarchen <strong>der</strong> russisch-<strong>katholischen</strong> <strong>Kirche</strong> mit<br />

weitgehenden Vollmachten zum Aufbau e<strong>in</strong>es russisch-<strong>katholischen</strong> Patriarchats.<br />

Šeptyckyj reiste daraufh<strong>in</strong> zweimal mit falschen Papieren durch Russland und<br />

versuchte, russisch-katholische Stützpunktgeme<strong>in</strong>den zu gründen. <strong>Die</strong> durch die<br />

Umtriebe Wierc<strong>in</strong>skis aufmerksam gewordene russische Geheimpolizei griff<br />

Šeptyckyj im Jahre 1912, als er wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>mal unter falschem Namen reiste, auf und<br />

schickte ihn nach Österreich-Ungarn zurück.<br />

In <strong>der</strong> Folge schloss die russische Regierung e<strong>in</strong>ige katholische E<strong>in</strong>richtungen und<br />

unterwarf den Verkehr <strong>der</strong> <strong>katholischen</strong> Bischöfe mit <strong>der</strong> Kurie ihrer Kontrolle.<br />

Pius X. vollzog daraufh<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Schwenk und nahm e<strong>in</strong>e äußerst fe<strong>in</strong>dselige<br />

Haltung gegenüber Russland e<strong>in</strong>, das er im Jahre 1914 gegenüber dem<br />

M<strong>in</strong>isterresidenten Nelidov beschuldigte, „die katholische <strong>Kirche</strong> von jeher betrogen<br />

und fortgesetzt ihr Wort gebrochen“ 23 zu haben. <strong>Die</strong> immer deutlicher<br />

heraufziehende Kriegsgefahr hielt Russland davon ab, auf die kurialen<br />

Provokationen zum Abbruch <strong>der</strong> Beziehungen e<strong>in</strong>zugehen. Außenm<strong>in</strong>ister Sazonov<br />

begründete diese Haltung gegenüber Zar Nikolaj II. mit den Worten: „Angesichts<br />

<strong>der</strong> Möglichkeit e<strong>in</strong>es Zusammenstoßes zwischen Russland und Österreich beg<strong>in</strong>nen<br />

sich die Polen mit <strong>der</strong> dienstbereiten Hilfe Österreichs darauf vorzubereiten, die<br />

Reihen des österreichisch-ungarischen Heeres aufzufüllen und uns gleichzeitig<br />

durch Entflammung des Volkswi<strong>der</strong>standes <strong>in</strong> unserem polnischen Gouvernement<br />

neue Schwierigkeiten zu bereiten, falls <strong>der</strong> Krieg entbrennen sollte.“ 24 E<strong>in</strong> Abbruch<br />

<strong>der</strong> Beziehungen zur Kurie hätte für die Polen e<strong>in</strong> Anlass zur Erhebung se<strong>in</strong> und<br />

Russland unvorbereitet <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Krieg mit Österreich-Ungarn reißen können.<br />

23 Zitiert nach Grigulevic: <strong>Die</strong> Päpste... S. 125.<br />

24 Zitiert nach Deschner: Heilsgeschichte Bd 1. S. 143.


DIE BALKANHALBINSEL<br />

Als Österreich-Ungarn im Gefolge des russisch-türkischen Krieges im Jahre 1878 die<br />

türkischen Prov<strong>in</strong>zen Bosnien und Herzegow<strong>in</strong>a sowie Novipazar besetze, sah die<br />

Kurie die Gelegenheit, den Katholizismus auf <strong>der</strong> Balkanhalb<strong>in</strong>sel aufzurichten und<br />

die serbisch-orthodoxe <strong>Kirche</strong> nie<strong>der</strong>zur<strong>in</strong>gen. Im Jahre 1881 kam es mit<br />

österreichischer Unterstützung zur Gründung e<strong>in</strong>es <strong>katholischen</strong> Erzbistums <strong>in</strong><br />

Sarajevo und zweier Suffraganbistümer <strong>in</strong> Banjaluka und Mostar. In Beantwortung<br />

dieser Maßnahmen verstärkte <strong>der</strong> von Serbien unterstütze serbisch-orthodoxe Klerus<br />

se<strong>in</strong>e Propaganda für e<strong>in</strong>en Anschluss <strong>der</strong> Gebiete an Serbien.<br />

Als dreißig Jahre später das Osmanische Reich se<strong>in</strong>e nom<strong>in</strong>ell noch immer<br />

anerkannte Souveränität über Bosnien und Herzegow<strong>in</strong>a wie<strong>der</strong> wirksam geltend<br />

machen wollte, wurde seitens Österreich-Ungarns die Besetzung dieser Gebiete <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e Anglie<strong>der</strong>ung umgewandelt. „Ich habe mich bestimmt gefühlt, die Rechte<br />

me<strong>in</strong>er Krone auf Bosnien und Herzegow<strong>in</strong>a zu erstrecken“ 25 , erklärte Kaiser Franz<br />

Joseph hiezu lakonisch. Proteste Serbiens gegen diesen Gewaltakt wurden mit<br />

Kriegsvorbereitungen beantwortet. Das durch die Nie<strong>der</strong>lage im russischjapanischen<br />

Krieg und die revolutionären Erschütterungen <strong>der</strong> Jahre 1904 bis 1907<br />

geschwächte Russland konnte se<strong>in</strong>e Schutzmachtfunktion über die serbischorthodoxe<br />

<strong>Kirche</strong> nicht wahrnehmen und musste <strong>der</strong> österreichisch-ungarischen<br />

Expansion tatenlos zusehen.<br />

Wenig später sollte sich zeigen, dass die Kurie und <strong>der</strong> österreichische Kaiserhof<br />

noch weitergesteckte Ziele verfolgten. Während Italien dem Osmanischen Reich<br />

Tripolitanien entriss und die Balkanstaaten <strong>in</strong> den Jahren 1912 und 1913 <strong>in</strong> Kriegen<br />

gegen die Türkei und gegene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>der</strong>en europäischen Besitz untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

aufteilten, rief Bischof Sereggi von Skutari beim Eucharistischen Kongress des Jahres<br />

1912 <strong>in</strong> Wien Österreich-Ungarn zu e<strong>in</strong>em Kreuzzug gegen Albanien zugunsten <strong>der</strong><br />

dortigen verschw<strong>in</strong>dend ger<strong>in</strong>gen <strong>katholischen</strong> M<strong>in</strong><strong>der</strong>heit auf.<br />

Bischof Sereggi war nicht die e<strong>in</strong>zige Stimme, die im Jahre 1912 zum Krieg aufrief.<br />

So schrieb im Oktober 1912 „Österreichs katholisches Sonntagsblatt“ im H<strong>in</strong>blick auf<br />

die Balkankriege: „Der Ste<strong>in</strong>, <strong>der</strong> am Balkan <strong>in</strong> den europäischen Friedensteich<br />

platschend gefallen ist, zieht langsam immer weitere Kreise, bis <strong>der</strong> lang erwartete<br />

europäische Krieg flammt, trotz aller Erklärungsfreudigkeit <strong>der</strong> Großmächte. All das<br />

Elend! All das Morden! Der wirtschaftliche Ru<strong>in</strong>! Aber muss es nicht heute o<strong>der</strong><br />

morgen dah<strong>in</strong> kommen? Unter den Gefühlswerten e<strong>in</strong>es solchen Krieges bricht auch<br />

<strong>der</strong> mo<strong>der</strong>ne Liberalismus zusammen. Es schadet Europa nichts, wenn se<strong>in</strong>e<br />

Verhältnisse e<strong>in</strong>mal gründlich durchgeschüttelt würden. [...] Und <strong>der</strong> katholische<br />

Kaiser Europas? Wenn Österreich gezwungen ist, se<strong>in</strong>e Fahnen zu entfalten, so wird<br />

und soll es se<strong>in</strong>en Degen führen, wie Habsburg und se<strong>in</strong>es Volkes Traditionen es<br />

gebieten. Und wenn im Wirbelsturm stürzen<strong>der</strong> und gären<strong>der</strong> Verhältnisse <strong>der</strong><br />

Papst und die Interessen <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> e<strong>in</strong>es starken Armes und e<strong>in</strong>es gewichtigen<br />

Wortes bedürfen, gewiss, dann wird auch <strong>der</strong> katholische Kaiser Europas sich als<br />

Sohn <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> zeigen und wie je<strong>der</strong> Laie, wie je<strong>der</strong> katholische Souverän e<strong>in</strong>es<br />

25 Zitiert nach Deschner: Heilsgeschichte Bd 1. S. 147.


<strong>katholischen</strong> Staates dem Heiligen Vater se<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss zur Verfügung stellen, als<br />

Sohn dem Vater, nicht als Kronfeldherr <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong>.“ 26<br />

Im gleichen Blatt schrieb im selben Jahr 1912 auch <strong>der</strong> Wiener Kard<strong>in</strong>al Nagl: „Nicht<br />

um die Balkanstaaten handelt es sich, son<strong>der</strong>n um die erste Gelegenheit, im<br />

Slaventum, <strong>der</strong> unstreitig aufstrebenden Rasse, zum erstenmal auf breiter Basis<br />

festen Fuß zu fassen. Uns fehlt für die Zukunft des Slaventums e<strong>in</strong> katholisches<br />

Slavenreich. [...] <strong>Die</strong> <strong>Kirche</strong> darf den Augenblick, die vielleicht entscheidende<br />

Stunde des Slaventums, nicht verpassen.“ 27<br />

Während also <strong>in</strong> den Jahren ab 1910/11 ganz Europa Schritt für Schritt auf den<br />

großen Weltkrieg zug<strong>in</strong>g, aufgehetzt von den nationalen Rüstungs<strong>in</strong>dustrien,<br />

befangen von imperialistischen Ideologien und verstrickt <strong>in</strong> die Automatismen <strong>der</strong><br />

vielen Bündnisse und Paktsysteme, tat die <strong>Kirche</strong> nichts, um diesen Krieg zu<br />

verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Ganz im Gegenteil, auch sie betrieb ihn, weil auch sie ihre religiösen<br />

imperialistischen Interessen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Krieg zu för<strong>der</strong>n hoffte. E<strong>in</strong> befreiendes<br />

Aufatmen g<strong>in</strong>g durch die Kurie, als am 26.8.1914 <strong>in</strong> Sarajevo <strong>der</strong> Student Gavrilo<br />

Pr<strong>in</strong>cip den österreichischen Thronfolger Franz Ferd<strong>in</strong>and erschoss.<br />

Genau e<strong>in</strong>en Monat später, am 27.7.1914 - die Weltöffentlichkeit verfolgte gespannt<br />

die diplomatischen Schachzüge um die Entscheidung über Krieg o<strong>der</strong> Frieden -<br />

hatte Kard<strong>in</strong>al-Staatssekretär Merry del Val e<strong>in</strong>e Unterredung mit dem<br />

österreichischen Gesandten Moritz Graf Pálffy, von <strong>der</strong> dieser berichtete: „Als ich<br />

vor zwei Tagen den Kard<strong>in</strong>al-Staatssekretär besuchte, lenkte er natürlich sofort das<br />

Gespräch auf die großen Fragen und Probleme, die heute Europa beschäftigen. Von<br />

e<strong>in</strong>er beson<strong>der</strong>en Milde und Versöhnlichkeit war aber <strong>in</strong> den Bemerkungen Se<strong>in</strong>er<br />

Em<strong>in</strong>enz nichts zu fühlen. <strong>Die</strong> an Serbien gerichtete Note, die er als äußerst scharf<br />

bezeichnete, billigte er trotzdem rückhaltlos und gab gleichzeitig <strong>in</strong>direkt <strong>der</strong><br />

Hoffnung Ausdruck, dass die Monarchie durchhalten werde. Freilich, me<strong>in</strong>te <strong>der</strong><br />

Kard<strong>in</strong>al, sei es schade, dass Serbien nicht schon viel früher ‘kle<strong>in</strong> gemacht’ worden<br />

sei, denn damals wäre dies vielleicht ohne e<strong>in</strong>en so großen E<strong>in</strong>satz an<br />

unübersehbaren Möglichkeiten durchführbar gewesen wie heute. <strong>Die</strong>se Äußerung<br />

entspricht auch <strong>der</strong> Denkart des Papstes, denn im Verlauf <strong>der</strong> letzten Jahre hat Se<strong>in</strong>e<br />

Heiligkeit mehrmals das Bedauern geäußert, dass Österreich-Ungarn es unterlassen<br />

habe, se<strong>in</strong>en gefährlichen Nachbarn an <strong>der</strong> Donau zu ‘züchtigen’. Man könnte sich<br />

fragen, wie es denn erklärlich sei, dass sich die katholische <strong>Kirche</strong> zu e<strong>in</strong>er Zeit, wo<br />

sie von e<strong>in</strong>em heiligmäßigen, von wahrhaft apostolischen Ideen durchdrungenen<br />

Oberhaupt geleitet wird, so kriegerisch ges<strong>in</strong>nt zeigt? <strong>Die</strong> Antwort ist sehr e<strong>in</strong>fach.<br />

Papst und Kurie erblicken <strong>in</strong> Serbien die fressende Krankheit, die allmählich bis<br />

zum Lebensmarke <strong>der</strong> Monarchie vordr<strong>in</strong>gt und sie mit <strong>der</strong> Zeit zersetzen müßte.<br />

Österreich-Ungarn ist und bleibt aber trotz aller an<strong>der</strong>weitigen Experimente, die <strong>in</strong><br />

den letzten Dezennien von <strong>der</strong> Kurie versucht worden se<strong>in</strong> mochten, das stärkste<br />

Bollwerk des Glaubens, das <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> unserem Zeitalter geblieben ist. <strong>Die</strong>ses<br />

Bollwerk stürzen, hieße daher für die <strong>Kirche</strong>, ihren mächtigsten Stützpunkt verlieren<br />

und im Kampf gegen die Orthodoxie ihren stärksten Vorkämpfer fallen sehen. So,<br />

wie es daher für Österreich-Ungarn e<strong>in</strong> direktes Gebot <strong>der</strong> Selbsterhaltung ist, die<br />

zersetzende Krankheit, wenn nötig mit Gewalt, aus se<strong>in</strong>em Organismus zu<br />

26 Zitiert nach: Karlhe<strong>in</strong>z Deschner: Mit Gott und den Faschisten; Der Vatikan im Bunde<br />

mit Mussol<strong>in</strong>i, Franco, Hitler und Pavelic. Stuttgart: Günther 1965. S. 226.<br />

27 Zitiert nach Deschner: Mit Gott ..., S. 226 f.


entfernen, so ist es für die katholische <strong>Kirche</strong> e<strong>in</strong> <strong>in</strong>direktes Gebot, alles zu tun o<strong>der</strong><br />

doch gutzuheißen, was diesem Ziel dienen kann. In diesem Lichte betrachtet, läßt<br />

sich zwischen apostolischer Ges<strong>in</strong>nung und kriegerischem Geist wohl e<strong>in</strong>e Brücke<br />

schlagen.“ 28<br />

Wie e<strong>in</strong> <strong>der</strong>artiger Brückenschlag aussah, zeigte <strong>der</strong> spätere christlich-soziale Wiener<br />

Vizebürgermeister Ernst Karl W<strong>in</strong>ter <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Beitrag im <strong>katholischen</strong> Wochenblatt<br />

„Großösterreich“: „Seit sechs Jahren warten wir schon auf die endliche Auslösung<br />

all <strong>der</strong> drückenden Spannungen, die wir <strong>in</strong> unserer ganzen Politik so überaus<br />

qualvoll empf<strong>in</strong>den. Weil wir wissen, dass erst aus e<strong>in</strong>em Krieg das neue und große<br />

Österreich, das glückliche, se<strong>in</strong>e Völker befriedigende Großösterreich geboren<br />

werden kann, darum wollen wir den Krieg. Wir wollen den Krieg, weil es unsere<br />

<strong>in</strong>nerste Überzeugung ist, dass nur durch e<strong>in</strong>en Krieg <strong>in</strong> radikaler, plötzlicher Weise<br />

unser Ideal erreicht werden kann: e<strong>in</strong> starkes Großösterreich, <strong>in</strong> dem die<br />

österreichische Staatsidee, <strong>der</strong> österreichische Missionsgedanke, den Balkanvölkern<br />

die Freiheit und Kultur zu br<strong>in</strong>gen, im Sonnenglanze e<strong>in</strong>er großen frohen Zukunft<br />

blüht. Zweimal gab uns das Schicksal schon den Degen <strong>in</strong> die Faust, zweimal stießen<br />

wir ihn <strong>in</strong> die Scheide zurück. Das dritte und letzte Mal w<strong>in</strong>kt uns die Erlösung.<br />

Noch e<strong>in</strong>mal haben wir Gelegenheit, uns unserer historischen Aufgabe, die<br />

Vormacht des Balkans zu se<strong>in</strong>, zu er<strong>in</strong>nern, noch e<strong>in</strong>mal weist uns <strong>der</strong> F<strong>in</strong>ger Gottes<br />

den Weg, den wir gehen müssen, soll uns nicht die Sturzflut kommen<strong>der</strong> Ereignisse<br />

vom Schauplatz des Lebens wegspülen, als hätte Österreich nie bestanden. Es<br />

handelt sich um Se<strong>in</strong> o<strong>der</strong> Nichtse<strong>in</strong>! Wollen wir weiterleben als großer,<br />

kulturbr<strong>in</strong>gen<strong>der</strong>, kraftvoller Staat <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zukunft unseres historischen Berufs am<br />

Balkan und <strong>in</strong> WestRussland im Namen des Katholizismus und <strong>der</strong> europäischen<br />

Kultur gerecht werden, dann müssen wir zum Schwert greifen.“ 29<br />

DIE KURIE IM ERSTEN WELTKRIEG<br />

Am Vorabend des Ersten Weltkrieges fielen auf seiten des Papstes und e<strong>in</strong>iger<br />

Bischöfe Bemerkungen, die, im nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> betrachtet, e<strong>in</strong>ige Rätsel aufgeben.<br />

WAS WUSSTE DER PAPST?<br />

„Der Krieg ist seit Jahren emsig vorbereitet worden, jahrelang war das Heer <strong>in</strong> steter<br />

Kriegsbereitschaft. Aber e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> wichtigsten Vorbereitungen war <strong>der</strong> Eucharistische<br />

Kongreß <strong>in</strong> Wien“ 30 , sagte Jahre später <strong>der</strong> nachmalige Salzburger Fürsterzbischof<br />

Sigismund Waitz. Was mag so am Rande dieses Kongresses zwischen geistlichen<br />

und weltlichen Herren besprochen worden se<strong>in</strong>, das dem Bischof die Berechtigung<br />

zu dieser Behauptung gibt? Noch dr<strong>in</strong>gen<strong>der</strong> stellt sich die Frage, wenn <strong>der</strong>selbe<br />

Erzbischof Waitz sich an an<strong>der</strong>er Stelle er<strong>in</strong>nert, dass Pius X. schon zu Lebzeiten des<br />

Thronfolgers Franz Ferd<strong>in</strong>and wusste, dass nicht dieser, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> junge<br />

Erzherzog Karl <strong>der</strong> Nachfolger Franz Josephs werden würde! 31 Was wusste also <strong>der</strong><br />

28 Zitiert nach Deschner. Heilsgeschichte Bd 1: S. 164 f.<br />

29 Zitiert nach Deschner: Mit Gott ...; S. 228 f.<br />

30 Zitiert nach Deschner: Heilsgeschichte Bd 1. S. 149.<br />

31 Deschner: Heilsgeschichte Bd 1. S. 154 f.


Papst? <strong>Die</strong> Dr<strong>in</strong>glichkeit dieser Frage erhöht sich weiter vor dem H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong><br />

Tatsache, dass Pius X. bei vielen Gelegenheiten schon lange vor Ausbruch des<br />

Krieges das Jahr 1914 als das Jahr bezeichnete, <strong>in</strong> dem <strong>der</strong> große Krieg beg<strong>in</strong>nen<br />

würde. 32 Was wusste <strong>der</strong> Papst, <strong>der</strong> ausrief, „das ist <strong>der</strong> Funke!“ 33 , als ihn die<br />

Nachricht von <strong>der</strong> Ermordung Franz Ferd<strong>in</strong>ands erreichte?<br />

<strong>Die</strong> Frage wird sich wohl nie beantworten lassen. <strong>Die</strong> Tatsache jedoch, dass im Jahre<br />

1910 <strong>der</strong> apostolische Protonotar Nicoló Kacciorri sich für den Erzbischof von<br />

Durazzo als Waffenschmuggler zur Unterstützung e<strong>in</strong>es Aufstandes gegen die<br />

Türken betätigte 34 , erlaubt den Schluss, dass zum<strong>in</strong>dest die Kurie, wenn schon nicht<br />

<strong>der</strong> im Jahre 1954 heiliggesprochene Pius X. selbst, tief <strong>in</strong> geheimdienstliche und<br />

hochverräterische Aktivitäten verstrickt war.<br />

AUF DER SEITE DER MITTELMÄCHTE<br />

Der wenige Wochen nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges zum Papst erhobene<br />

Benedikt XV. (1914 - 1922) fand die Kurie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er schwierigen politischen und<br />

diplomatischen Lage vor. Alle Welt wartete auf klärende Worte des Papstes zu dem<br />

erst wenige Wochen alten Krieg, was die kuriale Diplomatie, die unter allen<br />

Umständen auf <strong>der</strong> Seite des Siegers stehen wollte, vor die Notwendigkeit <strong>der</strong><br />

Parte<strong>in</strong>ahme stellen musste. <strong>Die</strong> Pe<strong>in</strong>lichkeit <strong>der</strong> Situation verstärkte sich noch durch<br />

den Umstand, dass <strong>in</strong> allen kriegführenden Staaten Katholiken lebten und auf die<br />

Schlachtfel<strong>der</strong> getrieben wurden. Wie schon weiter vorne gezeigt worden ist, fand<br />

Benedikt XV. e<strong>in</strong>en Ausweg aus <strong>der</strong> misslichen Lage, <strong>in</strong>dem er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Antrittsenzyklika gegen den Sozialismus zu Felde zog und sich so das Wohlwollen<br />

<strong>der</strong> herrschenden Kreise sowohl <strong>der</strong> Mittelmächte als auch <strong>der</strong> Ententestaaten<br />

bewahren konnte.<br />

Se<strong>in</strong> Vorgänger Pius X. hatte die Kurie eng an die mitteleuropäischen Kaiserreiche<br />

Deutschland und Österreich-Ungarn herangeführt, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hoffnung, durch e<strong>in</strong>en<br />

Sieg dieser Mächte über Russland die Orthodoxie unter römische Botmäßigkeit zu<br />

zw<strong>in</strong>gen. Obwohl Benedikt XV. ebenso wie se<strong>in</strong>e engeren Berater persönlich auf die<br />

Seite <strong>der</strong> Ententemächte tendierte, war er willens, vorerst die Mittelmächte zu<br />

unterstützen, weil <strong>der</strong> anfängliche Kriegsverlauf die kurialen Ostpläne zu för<strong>der</strong>n<br />

schien.<br />

Der Kriegsbeg<strong>in</strong>n gab <strong>in</strong> Galizien den Aspirationen des Metropoliten Šeptyckyjs auf<br />

e<strong>in</strong> russisch-katholisches Patriarchat neuen Auftrieb. Am 15.8.1914 richtete er e<strong>in</strong>e<br />

Denkschrift an Kaiser Franz Joseph, <strong>in</strong> <strong>der</strong> er ihm vorschlug, e<strong>in</strong> großukra<strong>in</strong>isches<br />

Hetmanat mit e<strong>in</strong>em habsburgischen Erzherzog als Hetman an <strong>der</strong> Spitze und e<strong>in</strong><br />

ukra<strong>in</strong>isches Patriarchat zu errichten. „Sobald e<strong>in</strong>e siegreiche österreichische Armee<br />

das Territorium <strong>der</strong> russischen Ukra<strong>in</strong>e betreten wird“, me<strong>in</strong>te Šeptyckyj <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Denkschrift, „werden wir e<strong>in</strong>e dreifache Aufgabe zu lösen haben, die <strong>der</strong><br />

militärischen, <strong>der</strong> sozialweltlichen und <strong>der</strong> kirchlichen Organisation, nicht nur, um<br />

das Wirken unserer Armee zu för<strong>der</strong>n, son<strong>der</strong>n auch, um diese Gebiete möglichst<br />

32 Deschner: Heilsgeschichte Bd 1. S. 161 f.<br />

33 Deschner: Heilsgeschichte Bd 1. S. 154.<br />

34 Deschner: Heilsgeschichte Bd 1. S 148.


e<strong>in</strong>schneidend von Russland zu trennen.“ 35 E<strong>in</strong>e Woche später appellierte Šeptyckyj<br />

an den unierten ukra<strong>in</strong>ischen Klerus, mit allen Kräften gegen Russland und für<br />

Österreich zu kämpfen. Als die russischen Truppen Lvov besetzten, fiel ihnen<br />

Šeptyckyj mitsamt se<strong>in</strong>en Dokumenten <strong>in</strong> die Hände, <strong>der</strong> daraufh<strong>in</strong> nach Russland<br />

verbracht wurde.<br />

Auch die polnische Frage war e<strong>in</strong> Grund für die Kurie, zu den Mittelmächten zu<br />

stehen, bot doch <strong>der</strong> Krieg die Chance, e<strong>in</strong>en <strong>katholischen</strong>, Russlandfe<strong>in</strong>dlichen<br />

polnischen Staat unter e<strong>in</strong>em habsburgischen König zu errichten. <strong>Die</strong> Wahl e<strong>in</strong>es<br />

Polen zum General des Jesuitenordens sollte diese Pläne begünstigen.<br />

DIE BEZIEHUNGEN ZU ITALIEN<br />

Gemäß den Bestimmungen des Dreibundes, <strong>der</strong> Italien mit Deutschland und<br />

Österreich-Ungarn verband, war Italien nur zum Kriegse<strong>in</strong>tritt an <strong>der</strong> Seite se<strong>in</strong>er<br />

Bündnispartner verpflichtet, wenn diese angegriffen würden. Da sowohl Österreich-<br />

Ungarn als auch das Deutsche Reich als erste ihren jeweiligen Nachbarstaaten den<br />

Krieg erklärt hatten, sah Italien den Bündnisfall für nicht gegeben an und verhielt<br />

sich abwartend.<br />

<strong>Die</strong> politische Lage <strong>in</strong> Italien war gespalten und von Wi<strong>der</strong>streit zweier<br />

Hauptströmungen gekennzeichnet. Während die Spitzen <strong>der</strong> Regierung unter<br />

M<strong>in</strong>isterpräsident Antonio Salandra und <strong>der</strong> weitaus überwiegende Teil des<br />

Offizierskorps dreibundfreundlich e<strong>in</strong>gestellt waren, entfalteten die demokratische<br />

L<strong>in</strong>ke und bald auch die Nationalisten e<strong>in</strong>e heftige Propaganda für e<strong>in</strong>en<br />

Kriegse<strong>in</strong>tritt Italiens auf seiten <strong>der</strong> Ententemächte, um die noch unter<br />

österreichischer Herrschaft stehenden italienischsprachigen Gebiete mit Italien zu<br />

vere<strong>in</strong>en. Beson<strong>der</strong>s Benito Mussol<strong>in</strong>i tat sich als E<strong>in</strong>peitscher <strong>der</strong><br />

Kriegse<strong>in</strong>trittsbewegung, des Interventionismus, hervor.<br />

<strong>Die</strong> Kurie wollte e<strong>in</strong>en Kriegse<strong>in</strong>tritt Italiens unter allen Umständen verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n,<br />

weil sie dadurch erhebliche E<strong>in</strong>schränkungen ihres diplomatischen Verkehrs mit<br />

den Staaten befürchtete. Weiters wäre e<strong>in</strong> italienischer Sieg <strong>in</strong> diesem Krieg nach<br />

kurialer E<strong>in</strong>schätzung für die Lösung <strong>der</strong> „Römischen Frage“ nachteilig, weil e<strong>in</strong><br />

gestärktes Italien ke<strong>in</strong>erlei Veranlassung hätte, <strong>der</strong> Kurie territoriale Zugeständnisse<br />

zu machen. Für den Fall e<strong>in</strong>er Nie<strong>der</strong>lage befürchtete die Kurie e<strong>in</strong>e sozialistische<br />

Revolution mit unabsehbaren Folgen für sich selbst. Denn ob e<strong>in</strong> sozialistisches<br />

Italien sich an die Garantiegesetze von 1871 gebunden fühlen würde, konnte füglich<br />

bezweifelt werden.<br />

Als um die Jahreswende 1914/1915 Italien erstmals die Abtretung<br />

italienischsprachiger Gebiete durch Österreich-Ungarn als Preis für die<br />

Aufrechterhaltung se<strong>in</strong>er Neutralität for<strong>der</strong>te, versuchte Benedikt XV. sowohl über<br />

den Wiener Kard<strong>in</strong>al Piffl als auch über den Son<strong>der</strong>gesandten Eugenio Pacelli auf<br />

Kaiser Franz Joseph e<strong>in</strong>zuwirken, den italienischen For<strong>der</strong>ungen nachzugeben. In<br />

beiden Fällen vergeblich.<br />

35 Zitiert nach Grigulevic: <strong>Die</strong> Päpste ... S. 147.


Selbst e<strong>in</strong> Erfolg <strong>der</strong> päpstlichen Bemühungen wäre wahrsche<strong>in</strong>lich vergeblich<br />

gewesen. <strong>Die</strong> Ententemächte hatten Italien mehr für e<strong>in</strong>en Kriegsbeitritt auf ihrer<br />

Seite zu bieten, e<strong>in</strong>schließlich <strong>der</strong> Zusicherung, den Papst von den<br />

Friedensverhandlungen nach dem Kriege fernzuhalten, um ihn daran zu h<strong>in</strong><strong>der</strong>n,<br />

die „Römische Frage“ aufzurollen. Als die Kurie durch e<strong>in</strong>e diplomatische<br />

Indiskretion erfuhr, dass sich Italien gegenüber den Ententemächten für den<br />

23.5.1915 zum E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> den Krieg verpflichtet hatte, ließ sie die Mittelmächte über<br />

den Prälaten Rudolf von Gerlach davon unterrichten, um Italien den Vorteil <strong>der</strong><br />

Überraschung zu nehmen. Tatsächlich konnten die Mittelmächte genug Truppen an<br />

die österreichisch-italienische Grenze werfen, um den italienischen Angriff sofort<br />

zum Stehen zu br<strong>in</strong>gen.<br />

In Italien selbst wurde die Welt wie<strong>der</strong> Zeuge e<strong>in</strong>es perfekt <strong>in</strong>szenierten<br />

Doppelspiels. Während <strong>der</strong> Papst sich dadurch profilierte, dass er unausgesetzt für<br />

den Frieden e<strong>in</strong>trat, wirkte <strong>der</strong> italienische Klerus, ob hoch o<strong>der</strong> niedrig, kaum dass<br />

<strong>der</strong> Entschluss <strong>der</strong> italienischen Regierung zu E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> den Krieg bekannt war, an<br />

<strong>der</strong> weiteren Aufstachelung <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Kriegsbegeisterung mit.<br />

DER ÜBERGANG ZUR ENTENTE<br />

Je länger <strong>der</strong> Krieg dauerte, um so mehr schwand bei den führenden<br />

Persönlichkeiten <strong>der</strong> Kurie <strong>der</strong> Glaube an e<strong>in</strong>en Sieg <strong>der</strong> Mittelmächte. Man begann<br />

also vorsichtig, den Übergang auf die Seite <strong>der</strong> wahrsche<strong>in</strong>lichen Sieger<br />

vorzubereiten. Bereits bald nach Beg<strong>in</strong>n des Krieg kam es zur Aufnahme<br />

diplomatischer Beziehungen zwischen Großbritannien und <strong>der</strong> Kurie. Geme<strong>in</strong>sam<br />

mit dem russischen Vertreter bei <strong>der</strong> Kurie versuchten die englischen Diplomaten<br />

Benedikt XV. zu e<strong>in</strong>er Wie<strong>der</strong>aufnahme <strong>der</strong> im Jahre 1904 im Zuge des<br />

Antimo<strong>der</strong>nistenstreites abgebrochenen Beziehungen mit Frankreich zu bewegen.<br />

Unter dem E<strong>in</strong>druck <strong>der</strong> Erfolge <strong>der</strong> deutschen und österreichisch-ungarischen<br />

Armeen verschloss sich <strong>der</strong> Papst jedoch diesem Drängen.<br />

Der Kriegse<strong>in</strong>tritt Italiens verän<strong>der</strong>te die Lage auch auf diplomatischer Ebene<br />

zuungunsten <strong>der</strong> Mittelmächte, da <strong>der</strong>en Vertreter Italien verlassen und <strong>in</strong> die<br />

Schweiz ausweichen mussten, wodurch die direkte Kontaktnahme zu<br />

Persönlichkeiten <strong>der</strong> Kurie unmöglich gemacht wurde. Um sich den Papst trotzdem<br />

gewogen zu erhalten, versprachen ihm die Mittelmächte, sich bei den<br />

Friedensverhandlungen nach dem Kriege für e<strong>in</strong>e Wie<strong>der</strong>errichtung des<br />

<strong>Kirche</strong>nstaates e<strong>in</strong>zusetzen. Benedikt XV. antwortet mit freundlichen Gesten, <strong>in</strong>dem<br />

er die als deutschfreundlich e<strong>in</strong>geschätzten Prälaten Teodoro Valfré di Bonzo und<br />

Eugenio Pacelli zu Nuntien <strong>in</strong> Wien und München ernannte.<br />

An<strong>der</strong>erseits ließ Benedikt XV. aber österreichische Prälaten gewähren, die offen für<br />

Gebietsabtretungen an Italien e<strong>in</strong>traten. So agierte <strong>der</strong> Trienter Fürstbischof<br />

Celest<strong>in</strong>o Endrici offen für den Anschluss des Trent<strong>in</strong>o an Italien. Als Wien<br />

vergeblich beim Papst um e<strong>in</strong>e Amtsenthebung des Bischofs <strong>in</strong>tervenierte, wurde<br />

Endrici schließlich im Stift Heiligenkreuz <strong>in</strong>terniert.


E<strong>in</strong> deutliches Signal für den bevorstehenden Seitenwechsel setzte Benedikt XV.<br />

dann mit den Kard<strong>in</strong>alserhebungen am 4.12.1916. Von den zehn neu kreierten<br />

Kard<strong>in</strong>älen waren drei Franzosen, jedoch ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger Vertreter <strong>der</strong> Mittelmächte.<br />

Damit stieg die Zahl <strong>der</strong> französischen Kard<strong>in</strong>äle auf acht an - e<strong>in</strong>e schon lange nicht<br />

mehr erreichte Stärke <strong>der</strong> Franzosen im Kard<strong>in</strong>alskollegium. In e<strong>in</strong>er Ansprache bei<br />

<strong>der</strong> Überreichung <strong>der</strong> Kard<strong>in</strong>alshüte an die Franzosen fand Benedikt XV. für den<br />

kurialen Sprachgebrauch überraschend klare Worte, mit denen er <strong>der</strong>en Erhebung<br />

begründete. „Aber warum verschweigen, dass Wir, <strong>in</strong>dem Wir die Oberhirten<br />

ehren, auch ihre Herden ehren wollen! Warum es nicht frei heraussagen, dass,<br />

<strong>in</strong>dem Wir drei Söhnen Frankreichs e<strong>in</strong>en Beweis unseres Wohlwollens geben, Wir<br />

zeigen wollten, wie lebendig <strong>in</strong> Unserem Herzen brennt die Flamme <strong>der</strong> Liebe für<br />

das Vaterland e<strong>in</strong>es Chlodwig, e<strong>in</strong>es heiligen Ludwig und <strong>der</strong> Jeanne d’Arc? - Von<br />

Unserem Thron aus soll angestimmt werden <strong>der</strong> Hymnus des Dankes, den das<br />

katholische Frankreich heute zum Herrn erhebt für die große Freude, die ihm zuteil<br />

geworden! Es freut Uns, das Band, mit dem es mit dem Heiligen Stuhl verbunden,<br />

fester angezogen zu haben und so mit größerem Vertrauen Unseren alten Wunsch<br />

erfüllt sehen zu können: ut<strong>in</strong>am renoventur gesta Dei per Francos!“ 36<br />

<strong>Die</strong> Ereignisse des Jahres 1917 <strong>in</strong> Russland ließen jedoch den Frontwechsel dann<br />

doch nicht so glatt vonstatten gehen wie die kuriale Diplomatie es sich wünschte.<br />

Nach dem russischen Kalen<strong>der</strong> Ende Februar, nach dem sonst <strong>in</strong> Europa geltenden<br />

Gregorianischen Kalen<strong>der</strong> Mitte März 1917 stürzte e<strong>in</strong>e revolutionäre Bewegung den<br />

Zaren Nikolaj II. und verwandelte das Russische Reich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Republik. Waren sich<br />

im Sturz des Zarismus noch fast alle gesellschaftlichen Kräfte Russlands e<strong>in</strong>ig<br />

gewesen, traten danach ihre Gegensätze um so schroffer hervor. Während die<br />

Bourgeoisie an dem Bündnis mit Großbritannien und Frankreich festhalten und den<br />

Krieg fortsetzen wollte, traten die Arbeiter- und Soldatenräte für e<strong>in</strong>en sofortigen<br />

Friedensschluss e<strong>in</strong>. Innenpolitisch wollte die liberale Bourgeoisie selbstverständlich<br />

das Privateigentum und die kapitalistische Wirtschaftsordnung aufrecht erhalten,<br />

während vor allem die Bolschewiken e<strong>in</strong>e sozialistische Revolution herbeiführen<br />

wollten. <strong>Die</strong> Monate nach <strong>der</strong> Februarrevolution brachten daher Russland e<strong>in</strong>e Zeit<br />

größter <strong>in</strong>nenpolitischer Spannungen, die sich im Oktober russischer Zeitrechnung<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Sozialistischen Oktoberrevolution entluden.<br />

Für die Kurie erschien die Lage <strong>in</strong> Bezug auf Russland <strong>in</strong> den Anfangsmonaten des<br />

Jahres 1917 <strong>in</strong> je<strong>der</strong> H<strong>in</strong>sicht gefährlich. E<strong>in</strong> starkes Russland war für die Kurie<br />

unerwünscht, weil damit e<strong>in</strong>erseits das Ziel e<strong>in</strong>er Unterwerfung <strong>der</strong> Orthodoxie<br />

wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> weite Ferne rücken würde und an<strong>der</strong>erseits auch die seit Ende 1916<br />

bestehenden Versuche <strong>der</strong> Mittelmächte, den polnischen Staat wie<strong>der</strong>herzustellen,<br />

nichtig wären. Dazu kam noch die Befürchtung, dass e<strong>in</strong> an <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong><br />

Ententemächte siegreiches Russland dem mit den Mittelmächten verbündeten<br />

Osmanischen Reich Konstant<strong>in</strong>opel wegnehmen und damit <strong>in</strong> Besitz des<br />

Ökumenischen Patriarchen, des ranghöchsten Patriarchen <strong>der</strong> Orthodoxie, kommen<br />

könnte, was den orthodoxen <strong>Kirche</strong>n e<strong>in</strong>en unabsehbaren Auftrieb geben würde.<br />

Aber auch e<strong>in</strong> schwaches Russland lag nicht im S<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Kurie, weil e<strong>in</strong> solches e<strong>in</strong><br />

leichtes Opfer <strong>der</strong> befürchteten sozialistischen Revolution wäre. Der Sieg dieser<br />

Revolution, so befürchtete man auch an <strong>der</strong> Kurie, würde nur <strong>der</strong> Zündfunke für<br />

36 Zitiert nach Deschner: Heilsgeschichte Bd 1. S. 209. Übersetzung des late<strong>in</strong>ischen<br />

Zitats: Damit die Taten Gottes sich durch die Franken erneuern mögen.


e<strong>in</strong>en revolutionären Weltbrand se<strong>in</strong>, <strong>in</strong> dem für das Schicksal <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> nur das<br />

Schlimmste zu erwarten wäre.<br />

<strong>Die</strong> Kurie antwortete auf diese Entwicklungen des Jahres 1917 auf verschiedenen<br />

Ebenen. In e<strong>in</strong>em Motu proprio vom 1.5.1917 begründete Benedikt XV. die<br />

„Congregatio pro ecclesia orientali“ mit dem allgeme<strong>in</strong>en Ziel <strong>der</strong> Vorbereitung <strong>der</strong><br />

Vere<strong>in</strong>igung aller Ostkirchen Europas, des Nahen Ostens und Nordafrikas mit Rom.<br />

<strong>Die</strong> eigentliche Zielsetzung dieser Gründung geht jedoch aus <strong>der</strong> <strong>in</strong> ihrem Rahmen<br />

gebildeten „Commissio pro Russia“ hervor, die Missionare für den orthodoxen<br />

Bereich ausbilden sollte. Das Leitungsgremium <strong>der</strong> Kongregation bestand aus<br />

zwanzig Kard<strong>in</strong>älen, den Vorsitz führte <strong>der</strong> Papst selbst. Im Oktober 1917 folgte<br />

sodann noch die Begründung des „Pontifici <strong>in</strong>stitutum orientalium studiorum“, das<br />

die allgeme<strong>in</strong>e und <strong>Kirche</strong>ngeschichte, die Ethnographie und Geographie<br />

Osteuropas und des Nahen Ostens erforschen sollte.<br />

Außenpolitisch versuchte Benedikt XV., Großbritannien und Frankreich von ihrem<br />

Verbündeten Russland zu trennen und vor allem Frankreich zu e<strong>in</strong>em<br />

Friedensschluss mit dem Deutschen Reich zu bewegen. Der Papst und se<strong>in</strong> Kard<strong>in</strong>al-<br />

Staatssekretär Pietro Gasparri entfachten e<strong>in</strong>e rege Propagandatätigkeit, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sie<br />

vor allem Frankreich davor warnten, dass im Falle e<strong>in</strong>es russischen Sieges die<br />

französische Kultur <strong>in</strong> <strong>der</strong> Flut des Slaventums vers<strong>in</strong>ken würde.<br />

Nach dieser propagandistischen Vorbereitung versandte Benedikt XV. am 14.8.1917<br />

e<strong>in</strong>e Friedensnote an die Oberhäupter aller kriegführenden Staaten. In <strong>der</strong> unter <strong>der</strong><br />

Fe<strong>der</strong>führung von Eugenio Pacelli verfassten Note wurde die Wie<strong>der</strong>herstellung des<br />

mit <strong>der</strong> Dritten polnischen Teilung des Jahres 1795 ausgelöschten polnischen Staates<br />

gefor<strong>der</strong>t, von Deutschland wurde die Räumung Nordfrankreichs und Belgiens, von<br />

den Ententemächten die Rückgabe <strong>der</strong> deutschen Kolonien verlangt. Ke<strong>in</strong> Wort fand<br />

sich <strong>in</strong> dieser Friedensnote über das weitere Schicksal <strong>der</strong> von Deutschland und<br />

Österreich-Ungarn besetzten weiten russischen Gebiete.<br />

<strong>Die</strong> päpstliche Friedensnote erreichte allerd<strong>in</strong>gs nicht ihren Zweck. Zu durchsichtig<br />

war ihre Absicht. Wohl begrüßten <strong>der</strong> deutsche und <strong>der</strong> österreichische Kaiser sowie<br />

auch <strong>der</strong> Sultan die päpstliche Friedens<strong>in</strong>itiative. H<strong>in</strong>gegen löste sie <strong>in</strong> Frankreich,<br />

das dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>seitige Bevorzugung Deutschlands sah, heftige Empörung aus.<br />

Der Sieg <strong>der</strong> Sozialistischen Oktoberrevolution schuf für die Kurie <strong>in</strong>sofern klare<br />

Verhältnisse, als sie dem neuen Sowjetregime ihre une<strong>in</strong>geschränkte Fe<strong>in</strong>dschaft<br />

entgegenbr<strong>in</strong>gen konnte. Das Scheitern <strong>der</strong> Friedens<strong>in</strong>itiative vere<strong>in</strong>fachte auch die<br />

Aufgabe <strong>der</strong> kurialen Diplomatie, weil sie sich nun e<strong>in</strong>deutig auf die Seite <strong>der</strong><br />

Ententemächte schlagen konnte. In voller Ausnützung ihrer propagandistischen<br />

Wirksamkeit - trotz ihrer völligen Unzulänglichkeit angesichts des Massenelends -<br />

betätigte sich die Kurie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kriegsgefangenenfürsorge. Dabei g<strong>in</strong>g sie aber<br />

ke<strong>in</strong>eswegs, wie es dem christlichen Liebesgebot entsprochen hätte, unparteiisch<br />

vor, son<strong>der</strong>n im H<strong>in</strong>blick auf die Beziehungen zu den künftigen Siegern bevorzugte<br />

sie e<strong>in</strong>deutig die Gefangenen aus den Armeen <strong>der</strong> Entente. So berichtete im Jahre<br />

1919 e<strong>in</strong>e zeitgenössische Stimme über die Kriegsgefangenenfürsorge: „Meist musste<br />

mit Neutralen verhandelt werden, die die Wünsche und Vorschläge übermittelten.<br />

Von dem neutralen Amerika haben wir <strong>in</strong> dieser Beziehung wenig gehabt. Spanien<br />

war sehr entgegenkommend, aber nur schwer erreichbar. Am meisten geschah


durch die Schweiz, Holland, Dänemark und Schweden. Der Vatikan hat sich für<br />

Franzosen, Italiener, auch für Englän<strong>der</strong> und Amerikaner oft an uns gewandt.“ 37<br />

Nichtsdestoweniger ist dieser Schachzug <strong>der</strong> Kurie aufgegangen. Noch <strong>in</strong> jüngster<br />

Zeit schreiben Historiker, dass Benedikts XV. „Haltung, die sich für ke<strong>in</strong>e<br />

Son<strong>der</strong><strong>in</strong>teressen e<strong>in</strong>spannen ließ, als positive Grundlage von diplomatischen<br />

Beziehungen anerkannt“ 38 wurde, o<strong>der</strong> dass er sich „mit se<strong>in</strong>em karitativen Wirken<br />

während des Krieges und <strong>in</strong> den Nöten <strong>der</strong> Nachkriegszeit ... großes Ansehen<br />

erworben“ 39 habe.<br />

NEUORIENTIERUNG NACH DEM ERSTEN WELTKRIEG<br />

Das Ausscheiden Russlands aus dem Kriege, <strong>der</strong> Zerfall <strong>der</strong> Österreichischungarischen<br />

Monarchie und die Friedensverträge nach dem Ersten Weltkrieg haben<br />

die politische Landkarte Europas nachhaltig verän<strong>der</strong>t. Staaten waren<br />

verschwunden, neue entstanden. <strong>Die</strong> revolutionären Umwälzungen während des<br />

Krieges und <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Gefolge haben die drei großen europäischen Kaisertümer, die<br />

für die Kurie so lange die Garanten <strong>der</strong> gottgewollten Ordnung waren und um<br />

<strong>der</strong>en Gunst sie sich so bemüht hat, h<strong>in</strong>weggefegt. <strong>Die</strong> kuriale Diplomatie war <strong>in</strong><br />

den Jahren nach dem Krieg emsig bemüht, bei <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> neuen<br />

Konstellationen nach Kräften mitzumischen und das beste für sich aus ihnen<br />

herauszuholen.<br />

OSTPOLITIK<br />

Noch im Mai 1918 entsandte Benedikt XV. Monsignore Achille Ratti als<br />

„Apostolischen Visitator für Russland, Polen und das Pribaltikum“ nach<br />

Ostmitteleuropa. Ratti nahm se<strong>in</strong>e Residenz <strong>in</strong> Warschau, wo er mit dem Erzbischof<br />

Aleksan<strong>der</strong> Kakowski, dem eigentlichen Haupt des Regentschaftsrates, <strong>der</strong> die<br />

Gründung e<strong>in</strong>es selbständigen polnischen Staates vorbereitete, <strong>in</strong> enge Verb<strong>in</strong>dung<br />

trat. Nach den Vorstellungen <strong>der</strong> Kurie sollte Polen nach dem erwarteten Zerfall<br />

Österreich-Ungarns das Zentrum e<strong>in</strong>es Bündnissystems, das von Estland über<br />

Lettland, Litauen bis zur Ukra<strong>in</strong>e reichen sollte, werden, dem die Aufgabe e<strong>in</strong>es<br />

„Antemurale Christianitatis“, e<strong>in</strong>er Vormauer <strong>der</strong> Christenheit gegen das<br />

revolutionäre Russland zukommen sollte. Da es Ratti nicht gelang, se<strong>in</strong>e Aufgabe zu<br />

erfüllen, wurde se<strong>in</strong>e Position <strong>in</strong> Warschau im Jahre 1919 zu <strong>der</strong> e<strong>in</strong>es päpstlichen<br />

Nuntius <strong>in</strong> Polen umgewandelt.<br />

<strong>Die</strong> Kurie nahm <strong>in</strong> den Jahren des russischen Bürgerkrieges und <strong>der</strong><br />

Interventionskriege Beziehungen zu fast allen antisowjetischen Kräften auf. Der<br />

ukra<strong>in</strong>ische Hetman Symeon Petljura unterhielt ebenso wie <strong>der</strong> von Sibirien aus<br />

operierende Admiral Kolčak diplomatische Vertreter beim Heiligen Stuhl. Es ist<br />

daher nicht verwun<strong>der</strong>lich, dass die <strong>Kirche</strong> dem Angriff gegen die Sowjetunion ihre<br />

propagandistische Schützenhilfe angedeihen ließ. Während die polnischen Truppen<br />

37 Zitiert nach Deschner: Heilsgeschichte Bd 1. S. 230.<br />

38 Herbert Stadler: Päpste und Konzilien; <strong>Kirche</strong>ngeschichte und Weltgeschichte -<br />

Personen - Ereignisse - Begriffe. Düsseldorf: Econ Taschenbuch Verlag 1983. S. 40.<br />

39 Hiller: Geschäftsführer S. 249.


unter dem Kommando des Marschalls Józef Piłsudski am 25.4.1920 ihren Angriff auf<br />

den Sowjetstaat mit dem Segen des apostolischen Nuntius Ratti begannen, riefen <strong>der</strong><br />

polnische Episkopat und Benedikt XV. alle Welt zur Errettung Polens vor dem<br />

Bolschewismus zu Hilfe, als das Blatt sich wandte und die Rote Armee die<br />

polnischen Verbände bis vor Warschau zurücktrieb. So musste sich Benedikt XV.<br />

auch von Georgij W. Čičer<strong>in</strong>, dem sowjetischen Volkskommissar des Äußeren, <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Antworttelegramm auf e<strong>in</strong>e Beschwerde über angebliche Verfolgung von<br />

Priestern sagen lassen, „dass die unzähligen Grausamkeiten, die von den Fe<strong>in</strong>den<br />

des russischen Volkes begangen wurden - von den Tschechoslowaken, von den<br />

Regierungen Kolčaks, Denik<strong>in</strong>s und Petljuras, von den gegenwärtig <strong>in</strong> Polen<br />

regierenden Parteien, die unter ihren Führern katholische Erzbischöfe haben und die<br />

jene Kämpfer für die Sache des Volkes, die ihnen <strong>in</strong> die Hände fallen, grausam<br />

quälen, ja sogar unsere Rot-Kreuz-Mission <strong>in</strong> Polen ermorden ließen -, dass diese<br />

alle von Ihrer Seite ke<strong>in</strong>en Protest erfahren haben. <strong>Die</strong> Stimme <strong>der</strong> Humanität, für<br />

die unsere Volksrevolution kämpft, wird von jenen, die sich als Ihre Anhänger<br />

betrachten, nicht respektiert; zu Gunsten jener Stimme ist aus Ihrem Munde ke<strong>in</strong><br />

Wort gekommen.“ 40<br />

<strong>Die</strong> Kurie ließ sich jedoch von solchen Vorwürfen nicht beirren. Ganz im Gegenteil,<br />

sie setzte ihre gegen den Sowjetstaat gerichteten Aktivitäten unverm<strong>in</strong><strong>der</strong>t fort,<br />

wenngleich mit weniger grobschlächtigen Methoden und unter Anwendung <strong>der</strong> bei<br />

<strong>der</strong> Kurie so beliebten geheimen Doppelstrategie.<br />

Nachdem <strong>in</strong> den Jahren 1921 und 1922 abzusehen war, dass das Sowjetregime we<strong>der</strong><br />

durch äußere Aggressionen noch durch <strong>in</strong>nere Subversion zu stürzen se<strong>in</strong> wird,<br />

bequemten sich die europäischen Staaten dazu, mit dem bolschewikischen Regime<br />

zu verhandeln. Im Frühjahr 1922 trafen die europäischen Mächte <strong>in</strong> Genua mit dem<br />

Sowjetstaat und erstmals nach dem Krieg auch mit dem Deutschen Reich zu e<strong>in</strong>er<br />

Wirtschaftskonferenz zusammen. <strong>Die</strong> Kurie ergriff die Gelegenheit dieser<br />

Konferenz, um mit dem Sowjetstaat direkt <strong>in</strong>s Gespräch zu kommen. Der nicht<br />

zuletzt wegen se<strong>in</strong>er als Nuntius <strong>in</strong> Warschau erworbenen Kenntnisse <strong>der</strong><br />

osteuropäischen Verhältnisse zum Papst gewählte Achille Ratti, als solcher nannte er<br />

sich nun Pius XI. (1922 - 1939), entsandte se<strong>in</strong>en stellvertretenden Staatssekretär<br />

Giuseppe Pizzardo nach Genua, wo er <strong>der</strong> Konferenz e<strong>in</strong> <strong>in</strong> ziemlich hochfahrendem<br />

Ton gehaltenes päpstliches Memorandum unterbreitete: „In <strong>der</strong> historischen Stunde,<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> man über die Wie<strong>der</strong>aufnahme Russlands <strong>in</strong> die Geme<strong>in</strong>schaft <strong>der</strong><br />

zivilisierten Nationen verhandelt, wünscht <strong>der</strong> Heilige Stuhl, dass die religiösen<br />

Interessen, die aller wahren Kultur zugrunde liegen, <strong>in</strong> Russland geschützt werden<br />

sollen. Daher for<strong>der</strong>t <strong>der</strong> Heilige Stuhl, dass <strong>in</strong> das Abkommen, das zwischen den <strong>in</strong><br />

Genua vertretenen Mächten geschlossen wird, <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>er Form, jedoch sehr<br />

deutlich, folgende drei Klauseln aufgenommen werden:<br />

1. <strong>Die</strong> volle Gewissensfreiheit <strong>der</strong> russischen Bürger und Auslän<strong>der</strong> ist <strong>in</strong> Russland<br />

garantiert.<br />

2. Es ist auch die private und öffentliche Ausübung <strong>der</strong> Religion und des Kultes<br />

garantiert.<br />

3. <strong>Die</strong> Immobilien, die e<strong>in</strong>er religiösen Geme<strong>in</strong>schaft gehören o<strong>der</strong> gehört haben,<br />

werden zurückgegeben und respektiert. 41<br />

40 Zitiert nach Deschner: Heilsgeschichte Bd 1. S. 305.<br />

41 Zitiert nach Grigulevic: <strong>Die</strong> Päpste... S. 199.


Wiewohl diese For<strong>der</strong>ungen vor<strong>der</strong>gründig ganz allgeme<strong>in</strong> von jedwe<strong>der</strong><br />

Religionsgeme<strong>in</strong>schaft sprachen, hat <strong>der</strong> sowjetische Außenkommissar Čičer<strong>in</strong> die<br />

Richtung dieses kurialen Vorstoßes erkannt, wenn er ihn mit den Worten<br />

charakterisierte: „Pius XI. habe mit den Machthabern <strong>in</strong> Moskau <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hoffnung,<br />

dass diese die orthodoxe <strong>Kirche</strong> zertrümmern würden, geliebäugelt und sich <strong>der</strong><br />

Erwartung h<strong>in</strong>gegeben, dass die römische <strong>Kirche</strong> die hier enttäuschten Gläubigen zu<br />

sich h<strong>in</strong>überziehen werde.“ 42<br />

Genau das war <strong>der</strong> Grund. Denn nachdem durch die Eigenstaatlichkeit Polens <strong>der</strong><br />

Anteil <strong>der</strong> <strong>katholischen</strong> Bevölkerung im russischen Machtbereich auf e<strong>in</strong>en Bruchteil<br />

des Standes vor dem Krieg gesunken war, glaubte man <strong>in</strong> kurialen Kreisen<br />

tatsächlich, auf Kosten <strong>der</strong> orthodoxen <strong>Kirche</strong>, die seit <strong>der</strong> Revolution ohne Stütze<br />

durch den Zaren und ohne staatliche Privilegien dastand, missionieren zu können.<br />

<strong>Die</strong>sem Ziele diente auch die noch unter Benedikt XV. e<strong>in</strong>geleitete und von Pius XI.<br />

groß aufgezogene „Russlandhilfe“. Durch die Kriegswirren und durch Missernten<br />

war es <strong>in</strong> den Jahren 1921 und 1922 <strong>in</strong> Russland zu e<strong>in</strong>er katastrophalen Hungersnot<br />

gekommen, <strong>der</strong> rund zwei Millionen Menschen zum Opfer fielen. Angesichts dieser<br />

Not wandten sich bedeutende Persönlichkeiten wie Maxim Gorki, Gerhart<br />

Hauptmann, Fridtjof Nansen und an<strong>der</strong>e mit e<strong>in</strong>em Aufruf zur Hilfeleistung an die<br />

Welt, dem sich auch Benedikt XV. anschloss. Er überwies noch als erste Hilfe an den<br />

<strong>katholischen</strong> Erzbischof von Mogilew, Jan Cieplak, e<strong>in</strong>e Million Lire, die jedoch <strong>in</strong><br />

dunklen polenfreundlichen Kanälen verschwanden, was weiter nicht erstaunt, war<br />

doch die katholische <strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> Russland von polnischen Priestern geprägt. Im<br />

August 1922 traf schließlich die päpstliche Hilfsmission auf <strong>der</strong> Krim e<strong>in</strong>, von wo sie<br />

ihre Tätigkeit entfaltete. Auf dem Höhepunkt ihrer Aktivitäten unterhielt die<br />

Mission 275 Küchen, <strong>in</strong> denen sie rund 95.000 Menschen, meist K<strong>in</strong><strong>der</strong>, speiste, die<br />

dabei auch Plaketten mit Madonnenbil<strong>der</strong>n und <strong>der</strong> Inschrift „Der Papst von Rom<br />

den russischen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n“ erhielten. In Anerkennung <strong>der</strong> Verdienste <strong>der</strong> päpstlichen<br />

Mission übersandte <strong>der</strong> Kreml im November 1923 an Pius XI. die Reliquien des im<br />

Jahre 1657 von den Kosaken erschlagenen polnischen Jesuitenmissionars Andrzej<br />

Bobola. <strong>Die</strong> päpstliche Hilfsmission beschränkte sich allerd<strong>in</strong>gs nicht nur auf ihre<br />

karitativen Aufgaben, son<strong>der</strong>n knüpfte auch Kontakte mit diplomatischen<br />

Vertretungen und Handelsagenturen, <strong>in</strong> <strong>der</strong>en Folge verschiedenen kirchliche<br />

Wertgegenstände, die nach <strong>der</strong> Verstaatlichung des <strong>Kirche</strong>nbesitzes für die<br />

sowjetischen Behörden als Staatseigentum galten, <strong>in</strong>s Ausland verbracht wurden.<br />

Als sich die päpstliche Mission zunehmend darauf verlegte, zugunsten <strong>der</strong><br />

<strong>Kirche</strong>nmission und <strong>der</strong> Religion zu wirken, wurde sie Mitte 1924 von den<br />

sowjetischen Behörden aufgefor<strong>der</strong>t, das Land zu verlassen.<br />

In den Jahren 1923 und 1924 hatten die Beziehungen zwischen <strong>der</strong> Kurie und dem<br />

Sowjetstaat e<strong>in</strong>e schwere Belastung erfahren, nachdem die sowjetischen Behörden<br />

zahlreiche katholische Kleriker verhaftet und wegen konterrevolutionärer und<br />

staatsfe<strong>in</strong>dlicher Umtriebe teilweise zum Tode, teilweise zu hohen Freiheitsstrafen<br />

verurteilt hatten. Während die <strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> aller Welt gegen das angebliche Unrecht an<br />

den Priestern und Ordensleuten protestierte, schwieg Pius XI., war er es doch selbst<br />

gewesen, <strong>der</strong> die Kleriker zu den Gesetzesübertretungen veranlasst hatte. In se<strong>in</strong>er<br />

Allokution vom 12.12.1924 gab er dies auch <strong>in</strong>direkt zu, wenn er sagte. „Niemand<br />

hat gedacht, dass Wir, <strong>in</strong>dem Wir dem russischen Volk Wohltaten erwiesen, <strong>in</strong><br />

42 Zitiert nach Deschner: Heilsgeschichte Bd 1. S. 368.


irgende<strong>in</strong>er Weise e<strong>in</strong>e Regierung unterstützen, die anzuerkennen Wir weit entfernt<br />

s<strong>in</strong>d. Im Gegenteil, nachdem Wir so lange aus ganzem Herzen und mit allen unseren<br />

Kräften versucht haben, die ungeheure Not dieses Volkes zu l<strong>in</strong><strong>der</strong>n, halten Wir es<br />

für unsere Pflicht, auf Grund unserer universellen Vaterschaft ... durch geme<strong>in</strong>same<br />

Anstrengung ... die sehr ernsten Gefahren und sicheren Schäden des Sozialismus<br />

und Kommunismus abzuwenden ...“ 43<br />

Nichtsdestoweniger wurde <strong>der</strong> seit dem Jahre 1920 auch <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> akkreditierte<br />

Nuntius Pacelli von Pius XI. zu Beg<strong>in</strong>n des Jahres 1925 angewiesen, mit dem<br />

dortigen sowjetischen Botschafter Krest<strong>in</strong>skij Fühlung zu halten, um die<br />

Möglichkeiten kirchlicher Betätigungen und <strong>der</strong> Sowjetunion und allenfalls auch <strong>der</strong><br />

Union mit <strong>der</strong> Orthodoxie zu sondieren.<br />

Wie schon etwas mehr als zwanzig Jahre früher mit Hilfe Wierc<strong>in</strong>skis gegen<br />

Russland versuchte die Kurie auch nun e<strong>in</strong> doppeltes Spiel gegenüber <strong>der</strong><br />

Sowjetunion. Pius XI. verfolgte den Plan, h<strong>in</strong>ter dem Rücken <strong>der</strong> sowjetischen<br />

Behörden e<strong>in</strong>e geheime Hierarchie aufzubauen. <strong>Die</strong>smal war <strong>der</strong> Helfershelfer dazu<br />

<strong>der</strong> französische Jesuit Michel d’Herbigny, <strong>der</strong>, nachdem er am 29.3.1926 von<br />

Nuntius Pacelli geheim zum Titularbischof von Ilio geweiht worden war, während<br />

dreier Aufenthalte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sovjetunion selbst drei Geheimbischöfe weihte und zehn<br />

Apostolische Adm<strong>in</strong>istratoren ernannte. Wesentlich weniger geschickt als<br />

Wierc<strong>in</strong>ski, wurde d’Herbigny von Anfang an von <strong>der</strong> sowjetischen Geheimpolizei<br />

überwacht und schließlich am 26.9.1926 über die f<strong>in</strong>nische Grenze abgeschoben. <strong>Die</strong><br />

von ihm aufgebaute geheime Hierarchie wurde <strong>in</strong> den folgenden Jahren ausgehoben<br />

und zerschlagen. Als Antwort auf diese Vorgangsweise <strong>der</strong> Kurie stellte die<br />

Sovjetunion auch ihre Berl<strong>in</strong>er Kontakte mit Nuntius Pacelli e<strong>in</strong>.<br />

<strong>Die</strong> Kurie ihrerseits rückte nun völlig von allen Plänen e<strong>in</strong>er Verständigung mit <strong>der</strong><br />

Sovjetunion ab und g<strong>in</strong>g auf e<strong>in</strong>en offen fe<strong>in</strong>dseligen Kurs gegen sie und die<br />

Orthodoxie, die sich am 20.5.1927 zu e<strong>in</strong>er Loyalitätserklärung gegenüber <strong>der</strong><br />

Regierung verstanden hatte, über. Als Exerzierfeld dieser neuen Politik erkor sich<br />

die Kurie das „Antemurale Christianitatis“ Polen aus, <strong>in</strong>dem sie sich eng an<br />

Marschall Piłsudski anschloss, <strong>der</strong> sich im Jahre 1926 endgültig an die Macht<br />

geputscht hatte. Mit staatlicher Unterstützung begann die Kurie <strong>in</strong> den von rund<br />

vier Millionen russisch-orthodoxen Gläubigen bewohnten weißrussischen und<br />

ukra<strong>in</strong>ischen Gebieten Polens e<strong>in</strong>e brutale Katholisierungspolitik. In kurzer Zeit<br />

wurden über tausend orthodoxe Priester e<strong>in</strong>gekerkert, ganze Dörfer durch Massaker<br />

entvölkert, rund 200.000 Ukra<strong>in</strong>er saßen <strong>in</strong> Gefängnissen. Polnische Soldaten<br />

plün<strong>der</strong>ten die orthodoxen <strong>Kirche</strong>n und benutzten sie als Pferdeställe o<strong>der</strong> Latr<strong>in</strong>en.<br />

Ständig bereisten kuriale Visitatoren das Land und überzeugten sich vom Fortgang<br />

<strong>der</strong> Mission.<br />

Gleichzeitig entfachte die Kurie sowohl über die ihr nahestehende Presse als auch<br />

über ihre diplomatischen Kanäle e<strong>in</strong>e heftige antisowjetische Kampagne. In<br />

Deutschland drängte die katholische Zentrumspartei darauf, die im Jahre 1922 <strong>in</strong><br />

Rapallo besiegelte Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> Sovjetunion aufzugeben zugunsten e<strong>in</strong>er<br />

Annäherung an Polen, trotz des bestehenden, <strong>in</strong> den auf beiden Seiten <strong>der</strong> deutschpolnischen<br />

Grenze lebenden M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten <strong>der</strong> jeweils an<strong>der</strong>en Nation und den<br />

43 Zitiert nach Deschner: Heilsgeschichte Bd 1. S. 379 f.


damit verbundenen Problemen begründeten gespannten Verhältnisses. Als<br />

Antriebsmotor h<strong>in</strong>ter <strong>der</strong> Zentrumspartei wirkte Nuntius Pacelli, <strong>der</strong> <strong>in</strong> Verfolgung<br />

<strong>der</strong> kurialen Pläne Deutschland und Polen zu e<strong>in</strong>em antisowjetischen Block<br />

zusammenschweißen wollte. Se<strong>in</strong>en Bemühungen und denen des polnischen<br />

Kard<strong>in</strong>als August Hlond sowie des deutschen Vizekanzlers Franz von Papen gelang<br />

es schließlich, im Jahre 1934 e<strong>in</strong>en allerd<strong>in</strong>gs nur kurzlebigen deutsch-polnischen<br />

Nichtangriffspakt zustande zu br<strong>in</strong>gen. Für den Augenblick bot dieser Pakt jedoch<br />

Pilsudski und dem polnischen Episkopat die Möglichkeit, gegenüber <strong>der</strong><br />

benachbarten Sovjetunion noch ausfallen<strong>der</strong> zu werden. Immer wie<strong>der</strong> betonten<br />

Vertreter des Papstes und des polnischen Episkopats die <strong>Rolle</strong> Polens, Vorkämpfer<br />

des Christentums gegen den Osten zu se<strong>in</strong>. <strong>Die</strong> dadurch entfachte Massenhysterie<br />

erreichte e<strong>in</strong>en Höhepunkt, als im Juni 1938 die fünfzehn Jahre zuvor von Len<strong>in</strong> dem<br />

Papst geschenkten Gebe<strong>in</strong>e des im April 1938 von Pius XI. heiliggesprochenen<br />

Andrzej Bobola nach Polen gebracht und dort mit höchsten staatlichen und<br />

militärischen Ehren empfangen wurden. Im selben Monat beschlossen Polen und die<br />

Kurie e<strong>in</strong> Gesetz über die Rückerstattung des <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zarenzeit konfiszierten<br />

<strong>katholischen</strong> <strong>Kirche</strong>ngutes, das im Juli und August 1938 als Vorwand für e<strong>in</strong>en<br />

bisher beispiellosen Raubzug gegen die orthodoxe <strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> Polen diente, <strong>in</strong> dessen<br />

Verlauf alle<strong>in</strong> im Gebiet von Chelm 138 orthodoxe <strong>Kirche</strong>n nie<strong>der</strong>gebrannt worden<br />

s<strong>in</strong>d.<br />

E<strong>in</strong>en weiteren Mosaikste<strong>in</strong> <strong>in</strong> den antisowjetischen Propagandafeldzug fügt Pius<br />

XI. am 2.2.1930 mit e<strong>in</strong>em Handschreiben an den Kard<strong>in</strong>alvikar von Rom, Basilio<br />

Pompili, h<strong>in</strong>zu. In diesem Schreiben, dessen Entwurf von d’Herbigny stammt,<br />

bedauerte Pius XI., dass die westlichen Mächte aus materiellen Erwägungen sich<br />

nicht zu e<strong>in</strong>er völligen Isolierung <strong>der</strong> Sovjetunion aufraffen könnten. Er rufe daher<br />

zu e<strong>in</strong>em „Kreuzzug des Gebets“ auf, um die „ruchlosen Anschläge“ <strong>der</strong><br />

Bolschewiken auf <strong>Kirche</strong> und Religion zu sühnen. Zweck dieses als<br />

„Kreuzzugsbrief“ <strong>in</strong> die Geschichte e<strong>in</strong>gegangenen Schreibens Pius’ XI. war, wie die<br />

Jesuitenzeitschrift „Civiltà Cattolica“ unumwunden zugab, dass <strong>der</strong> gepredigte<br />

Gebetsfeldzug - e<strong>in</strong>e christliche Wortschöpfung mit Schwerpunkt auf dem zweiten<br />

Wortteil -, „nicht nur alle Katholiken und die übrigen Christen, son<strong>der</strong>n die ganze<br />

zivilisierte Welt, gleichgültig welchen Bekenntnisses, zur e<strong>in</strong>mütigen Bekämpfung<br />

<strong>der</strong> bolschewistischen Gefahr um das Oberhaupt <strong>der</strong> <strong>katholischen</strong> <strong>Kirche</strong> scharen“ 44<br />

sollte. Der Erfolg des päpstlichen Unternehmens war über alle Erwartungen gut. <strong>Die</strong><br />

von <strong>der</strong> Weltwirtschaftskrise geschüttelten Mächte för<strong>der</strong>ten die päpstlichen<br />

Ansichten, boten sie doch Gelegenheit, den Millionenheeren von Arbeitslosen e<strong>in</strong>e<br />

Fe<strong>in</strong>dbild vorzusetzen, das sie von ihrer Lage ablenken sollte. Als Höhepunkt des<br />

Propagandafeldzuges wurde vom 7. bis 12.9.1930 <strong>in</strong> Feldkirch e<strong>in</strong><br />

Anbtibolschewismus-Kongress durchgeführt, <strong>der</strong> ganz Europa zum Kreuzzug gegen<br />

die Sovjetunion aufrief. Unermüdlich war Pius XI. bemüht, den Kommunismus und<br />

mit ihm die Sovjetunion zu brandmarken. Am 19.3.1937 brachte er die Enzyklika<br />

„Div<strong>in</strong>i Redemptoris“ gegen den „gottlosen Kommunismus“ heraus, <strong>in</strong> <strong>der</strong> es unter<br />

an<strong>der</strong>em heißt: „Der heutige Kommunismus birgt <strong>in</strong> höherem Maße, als es bei<br />

an<strong>der</strong>en ähnlichen Bewegungen <strong>der</strong> Fall war, e<strong>in</strong>e falsche Erlösungsidee für die<br />

wirtschaftlich Schwachen <strong>in</strong> sich. E<strong>in</strong> falsches Ideal von Gerechtigkeit, Gleichheit<br />

und Brü<strong>der</strong>lichkeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Arbeit durchglüht se<strong>in</strong>e gesamte Lehre und Tätigkeit mit<br />

e<strong>in</strong>em gewissen Mystizismus, <strong>der</strong> die mit trügerischen Versprechungen gewonnen<br />

44 Zitiert nach Deschner: Heilsgeschichte Bd 1. S. 404.


Massen <strong>in</strong> den suggestiv um sich greifenden Enthusiasmus e<strong>in</strong>er mitreißenden<br />

Bewegung versetzt [..].“ 45 <strong>Die</strong> Enzyklika gipfelte sodann <strong>in</strong> <strong>der</strong> Feststellung: „Der<br />

Kommunismus ist im Kern schlecht und es darf sich auf ke<strong>in</strong>em Gebiet mit ihm auf<br />

e<strong>in</strong>e Zusammenarbeit e<strong>in</strong>lassen, wer immer die christliche Kultur retten will.“ 46<br />

Wenig mehr als vier Jahre später war die <strong>Kirche</strong> an ihrem Ziel - <strong>der</strong> Kreuzzug gegen<br />

den Bolschewismus begann.<br />

DER KURZE VERSUCH MIT DER DEMOKRATIE<br />

Wie schon erwähnt, hat das Ende des Ersten Weltkrieges an die Stelle <strong>der</strong> großen<br />

Kaiserreiche e<strong>in</strong>e Anzahl demokratischer Republiken treten lassen. Das verkle<strong>in</strong>erte<br />

Deutsche Reich war Republik, ebenso wie Österreich, die Tschechoslowakei, Polen,<br />

um nur e<strong>in</strong>ige zu nennen. <strong>Die</strong> kuriale Politik stand nun vor <strong>der</strong> Aufgabe, mit diesen<br />

Staatsformen, die ke<strong>in</strong> Gottesgnadentum mehr kannten, zu e<strong>in</strong>em modus vivendi zu<br />

kommen.<br />

Beson<strong>der</strong>s gut gelang dies <strong>der</strong> Kurie mit Frankreich. Bereits im November 1918<br />

signalisierte Benedikt XV. im „Osservatore Romano“ an Frankreich die<br />

bed<strong>in</strong>gungslose Unterstützung se<strong>in</strong>er Politik mit den Worten: „<strong>Die</strong> <strong>Kirche</strong>, welche<br />

die vollkommene Gesellschaft ist, hat zum e<strong>in</strong>zigen Zwecke die Heiligung <strong>der</strong><br />

Menschen aller Zeiten und Län<strong>der</strong>; wie sie sich auch den verschiedenen<br />

Regierungsformen anpaßt, so nimmt sie auch ohne irgendwelche Schwierigkeiten<br />

die gesetzmäßigen territorialen und politischen Verän<strong>der</strong>ungen h<strong>in</strong>.“ 47<br />

E<strong>in</strong>e weitere bedeutungsschwere Geste, die die Sympathie <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> für Frankreich<br />

zum Ausdruck brachte, war die Heiligsprechung <strong>der</strong> Jeanne d’Arc am 16.5.1920, was<br />

immerh<strong>in</strong> als Spitzenleistung theologischer Interpretationskunst anerkannt werden<br />

muss, war doch dieselbe Jeanne d’Arc von dem Bischof Pierre Cauchon und dem<br />

Inquisitor Jean LeMaitre <strong>der</strong> Teufelsanbetung, des Götzendienstes und <strong>der</strong><br />

Gotteslästerung für schuldig befunden und den weltlichen Behörden zur Bestrafung<br />

übergeben worden, die diese am 30.5.1431 mit <strong>der</strong> Verbrennung Jeannes auf den<br />

Scheiterhaufen auf dem Marktplatz von Rouen auch vollzogen hatten.<br />

Frankreich wusste diese Gunstbeweise <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> zu würdigen und geizte auch<br />

nicht mit Gegenleistungen. Seit dem Jahre 1919 durfte <strong>der</strong> Jesuitenorden wie<strong>der</strong><br />

Schulen unterhalten, wodurch die <strong>Kirche</strong> wie<strong>der</strong> E<strong>in</strong>fluss auf die Ausbildung <strong>der</strong><br />

Aristokratie und des Großbürgertums gewann. Im Mai 1921 kam es dann endlich<br />

auch zur Wie<strong>der</strong>aufnahme <strong>der</strong> seit 1904 abgebrochenen diplomatischen<br />

Beziehungen zwischen Frankreich und <strong>der</strong> Kurie und kurz danach begannen auch<br />

schon Verhandlungen zur Regelung <strong>der</strong> kirchlichen Vermögensfragen <strong>in</strong> Frankreich.<br />

Auch die Beziehungen zu Italien konnte die Kurie nach dem Krieg weiter<br />

verbessern. Über Vermittlung <strong>der</strong> Vere<strong>in</strong>igten Staaten begann Benedikt XV. über<br />

se<strong>in</strong>en Beauftragten Bonaventura Cerretti Geheimverhandlungen mit dem<br />

italienischen M<strong>in</strong>isterpräsidenten Vittorio Emanuele Orlando zur Lösung <strong>der</strong><br />

45 Zitiert nach Hiller: Geschäftsführer, S. 255.<br />

46 Zitiert nach Grigulevic: <strong>Die</strong> Päpste...S. 217.<br />

47 Zitiert nach Deschner: Heilsgeschichte Bd 1. S. 247.


„Römischen Frage“. Anfang Juni konnte e<strong>in</strong>e grundsätzliche E<strong>in</strong>igung über die<br />

Schaffung e<strong>in</strong>es kle<strong>in</strong>en souveränen Territoriums des Papstes erzielt werden. Der<br />

Sturz Orlandos verh<strong>in</strong><strong>der</strong>te jedoch e<strong>in</strong>en Abschluss. Der Papst zeigte sich trotz<br />

dieses Rückschlages dem italienischen Staat jedoch weiterh<strong>in</strong> gewogen. Am<br />

10.11.1919 erlaubte er den Katholiken die une<strong>in</strong>geschränkte Teilnahme am<br />

politischen Leben. Weiters gestattete er auch die Gründung des christlichdemokratischen<br />

Partito Popolare unter <strong>der</strong> Führung des Geistlichen Luigi Sturzo<br />

zum Zwecke <strong>der</strong> E<strong>in</strong>dämmung des sozialistisch-kommunistischen E<strong>in</strong>flusses.<br />

Benedikt XV. anerkannte auch ausdrücklich das Recht ausländischer<br />

Staatsoberhäupter zu Besuchen beim italienischen König. Seit dem Jahr 1870 waren<br />

<strong>der</strong>artige Staatsbesuche immer von päpstlichen Protesten begleitet gewesen.<br />

Außerdem erlaubte <strong>der</strong> Papst auch Kontakt zwischen den bei ihm und den beim<br />

italienischen König akkreditierten Diplomaten.<br />

<strong>Die</strong> auf Orlando folgenden Regierungen traten jedoch dem schon so weit<br />

gediehenen Plan <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>begründung e<strong>in</strong>es <strong>Kirche</strong>nstaates nicht näher. Der Kurie<br />

erwuchs jedoch <strong>in</strong> Benito Mussol<strong>in</strong>i und se<strong>in</strong>en Partito Fascista e<strong>in</strong> Bundesgenosse,<br />

von dem sie sich mehr versprechen konnte.<br />

Das Deutsche Reich und die Nachfolgestaaten Österreich-Ungarns waren für die<br />

Kurie stets Quellen <strong>der</strong> Besorgnis, weil es <strong>in</strong> diesen Län<strong>der</strong>n starke sozialistische<br />

und kommunistische Parteien gab, von denen je<strong>der</strong>zeit die Übernahme <strong>der</strong><br />

Regierungsgewalt befürchtet werden musste. <strong>Die</strong> Kurie war <strong>in</strong> diesen Staaten bei<br />

Gelegenheit offen, bei Erfor<strong>der</strong>nis im geheimen bestrebt, die demokratischen<br />

E<strong>in</strong>richtungen zugunsten ihr genehmerer autoritärer Regierungsformen zu<br />

beseitigen. Als Mittel hiezu gründete Pius XI. im Jahre 1923 die „Katholische<br />

Aktion“ als Organisation, durch die die <strong>katholischen</strong> Laien im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> kirchlichen<br />

politischen und moralischen Vorstellungen im öffentlichen Leben wirken sollten. In<br />

<strong>der</strong> Gründungsansprache führte Pius XI. aus: „<strong>Die</strong> Katholische Aktion erhebt sich<br />

und entfaltet ihr Wirken über und abseits jedwe<strong>der</strong> politischer Partei. Sie will we<strong>der</strong><br />

die Politik e<strong>in</strong>er Partei betreiben noch e<strong>in</strong>e politische Partei se<strong>in</strong>. <strong>Die</strong> <strong>katholischen</strong><br />

Männer haben jedoch begriffen und verstanden, dass dies nicht soviel bedeuten<br />

kann, dass man sich um die Politik nicht bekümmern solle, wobei die letztere als<br />

Vertretung <strong>der</strong> gesamten geme<strong>in</strong>samen Güter im Gegensatz zu den E<strong>in</strong>zel- und<br />

Son<strong>der</strong>gütern anzusehen ist .[..]. Daraus ergibt sich als Folgerung, dass die<br />

Katholische Aktion, wenn sie auch ke<strong>in</strong>e Parteipolitik treibt, vorbereitend wirken<br />

soll, dass gute Politik, große Politik gemacht werde...“ 48<br />

Was Pius XI. unter guter und großer Politik verstand und was die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Katholischen Aktion darunter verstehen sollten, zeigte er, <strong>in</strong>dem er <strong>in</strong> Italien wie im<br />

übrigen Europa die faschistische Option wählte.<br />

DIE FASCHISTISCHE OPTION<br />

Zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> zwanziger Jahre charakterisierte <strong>der</strong> tschechoslowakische Gesandte<br />

beim Heiligen Stuhl Karel Krofta die kuriale Politik mit den Worten: „Adaption an<br />

den demokratischen Geist im Westen, Unterstützung <strong>der</strong> monarchistischen Reaktion<br />

<strong>in</strong> Mitteleuropa und geistliche Kolonisation <strong>in</strong> Osteuropa, und dies alles mit<br />

48 Zitiert nach Grigulevic: <strong>Die</strong> Päpste...S. 181.


meisterhafter Geheimdiplomatie.“ 49 Der Weitblick des Diplomaten sollte sich im<br />

kommenden Vierteljahrhun<strong>der</strong>t <strong>in</strong> zahlreichen Fällen bestätigen.<br />

ITALIEN<br />

Achille Ratti, e<strong>in</strong>er lombardischen Fabrikantenfamilie entstammend, hatte schon als<br />

Erzbischof von Mailand Kontakte zu Benito Mussol<strong>in</strong>i aufgenommen, da ihn dessen<br />

wil<strong>der</strong> Kampf gegen alles, was sozialistisch o<strong>der</strong> kommunistisch war, anzog. So fand<br />

Kard<strong>in</strong>al Ratti bereits im Jahre 1921 begeisterte Worte für den Faschistenführer:<br />

„Mussol<strong>in</strong>i macht schnelle Fortschritte und wird mit elementarer Kraft alles<br />

nie<strong>der</strong>r<strong>in</strong>gen, was ihm <strong>in</strong> den Weg kommt. Mussol<strong>in</strong>i ist e<strong>in</strong> wun<strong>der</strong>voller Mann.<br />

[...] <strong>Die</strong> Zukunft gehört ihm.“ 50 Ratti fand diesen Mann wun<strong>der</strong>voll, nachdem se<strong>in</strong>e<br />

Horden schon Tausende umgebracht, verprügelt und vergewaltigt,<br />

Zeitungsredaktionen, Parteilokale und Kulturhäuser zerstört und nie<strong>der</strong>gebrannt<br />

hatten. Das tat <strong>der</strong> Bewun<strong>der</strong>ung Rattis selbstverständlich ke<strong>in</strong>en Abbruch, hatten<br />

sich die Aktionen <strong>der</strong> <strong>faschistischen</strong> Banden doch nur gegen Personen und<br />

E<strong>in</strong>richtungen <strong>der</strong> politischen L<strong>in</strong>ken gerichtet, während sie Adel, Großbürgertum<br />

und <strong>Kirche</strong> stets ihrer Loyalität versichert hatten.<br />

Mussol<strong>in</strong>i, obwohl selbst e<strong>in</strong> glühen<strong>der</strong> Hasser <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> und überzeugter Atheist,<br />

wusste die Wertschätzung, die ihm seitens des hohen <strong>Kirche</strong>nfürsten wi<strong>der</strong>fuhr,<br />

durchaus zu würdigen. Er war Realist genug, um e<strong>in</strong>schätzen zu können, dass die<br />

<strong>Kirche</strong> für die Erreichung se<strong>in</strong>er Ziele e<strong>in</strong>e unschätzbare Verbündete se<strong>in</strong> würde.<br />

Als Kard<strong>in</strong>al Ratti zum Papst gewählt wurde, versäumte es Mussol<strong>in</strong>i nicht, diese<br />

Wahl öffentlich zu begrüßen: „Als Bürger von Mailand nehme ich an <strong>der</strong><br />

allgeme<strong>in</strong>en Freude <strong>der</strong> Mailän<strong>der</strong> über die Erhebung des Kard<strong>in</strong>als Ratti zum Papst<br />

teil. Er besitzt außer den Eigenschaften, die ich religiöse nennen möchte, auch<br />

solche, die ihn <strong>der</strong> profanen Welt sympathisch machen. Er ist e<strong>in</strong> Mann von<br />

umfassen<strong>der</strong> Bildung, <strong>der</strong> viel im Ausland gesehen hat und die Situation <strong>in</strong><br />

Osteuropa kennt. [...] Ich halte dafür, dass mit Pius XI. sich die Beziehungen<br />

zwischen Italien und dem Vatikan bessern werden.“ 51<br />

Im Oktober 1922 war dann Mussol<strong>in</strong>i selbst italienischer M<strong>in</strong>isterpräsident, sodass<br />

die gegenseitige Wertschätzung bei<strong>der</strong> Männer für e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> voll zum Tragen<br />

kommen konnte.<br />

In den ersten Monaten se<strong>in</strong>er Regierung setzte Mussol<strong>in</strong>i auch e<strong>in</strong>e Anzahl von<br />

Maßnahmen zugunsten <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong>, unter an<strong>der</strong>em<br />

− die Anbr<strong>in</strong>gung von Kruzifixen <strong>in</strong> allen öffentlichen Gebäuden,<br />

− die Verschärfung <strong>der</strong> Strafen für Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung von Religion und Geistlichkeit,<br />

− die Beistellung e<strong>in</strong>es Militärkaplans <strong>in</strong> allen Militäre<strong>in</strong>heiten,<br />

− die E<strong>in</strong>führung des Religionsunterrichts <strong>in</strong> den Volksschulen,<br />

− die Anerkennung <strong>der</strong> <strong>katholischen</strong> Universität <strong>in</strong> Mailand,<br />

− Anhebung <strong>der</strong> Gehälter und Bezüge für Priester und Bischöfe.<br />

49 Zitiert nach Deschner: Heilsgeschichte Bd 1. S. 284.<br />

50 Zitiert nach Deschner: Heilsgeschichte Bd 1. S. 322.<br />

51 Zitiert nach Grigulevic: <strong>Die</strong> Päpste...S. 177.


Nach diesen ersten Gunsterweisungen traf sich Mussol<strong>in</strong>i am 20.1.1923 im Hause<br />

des Bankiers Carlo Santucci mit dem Kard<strong>in</strong>al-Staatssekretär Pietro Gasparri. Gegen<br />

die Zusage Mussol<strong>in</strong>is, den <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er schweren Krise steckenden Banco di Roma<br />

durch e<strong>in</strong>e Kapitalzuführung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Höhe von 1,5 Milliarden Lire zu sanieren und<br />

die Liberalen, Sozialisten und Kommunisten aus dem politischen Leben<br />

auszuschalten, erklärte sich Gasparri bereit, kirchlicherseits den Partito Popolare<br />

fallen zu lassen.<br />

<strong>Die</strong> Faschisten begannen nun e<strong>in</strong>e ungezügelte E<strong>in</strong>schüchterungspolitik gegen alle<br />

an<strong>der</strong>en politischen Gruppierungen zur Durchsetzung e<strong>in</strong>er Wahlreform, die den<br />

Faschisten e<strong>in</strong>e dauernde Mehrheit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kammer sichern sollte. Unter H<strong>in</strong>weis auf<br />

die kirchenfreundlichen Maßnahmen <strong>der</strong> <strong>faschistischen</strong> Regierung verlangte die<br />

faschistische Presse die Auflösung des Partito Popolare, weil er als Vertreter <strong>der</strong><br />

kirchlichen Interessen nicht mehr notwendig wäre. Der Pressekampagne wurde<br />

noch durch zahlreiche Gewalttaten nachgeholfen, denen unter an<strong>der</strong>em auch <strong>der</strong><br />

Geistliche Giovanni Manzoni zum Opfer fiel. <strong>Die</strong> Kurie schwieg zu diesem<br />

Verbrechen beharrlich. H<strong>in</strong>gegen ließ man den Vorsitzenden des Partito Popolare,<br />

Luigi Sturzo, am 25.6.1923 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Artikel e<strong>in</strong>es gewissen Monsignore Enrico Pucci<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeitung „Corriere d’Italia“ <strong>in</strong>direkt zum Rücktritt auffor<strong>der</strong>n, <strong>in</strong>dem man ihn<br />

„ermahnte, <strong>in</strong> Anbetracht se<strong>in</strong>er doppelten Funktion als Priester und<br />

Parteivorsitzen<strong>der</strong> für den Heiligen Stuhl ke<strong>in</strong>e Schwierigkeiten hervorzurufen!“ 52<br />

Wenige Wochen später demissionierte Sturzo tatsächlich, was für den Partito<br />

Popolare den Anfang vom Ende bedeutete.<br />

<strong>Die</strong> von Mussol<strong>in</strong>i versprochene Lösung <strong>der</strong> „Römischen Frage“ vor Augen, hielt<br />

Pius XI. auch eisern zu ihm, als es galt, ihn <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er schwersten politischen Krise zu<br />

stützen. Am 10.6.1924 wurde <strong>der</strong> sozialistische Abgeordnete und Strafrechtsgelehrte<br />

Giacomo Matteotti von <strong>faschistischen</strong> Schlägern überfallen, entführt und bestialisch<br />

ermordet. Matteotti, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>er Großgrundbesitzerfamilie entstammte, hatte se<strong>in</strong><br />

Vermögen zur Unterstützung armer Bauern verwendet und genoss durch se<strong>in</strong><br />

Wirken höchstes Ansehen im Lande. E<strong>in</strong>e Welle <strong>der</strong> Empörung über den Mord g<strong>in</strong>g<br />

durch ganz Italien.<br />

Von König Vittorio Emanuele III. (1900 - 1946) wurde die Entlassung Mussol<strong>in</strong>is<br />

gefor<strong>der</strong>t, den man <strong>der</strong> Mitwisserschaft an dem Verbrechen bezichtigte. Während<br />

die l<strong>in</strong>ksbürgerlichen und die sozialistischen und kommunistischen Kräfte wohl den<br />

Sturz <strong>der</strong> <strong>faschistischen</strong> Partei anstrebten, aber sich zu ke<strong>in</strong>er Aktionse<strong>in</strong>heit<br />

zusammenf<strong>in</strong>den konnten, war es vor allem die <strong>Kirche</strong>, die alles unternahm, um<br />

Mussol<strong>in</strong>i zu halten. <strong>Die</strong> ideologische Rechtfertigung hiezu lieferte sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

langen Artikel <strong>der</strong> Jesuitenzeitschrift „Civiltà Cattolica“ vom 7.8.1924, <strong>in</strong> dem unter<br />

e<strong>in</strong>em erheblichen Aufwand an spitzf<strong>in</strong>diger Kasuistik <strong>der</strong> Faschismus<br />

re<strong>in</strong>gewaschen wird. Dar<strong>in</strong> heißt es unter an<strong>der</strong>em:<br />

„E<strong>in</strong>e junge, leidenschaftliche und unruhige Partei, die sich stürmisch unter<br />

außerordentlichen Umständen <strong>der</strong> italienischen Gesellschaft gebildet hat, die durch<br />

die Unfähigkeit früherer Regierungen und die unerträgliche Tyrannei <strong>der</strong><br />

bolschewistischen Sozialisten <strong>in</strong> manchen Prov<strong>in</strong>zen Italiens gewachsen ist und die<br />

sich durch kühne Gewalt und den illegitimen Weg e<strong>in</strong>er son<strong>der</strong>baren und nicht<br />

52 Pietro Scoppola: La Chiesa e il fascismo; Documenti e <strong>in</strong>terpreatazioni. Roma, Bari:<br />

Laterza 1976. S. 66. (deutsch von Anton Szanya)


unblutigen Revolution, die mit dem Marsch auf Rom ihren Abschluß gefunden hat,<br />

an die Macht gebracht hat; e<strong>in</strong>e Partei aber auch, die durch die bekannte Kraft und<br />

Autorität ihres Führers sobald als möglich mit unerwarteter Energie <strong>in</strong> die Grenzen<br />

e<strong>in</strong>er gewissen Legalität <strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung mit <strong>der</strong> Verfassung [...] zurückgeführt<br />

worden ist; e<strong>in</strong>e Partei letztlich, die sich durch die Form e<strong>in</strong>es Plebiszits [...], die<br />

politischen Wahlen, bestätigt hat - <strong>der</strong> Faschismus, nennen wir ihn beim Namen,<br />

bef<strong>in</strong>det sich nun an <strong>der</strong> Macht und daher im faktischen Besitz und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ausübung<br />

<strong>der</strong> Autorität als bestehende Regierung <strong>in</strong> Italien.<br />

Dank vor allem <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zigartigen Persönlichkeit des Mannes, <strong>der</strong> sie führt, erwarb<br />

sich die neue Regierung unleugbare Verdienste, höchste für den, <strong>der</strong> sie im H<strong>in</strong>blick<br />

auf die Religion beurteilt [...]<br />

Unglücklicherweise stehen diesen Verdiensten nicht alle<strong>in</strong> Mängel, son<strong>der</strong>n auch die<br />

Gewalttaten, die Anmaßungen und die Schikanen zahlreicher Anhänger dieser<br />

Partei gegenüber, die von den staatlichen Behörden stillschweigend geduldet<br />

werden. <strong>Die</strong>se Verbrechen und dieses Stillschweigen erschütterten die Sympathien<br />

und das Vertrauen gegenüber <strong>der</strong> Regierung und <strong>der</strong> Faschistischen Partei, vor<br />

allem nach dem schrecklichen Mord, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e Entrüstung hervorgerufen<br />

hat, die geschürt wird von den gegnerischen Parteien nicht aus Pietät gegenüber<br />

dem Opfer, son<strong>der</strong>n auch aus politischem Interesse [...]<br />

<strong>Die</strong> redlichen Katholiken, so gerne sie die Verdienste anerkennen, können die<br />

Gewalttaten, die an<strong>der</strong>en Ungerechtigkeiten und alle Laster <strong>der</strong> machthabenden<br />

Partei nicht übersehen und verabscheuen sie. Wie soll also ihre E<strong>in</strong>stellung<br />

gegenüber dieser Regierung se<strong>in</strong>? ...<br />

1. Wir haben gegenwärtig e<strong>in</strong>e bestehende Regierung und damit faktisch das<br />

e<strong>in</strong>zige Objekt staatlicher Autorität gemäß den heutzutage geltenden Regeln. Es<br />

ist nun e<strong>in</strong> Pr<strong>in</strong>zip des Naturrechts und auch ausdrücklich von <strong>der</strong> Heiligen<br />

Schrift bekräftigt, dass die Untergebenen e<strong>in</strong>er solchen Regierung <strong>in</strong> sittlich<br />

erlaubten Angelegenheiten Achtung und Gehorsam entgegenbr<strong>in</strong>gen müssen,<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Katholiken ..., ohne dass diese Achtung und dieser Gehorsam<br />

irgendwie e<strong>in</strong>e Anerkennung <strong>der</strong> Legitimität des Ursprungs dieser Regierung<br />

o<strong>der</strong> auch e<strong>in</strong>e Rechtfertigung <strong>der</strong> Mißbräuche und Ordnungswidrigkeiten, <strong>in</strong> die<br />

die Regierung abirren kann, mite<strong>in</strong>schließen.<br />

2. <strong>Die</strong> obengenannte Unterwerfung verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t gewiß, dass die guten Bürger und<br />

vor allem die Katholiken an e<strong>in</strong>en Sturz dieser Regierung durch illegale Mittel<br />

wie Revolution, Aufruhr, Verschwörung und ähnliches denken. Das würde dem<br />

vorh<strong>in</strong> genannten Pr<strong>in</strong>zip genau entgegengesetzt se<strong>in</strong>... Aber es wäre auch<br />

entgegengesetzt dem allgeme<strong>in</strong>gültigen Gesetz des Apostels, dass es nicht erlaubt<br />

ist, Böses zu tun, um damit Gutes zu bewirken... Und wenn im angenommenen<br />

Fall <strong>der</strong> Wechsel <strong>der</strong> Regierung hypothetisch für etwas Gutes gehalten wird, so<br />

s<strong>in</strong>d Revolution und an<strong>der</strong>e illegitime Mittel an sich schlecht, sodass sie letztlich<br />

nicht gerechtfertigt werden können, wieviel Gutes ihnen auch zugeschrieben<br />

wird.<br />

3. Aber die Pflicht zur Unterwerfung schließt nicht aus, dass <strong>der</strong> gute Bürger, auch<br />

<strong>der</strong> katholische, die gesetzmäßig e<strong>in</strong>gesetzte Regierung <strong>in</strong> den zulässigen Formen<br />

zum Zwecke <strong>der</strong> Korrektur von Handlungen, die er für korrekturbedürftig hält,<br />

kritisieren kann; es kann dies sogar se<strong>in</strong>e Pflicht se<strong>in</strong>. Und es spricht auch nichts


dagegen, dass man an e<strong>in</strong>en Wechsel <strong>der</strong> Regierung mit Hilfe <strong>der</strong> legitimen<br />

Mittel, an <strong>der</strong>en Spitze <strong>in</strong> unseren Tagen das friedliche Votum <strong>der</strong> Wahlen steht,<br />

denkt und ihn vorsieht, allerd<strong>in</strong>gs nur nach reiflicher Überlegung und nur, wenn<br />

<strong>der</strong> Wechsel ohne schweren Schaden für das Geme<strong>in</strong>wohl, ja sogar nur zu se<strong>in</strong>er<br />

Verbesserung durchgeführt werden kann...<br />

4. Wenn ... <strong>der</strong> Wechsel <strong>der</strong> Regierung, wenn auch mit legitimen Mitteln, das heißt<br />

mit dem Mittel <strong>der</strong> politischen Wahl, durchgeführt, ohne schwere<br />

Bee<strong>in</strong>trächtigung des Geme<strong>in</strong>wohles unmöglich ist, und vielmehr die Gefahr<br />

wahrsche<strong>in</strong>lich ist, dass die neue Regierung, weit davon entfernt, etwas zu<br />

verbessern, daran gehen könnte, das Allgeme<strong>in</strong>wohl zu verschlechtern, dann<br />

kann je<strong>der</strong> Bürger, <strong>der</strong> das Vaterland liebt, dafür sorgen, dass diese<br />

Unmöglichkeit und diese Gefahr aufhören, aber solange <strong>der</strong> <strong>der</strong>zeitige Zustand<br />

<strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge anhält, kann er ke<strong>in</strong>en Wechsel <strong>der</strong> Regierung wollen, weil das Heil<br />

des Volkes für alle das oberste Gesetz se<strong>in</strong> muss, das alles überwiegt.<br />

5. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite muss die bestehende Regierung <strong>der</strong> Opposition die volle<br />

Freiheit zur Anwendung <strong>der</strong> ihr von <strong>der</strong> Verfassung und den Gesetzen<br />

zugestandenen Rechte geben und dafür sorgen, dass die nachgeordneten<br />

Behörden diese beachten und bewahren ...<br />

<strong>Die</strong> Opposition, soweit sie von ehrenwerten und zumeist <strong>katholischen</strong> Bürgern<br />

getragen wird, muss <strong>in</strong> diesem kritischen Augenblick, den wir alle durchmachen,<br />

vor allem bedenken; erstens, durch welche legitimen Mittel, das heißt durch<br />

künftige Wahlen, es möglich se<strong>in</strong> könnte, die herrschende politische Partei zu<br />

schlagen; Zweitens, ob es möglich wäre, sie ohne schweren Schaden für das<br />

Geme<strong>in</strong>wohl zu schlagen; drittens, ob sie, wenn zweiteres möglich wäre, durch e<strong>in</strong>e<br />

Regierung ersetzt werden könnte, die das Geme<strong>in</strong>wohl verbessert o<strong>der</strong> zum<strong>in</strong>dest<br />

nicht verschlechtert.<br />

Nun, <strong>in</strong> den schrecklichen Bedrängnissen <strong>der</strong> gegenwärtigen Stunde, wollen wir auf<br />

den ersten Punkt nicht näher e<strong>in</strong>gehen.<br />

<strong>Die</strong> Antwort auf den zweiten Punkt aber kann für e<strong>in</strong>en besonnenen Menschen nicht<br />

zweifelhaft se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>e von zahlreichen und diszipl<strong>in</strong>ierten bewaffneten Kräften<br />

unterstützte Partei würde sich - zweifellos zu Unrecht - die Macht nicht durch e<strong>in</strong>en<br />

e<strong>in</strong>fachen Entscheid <strong>der</strong> Wählerschaft aus <strong>der</strong> Hand nehmen lassen. Es besteht also<br />

die größte Gefahr e<strong>in</strong>es blutigen Bürgerkrieges mit dem folgenden materiellen und<br />

moralischen Ru<strong>in</strong> <strong>der</strong> ganzen Nation. <strong>Die</strong>se e<strong>in</strong>fache Beobachtung genügt zur<br />

Beantwortung dieses Punktes...<br />

Es mag nützlich se<strong>in</strong>, auch den dritten Punkt e<strong>in</strong>er kurzen Prüfung zu unterziehen.<br />

Falls die faschistische Regierung gezwungen werden könnte, die Macht aufzugeben,<br />

ist von verschiedenen Seiten angedeutet worden, dass sie von e<strong>in</strong>er Regierung <strong>der</strong><br />

Sozialistischen Partei <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> Volkspartei (Partito popolare)<br />

ersetzt werden könnte. <strong>Die</strong>se ‘Perspektive’ belastet mehr als alles an<strong>der</strong>e diesen<br />

Punkt und veranlaßt jeden ernsten Bürger, sich Sorgen zu machen, und noch viel<br />

mehr die kirchliche Autorität, so sehr sie auch ... außerhalb und über den Parteien<br />

und den lediglich politischen Streitigkeiten stehen soll ... Halten wir es doch für<br />

angebracht, deutlich zu sagen, dass e<strong>in</strong>e <strong>der</strong>artige Zusammenarbeit unter und mit<br />

den Elementen, die sowohl auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en als auch auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite stehen,<br />

we<strong>der</strong> passend, noch vernünftig, noch erlaubt se<strong>in</strong> würde...


Man stelle tatsächlich e<strong>in</strong>en Vergleich zwischen <strong>der</strong> Faschistischen und <strong>der</strong><br />

Sozialistischen Partei an. Der Faschismus bekennt sich faktisch nicht zu e<strong>in</strong>em<br />

System von Doktr<strong>in</strong>en; er rühmt sich vor allem, e<strong>in</strong>e Partei <strong>der</strong> Aktion zu se<strong>in</strong>. Und<br />

wenn er auch berechtigterweise schwerster Irrtümer bezichtigt werden kann, so hat<br />

er doch als anerkennenswert für alle die sozialistische Tyrannei gebrochen, die ...<br />

Freimaurerei vernichtet, die Ordnung <strong>der</strong> öffentlichen Verwaltung<br />

wie<strong>der</strong>hergestellt, beteuert, was vor allem für die Katholiken bedeutsam ist,<br />

gegenüber <strong>der</strong> Religion ke<strong>in</strong>e Fe<strong>in</strong>dschaft zu hegen, ja er bewies <strong>in</strong> mehreren Fällen<br />

se<strong>in</strong>e Achtung sowohl vor <strong>der</strong> Religion als auch vor <strong>der</strong> Familie als auch vor dem<br />

Recht auf Eigentum. Der Sozialismus h<strong>in</strong>gegen, auch die se<strong>in</strong>er Strömungen, die sich<br />

gemäßigt zeigten, ist <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Wesen e<strong>in</strong> Fe<strong>in</strong>d des Christentums. Welche die<br />

repräsentativsten Männer des Sozialismus auch seien, ihre Ansicht zur religiösen<br />

und moralischen Frage ist bekannt; desgleichen ist bekannt, wie sie Massen mit<br />

ihren Verführungen geformt haben. Aber viel ver<strong>der</strong>blicher für die Menschen ist das<br />

System, das zum Wesen des Sozialismus gehört: Bekenntnis zum Atheismus und zur<br />

offenen Religionslosigkeit, zum Klassenkampf, zur Ablehnung des Rechts auf<br />

Eigentum, des Autoritätspr<strong>in</strong>zips, <strong>der</strong> Heiligkeit von Ehe und Familie und so weiter.<br />

<strong>Die</strong>se Irrtümer werden vom Sozialismus nicht nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er mehr o<strong>der</strong> weniger<br />

abstrakten Theorie vertreten, sie s<strong>in</strong>d auch nicht nur bedeutsam für e<strong>in</strong>e Partei im<br />

praktischen Leben, son<strong>der</strong>n sie werden auch unerbittlich angewandt werden.<br />

Demzufolge würde sich <strong>der</strong> Sozialismus, sobald er <strong>in</strong> den Besitz <strong>der</strong> Macht<br />

gekommen ist, ihrer bedienen, um die Grundlagen <strong>der</strong> öffentlichen Moral und selbst<br />

<strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> zu verdrängen... Er würde sich wie <strong>in</strong> Russland zu e<strong>in</strong>em zügellosen und<br />

wilden Bolschewismus entwickeln. Und die Volkspartei sollte daran mitarbeiten,<br />

e<strong>in</strong>e solche Partei an die Regierung zu führen? Wir haben gezeigt, dass es nicht<br />

erlaubt ist, e<strong>in</strong>en Wechsel <strong>der</strong> Regierung zu wünschen, wenn die neue Regierung<br />

das Allgeme<strong>in</strong>wohl verschlechtern würde, und geschähe dies nicht bei <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>setzung <strong>der</strong> Sozialistischen Partei anstelle <strong>der</strong> Faschistischen?“ 53<br />

Mit allen ihr zur Verfügung stehenden propagandistischen und publizistischen<br />

Mitteln verfocht die Kurie ihre These, dass <strong>der</strong> Zweck, nämlich die Vertretung ihrer<br />

kirchlichen Interessen durch die Faschisten, jedes Mittel, auch die Ermordung e<strong>in</strong>es<br />

Sozialisten durch ebendiese Faschisten, billige. Auf politischer Ebene unterstützte<br />

Pius XI. den schwer angeschlagenen Mussol<strong>in</strong>i durch die Anordnung, dass alle<br />

Priester aus dem Partito popolare ausscheiden müssen, was dieser Partei den<br />

Todesstoß versetzte und zu ihrer Auflösung im Jahre 1926 führte.<br />

Im Jahre 1925 hatte Mussol<strong>in</strong>i dank <strong>der</strong> kurialen Unterstützung die Krise<br />

überstanden. Er g<strong>in</strong>g nun daran, die letzten Reste <strong>der</strong> politischen Opposition zu<br />

beseitigen und sich, gestützt auf König und Kurie, zum unumschränkten Diktator<br />

aufzuschw<strong>in</strong>gen. Der „Osservatore Romano“ vom 2.12.1925 kommentierte die<br />

Ereignisse des Jahres mit den Worten: „Das faschistische Regime hat zweifellos<br />

gerechte Reformen e<strong>in</strong>geführt, e<strong>in</strong> Verdienst, das um so stärker hervortritt, wenn<br />

man es e<strong>in</strong>esteils dem Agnostizismus des liberalen Staates ..., an<strong>der</strong>erseits dem<br />

antiklerikalen Sektierertum <strong>der</strong> demokratisch-freimaurerischen Regierungen<br />

gegenüberstellt. Der Faschismus jedoch anerkennt die soziale Bedeutung <strong>der</strong><br />

Religion und <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> als e<strong>in</strong>er für die Regierung des Volkes selbst nützlichen<br />

53 Scoppola: La Chiesa... S. 81 ff. (deutsch von Anton Szanya)


Kraft ... Das muss man ehrlich anerkennen und das schuldige Verdienst Mussol<strong>in</strong>i<br />

zuschreiben, <strong>in</strong>dem man dem Wunsch Ausdruck gibt, dass er auf <strong>der</strong> gleichen L<strong>in</strong>ie<br />

fortfahre zum Besten unseres Landes.“ 54<br />

Im folgenden Jahr löste die Kurie das von Kard<strong>in</strong>al-Staatssekretär Gasparri im<br />

Hause des Bankiers Santucci vor drei Jahren gegebene Versprechen e<strong>in</strong> und ließ den<br />

Partito popolare endgültig fallen. An<strong>der</strong>erseits nahmen <strong>der</strong> Konsistorialadvokat<br />

Francesco Pacelli, Bru<strong>der</strong> des Nuntius Eugenio Pacelli, und <strong>der</strong> faschistische<br />

Staatsrat Domenico Barone Verhandlungen zur endgültigen Lösung <strong>der</strong> „Römischen<br />

Frage“ auf. Sie führten am 11.2.1929 zur Unterzeichnung <strong>der</strong> sogenannten<br />

Lateranverträge durch Kard<strong>in</strong>al-Staatssekretär Pietro Gasparri und Mussol<strong>in</strong>i im<br />

Lateranpalast.<br />

<strong>Die</strong> Lateranverträge bestehen im e<strong>in</strong>zelnen aus e<strong>in</strong>em Vertrag zwischen dem<br />

Heiligen Stuhl und dem Königreich Italien über die Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong><br />

weltlichen Souveränität des Papstes, e<strong>in</strong>em Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl<br />

und dem Königreich Italien und e<strong>in</strong>er F<strong>in</strong>anzkonvention. 55<br />

Der Vertrag über die Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong> weltlichen Souveränität des Papstes<br />

übergab <strong>der</strong> Kurie den Vatikan, e<strong>in</strong>ige <strong>Kirche</strong>n und Paläste <strong>in</strong> Rom sowie das<br />

Schloss Castel Gandolfo als souveränes Territorium, während die Kurie die<br />

Souveränität des Hauses Savoia über die Gebiete des früheren <strong>Kirche</strong>nstaates<br />

anerkannte. <strong>Die</strong> Kard<strong>in</strong>äle wurden protokollarisch den Pr<strong>in</strong>zen von Geblüt<br />

gleichgestellt. Weiters übernahm Italien gewisse Schutzaufgaben für den nun<br />

geschaffenen <strong>Kirche</strong>nstaat.<br />

<strong>Die</strong> F<strong>in</strong>anzkonvention bestimmt, dass <strong>der</strong> italienische Staat dem Heiligen Stuhl als<br />

Wie<strong>der</strong>gutmachung für die durch den Verlust des <strong>Kirche</strong>nstaates entstandenen<br />

E<strong>in</strong>bußen 750 Millionen Lire <strong>in</strong> bar und e<strong>in</strong>e Milliarde Lire <strong>in</strong> mit fünf Prozent<br />

jährlich verz<strong>in</strong>sten Staatspapieren übereignet. Auf dieser Grundlage sollte <strong>in</strong> den<br />

kommenden Jahren Bernard<strong>in</strong>o Nogara als Leiter <strong>der</strong> päpstlichen F<strong>in</strong>anzverwaltung<br />

das weltliche vatikanische F<strong>in</strong>anzimperium errichten.<br />

Das Konkordat enthielt bemerkenswerte und weitgehende Zugeständnisse. Unter<br />

an<strong>der</strong>em wurde bestimmt:<br />

− Der Katholizismus ist Staatsreligion Italiens.<br />

− Der Religionsunterricht wird <strong>in</strong> den Volks- und Mittelschulen obligatorisch.<br />

− Antikirchliche Bücher, Zeitschriften und Filme werden verboten.<br />

− Strafbestimmungen für Kritik und Beleidigung des Katholizismus.<br />

− Gleichstellung <strong>der</strong> bürgerlichen und <strong>der</strong> kirchlichen Ehe und Verfügung <strong>der</strong><br />

Unauflöslichkeit bei<strong>der</strong>.<br />

− Der italienische Staat verpflichtet sich, se<strong>in</strong>e Gesetzgebung mit dem kanonischen<br />

Recht abzustimmen.<br />

<strong>Die</strong> ganze katholische Welt jubelte über diesen Sieg <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong>, während die<br />

liberalen und l<strong>in</strong>ken Kräfte Italiens die geistige Unabhängigkeit des Landes zerstört<br />

sahen. Francesco Saverio Nitti, früherer italienischer M<strong>in</strong>isterpräsident, kommentiert<br />

54 Zitiert nach Deschner: Heilsgeschichte Bd 1. S. 341<br />

55 <strong>Die</strong> Vertragstexte bei Scoppola: La Chiesa... S. 161 - 189.


die Lateranverträge erschüttert: „Denn welche Vorteile hat <strong>der</strong> italienische Staat?<br />

Nichts als die Anerkennung <strong>der</strong> 1870 bestehenden tatsächlichen Verhältnisse. Wer<br />

hätte jemals gedacht, dass Rom wie<strong>der</strong> vom Papst beherrscht werden würde? Sogar<br />

im Vatikan selbst dachte niemand daran. Ich habe mich dreißig Jahre lang mit den<br />

führenden Persönlichkeiten <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> über die Römische Frage unterhalten.<br />

Niemand hat von mir ernstlich Rom o<strong>der</strong> auch nur e<strong>in</strong> Zipfelchen italienischen<br />

Bodens verlangt. Aber was hat <strong>der</strong> Vatikan jetzt tatsächlich bekommen? E<strong>in</strong> zwar<br />

nur sehr kle<strong>in</strong>es Territorium, aber die Anerkennung als souveräner Staat. Außerdem<br />

hat er e<strong>in</strong>e Summe bekommen, <strong>der</strong>en Betrag <strong>in</strong> <strong>der</strong> Geschichte e<strong>in</strong>zig dasteht..., das<br />

Kapital e<strong>in</strong>er Weltbank.“ 56<br />

Hat <strong>der</strong> faschistische Staat mit den Lateranverträgen <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> gegeben, so gab die<br />

<strong>Kirche</strong> am 15.5.1931 mit <strong>der</strong> Veröffentlichung <strong>der</strong> sogenannten Sozialenzyklika<br />

„Quadragesimo anno“ dem <strong>faschistischen</strong> Staat. Am vierzigsten Jahrestag von Leos<br />

XIII. Rundschreiben „Rerum novarum“ g<strong>in</strong>g Pius XI. mit se<strong>in</strong>er Enzyklika gleichfalls<br />

auf die soziale Frage e<strong>in</strong>, wobei er zwei Wochen nach ihrer Verkündigung<br />

hervorhob, dass er bewusst „das Bild des <strong>faschistischen</strong> Korporationsstaates mit<br />

sympathischen Zügen gezeichnet“ 57 habe.<br />

Nach Berufung auf das Werk Leos XIII. und nach <strong>der</strong> Bekräftigung <strong>der</strong> Ansicht, dass<br />

es immer Reiche und Arme geben müsse, dass die Verschiedenheit <strong>der</strong><br />

Lebensverhältnisse gottgewollt sei und an<strong>der</strong>em dieser Art, kam Pius XI. auf das<br />

Kernstück se<strong>in</strong>e Enzyklika, auf die kirchliche Absegnung <strong>der</strong> vom Faschismus<br />

geprägten berufsständischen Ordnung. „<strong>Die</strong> Berufsstände o<strong>der</strong> Korporationen<br />

setzen sich zusammen aus den Vertretern <strong>der</strong> beiden (Arbeitnehmer- und<br />

Arbeitgeber-) Gewerkschaften des gleichen Gewerbes o<strong>der</strong> Berufes und s<strong>in</strong>d als<br />

wahre und eigentliche Werkzeuge und Organe des Staates mit <strong>der</strong> Leitung <strong>der</strong><br />

Gewerkschaften beauftragt sowie mit <strong>der</strong> Regelung aller geme<strong>in</strong>samen<br />

Angelegenheiten. Arbeitse<strong>in</strong>stellung und Streik s<strong>in</strong>d verboten. Falls die streitenden<br />

Parteien sich nicht e<strong>in</strong>ig werden können, entscheidet die Behörde. Schon e<strong>in</strong>e<br />

flüchtige Überlegung wird zur E<strong>in</strong>sicht führen. dass diese <strong>in</strong> ihren Hauptzügen<br />

geschil<strong>der</strong>te Organisation bedeutende Vorteile mit sich br<strong>in</strong>gt: die friedliche<br />

Zusammenarbeit <strong>der</strong> verschiedenen Klassen, Verdrängung <strong>der</strong> sozialistischen<br />

Genossenschaften und Lähmung ihrer Umtriebe sowie die leitende Oberaufsicht<br />

e<strong>in</strong>er beson<strong>der</strong>en Behörde.“ 58<br />

Damit ist auch schon das Hauptanliegen von „Quadragesimo anno“ offenbar. Pius<br />

XI. g<strong>in</strong>g es mit se<strong>in</strong>er Enzyklika wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>mal um e<strong>in</strong>en Angriff gegen den<br />

Sozialismus, wobei er diesmal auch die revisionistische Sozialdemokratie aufs Korn<br />

nahm, wenn er fragte: „Wie aber, wenn <strong>in</strong> bezug auf Klassenkampf und<br />

Son<strong>der</strong>eigentum <strong>der</strong> Sozialismus sich wirklich so weit gemäßigt und geläutert hat,<br />

dass dieserhalb nichts mehr auszusetzen ist? Hat er damit auch schon se<strong>in</strong>em<br />

wi<strong>der</strong>rechtlichen Wesen entsagt? ... Um diesen Fragestellungen ... Genüge zu tun,<br />

erklären Wir: <strong>der</strong> Sozialismus, gleichviel ob als Lehre, als gesellschaftliche<br />

Ersche<strong>in</strong>ung o<strong>der</strong> als Bewegung, auch nachdem er <strong>in</strong> den genannten Stücken <strong>der</strong><br />

Wahrheit und Gerechtigkeit Raum gibt, bleibt mit <strong>der</strong> Lehre <strong>der</strong> <strong>katholischen</strong> <strong>Kirche</strong><br />

56 Zitiert bei Deschner: Mit Gott... a.a.O. S. 32.<br />

57 Zitiert nach Deschner: Heilsgeschichte Bd 1. S. 408.<br />

58 Zitiert nach Deschner: Heilsgeschichte Bd 1. S. 407.


immer unvere<strong>in</strong>bar - er müßte dann aufhören, Sozialismus zu se<strong>in</strong>. Der Gegensatz<br />

zwischen sozialistischer und christlicher Gesellschaftsauffassung ist<br />

unüberbrückbar.“ 59 „Enthält <strong>der</strong> Sozialismus - wie übrigens je<strong>der</strong> Irrtum - auch<br />

e<strong>in</strong>iges Richtige, so liegt ihm doch e<strong>in</strong>e Gesellschaftsauffassung zugrunde, die ihm<br />

eigentümlich ist, mit <strong>der</strong> echten christlichen Auffassung <strong>in</strong> Wi<strong>der</strong>spruch steht.<br />

Religiöser Sozialismus, christlicher Sozialismus s<strong>in</strong>d Wi<strong>der</strong>sprüche <strong>in</strong> sich; es ist<br />

unmöglich, gleichzeitig guter Katholik und wirklicher Sozialist zu se<strong>in</strong>.“ 60<br />

Es lag daher auf <strong>der</strong> Hand, dass sich fast alle <strong>faschistischen</strong> Systeme bei ihrer<br />

Vernichtungsstrategie gegen die Arbeiterklasse auf diese Enzyklika beriefen und<br />

dafür auch den kirchlichen Segen erhielten.<br />

Das mit den Lateranverträgen erreichte friedliche E<strong>in</strong>vernehmen zwischen <strong>Kirche</strong><br />

und Faschismus erfuhr Anfang <strong>der</strong> dreißiger Jahre e<strong>in</strong>e empf<strong>in</strong>dliche Störung, als<br />

die Faschisten stärkeren E<strong>in</strong>fluss auf die Jugen<strong>der</strong>ziehung nehmen wollten und die<br />

<strong>Kirche</strong> dort ihre Interessen gefährdet sah. <strong>Die</strong> möglichst frühzeitige und<br />

ausschließliche Indoktr<strong>in</strong>ation von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen war und ist<br />

schließlich e<strong>in</strong> wichtiger Bauste<strong>in</strong> bei <strong>der</strong> Errichtung <strong>der</strong> päpstlichen Weltherrschaft.<br />

Ebenso aber hat auch jedes totalitäre politische System e<strong>in</strong> vitales Interesse daran,<br />

die heranwachsenden Generationen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em S<strong>in</strong>ne zu bee<strong>in</strong>flussen. Der<br />

Zusammenstoß war also unvermeidlich und endete mit e<strong>in</strong>er völligen Nie<strong>der</strong>lage<br />

<strong>der</strong> <strong>Kirche</strong>. Pius XI. eröffnete den Streit mit <strong>der</strong> Enzyklika „Non abbiamo bisogno“,<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> er heftige Klagen über die faschistische Erziehungspolitik führte. Mussol<strong>in</strong>i,<br />

nun sicherer im Sattel denn je, schlug bedenkenlos und hart zurück, <strong>in</strong>dem er<br />

gegenüber dem Kard<strong>in</strong>al-Staatssekretär Eugenio Pacelli mit <strong>der</strong> Veröffentlichung<br />

von Sexualskandalen von Priestern drohte. An dieser Schwachstelle, die sich die<br />

<strong>Kirche</strong> letztendlich durch ihre Zölibatspolitik für Priester selbst zuzuschreiben hat,<br />

gepackt, blieb ihr nur <strong>der</strong> Rückzug übrig, <strong>der</strong> nur durch das diplomatische Geschick<br />

Pacellis nicht zu e<strong>in</strong>em Debakel wurde. Mussol<strong>in</strong>i und Pacelli konnten nach diesem<br />

Kräftemessen aber auf e<strong>in</strong> dauerndes E<strong>in</strong>verständnis für die Zukunft bauen. <strong>Die</strong><br />

Gelegenheit zu se<strong>in</strong>er Bewährung sollte sich bald ergeben.<br />

Wegen <strong>der</strong> engen B<strong>in</strong>dung des Faschismus an Großkapital und Großgrundbesitz<br />

wurde an den agrarischen Besitzverhältnissen, auch denen <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong>, nicht<br />

gerüttelt. Da <strong>der</strong> Großgrundbesitz weite Landstriche brach liegen ließ, machte sich<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Bauernschaft e<strong>in</strong>e verbreitete Landnot bemerkbar. Den Faschisten bot dieser<br />

Umstand e<strong>in</strong>en willkommenen Vorwand zur Rechtfertigung ihrer imperialistischen<br />

Expansionspolitik. Das Schlagwort vom „Volk ohne Raum“ diente zur Begründung<br />

des Planes, <strong>in</strong> Afrika e<strong>in</strong> „impero“ zu errichten. Zwischen den schon älteren<br />

italienischen Kolonien <strong>in</strong> Libyen und Somalia sollte nach bereits auf das Jahr 1932<br />

zurückgehenden Planungen die Eroberung Abess<strong>in</strong>iens e<strong>in</strong>e Brücke schaffen. Der<br />

Krieg sollte gleichsam die Agrarreform ersetzen.<br />

Wie<strong>der</strong> unterstützte die <strong>Kirche</strong> die faschistische Kriegspropaganda. <strong>Die</strong> Zeitschrift<br />

„Civiltà Cattolica“ bot hiefür theologische Schützenhilfe, wenn sie ausführte. „Wenn<br />

die friedlichen Mittel erschöpft s<strong>in</strong>d, wird die Anwendung von Zwangsmitteln, <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>fall <strong>in</strong> das Gebiet an<strong>der</strong>er, se<strong>in</strong>e Eroberung und Annexion erlaubt und manchmal<br />

59 Zitiert nach Grigulevic: <strong>Die</strong> Päpste... S. 197.<br />

60 Zitiert nach Deschner: Heilsgeschichte Bd 1. S. 410.


sogar zur Pflicht, um die Ordnung aufrechtzuerhalten und den Frieden zu sichern.<br />

Wer <strong>in</strong> diesem äußersten Falle zu den Waffen greift, übt die Funktion des Richters<br />

aus, dem die Natur das Amt überträgt, zu strafen und die vom Gegner verletzte<br />

Ordnung wie<strong>der</strong>herzustellen.“ 61 Am 27.8.1935 erklärte Pius XI. e<strong>in</strong>en Angriffskrieg<br />

unter gewissen Umständen für gerechtfertigt. <strong>Die</strong> Wiener katholische „Reichspost“<br />

kommentierte die päpstliche Äußerung am 30.8.1935: „Selten hat <strong>der</strong> Heilige Vater<br />

so präzis und so e<strong>in</strong>deutig auf e<strong>in</strong>e aktuelle Situation appliziert, wie auf die<br />

Kriegsgefahr zwischen Italien und Abess<strong>in</strong>ien. Man kann daraus ersehen, wie sehr<br />

dem Papst diese Frage am Herzen liegt, wie lange er über sie nachgedacht hat.<br />

Indem Papst Pius XI. e<strong>in</strong>deutig e<strong>in</strong>en Verteidigungskrieg und darüber h<strong>in</strong>aus e<strong>in</strong>en<br />

Kolonialkrieg, sofern er <strong>in</strong> mäßigen Grenzen bleibt und dann e<strong>in</strong>er wachsenden<br />

Bevölkerung zugute kommen soll, für nicht ungerecht erklärt, will er ganz bewußt<br />

Italien <strong>in</strong> diesen umschriebenen Grenzen e<strong>in</strong> Naturrecht zugestehen - und im<br />

Rahmen dieses unvollkommenen menschlichen Rechtes e<strong>in</strong> Anrecht auch auf die<br />

Durchführung e<strong>in</strong>er abess<strong>in</strong>ischen Expansion.“ 62<br />

Am 3.10.1935 brach <strong>der</strong> von Mussol<strong>in</strong>i und se<strong>in</strong>en Trabanten vorbereitete Krieg<br />

gegen Äthiopien aus. Bischof Emilio Cocci, <strong>der</strong> Leiter <strong>der</strong> Katholischen Aktion, trat<br />

mit e<strong>in</strong>em Aufruf an die Öffentlichkeit: „Das Vaterland wurde Opfer e<strong>in</strong>er<br />

Aggression. Möge je<strong>der</strong> Italiener Soldat werden. Wenn gestern noch irgend jemand<br />

e<strong>in</strong>e Me<strong>in</strong>ungsverschiedenheit aussprechen konnte, so haben wir heute alle nur noch<br />

zu gehorchen.“ 63<br />

Während Kaiser Haile Selassie (1930 - 1974) Italien vor dem Völkerbund wegen<br />

se<strong>in</strong>er Aggression anklagte, wurde alle Welt erstaunt Zeuge, wo überall Mussol<strong>in</strong>i<br />

se<strong>in</strong>e Verbündeten hatte. <strong>Die</strong> <strong>Kirche</strong> for<strong>der</strong>te die Bischöfe zur Ablieferung ihrer<br />

Goldkreuze und Goldketten auf. Das Kräfteverhältnis im Kard<strong>in</strong>alskollegium wurde<br />

durch Neuernennungen zugunsten <strong>der</strong> italienischen Mitglie<strong>der</strong> verschoben.<br />

Tausende von Missionaren, Priestern und Kaplänen beteten nicht nur für den Sieg<br />

<strong>der</strong> italienischen Waffen, sie unterstützten sogar das Mutterland <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> durch<br />

ihre Predigt von <strong>der</strong> Kanzel herab o<strong>der</strong> wie <strong>in</strong> Kanada durch energischen Protest<br />

gegen den kanadischen Vertreter beim Völkerbund, als dieser die Verschärfung <strong>der</strong><br />

Sanktionen gegen Italien beantragte.<br />

Während <strong>der</strong> Dauer des Krieges, <strong>der</strong> <strong>der</strong> italienischen Bevölkerung schwere Lasten<br />

auferlegte, suchten die Priester und Bischöfe unentwegt, die Kriegsbegeisterung<br />

anzustacheln. Um allfällige Bedenken, dass man gegen e<strong>in</strong> christliches Volk Krieg<br />

führe, zu zerstreuen, schil<strong>der</strong>te die „Civiltà Cattolica“ ihren Lesern am 11.10.1935<br />

Äthiopien als „typisches Beispiel für die moralische Zersetzung und den Verfall<br />

e<strong>in</strong>es christlichen Volkes, das sich von Rom durch Spaltung und Häresie getrennt<br />

und dadurch selbst isoliert habe vom E<strong>in</strong>fluss des Katholizismus auf se<strong>in</strong>e zivilen<br />

E<strong>in</strong>richtungen.“ 64 Da es sich bei diesem Kolonialkrieg ansche<strong>in</strong>end nur darum<br />

handelte, irgendwelchen kulturlosen Häretikern die Kultur zu br<strong>in</strong>gen, begeisterte<br />

sich <strong>der</strong> Mailän<strong>der</strong> Erzbischof Kard<strong>in</strong>al Ildefonso Schuster am 28.10.1935 für den<br />

Feldzug: „Wir, beseelt von Gott, unterstützen diese nationale und wahrhaft<br />

61 Zitiert nach Deschner: Heilsgeschichte Bd 1. S. 409.<br />

62 Zitiert nach Deschner: Mit Gott... S. 41.<br />

63 Zitiert nach Grigulevic: <strong>Die</strong> Päpste... S. 209.<br />

64 Zitiert nach Grigulevic: <strong>Die</strong> Päpste... S. 209.


katholische Mission, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>in</strong> dem Augenblick, da auf den Fel<strong>der</strong>n<br />

Äthiopiens die italienische Fahne den Triumph des christlichen Kreuzes sichert, die<br />

Ketten <strong>der</strong> Sklaverei zerbricht und den Weg frei macht für die Missionare<br />

Europas.“ 65<br />

Immerh<strong>in</strong> wurden diese Wege mit Bomben, Giftgas und Flammenwerfern frei<br />

gemacht - aber e<strong>in</strong> Kard<strong>in</strong>al wird wohl wissen, wovon er spricht.<br />

Als <strong>der</strong> Sieg endlich errungen war, schlossen sich Klerus und Episkopat den<br />

Siegesfeiern an. Am 12.5.1936 ließ auch Pius XI., <strong>der</strong> treue Verbündete Mussol<strong>in</strong>is,<br />

wissen, dass auch er teilhabe an <strong>der</strong> „Triumphierenden Freude des ganzen großen<br />

und guten Volkes über den Frieden, <strong>der</strong>, wie man hoffen und auch annehmen darf,<br />

e<strong>in</strong> wirksamer Beitrag, e<strong>in</strong> Vorspiel für den wahren Frieden Europas und <strong>der</strong> Welt<br />

se<strong>in</strong> wird!“ 66<br />

Mussol<strong>in</strong>i aber dankte am Ende des abess<strong>in</strong>ischen Krieges e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en<br />

Bundesgenossen, den er <strong>in</strong> den vergangenen Monaten gefunden und <strong>der</strong> auch durch<br />

die Hilfe <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> se<strong>in</strong>en Aufstieg genommen hatte: Adolf Hitler.<br />

DEUTSCHLAND<br />

In den Jahren von 1917 bis 1929 war Eugenio Pacelli als Nuntius <strong>der</strong> Vertreter <strong>der</strong><br />

Kurie im Deutschen Reich. Als solcher pflegte er enge Kontakte zu den führenden<br />

Persönlichkeiten <strong>der</strong> mit rhe<strong>in</strong>ischen Industriellenkreisen eng verbundenen<br />

<strong>katholischen</strong> Zentrumspartei wie Wilhelm Marx, Ludwig Kaas und Franz von<br />

Papen. Wilhelm Marx war seit dem Jahre 1922 Vorsitzen<strong>der</strong> des Zentrums und<br />

zeitweilig auch Reichskanzler. Er traf ke<strong>in</strong>e bedeuten<strong>der</strong>e Entscheidung, ohne mit<br />

Pacelli Rücksprache gehalten zu haben. Mit dem Prälaten Ludwig Kaas verbanden<br />

Pacelli etwa ab dem Jahre 1920 enge freundschaftliche Beziehungen, die <strong>in</strong> häufigen<br />

geme<strong>in</strong>samen Urlauben <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schweiz ihren Ausdruck fanden. Mit <strong>der</strong> Übernahme<br />

des Vorsitzes <strong>der</strong> Zentrumspartei durch Kaas im Jahre 1928 wurde Pacellis E<strong>in</strong>fluss<br />

auf die Politik se<strong>in</strong>er Partei noch stärker. Franz von Papen schließlich, durch se<strong>in</strong>e<br />

Ehe mit saarländischen Industriemagnaten verbunden, bestimmte wesentlich die<br />

L<strong>in</strong>ie <strong>der</strong> <strong>katholischen</strong> Zeitung „Germania“ und sollte im Jahre 1932 <strong>der</strong> letzte <strong>der</strong><br />

von <strong>der</strong> Zentrumspartei gestellten Reichskanzler werden.<br />

Geme<strong>in</strong>sam mit Kaas steuerte Pacelli die Zentrumspartei immer mehr nach rechts,<br />

e<strong>in</strong>erseits, um mit ihrer Hilfe außenpolitisch die engere Anlehnung des Deutschen<br />

Reiches an Polen zu bewirken, und an<strong>der</strong>erseits, um sie <strong>in</strong>nenpolitisch stärker als<br />

Gegengewicht zu den Sozialdemokraten und Kommunisten zu profilieren. Kaas<br />

betätigte sich als Pacellis Propagandist, als er im Jahre 1929 die Lateranverträge<br />

überschwänglich als Friedensschluss zwischen e<strong>in</strong>em totalitären Staat und <strong>der</strong><br />

<strong>Kirche</strong> pries und als er auf dem Deutschen Katholikentag nach e<strong>in</strong>en „Führertum<br />

großen Stils“ rief, wor<strong>in</strong> ihm unter an<strong>der</strong>em auch die Persönlichkeit se<strong>in</strong>es<br />

österreichischen Amtsbru<strong>der</strong>s im Herrn, Ignaz Seipel, zum Vorbild diente.<br />

65 Zitiert nach Grigulevic: <strong>Die</strong> Päpste... S. 210.<br />

66 Zitiert nach Deschner: Mit Gott... S. 49.


Das Jahr 1929 brachte den Ausbruch <strong>der</strong> großen Weltwirtschaftskrise mit e<strong>in</strong>em<br />

Anstieg des Arbeitslosenheeres <strong>in</strong> Deutschland auf über drei Millionen Menschen.<br />

Der daraus sich entzündende <strong>in</strong>nenpolitische Streit um die Arbeitslosenversicherung<br />

trieb schließlich den Reichskanzler He<strong>in</strong>rich Brün<strong>in</strong>g zur Ausschreibung von<br />

Reichstagswahlen, die am 14.9.1930 107 nationalsozialistische Mandate erbrachten<br />

und damit die NSDAP mit e<strong>in</strong>em Schlag zur zweitstärksten Partei machten. <strong>Die</strong><br />

Aufmerksamkeit des Nuntius Pacelli wandte sich darauf verstärkt e<strong>in</strong>em Manne zu:<br />

dem Parteivorsitzenden Adolf Hitler.<br />

Hitlers E<strong>in</strong>stellung zum Katholizismus und zum Christentum war schwankend.<br />

E<strong>in</strong>erseits bewun<strong>der</strong>te er die <strong>Kirche</strong> wegen ihres E<strong>in</strong>flusses auf die Menschen und<br />

ihrer propagandistischen Fähigkeiten. An<strong>der</strong>erseits war er e<strong>in</strong> entschiedener Gegner<br />

aller politischen Aspirationen <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong>. Se<strong>in</strong>e Erfahrungen, die er mit dem<br />

österreichischen Katholizismus gemacht hatte, ließen es Hitler auch für s<strong>in</strong>nlos und<br />

aussichtslos erachten, die religiösen Inhalte <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> zu bekämpfen. Beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em konfessionell gespaltenen Land, wie es das Deutsche Reich war, konnte e<strong>in</strong><br />

<strong>der</strong>artiges Unterfangen für e<strong>in</strong>e Bewegung, die nach <strong>der</strong> politischen Macht strebte,<br />

nur h<strong>in</strong><strong>der</strong>lich, ja sogar gefährlich se<strong>in</strong>. So sagte er e<strong>in</strong>mal diesbezüglich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Rede am 27.10.1928: „Wir s<strong>in</strong>d verschieden gläubig im Volke, s<strong>in</strong>d aber e<strong>in</strong>s.<br />

Welcher Glaube den an<strong>der</strong>en besiegt, das ist nicht die Frage, vielmehr ob das<br />

Christentum steht o<strong>der</strong> fällt, das ist die Frage! ... In unseren Reihen dulden wir<br />

ke<strong>in</strong>en, <strong>der</strong> die Gedanken des Christentums verletzt, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>s Ges<strong>in</strong>nten<br />

Wi<strong>der</strong>stand entgegenträgt, ihn bekämpft o<strong>der</strong> sich als Erbfe<strong>in</strong>d des Christentums<br />

provoziert. <strong>Die</strong>se unsere Bewegung ist tatsächlich christlich. Wir s<strong>in</strong>d erfüllt von<br />

dem Wunsche, dass Katholiken und Protestanten sich e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> f<strong>in</strong>den mögen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

tiefen Not unseres eigenen Volkes. Wir werden jeden Versuch unterb<strong>in</strong>den, den<br />

religiösen Gedanken <strong>in</strong> unserer Bewegung zur Diskussion zu setzen!“ 67<br />

Nichtsdestoweniger war die NSDAP e<strong>in</strong>e entschiedene Gegner<strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Zentrumspartei, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sie nicht unberechtigt den weltlichen Arm <strong>der</strong> römischen<br />

<strong>Kirche</strong> sah. Umgekehrt waren die deutschen Bischöfe <strong>in</strong> ihrer Mehrheit entschiedene<br />

Fe<strong>in</strong>de des Nationalsozialismus und erklärten für Katholiken die Mitgliedschaft bei<br />

<strong>der</strong> NSDAP für unerlaubt. <strong>Die</strong> Bischöfe erachteten die kulturpolitischen<br />

Auffassungen <strong>der</strong> Nationalsozialisten für nicht vere<strong>in</strong>bar mit denen des<br />

Katholizismus.<br />

Für den weiterblickenden Nuntius Pacelli wie auch für se<strong>in</strong>en Herrn Pius XI. war<br />

die Fe<strong>in</strong>dschaft zwischen NSDAP und Zentrum vielleicht ärgerlich, aber ke<strong>in</strong><br />

Grund, sich nicht über die Verwendbarkeit von Hitler und se<strong>in</strong>er Partei für<br />

kirchenpolitische Zwecke Gedanken zu machen. In ihren Augen hatte Hitler auch<br />

se<strong>in</strong>e Vorzüge, nämlich se<strong>in</strong>en wilden Hass gegen den Sozialismus und<br />

Kommunismus und se<strong>in</strong>en brennenden Antisemitismus, <strong>der</strong> für Papst und Nuntius<br />

als Person zwar zu <strong>der</strong>b gewesen se<strong>in</strong> mochte, über dessen Wirksamkeit im<br />

<strong>katholischen</strong> Volk aber beide genau Bescheid wussten.<br />

Als nun mit dem Jahre 1930 die NSDAP zur entscheidenden Macht geworden war,<br />

begann <strong>der</strong> mittlerweile zum Kard<strong>in</strong>al-Staatssekretär aufgestiegene Pacelli e<strong>in</strong> für<br />

die Zentrumspartei gefährliches Spiel. In e<strong>in</strong>er erregten Aussprache am 8.8.1931<br />

verlangte Pacelli von Reichskanzler Brün<strong>in</strong>g die Aufgabe <strong>der</strong> Regierungskoalition<br />

67 Zitiert nach Deschner: Heilsgeschichte Bd 1. S. 435.


mit den Sozialdemokraten und e<strong>in</strong>e Koalition mit den Rechtsparteien, um die für<br />

Pacelli brennenden Fragen <strong>der</strong> Bestellung e<strong>in</strong>es Militärbischofs und des Abschlusses<br />

e<strong>in</strong>es Konkordates mit dem Deutschen Reich e<strong>in</strong>er Lösung zuzuführen. Als Brün<strong>in</strong>g<br />

dies mit dem H<strong>in</strong>weis auf den zu erwartenden Wi<strong>der</strong>stand <strong>der</strong> Sozialdemokraten,<br />

die angesichts von vier Millionen Arbeitslosen an<strong>der</strong>e Probleme für dr<strong>in</strong>glicher<br />

hielten, ablehnte, sprach er damit das Todesurteil für se<strong>in</strong>e Partei. Bereits im<br />

Dezember 1931 berichtete <strong>der</strong> bayerische Gesandte beim Heiligen Stuhl nach<br />

München, dass Pius XI. an e<strong>in</strong>e Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> NSDAP denke.<br />

Angesichts <strong>der</strong> wachsenden politischen Radikalisierung <strong>der</strong> immer mehr dem<br />

Massenelend ausgesetzten Arbeiterschaft wandten sich sowohl die Industrie als<br />

auch <strong>der</strong> ostelbische Großgrundbesitz verstärkt <strong>der</strong> sich ihnen durch<br />

antisozialistische Aktivitäten empfehlenden NSDAP zu. Im Mai 1932 war es dann<br />

soweit: Reichspräsident Paul von H<strong>in</strong>denburg entließ Brün<strong>in</strong>g. Der neue<br />

Reichskanzler war Franz von Papen. Und nun g<strong>in</strong>g es zugunsten <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> Schlag<br />

auf Schlag:<br />

− Am 4.6.1932 löste Papen den Reichstag auf.<br />

− Am 20.7.1932 beseitigte Papen staatsstreichartig das sozialdemokratische<br />

preußische Kab<strong>in</strong>ett Otto Brauns.<br />

− Aufhebung des von Brün<strong>in</strong>g verfügten Verbots von SA und SS.<br />

− <strong>Die</strong> Reichstagswahlen am 31.7.1932 brachten für die NSDAP den Gew<strong>in</strong>n von 120<br />

Mandaten. Sie wurde mit 230 Sitzen die stärkste Fraktion.<br />

− Am 13.8.1932 bot Papen Hitler den Posten e<strong>in</strong>es Vizekanzlers an.<br />

− Am 17.11.1932 trat Papen als Reichskanzler zurück und empfahl dem<br />

Reichspräsidenten, bei den Sondierungsgesprächen für die neue Regierung auch<br />

Hitler zu empfangen.<br />

− Am 10.12.1932 for<strong>der</strong>te Papen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Rede im Berl<strong>in</strong>er Herrenklub die<br />

E<strong>in</strong>beziehung Hitlers <strong>in</strong> die Reichsregierung.<br />

− Am 4.1.1933 kam es im Haus des Kölner Bankiers Freiherr von Schrö<strong>der</strong> zu e<strong>in</strong>em<br />

Treffen zwischen Hitler und Papen. Papen sicherte Hitler die Unterstützung des<br />

Papstes zu und verlangte als Gegenleistung die Vernichtung von Kommunisten<br />

und Sozialdemokraten und den Abschluss e<strong>in</strong>es Reichskonkordats mit <strong>der</strong> Kurie.<br />

Hitler und Papen gelangten zu e<strong>in</strong>er grundsätzlichen E<strong>in</strong>igung.<br />

− Daraufh<strong>in</strong> reiste Papen <strong>in</strong>s Ruhrgebiet und erwirkte <strong>in</strong> den dortigen<br />

Industriekreisen großzügige Spenden für die NSDAP.<br />

− Am 9.1.1933 kam es zu e<strong>in</strong>er Besprechung Papens mit dem Reichspräsidenten<br />

H<strong>in</strong>denburg.<br />

− Am 22.1.1933 verhandelte Papen im Hause Ribbentrops mit Gör<strong>in</strong>g und an<strong>der</strong>en<br />

führenden Funktionären <strong>der</strong> NSDAP.<br />

− Am 30.1.1933 ernannte H<strong>in</strong>denburg Adolf Hitler zum Reichskanzler.<br />

Bereits am 9.3.1933 berichtete <strong>der</strong> polnische Botschafter im Vatikan, Skrzynski, über<br />

e<strong>in</strong> Gespräch mit Pius XI., bei dem <strong>der</strong> Papst sagte: „... er müsse zugeben, dass Hitler<br />

<strong>der</strong> e<strong>in</strong>zige Regierungschef <strong>der</strong> Welt ist, <strong>der</strong> letztens über den Bolschewismus so<br />

spricht wie <strong>der</strong> Papst selbst. Der Heilige Vater behauptet, dass so zu reden e<strong>in</strong><br />

Ausdruck persönlichen Mutes sei, <strong>der</strong> nur aus <strong>der</strong> Quelle e<strong>in</strong>er tiefen Überzeugung<br />

kommen könne.“ 68<br />

68 Zitiert nach Grigulevic: <strong>Die</strong> Päpste... S. 211.


Um e<strong>in</strong>iges weniger wendig als <strong>der</strong> katholische Herrenreiter Papen, <strong>der</strong><br />

diplomatische Kard<strong>in</strong>al Pacelli und auch <strong>der</strong> „wieselnasige“ - so Carl von Ossietzky<br />

- Prälat Kaas waren die deutschen Bischöfe. Nicht e<strong>in</strong>mal nicht wendig, son<strong>der</strong>n<br />

überhaupt plump. Denn während das päpstliche Hofblatt „Osservatore Romano“<br />

bereits im Jänner 1931 die bischöfliche Entscheidung, dass e<strong>in</strong> Katholik nicht<br />

Mitglied <strong>der</strong> NSDAP se<strong>in</strong> könne, als zu rigoros tadelte und während im selben Jahr<br />

noch Hermann Gör<strong>in</strong>g von Unterstaatssekretär Giuseppe Pizzardo empfangen<br />

wurde - immerh<strong>in</strong> zwei Ereignisse, die den deutschen Bischöfen hätten zu denken<br />

geben sollen -, wie<strong>der</strong>holten diese Bischöfe noch im August 1932 ihr<br />

Mitgliedschaftsverbot und noch am 10.2.1933 betonte Kard<strong>in</strong>al Michael von<br />

Faulhaber, „dass die Grundsätze <strong>der</strong> christlichen Staatslehre nicht wechseln, wenn<br />

die Regierungen wechseln“. 69 Schließlich sah sich Pacelli genötigt, am 29.3.1933 die<br />

Nuntien <strong>in</strong> München und Berl<strong>in</strong> zu beauftragen, die deutschen Bischöfe davon zu<br />

unterrichten, dass e<strong>in</strong>e Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> kirchlichen Haltung gegenüber dem<br />

Nationalsozialismus geboten sei.<br />

<strong>Die</strong>ser W<strong>in</strong>k aus Rom nahm die Bl<strong>in</strong>dheit von den deutschen Bischöfen und sie<br />

erkannten schlagartig die Vorzüge Hitlers und se<strong>in</strong>es Regimes. Am 8.6.1933 erließen<br />

die deutschen Bischöfe e<strong>in</strong>en geme<strong>in</strong>samen Hirtenbrief, <strong>in</strong> dem sie ihren Gläubigen<br />

mitteilten:<br />

„Bei diesem Umsturz <strong>der</strong> Verhältnisse und Umschwung auch <strong>der</strong> Menschen halten<br />

wir deutschen Bischöfe es für dr<strong>in</strong>gend notwendig, uns grundsätzlich zu äußern<br />

und den Diözesanen Weisungen zu geben, die aus dem <strong>katholischen</strong> Glauben<br />

entspr<strong>in</strong>gen ...<br />

1. Wenn wir unsere Zeit mit <strong>der</strong> vergangenen vergleichen, so f<strong>in</strong>den wir vor allem,<br />

dass sich das deutsche Volk noch mehr als bisher auf se<strong>in</strong> eigenes Wesen bes<strong>in</strong>nt,<br />

um dessen Werte und Kräfte zu betonen. Wir deutschen Bischöfe s<strong>in</strong>d weit davon<br />

entfernt, dieses nationale Erwachen zu unterschätzen o<strong>der</strong> gar zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Wir<br />

erblicken im Gegenteil im Volk und Vaterland herrliche natürliche Güter und <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> wohlgeordneten Vaterlandsliebe e<strong>in</strong>e von Gott geschenkte, schöpferische<br />

Kraft, die nicht nur die Helden und Propheten des Alten Testaments, son<strong>der</strong>n<br />

auch den göttlichen Heiland beseelte ... Wir deutschen Katholiken brauchen<br />

deswegen auch ke<strong>in</strong>e Neue<strong>in</strong>stellung dem Volk und Vaterland gegenüber,<br />

son<strong>der</strong>n setzen höchstens bewußter und betonter fort, was wir bisher schon als<br />

unsere natürliche und christliche Pflicht anerkannten und erfüllten...<br />

2. Neben <strong>der</strong> gesteigerten Liebe zum Vaterland und Volk kennzeichnet sich unsere<br />

Zeit durch e<strong>in</strong>e überraschend starke Betonung <strong>der</strong> Autorität und die<br />

unnachgiebige For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> organischen E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen und <strong>der</strong><br />

Körperschaften <strong>in</strong> das Ganze des Staates. Sie geht damit vom naturrechtlichen<br />

Standpunkt aus, dass ke<strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>wesen ohne Obrigkeit gedeiht, und nur die<br />

willige E<strong>in</strong>fügung <strong>in</strong> das Volk und die gehorsame Unterordnung unter die<br />

rechtmäßige Volksleitung die Wie<strong>der</strong>erstarkung <strong>der</strong> Volkskraft und Volksgröße<br />

gewährleisten. Wenn <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelne das Ganze aus dem Auge verliert o<strong>der</strong> gar <strong>in</strong><br />

sich selber den Maßstab <strong>der</strong> Beurteilung des Ganzen erblickt, kann wohl e<strong>in</strong><br />

Nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> von selbstsüchtigen Menschen bestehen, aber ke<strong>in</strong>e eigentliche<br />

Volksfamilie und Volkswohlfahrt erwachsen. Nur wenn <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelne sich als<br />

69 Zitiert nach Deschner: Heilsgeschichte Bd 1. S. 435.


Glied e<strong>in</strong>es Organismus betrachtet und das Allgeme<strong>in</strong>wohl über das E<strong>in</strong>zelwohl<br />

stellt, wird se<strong>in</strong> Leben wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong> freudiges <strong>Die</strong>nen und demütiges Gehorchen,<br />

wie es <strong>der</strong> christliche Glaube verlangt. Gerade <strong>in</strong> unserer heiligen, <strong>katholischen</strong><br />

<strong>Kirche</strong> kommen Wert und Se<strong>in</strong> <strong>der</strong> Autorität ganz beson<strong>der</strong>s zur Geltung und<br />

haben zu jener lückenlosen Geschlossenheit und sieghaften Wi<strong>der</strong>standskraft<br />

geführt, die selbst unsere Gegner bewun<strong>der</strong>n. Es fällt deswegen uns Katholiken<br />

auch ke<strong>in</strong>eswegs schwer, die neue, starke Betonung <strong>der</strong> Autorität im deutschen<br />

Staatswesen zu würdigen und uns mit jener Bereitschaft ihr zu unterwerfen, die<br />

sich nicht nur als e<strong>in</strong>e natürliche Tugend, son<strong>der</strong>n wie<strong>der</strong>um als e<strong>in</strong>e<br />

übernatürliche kennzeichnet, weil wir <strong>in</strong> je<strong>der</strong> menschlichen Obrigkeit e<strong>in</strong>en<br />

Abglanz <strong>der</strong> göttlichen Herrschaft und e<strong>in</strong>e Teilhabe an <strong>der</strong> ewigen Autorität<br />

Gottes erblicken...<br />

3. Auch die Ziele, die die neue Staatsautorität für die Freiheit unseres Volkes<br />

erstrebt, müssen wir Katholiken begrüßen. Nach Jahren <strong>der</strong> Unfreiheit unserer<br />

Nation und <strong>der</strong> Mißachtung und schmachvollen Verkürzung unserer völkischen<br />

Rechte muss unser deutsches Volk jene Freiheit und jenen Ehrenplatz <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Völkerfamilie wie<strong>der</strong> erhalten, die ihm auf Grund se<strong>in</strong>er zahlenmäßigen Größe<br />

und se<strong>in</strong>er kulturellen Leistung und Veranlagung gebühren... Wenn die neue<br />

staatliche Autorität sich weiter bemüht, sowohl die Ketten zu zerbrechen, <strong>in</strong> die<br />

an<strong>der</strong>e uns schlugen, als auch die eigene Volkskraft und Volksgesundung zu<br />

för<strong>der</strong>n und zu e<strong>in</strong>er neuen, großen Sendung zu befähigen, so liegt auch das ganz<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Richtung des <strong>katholischen</strong> Gedankens. Krankheits- und<br />

Altersersche<strong>in</strong>ungen <strong>der</strong> Völker wirken sich auch im religiösen und sittlichen<br />

Leben verheerend aus und führen zu Zusammenbrüchen und Entartungen, die<br />

wir vom christlichen Standpunkt aus aufrichtig beklagen und bekämpfen. Wir<br />

deutschen Katholiken tragen deswegen gern dazu bei, dass zumal unsere Jugend<br />

durch körperliche Ertüchtigung erstarke und im Arbeitsdienst ihre Kraft zum<br />

Nutzen des Volksganzen und zur eigenen sozialen E<strong>in</strong>fühlung und E<strong>in</strong>ordnung<br />

verwerte...<br />

4. Sowohl die Volksautorität als auch die Gerechtigkeit, die das Volkswohl<br />

begründet, setzen die Religion als notwendiges Fundament voraus. Zu unserer<br />

großen Freude haben die führenden Männer des neuen Staates ausdrücklich<br />

erklärt, dass sie sich selbst und ihr Werk auf den Boden des Christentums stellen.<br />

Es ist das e<strong>in</strong> öffentliches und feierliches Bekenntnis, das den herzlichen Dank<br />

aller Katholiken verdient. Nicht mehr soll also <strong>der</strong> Unglaube und die von ihm<br />

entfesselte Unsittlichkeit das Mark des deutschen Volkes vergiften, nicht mehr <strong>der</strong><br />

mör<strong>der</strong>ische Bolschewismus mit se<strong>in</strong>em satanischen Gotteshaß die deutsche<br />

Volksseele bedrohen und verwüsten. In Er<strong>in</strong>nerung an die großen Jahrhun<strong>der</strong>te<br />

deutscher Geschichte sollen die neue deutsche Würde und Größe aus <strong>der</strong><br />

christlichen Wurzel erblühen. Wir glauben, dass gerade daraus das beste und<br />

sicherste Heilmittel gegen die Schäden erwächst, unter denen unser Volk schon<br />

seit langen Jahrzehnten litt...<br />

Wir wollen dem Staat um ke<strong>in</strong>en Preis die Kräfte <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> entziehen, und wir<br />

dürfen es nicht, weil nur die Volkskraft und die Gotteskraft, die aus dem kirchlichen<br />

Leben unversiegbar strömt, uns erretten und erheben kann. E<strong>in</strong> abwartendes<br />

Beiseitestehen o<strong>der</strong> gar e<strong>in</strong>e Fe<strong>in</strong>dseligkeit <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> dem Staate gegenüber müßte<br />

<strong>Kirche</strong> und Staat verhängnisvoll treffen. Nur vertrauen auch wir darauf, dass so<br />

manches, was uns vom <strong>katholischen</strong> Standpunkt aus <strong>in</strong> den letzten Monaten als<br />

befremdlich und unbegreiflich erschien, sich nur als e<strong>in</strong> Gärungsvorgang erweist,


<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Klärung <strong>der</strong> Verhältnisse als Hefe zu Boden s<strong>in</strong>kt. Wir vertrauen, dass<br />

die Gerechtigkeit sich nunmehr auch jenen gegenüber großmütig bewähre, die<br />

bisher unter den Zusammenbrüchen, Umschaltungen und Ausschaltungen<br />

Unsägliches erlitten und unser <strong>in</strong>nigstes Mitleid verdienen. Wir vertrauen, dass <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>kehr <strong>der</strong> Ruhe alles Haßerfüllte und Unversöhnliche verschw<strong>in</strong>de, damit<br />

die Volkse<strong>in</strong>heit nicht etwa nur das Werk des äußeren Zwanges o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er<br />

vorübergehenden, völkischen Stimmung, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> opferwilligen, freudigen und<br />

dauernden E<strong>in</strong>ordnung ist und zur unüberw<strong>in</strong>dlich starken Volkse<strong>in</strong>heit wird. Erst<br />

dann gew<strong>in</strong>nt <strong>der</strong> neue Staat se<strong>in</strong>e unwi<strong>der</strong>stehliche Kraft und jene spannungsfreie<br />

Geschlossenheit, die uns die Hochachtung und das gebührende Entgegenkommen<br />

<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Völker und den Gottessegen von oben erwirbt. Wir vertrauen, dass es<br />

<strong>der</strong> Umsicht und <strong>der</strong> Tatkraft <strong>der</strong> deutschen Führer gel<strong>in</strong>gt, all jene Funken und<br />

glimmenden Kohlen zu ersticken, die man da und dort zu furchtbaren Bränden<br />

gegen die katholische Welt entfachen möchte.“ 70<br />

Abgesehen von e<strong>in</strong>igen milden Worten des Tadels, die angesichts des von den Nazis<br />

nach Hitlers Machtergreifung und nach dem mit den Stimmen <strong>der</strong> Zentrumspartei<br />

beschlossenen „Ermächtigungsgesetzes“ entfachten Terrors gegenüber den<br />

Sozialisten, Kommunisten, Juden und an<strong>der</strong>en, angesichts <strong>der</strong> raschen Zunahme <strong>der</strong><br />

Zahl von Konzentrationslagern und angesichts <strong>der</strong> Entfachung e<strong>in</strong>er<br />

revanchistischen Hysterie gegenüber den Siegermächten des Ersten Weltkrieges<br />

wohl nicht zu vermeiden waren, be<strong>in</strong>haltete dieser Hirtenbrief e<strong>in</strong> Treuebekenntnis<br />

des deutschen Episkopats gegenüber <strong>der</strong> nationalsozialistischen Diktatur. Und diese<br />

Treue bewahrten die deutschen Bischöfe, bis sie von Rom neue Direktiven bekamen,<br />

nämlich nach dem Zusammenbruch dieser Diktatur.<br />

Nachdem nun Hitler <strong>in</strong> den Sattel gehievt war, bedurfte <strong>der</strong> Vatikan <strong>in</strong> Deutschland<br />

ke<strong>in</strong>er <strong>katholischen</strong> Partei mehr. Er ließ die Partei, die ihm so lange Jahre so wenig<br />

zur Erreichung se<strong>in</strong>er Ziele, nämlich zum Abschluss e<strong>in</strong>es Konkordats und zum<br />

Kampf gegen den Bolschewismus, nützlich gewesen war, fallen. Er gab <strong>der</strong> Partei<br />

Weisung zur Selbstauflösung, die diese auch am 5.7.1933 vollzog. <strong>Die</strong> Proteste <strong>der</strong><br />

überrumpelten deutschen Katholiken beschwichtigte Prälat Kaas aus Rom, woh<strong>in</strong> er<br />

sich bereits Ende April 1933 zur großen Überraschung selbst se<strong>in</strong>er engsten<br />

Mitarbeiter abgesetzt hatte: „Hitler weiß das Staatsschiff gut zu lenken. Noch ehe er<br />

Kanzler wurde, traf ich ihn wie<strong>der</strong>holt und war sehr bee<strong>in</strong>druckt von se<strong>in</strong>en klaren<br />

Gedanken und se<strong>in</strong>er Art, den Tatsachen <strong>in</strong>s Auge zu sehen und dabei doch se<strong>in</strong>en<br />

edlen Idealen treu zu bleiben. ... Es kommt nicht darauf an, wer regiert, wenn nur<br />

die Ordnung gewahrt bleibt. <strong>Die</strong> Geschichte <strong>der</strong> letzten Jahre <strong>in</strong> Deutschland hat<br />

den demokratischen Parlamentarismus als unfähig erwiesen.“ 71<br />

Wie war nun die Ordnung beschaffen, die Kaas im Juli 1933 für so gewahrt<br />

erachtete? Kaum war Hitler am 30.1.1933 zum Reichskanzler bestellt worden, setzten<br />

er und se<strong>in</strong>e Palad<strong>in</strong>e ihre Ordnungsvorstellungen Schritt für Schritt <strong>in</strong> die<br />

Wirklichkeit um:<br />

− Am 3.2.1933 for<strong>der</strong>te Hitler <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Rede vor Reichswehrgenerälen die<br />

E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Wehrpflicht, was e<strong>in</strong>en Bruch des Versailler<br />

70 Hans Müller (Hg.): Katholische <strong>Kirche</strong> und Nationalsozialismus. München: Deutscher<br />

Taschenbuch Verlag 1965. S. 163 ff.<br />

71 Zitiert nach Deschner: Mit Gott... S. 108.


Friedensvertrages darstellen würde, Eroberung neuen Lebensraumes im Osten<br />

und se<strong>in</strong>e Germanisierung.<br />

− Am 20.2.1933 erpresste Gör<strong>in</strong>g <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Rede im Palais des Reichspräsidenten<br />

deutsche Industrielle, man werde die SA nicht von e<strong>in</strong>er „Nacht <strong>der</strong> langen<br />

Messer“ zurückhalten können, wenn man ke<strong>in</strong>e Mittel bekomme, sie zu bezahlen.<br />

− Am 28.2.1933 wurden zum „Schutze von Volk und Reich“ die bürgerlichen<br />

Grundrechte bis auf weiteres außer Kraft gesetzt. Alle dem Regime Verdächtigen<br />

wurden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge <strong>in</strong> Konzentrationslagern <strong>in</strong>terniert.<br />

− In e<strong>in</strong>er Rede auf e<strong>in</strong>er Wählerversammlung am 3.3.1933 verkündete Gör<strong>in</strong>g<br />

öffentlich: „Me<strong>in</strong>e Handlungen werden nicht angekränkelt se<strong>in</strong> durch juristische<br />

Bedenken und Bürokratie. Ich habe ke<strong>in</strong>e Gerechtigkeit auszuüben, son<strong>der</strong>n nur<br />

zu vernichten und auszurotten.“ 72<br />

− Am 1.4.1933 erg<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>e Anweisung an alle Ortsgruppen und<br />

Organisationsglie<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> NSDAP, Aktionsgruppen zum Boykott jüdischer<br />

Geschäfte, Ärzte, Rechtsanwälte und an<strong>der</strong>er zu gründen.<br />

− Am 2.5.1993 wurden alle Gewerkschaftshäuser besetzt und die dar<strong>in</strong> bef<strong>in</strong>dlichen<br />

Vermögenswerte konfisziert.<br />

− Am 14.7.1933 wurde <strong>der</strong> E<strong>in</strong>parteienstaat legalisiert, wurden Gesetze über die<br />

Landesverweisung politischer Gegner und Juden, über die „Verhütung<br />

erbkranken Nachwuchses“ erlassen.<br />

In voller Kenntnis dieser Ordnung überraschten <strong>der</strong> Vatikan und das Dritte Reich<br />

am 20.7.1993 die Welt mit dem Abschluss e<strong>in</strong>es Konkordats.<br />

Für Pacelli war das Konkordat die Krönung se<strong>in</strong>er Konkordatspolitik, die er mit<br />

dem Antritt se<strong>in</strong>er Nuntiatur <strong>in</strong> München im Jahre 1917 begonnen hatte. Nach dem<br />

Zusammenbruch des kaiserlichen kannte das republikanische Deutsche Reich ke<strong>in</strong>e<br />

Staatskirche mehr, gewährleistete es Religionsfreiheit und anerkannte es die <strong>Kirche</strong>n<br />

als Körperschaften öffentlichen Rechts. Für den Vatikan war dies zu wenig. Er<br />

verlangte E<strong>in</strong>fluss auf das Schulwesen und die Ehegesetzgebung wie auch<br />

selbstverständlich e<strong>in</strong>e Regelung vermögensrechtlicher Fragen. Da die deutsche<br />

Reichsregierung es ablehnte, mit <strong>der</strong> Kurie über e<strong>in</strong> Konkordat zu verhandeln, g<strong>in</strong>g<br />

Nuntius Pacelli den Weg, mit den Reichslän<strong>der</strong>n E<strong>in</strong>zelkonkordate abzuschließen.<br />

Den Anfang machte er mit dem <strong>katholischen</strong> Bayern, mit dem er im Jahre 1924 zu<br />

e<strong>in</strong>em Abschluss kam. Mit Preußen tat er sich schwerer. Es gelang ihm auch nur e<strong>in</strong>e<br />

im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> unbefriedigende Übere<strong>in</strong>kunft, die auch nicht Konkordat heißen<br />

durfte. Im Oktober 1932 erreichte Pacelli, nun schon Kard<strong>in</strong>al-Staatssekretär, e<strong>in</strong><br />

Konkordat mit Baden. Das Konkordat mit dem Deutschen Reich bot <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong><br />

große Vorteile und auch außenpolitisch die Gelegenheit, die politische Isolation des<br />

nationalsozialistischen Deutschland durch e<strong>in</strong>en Akt <strong>der</strong> diplomatischen<br />

Anerkennung zu durchbrechen und diesen Staat <strong>der</strong> Welt als Bundesgenossen im<br />

Kampf gegen den Bolschewismus zu präsentieren. Der „Völkische Beobachter“<br />

schrieb daher am 24.7.1933 mit vollem Recht: „Durch die Unterzeichnung des<br />

Reichskonkordats ist <strong>der</strong> Nationalsozialismus <strong>in</strong> Deutschland von <strong>der</strong> <strong>katholischen</strong><br />

<strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> denkbar feierlichsten Weise anerkannt worden... <strong>Die</strong>se Tatsache<br />

bedeutet e<strong>in</strong>e ungeheure moralische Stärkung <strong>der</strong> nationalsozialistischen<br />

Reichsregierung und ihres Ansehens.“ 73<br />

72 Zitiert nach Deschner: Mit Gott... S. 110.<br />

73 Zitiert nach Deschner: Mit Gott... S. 113.


Für Hitler war das Reichskonkordat auch e<strong>in</strong> großer <strong>in</strong>nenpolitischer Erfolg. In <strong>der</strong><br />

Sitzung <strong>der</strong> Reichsregierung am 14.7.1933 führte er als Vorteile des Konkordats an:<br />

„1., dass <strong>der</strong> Vatikan überhaupt verhandelt habe, obwohl beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong> Österreich<br />

damit operiert wurde, dass <strong>der</strong> Nationalsozialismus unchristlich und<br />

kirchenfe<strong>in</strong>dlich wäre; 2., dass <strong>der</strong> Vatikan zur Herstellung e<strong>in</strong>es guten<br />

Verhältnisses zu diesem nationalen deutschen Staat bewogen werden konnte. Er, <strong>der</strong><br />

Reichskanzler, hätte es noch vor kurzer Zeit nicht für möglich gehalten, dass die<br />

<strong>Kirche</strong> bereit se<strong>in</strong> würde, die Bischöfe auf diesen Staat zu verpflichten. Dass das<br />

nunmehr geschehen wäre, wäre zweifellos e<strong>in</strong>e rückhaltlose Anerkennung des<br />

<strong>der</strong>zeitigen Regimes; 3., dass mit dem Konkordat sich die <strong>Kirche</strong> aus dem Vere<strong>in</strong>sund<br />

Parteileben herauszöge, zum Beispiel auch die christlichen Gewerkschaften<br />

fallen ließe; auch das hätte er, <strong>der</strong> Reichskanzler, vor e<strong>in</strong>igen Monaten nicht für<br />

möglich gehalten. Auch die Auflösung des Zentrums wäre erst mit dem Abschluß<br />

des Konkordats als endgültig zu bezeichnen, nachdem nunmehr <strong>der</strong> Vatikan die<br />

dauernde Entfernung <strong>der</strong> Priester aus <strong>der</strong> Parteipolitik angeordnet hatte.“ 74<br />

Was die über den Abschluss des Reichskonkordats erstaunte Welt nicht wusste und<br />

was sie vielleicht, falls es an die Öffentlichkeit gedrungen wäre, entsetzt hätte, war<br />

die Tatsache, dass <strong>der</strong> Vatikan auch dem durch Hitler geplanten Bruch <strong>der</strong><br />

Versailler Verträge durch e<strong>in</strong>e Wie<strong>der</strong>aufrüstung des Deutschen Reiches Vorschub<br />

leistete! Bereits am 2.7.1933 berichtete Franz von Papen von se<strong>in</strong>en Verhandlungen<br />

<strong>in</strong> Rom an Hitler: „Schließlich haben wir im Zusatzprotokoll e<strong>in</strong>e dah<strong>in</strong>gehende<br />

Bestimmung aufgenommen ... im Falle, dass Deutschland die allgeme<strong>in</strong>e<br />

Wehrpflicht wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>führt. <strong>Die</strong>ser Zusatz ist mir weniger wertvoll wegen <strong>der</strong><br />

sachlichen Regelung als wegen <strong>der</strong> Tatsache, dass hier <strong>der</strong> Heilige Stuhl bereits mit<br />

uns e<strong>in</strong>e vertragliche Abmachung für den Fall <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Wehrpflicht trifft. Ich<br />

hoffe, dass Ihnen diese Abmachung deshalb Freude bereitet. Sie muss<br />

selbstverständlich geheim behandelt werden.“ 75 In diesen Fragen trafen sich eben die<br />

Interessen <strong>der</strong> vertragschließenden Parteien: Sowohl Hitler als auch Pius XI.<br />

brauchten e<strong>in</strong> starkes Deutschland für den erwarteten Krieg im Osten.<br />

Dass <strong>der</strong> Abschluss des Konkordats von den deutschen Bischöfen <strong>in</strong> begeisterten<br />

Worten begrüßt und ihren Herden als Krönung <strong>der</strong> päpstlichen Fürsorge um die<br />

Katholiken angepriesen wurde, bedarf wohl ke<strong>in</strong>er beson<strong>der</strong>en Betonung.<br />

Selbstverständlich kam es, wie es zwischen zwei totalitären Systemen unausbleiblich<br />

ist, auch zu Spannungen zwischen Kurie und Nationalsozialismus. <strong>Die</strong><br />

Gleichschaltungspolitik <strong>der</strong> Nationalsozialisten, die neben <strong>der</strong> Partei und ihren<br />

Vorfeld- und Nebenglie<strong>der</strong>ungen ke<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>en politischen Organisationen und<br />

Vere<strong>in</strong>igungen duldete und sie alle auflöste, traf selbstverständlich auch die<br />

<strong>katholischen</strong> Vere<strong>in</strong>igungen. Der Zugriff <strong>der</strong> Nationalsozialisten auf die<br />

Jugen<strong>der</strong>ziehung war e<strong>in</strong> weiterer Grund für die <strong>Kirche</strong> zur Klage. Bis zum Jahre<br />

1936 richtete Pius XI. vierunddreißig Protestschreiben nach Berl<strong>in</strong>, die ke<strong>in</strong>erlei im<br />

S<strong>in</strong>ne des Vatikans positiven Reaktionen auslösten. So erließ er am 14.3.1937 die <strong>in</strong><br />

deutscher Sprache verfasste Enzyklika „Mit brennen<strong>der</strong> Sorge“, <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Reichsregierung vorgeworfen wurde, dass von ihr „die Vertragsumdeutung, die<br />

74 Zitiert nach Deschner: Mit Gott... S. 113 f.<br />

75 Zitiert nach Deschner: Mit Gott... S. 115 f.


Vertragsumgehung, die Vertragsaushöhlung, schließlich die mehr o<strong>der</strong> m<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

öffentliche Vertragsverletzung zum ungeschriebenen Gesetz des Handelns gemacht<br />

wurde“. 76 <strong>Die</strong> Enzyklika enthielt e<strong>in</strong>e Analyse <strong>der</strong> Lage <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> aus kurialer Sicht.<br />

In seitenlangen Ausführungen trat Pius XI. für den rechten Gottesglauben e<strong>in</strong>, für<br />

den wahren Christusglauben, den Glauben an die heilige katholische <strong>Kirche</strong>. Er<br />

betonte den Primat des Papstes <strong>in</strong> kirchlichen Angelegenheiten, er for<strong>der</strong>te das<br />

Recht auf freie Religionsausübung, auf e<strong>in</strong>e katholische K<strong>in</strong><strong>der</strong>erziehung und<br />

an<strong>der</strong>es mehr. Was <strong>in</strong> <strong>der</strong> Enzyklika fehlte, war e<strong>in</strong>e Kritik am Nationalsozialismus<br />

als solchem, an se<strong>in</strong>er Politik <strong>der</strong> Konzentrationslager und massenweisen<br />

Ausrottung von politischen Gegnern, von Juden, Zigeunern und Angehörigen als<br />

m<strong>in</strong><strong>der</strong>wertig erachteter Nationen. <strong>Die</strong> Enzyklika schloss sogar noch mit e<strong>in</strong>em<br />

Angebot zur Wie<strong>der</strong>aufnahme <strong>der</strong> Zusammenarbeit auf dem Boden des Konkordats.<br />

Tatsächlich gab es ke<strong>in</strong>en Wi<strong>der</strong>stand <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> gegen das nationalsozialistische<br />

Regime. Es gab e<strong>in</strong>e große Anzahl von Katholiken, die aus persönlichen und<br />

Gewissensgründen sich gegen das Regime stellten, aber sie taten das auf sich alle<strong>in</strong><br />

gestellt, ohne Unterstützung und auch ohne Hilfe seitens kirchlicher Stellen. Ganz<br />

im Gegenteil, die Gefängnisgeistlichen versuchten bis zuletzt, die E<strong>in</strong>gekerkerten<br />

zur Loyalität gegenüber Staat und Partei zu bekehren. <strong>Die</strong> Opfer <strong>der</strong><br />

Nationalsozialisten, wie beispielsweise <strong>der</strong> Österreicher Franz Jägerstätter, leisteten<br />

gegen den Willen <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> Wi<strong>der</strong>stand und starben von ihr alle<strong>in</strong> gelassen.<br />

Überdies war ke<strong>in</strong>er <strong>der</strong> deutschen Bischöfe irgendwelchen Repressalien seitens des<br />

Staates ausgesetzt, ganz zu schweigen davon, dass auch nur e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>zigen<br />

Tag e<strong>in</strong>gesperrt gewesen wäre.<br />

Es gab also ke<strong>in</strong>en kirchlichen Wi<strong>der</strong>stand gegen den Nationalsozialismus, es gab<br />

jedoch auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite viele Versuche e<strong>in</strong>er theologischen Rechtfertigung des<br />

Nationalsozialismus. Bereits im Jahre 1934 brachte Michael Schmaus e<strong>in</strong> Buch mit<br />

dem Titel „Begegnungen zwischen katholischem Christentum und<br />

nationalsozialistischer Weltanschauung“ heraus. Im gleichen Jahre erschien von<br />

Joseph Lortz e<strong>in</strong> „Katholischer Zugang zum Nationalsozialismus“.<br />

Im Jahre 1937, dem Jahre <strong>der</strong> Enzyklika „Mit brennen<strong>der</strong> Sorge“, verfasste <strong>der</strong><br />

österreichische Bischof Alois Hudal „<strong>Die</strong> Grundlagen des Nationalsozialismus“,<br />

womit er die Möglichkeit e<strong>in</strong>er Harmonisierung zwischen Nationalsozialismus und<br />

Christentum nachweisen wollte. Unter an<strong>der</strong>en hieß es dort: „Niemand im<br />

<strong>katholischen</strong> Lager leugnet das Positive, Große und Bleibende, das <strong>in</strong> dieser<br />

Bewegung gelegen ist, die neue Probleme berührt und Fragen aufgeworfen hat, mit<br />

denen das Christentum sich ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzen muss, um e<strong>in</strong>e mo<strong>der</strong>ne Synthese<br />

von Deutschtum und Glauben zu f<strong>in</strong>den. <strong>Die</strong> deutschen Katholiken s<strong>in</strong>d vom besten<br />

Willen beseelt, das neue Deutschland zu bejahen, wenn sich se<strong>in</strong> Aufbau <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Abkehr nicht bloß vom politischen, son<strong>der</strong>n auch vom kulturellen Liberalismus<br />

vollzieht, denn noch immer ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> weltanschauliche Liberalismus<br />

<strong>der</strong> Keimboden späterer politischer Umwälzungen geworden. Kommunismus und<br />

Marxismus s<strong>in</strong>d nicht <strong>in</strong> jenen Teilen Deutschlands groß geworden, die<br />

weltanschaulich noch mit dem Christentum fest verbunden waren, son<strong>der</strong>n überall<br />

dort, wo das ganze kirchliche Leben <strong>der</strong> Katholiken und Protestanten vom<br />

Liberalismus Jahrzehnte früher ausgetrocknet worden ist. <strong>Die</strong> reichsdeutschen<br />

76 Zitiert nach Hiller: Geschäftsführer... S. 255.


Katholiken lassen sich <strong>in</strong> ihrer Treue zu Volk und Reich von niemand übertreffen<br />

und bejahen die nationalsozialistische Revolution, wie sie e<strong>in</strong> Gericht über das<br />

Zeitalter <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuellen Abson<strong>der</strong>ung und Auflösung war, e<strong>in</strong>e Rückbes<strong>in</strong>nung<br />

auf die ewige Schöpfungsordnung, auf die Bluts- und Schicksalsgeme<strong>in</strong>schaft <strong>der</strong><br />

Deutschen und auf die völkische Wesensart. Sie sehen <strong>in</strong> dieser Bewegung die<br />

straffe Zusammenfassung und Vere<strong>in</strong>heitlichung <strong>der</strong> staatstragenden Kräfte, e<strong>in</strong>e<br />

starke Führerverantwortung, <strong>in</strong> <strong>der</strong> die liberaldemokratische Fiktion von <strong>der</strong><br />

Selbstregierung des Volkes verdrängt ist ... Je mehr <strong>in</strong> <strong>der</strong> nationalsozialistischen<br />

Bewegung das Mystische <strong>der</strong> Klarheit weicht, desto früher kann sie die große<br />

nationale christliche E<strong>in</strong>heitspartei <strong>der</strong> Deutschen über alle Hemmungen und<br />

Unterschiede h<strong>in</strong>weg werden, die jeden <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er religiösen Weltanschauung das<br />

Glück und den Frieden des Herzens f<strong>in</strong>den läßt. Nur damit wäre Dauer und<br />

Zukunft gesichert und je<strong>der</strong> Gewissenskonflikt beseitigt, beson<strong>der</strong>s die Frage<br />

überflüssig gemacht, ob e<strong>in</strong> überzeugter Christ mit ruhigem Gewissen auch e<strong>in</strong><br />

überzeugter Anhänger dieser Partei se<strong>in</strong> und bleiben kann, ohne mit den Lehren<br />

se<strong>in</strong>er Religion <strong>in</strong> Wi<strong>der</strong>spruch zu geraten ... Der nationale und rassische Gedanke<br />

wäre an sich ... mit dem Christentum vere<strong>in</strong>bar, solange diese Grundlagen nicht <strong>in</strong>s<br />

Religiöse h<strong>in</strong>übergeschoben werden - e<strong>in</strong>e Gefahr, die um so drohen<strong>der</strong> ist, weil <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> nationalen Bewegung seit ihrer Geburtsstunde auf österreichischem Boden<br />

starke antikirchliche, später antichristliche Affekte mitklangen. <strong>Die</strong>se zu beseitigen<br />

o<strong>der</strong> wenigstens e<strong>in</strong>zudämmen, ist die Schicksalsfrage für jeden deutschfühlenden<br />

Menschen.“ 77 Hudal schloss dann mit den Worten: „Ist <strong>der</strong> Nationalsozialismus nur<br />

e<strong>in</strong> politisch-soziales Problem, dann ist ke<strong>in</strong> Grund für Katholiken, die sich <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Liebe und Treue zum Staat von niemandem übertreffen lassen, um nicht auch treue<br />

und vorbehaltlose Anhänger dieser Bewegung zu se<strong>in</strong>. Gerade <strong>der</strong> deutsche<br />

Katholizismus und <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bekenntniskirche stehende gläubige Protestantismus<br />

würde <strong>der</strong> nationalsozialistischen Partei die wertvollsten und opferbereitesten<br />

Kräfte zuführen, die auch <strong>in</strong> Stunden <strong>der</strong> Gefahren und <strong>in</strong>nerpolitischen<br />

Spannungen bei <strong>der</strong> Fahne bleiben werden, nicht so wie jene Kreise, die gestern<br />

noch Kommunisten und <strong>in</strong>ternationale vaterlandslose Gesellen waren, nichts für das<br />

Deutschtum je geleistet haben und heute zum Schaden <strong>der</strong> ganzen Sache sich e<strong>in</strong>es<br />

hun<strong>der</strong>tprozentigen Nationalsozialismus rühmen wollen. Ist aber <strong>der</strong><br />

Nationalsozialismus gleichbedeutend mit e<strong>in</strong>er neuen, zum Dogma erhobenen<br />

Weltanschauung, <strong>in</strong> <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Überfülle von Irrwegen vergangener Jahrzehnte zu<br />

e<strong>in</strong>em blendenden, beson<strong>der</strong>s die Jugend fasz<strong>in</strong>ierenden Mythos zusammengebaut<br />

s<strong>in</strong>d, dann würde Schweigen und Warten e<strong>in</strong>e Zustimmung und Verleugnung des<br />

Glaubens se<strong>in</strong>. <strong>Die</strong> <strong>Kirche</strong> kann auf Vere<strong>in</strong>e und Organisationen verzichten, selbst<br />

auf die wirtschaftliche Unterstützung des Staates, so schmerzlich es auch wäre,<br />

wenn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em überorganisierten Staatswesen diese Mittel <strong>der</strong> Religion entrissen<br />

würden, alle<strong>in</strong> sie kann niemals auf ihre ewige Führergabe verzichten, <strong>der</strong><br />

Leuchtturm <strong>der</strong> Wahrheit zu se<strong>in</strong> und zu bleiben <strong>in</strong> ruhigen, noch mehr <strong>in</strong> stürmisch<br />

bewegten Zeiten, wie es die Gegenwart ist.“ 78<br />

Drei Jahre später, nachdem <strong>der</strong> Zweite Weltkrieg schon ausgebrochen war, bekannte<br />

sich <strong>der</strong> Theologe Karl Adam noch vorbehaltloser zum Nationalsozialismus, als er<br />

schrieb „<strong>Die</strong> Zeit ist endgültig vorbei, wo <strong>der</strong> Nationalsozialismus nur als e<strong>in</strong>e von<br />

77 Alois Hudal: <strong>Die</strong> Grundlagen des Nationalsozialismus; E<strong>in</strong>e ideengeschichtliche<br />

Untersuchung. Leipzig, Wien: Günther 1937. S. 246 ff.<br />

78 Hudal: Grundlagen... S. 253.


vielen politischen Parteien vor uns stand. E<strong>in</strong> viel Tieferes, e<strong>in</strong> schlechth<strong>in</strong> Neues ist<br />

<strong>in</strong> ihm aufgebrochen: E<strong>in</strong>e neue Weise, die deutsche Wirklichkeit zu sehen, sie aus<br />

ihren Urgründen, aus <strong>der</strong> Eigenart des Blutes und des Volkstums zu begreifen, sie<br />

gegen alle fremde Art abzugrenzen und die rassischen Eigen- und Höchstwerte zum<br />

Aufbau e<strong>in</strong>es neuen Reiches e<strong>in</strong>zusetzen. Nun steht dieses neue dritte Reich vor uns,<br />

voll heißen Lebenswillens und Leidenschaft, voll unbändiger Kraft, voll<br />

schöpferischer Fruchtbarkeit. Wir Katholiken wissen uns als Glie<strong>der</strong> dieses Reiches<br />

und erblicken unsere höchste irdische Aufgabe <strong>in</strong> unserem <strong>Die</strong>nst am Reich ... Das<br />

deutsche Blut ist und bleibt <strong>der</strong> substanzielle Träger auch unserer christlichen<br />

Wirklichkeit ... Um des Gewissens willen dienen wir dem neuen Reich mit allen<br />

unseren Kräften, mag kommen, was will.“ 79<br />

Und es kam auch, was wollte, ja noch Schlimmeres als Adam sich möglicherweise<br />

vorstellen konnte, aber die <strong>Kirche</strong> hielt Hitler und se<strong>in</strong>em Regime unerschütterlich<br />

die Treue.<br />

ÖSTERREICH<br />

Der Zusammenbruch <strong>der</strong> Österreichisch-ungarischen Monarchie und <strong>der</strong> Sturz <strong>der</strong><br />

Dynastie Habsburg beraubte die <strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> Österreich ihrer stärksten Stützen. <strong>Die</strong><br />

führenden Vertreter <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> standen daher <strong>der</strong> jungen Republik hasserfüllt und<br />

ablehnend gegenüber, am heftigsten <strong>der</strong> spätere Salzburger Fürsterzbischof<br />

Sigismund Waitz, für den die Republik e<strong>in</strong> Werk <strong>der</strong> „gottlosen Freimaurerei“ war,<br />

e<strong>in</strong>e „Satanokratie“, <strong>der</strong> man zwar äußeren Gehorsam, jedoch ke<strong>in</strong>e Treue schuldete.<br />

Geschmeidigere Charaktere, wie beispielsweise <strong>der</strong> oberösterreichische Prälat<br />

Johann Nepomuk Hauser, <strong>der</strong> es mit se<strong>in</strong>em Gewissen vere<strong>in</strong>baren konnte, Kaiser<br />

Karl se<strong>in</strong>er Treue zu versichern und am nächsten Tag als Mitglied des<br />

Staatsdirektoriums den Eid auf die Republik zu schwören, fanden sich mit den<br />

Gegebenheiten ab. Für sie g<strong>in</strong>g es sehr bald darum, den jungen Staat dem<br />

<strong>katholischen</strong> E<strong>in</strong>fluss zu unterwerfen. Der führende Ideologe dieser Richtung war<br />

<strong>der</strong> Prälat Ignaz Seipel, <strong>der</strong> im Herbst des Jahres 1918 <strong>in</strong> mehreren Artikeln <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

katholisch-konservativen „Reichspost“ e<strong>in</strong> Bekenntnis <strong>der</strong> Katholiken zur Republik<br />

theologisch rechtfertigte. Nach Me<strong>in</strong>ung Seipels sei die alte Monarchie mit all ihren<br />

Fehlern dem Volke tatsächlich nicht mehr zuzumuten gewesen. Er warnte aber auch<br />

vor e<strong>in</strong>er undemokratischen o<strong>der</strong> nur sche<strong>in</strong>demokratischen Republik. <strong>Die</strong> wahre<br />

Demokratie könne nur e<strong>in</strong>e christliche se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>e, die <strong>der</strong> christlichen Auffassung<br />

vom Menschen, vom Volk und von <strong>der</strong> Souveränität entspreche.<br />

Wie diese Auffassungen aussahen, drückte am kompromisslosesten wohl Anton<br />

Orel aus, <strong>der</strong> unermüdlich propagierte, dass e<strong>in</strong>e Volksherrschaft nur im Namen<br />

Gottes ausgeübt werden könne, <strong>der</strong> <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zige Souverän sei. Demzufolge wäre<br />

denn auch das allgeme<strong>in</strong>e Wahlrecht nur e<strong>in</strong>e neuheidnische Erf<strong>in</strong>dung. Es könnte<br />

nämlich ke<strong>in</strong>e Gleichheit <strong>der</strong> Bürger vor dem Gesetz geben, da die Menschen doch<br />

von Natur aus ungleich wären und auch ungleiche Pflichten und Aufgaben zu<br />

erfüllen hätten. Wo die Pflichten ungleich wären, wären dementsprechend auch die<br />

79 Zitiert nach Deschner: Mit Gott... S. 127 f.


Rechte ungleich, was letztendlich nur bedeuten könne, dass <strong>der</strong> Gedanke <strong>der</strong><br />

Volkssouveränität e<strong>in</strong>e freche Empörung gegenüber Gott und Christus darstellt.<br />

Nachdem nun das Herrscherhaus als Stütze <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> durch die Revolution im<br />

November 1918 weggefegt worden war, erkor sie sich die Christlichsoziale Partei als<br />

Instrument zur politischen Durchsetzung ihrer Vorstellungen und Ansprüche. <strong>Die</strong><br />

<strong>Kirche</strong> unterstützte im Wahlkampf für die Nationalratswahlen am 16.2.1919 die<br />

Agitation <strong>der</strong> Christlichsozialen Partei mit wilden Angstparolen. So prangte am<br />

Vorabend <strong>der</strong> Wahlen an je<strong>der</strong> <strong>Kirche</strong>ntür folgen<strong>der</strong> Anschlag: „Morgen entscheidet<br />

es sich: Freie demokratische Republik - rote Anarchie; Selbstbestimmung des<br />

deutsch-österreichischen Volkes - Mitbestimmung undeutscher Elemente; Freiheit<br />

<strong>der</strong> Religionsausübung - <strong>Kirche</strong>nsturm; Hebung <strong>der</strong> Produktion - Züchtung <strong>der</strong><br />

Arbeitsscheu; christlich-soziale Reform - asiatischer Bolschewismus; Glückliche<br />

Zukunft - Chaos.“ 80<br />

<strong>Die</strong> enge Anlehnung <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> an die Christlichsoziale Partei führte schließlich <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Ansicht zu e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>swerdung von beiden. Der von <strong>der</strong><br />

Christlichsozialen Partei dom<strong>in</strong>ierte Staat sollte zum Hort <strong>der</strong> <strong>katholischen</strong> Religion<br />

werden wie umgekehrt e<strong>in</strong> Austritt aus <strong>der</strong> Christlichsozialen Partei als<br />

Demonstration von <strong>Kirche</strong>nfe<strong>in</strong>dlichkeit aufgefasst wurde.<br />

Der rechte Rand des politischen Spektrums <strong>in</strong> Österreich wurde kurz nach dem<br />

Krieg auch bald von e<strong>in</strong>er Zahl von Privatarmeen besetzt, die aus den<br />

Abwehrkämpfen <strong>in</strong> Kärnten und im Burgenland hervorgegangen waren und <strong>in</strong> den<br />

folgenden Jahren zur sogenannten „Heimwehr“, e<strong>in</strong>em <strong>in</strong> sich sehr une<strong>in</strong>heitlichen<br />

Gebilde, zusammenwuchsen. <strong>Die</strong> Anführer dieser Haufen, zumeist gesellschaftlich<br />

entwurzelte frühere Offiziere <strong>der</strong> kaiserlichen Armee, pflegten e<strong>in</strong>e unbestimmte,<br />

nebelhafte Ideologie, <strong>der</strong>en geme<strong>in</strong>samer Nenner die Ablehnung <strong>der</strong><br />

demokratischen Republik und <strong>der</strong> Kampf gegen die vaterlandsverräterische<br />

Sozialdemokratie und die jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung waren. Auch<br />

diesen Gruppen wandte die <strong>Kirche</strong> ihre Huld zu und versorgte sie mit Waffen <strong>der</strong><br />

alten Armee, die <strong>in</strong> ihren Klöstern gehortet worden waren.<br />

Im Jahre 1920, nachdem Ignaz Seipel zum E<strong>in</strong>flussreichsten Mann <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong><br />

Christlichsozialen Partei aufgestiegen war, hielt die Rechte den Augenblick für<br />

gekommen, die unter dem Druck <strong>der</strong> revolutionären Stimmung im Jahre 1918 mit<br />

den Sozialdemokraten e<strong>in</strong>gegangene Koalition zu beenden. Seipel betrieb <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Folge im Bündnis mit den Nationalen den systematischen Abbau <strong>der</strong><br />

Errungenschaften <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sozialpolitik, im Eherecht und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schulgesetzgebung,<br />

die die Koalitionsregierung erreichen hatte können. Seipels Ansicht nach war das<br />

vordr<strong>in</strong>glichste Problem <strong>der</strong> österreichischen Politik die „Seelensanierung“, die er<br />

mit den Worten umriss: „Alle unsere Reformarbeit wird uns nichts nützen, wenn<br />

wir nicht unablässig nach <strong>der</strong> Reform <strong>der</strong> Seelen streben und für sie wirken. Unser<br />

Volk braucht sicher noch auf lange h<strong>in</strong>aus e<strong>in</strong> mehr als gewöhnliches Maß von<br />

Seelenstärke. Es braucht e<strong>in</strong>en Zukunftsglauben, <strong>der</strong> se<strong>in</strong>e tiefsten Wurzeln nur im<br />

Gottesglauben f<strong>in</strong>det; es braucht e<strong>in</strong>en Opfers<strong>in</strong>n, den nur tief <strong>in</strong>nerlich erlebte<br />

80 Franz Josef Grobauer: <strong>Kirche</strong>, Ketzer Klerikale; Österreichs Katholiken zwischen<br />

Feimaurern und Neuheiden. Wien: Selbstverlag 1983. S. 40 f.


Gottesliebe e<strong>in</strong>zuflößen vermag.“ 81 <strong>Die</strong>se „Seelensanierung“ wollte Seipel mit e<strong>in</strong>er<br />

umfassenden Klerikalisierung des politischen und kulturellen Lebens erreichen.<br />

„Wenn die <strong>Kirche</strong> auf verschiedene Gebiete des Lebens übergreift, so geschieht dies<br />

nicht aus Herrschsucht o<strong>der</strong> Anmaßung, son<strong>der</strong>n aus dem Gefühl, dass sie damit<br />

<strong>der</strong> Welt nur das Reich Gottes und se<strong>in</strong>e Gerechtigkeit zu br<strong>in</strong>gen habe“ 82 ,<br />

rechtfertigte Seipel se<strong>in</strong>e Politik. E<strong>in</strong> Christentum, das nicht offensiv versucht, se<strong>in</strong>en<br />

Wertvorstellungen allgeme<strong>in</strong>e Anerkennung zu verschaffen, war <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Augen<br />

nur e<strong>in</strong> „Katakombenchristentum“.<br />

<strong>Die</strong> Sozialdemokratie war jedoch nicht bereit, die Seipelschen Seelensanierungspläne<br />

wi<strong>der</strong>spruchslos und wi<strong>der</strong>standslos h<strong>in</strong>zunehmen. <strong>Die</strong> Partei und ihre<br />

Vorfeldorganisationen, wie beispielsweise <strong>der</strong> Freidenkerbund, griffen heftig die<br />

unauflösliche Verquickung von religiöser Seelsorge und politischer Agitation an und<br />

for<strong>der</strong>ten ihre Mitglie<strong>der</strong> zum Austritt aus <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> auf. Der sozialdemokratische<br />

Abgeordnete Karl Leuthner klagte, um nur e<strong>in</strong> Beispiel von vielen herauszugreifen,<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Parlamentsrede im Jahre 1923 die Politisierung des Klerus an: „Alle <strong>Kirche</strong>n<br />

wi<strong>der</strong>hallen von Schmähworten gegen die Sozialdemokratie, von Haßreden gegen<br />

die Arbeiterschaft. Im Beichtstuhl wird vor allem an den Frauen Seelenfang<br />

getrieben. Und <strong>der</strong> Katechet <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule scheut davor nicht zurück, den<br />

Religionsunterricht <strong>in</strong> politische Propaganda zu verwandeln, durch die K<strong>in</strong><strong>der</strong> die<br />

Eltern politisch zu bee<strong>in</strong>flussen, ja die K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>der</strong> Arbeiter zum Ungehorsam gegen<br />

ihre eigenen Eltern aufzuhetzen ... Wo e<strong>in</strong> Priester kann, sagt er dem angeblich<br />

erhabensten Beruf <strong>der</strong> Seelsorge fröhlich Lebewohl und klettert behende auf den<br />

M<strong>in</strong>isterstuhl, rüstet sich mit e<strong>in</strong>em Mandat aus, o<strong>der</strong> vertauscht die mündliche<br />

Verleumdung <strong>der</strong> Sozialdemokratie von <strong>der</strong> Kanzel aus mit <strong>der</strong> schriftlichen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

christlichsozialen Redaktionsstube.“ 83<br />

Ignaz Seipel blieb von <strong>der</strong>lei Angriffen unberührt und betrieb unbeirrt se<strong>in</strong>e Politik<br />

<strong>der</strong> Spannung. E<strong>in</strong>erseits unterwarf er die sozialdemokratische Parteiarbeit<br />

adm<strong>in</strong>istrativen Zwängen, höhlte durch politische und f<strong>in</strong>anzielle Maßnahmen die<br />

Position des Roten Wien aus und duldete gewalttätige Provokationen <strong>der</strong><br />

Heimwehr, die immer mehr zu e<strong>in</strong>em Kle<strong>in</strong>krieg mit dem Republikanischen<br />

Schutzbund <strong>der</strong> Sozialdemokraten anschwollen und Dutzende Todesopfer und<br />

Verletzte for<strong>der</strong>ten. E<strong>in</strong>es dieser Geplänkel fand auch am 30.1.1927 <strong>in</strong> <strong>der</strong> kle<strong>in</strong>en<br />

burgenländischen Ortschaft Schattendorf statt, wobei Angehörige <strong>der</strong> Heimwehr e<strong>in</strong><br />

K<strong>in</strong>d und e<strong>in</strong>en alten Invaliden erschossen.<br />

<strong>Die</strong> Täter wurden vor Gericht gestellt, jedoch am 14.7.1927 von den Geschworenen<br />

freigesprochen. <strong>Die</strong>ser Freispruch war <strong>der</strong> Tropfen, <strong>der</strong> das Fass <strong>der</strong> politischen<br />

Leidenschaften zum Überlaufen brachte. Am Morgen des 15.7.1927 sammelten sich<br />

e<strong>in</strong>zelne demonstrierende Gruppen von Arbeitern, die alsbald zu e<strong>in</strong>er<br />

unüberschaubaren Massendemonstration anschwollen. <strong>Die</strong> Straßenzüge um<br />

Universität, Rathaus, Parlament und Justizpalast wurden Schauplatz von<br />

marschierenden Demonstranten, angreifen<strong>der</strong> berittener Polizei, flüchten<strong>der</strong> und<br />

81 Zitiert nach Grobauer, <strong>Kirche</strong>... S. 57 f.<br />

82 Zitiert nach Grobauer, <strong>Kirche</strong>... S. 93. <strong>Die</strong> Unterschiede zwischen den<br />

Vorstellungswelten des reaktionären Prälaten SEIPEL und rund fünfzig Jahre später des<br />

liberalen Kard<strong>in</strong>als KÖNIG s<strong>in</strong>d demnach gar nicht so groß.<br />

83 Zitiert nach Grobauer, <strong>Kirche</strong>... S. 67.


vorpreschen<strong>der</strong> Gruppen, bis schließlich am frühen Nachmittag <strong>der</strong> Justizpalast <strong>in</strong><br />

Flammen aufg<strong>in</strong>g. Endlich hatte Ignaz Seipel die Sozialdemokraten dort, wo er sie<br />

haben wollte - er konnte sie als marodierende, gewalttätige, plün<strong>der</strong>nde Haufen<br />

brandmarken. Er wies die Polizei an, sich aus Heeresbeständen zu bewaffnen und <strong>in</strong><br />

die Menge, <strong>der</strong>en Erregung von den sozialdemokratischen Führern nicht gedämpft<br />

werden konnte, zu schießen. Am Ende des Tages verzeichnete man 85 getötete<br />

Demonstranten und mehrere hun<strong>der</strong>t Verletzte. Kard<strong>in</strong>al Piffl richtete noch am<br />

selben Tag e<strong>in</strong> Glückwunschtelegramm an Polizeipräsident Schober. In <strong>der</strong><br />

Parlamentsdebatte zu den Ereignissen des 15.7.1927 schleu<strong>der</strong>te Seipel den<br />

sozialdemokratischen Abgeordneten entgegen: „Ziehen Sie e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>en<br />

Trennungsstrich zwischen e<strong>in</strong>er demokratischen Opposition und Beschützern von<br />

Revolten! Verlangen Sie nichts vom Parlament und von <strong>der</strong> Regierung, das den<br />

Opfern und Schuldigen an den Unglückstagen gegenüber milde sche<strong>in</strong>t, aber<br />

grausam gegenüber <strong>der</strong> Republik! Verlangen Sie nichts, was ausschauen könnte wie<br />

e<strong>in</strong> Freibrief für solche, die sich empören! Verlangen Sie nichts, was Demonstranten<br />

und denen, die sich ihnen anschließen, um zu plün<strong>der</strong>n und Häuser <strong>in</strong> Brand zu<br />

stecken, den Mut machen könnte, e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es Mal wie<strong>der</strong> so etwas zu tun, weil<br />

ihnen ohneh<strong>in</strong> nicht viel geschehen kann. Es liegt uns nichts ferner, als hart se<strong>in</strong> zu<br />

wollen, aber fest wollen wir se<strong>in</strong>. Fest se<strong>in</strong> heißt ebensowenig hart se<strong>in</strong>, als milde<br />

schwach se<strong>in</strong> heißen muss. Aber es muss für beides Tag und Stunde richtig gewählt<br />

se<strong>in</strong>.“ 84<br />

Es nützte nichts, dass die Sozialdemokraten nach dieser Rede Seipel als „Prälaten<br />

ohne Milde“ bezeichneten und dieses Wort <strong>in</strong> die politische Diskussion warfen. Der<br />

Prälat hatte gesehen, was er sehen wollte, nämlich, dass die Sozialdemokratie mit<br />

Gewalt nie<strong>der</strong>geworfen werden konnte und dass die Heimwehr bei <strong>der</strong>artigen<br />

Vorhaben e<strong>in</strong> wertvoller Helfer se<strong>in</strong> könnte. <strong>Die</strong> weitere Aufrüstung <strong>der</strong> Heimwehr<br />

wurde daher se<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>es Anliegen: „Wenn wir die Wi<strong>der</strong>sacher Christi<br />

aufmarschieren sehen mit besser organisierten und bewaffneten Gruppen, dann<br />

müssen wir nur alles tun, um die Mängel unserer eigenen Ausrüstung und<br />

Organisation zu beheben. <strong>Die</strong> wahre Liebe zum Volk muss sich gerade dar<strong>in</strong> zeigen,<br />

dass wir den Entscheidungskampf im Volk und für das Volk nicht scheuen.“ 85 Seipel<br />

distanzierte sich <strong>in</strong>nerlich immer mehr vom Parlamentarismus und wertete die<br />

Heimwehr auf, <strong>in</strong>dem er sie bei Feldmessen und Fahnenweihen als Schutztruppe<br />

gegen den gottlosen Marxismus feiern ließ.<br />

Am 15.5.1931 erließ Pius XI. se<strong>in</strong>e Enzyklika „Quadragesimo anno“, die von den<br />

Christlichsozialen mit um so größerer Begeisterung aufgenommen wurde, als aus<br />

den Wahlen des Jahres 1930 die Sozialdemokraten als die relativ stärkste Fraktion<br />

hervorgegangen waren. Auch <strong>der</strong> österreichische Episkopat äußerte freudige<br />

Zustimmung zu dem päpstlichen Rundschreiben und ermunterte die österreichische<br />

Katholische Aktion zu reger Vere<strong>in</strong>stätigkeit und verstärkter Pressearbeit. <strong>Die</strong><br />

Christlichsoziale Partei nahm die Enzyklika zu Anlass, um ihr Parteiprogramm zu<br />

überarbeiten. Der Grundgedanke des neuen Programms war, dass die weitere enge<br />

Verflechtung von Staat und <strong>Kirche</strong> nur zum Vorteil bei<strong>der</strong> gereichen könnte. Denn<br />

nur die <strong>Kirche</strong> könne dem Sittenverfall E<strong>in</strong>halt gebieten, <strong>der</strong> durch Dispensehen 86 ,<br />

84 Zitiert nach Grobauer, <strong>Kirche</strong>... S. 89.<br />

85 Zitiert nach Grobauer, <strong>Kirche</strong>... S. 94.<br />

86 Der sozialdemokratische Landeshauptmann von Nie<strong>der</strong>österreich, Albert SEVER, hatte<br />

e<strong>in</strong>en Weg gefunden, durch Verwaltungsverfahren von <strong>der</strong> Unauflöslichkeit <strong>der</strong> Ehe zu


Rückgang <strong>der</strong> Geburten, <strong>der</strong> als Folge <strong>der</strong> von den Sozialdemokraten betriebenen<br />

Propaganda zur „Verhütung des natürlichen und von Gott gewollten Zweckes <strong>der</strong><br />

Ehe“ gesehen und nicht als Folge des Massenelends <strong>der</strong> Weltwirtschaftskrise, das<br />

viele Paare von <strong>der</strong> Zeugung von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n abhielt o<strong>der</strong> zur Abtreibung zwang,<br />

erkannt wurde, durch Nacktkultur, Unsittlichkeit <strong>in</strong> Literatur, Film, Theater und<br />

Presse und nicht zuletzt durch das von den Sozialdemokraten geför<strong>der</strong>te<br />

geme<strong>in</strong>same Wan<strong>der</strong>n allzu junger Paare bereits „grauenvolle Formen“<br />

angenommen habe. <strong>Die</strong> Heimwehren, vor allem um Ernst Rüdiger Starhemberg,<br />

fühlten sich durch die Enzyklika <strong>in</strong> ihrem Bestreben nach e<strong>in</strong>er Verständigung mit<br />

dem aufsteigenden Nationalsozialismus, <strong>der</strong> seit dem Jahre 1923 schon <strong>in</strong><br />

verschiedenen Landtagen vertreten war, bestätigt. Und nicht zuletzt brachte die<br />

Enzyklika auch die For<strong>der</strong>ung nach dem Abschluss e<strong>in</strong>es Konkordats zwischen<br />

Österreich und dem Vatikan nach sich, <strong>in</strong> dem Kard<strong>in</strong>al-Staatssekretär Eugenio<br />

Pacelli nach dem Muster <strong>der</strong> Lateranverträge die staatliche Besoldung <strong>der</strong> Bischöfe<br />

und an<strong>der</strong>er Hierarchen, die Nichtanerkennung <strong>der</strong> Zivilehe sowie e<strong>in</strong>ige<br />

eherechtliche und schulrechtliche Fragen und vermögensrechtliche Probleme<br />

enthalten sehen wollte. Der Salzburger Fürsterzbischof Waitz arbeitete auch schon<br />

e<strong>in</strong>en Entwurf aus, dem die Bundesregierung <strong>in</strong> <strong>der</strong> richtigen E<strong>in</strong>schätzung, dass sie<br />

für e<strong>in</strong> <strong>der</strong>artiges Konkordat we<strong>der</strong> die Zustimmung <strong>der</strong> Sozialdemokraten noch<br />

ihres Koalitionspartners, <strong>der</strong> Deutschnationalen, erhalten würde, nicht näher trat.<br />

<strong>Die</strong> Lage sollte sich, von <strong>der</strong> Warte <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> aus gesehen, zum Besseren wenden,<br />

als am 20.5.1932 Engelbert Dollfuss zum Bundeskanzler bestellt wurde. Dollfuss trat<br />

se<strong>in</strong> Amt an mit <strong>der</strong> Absicht: „Wir müssen <strong>in</strong> Österreich dem Katholizismus über<br />

se<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>wirkung auf den e<strong>in</strong>zelnen h<strong>in</strong>aus Raum und Möglichkeit geben, <strong>in</strong><br />

unserem öffentlichen Leben nicht nur verankert zu werden, son<strong>der</strong>n staatsgestaltend<br />

sich zu äußern.“ 87<br />

Dollfuss, <strong>der</strong> im Nationalrat nach dem Wahlsieg <strong>der</strong> Sozialdemokraten mit se<strong>in</strong>er<br />

Regierungskoalition nur über e<strong>in</strong>e Mehrheit von e<strong>in</strong>er Stimme verfügte, suchte nach<br />

e<strong>in</strong>er Möglichkeit, die für ihn zu langwierigen und wegen <strong>der</strong> Stimmenverhältnisse<br />

auch recht unberechenbaren parlamentarischen Verfahrensweisen zu umgehen, und<br />

fand sie im Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz des Jahrs 1917, das noch<br />

immer geltendes Recht war. <strong>Die</strong>ses Gesetz räumte <strong>der</strong> Regierung e<strong>in</strong> kaum<br />

beschränktes Notverordnungsrecht e<strong>in</strong>, von dem Dollfuss am 1.10.1932 zum ersten<br />

Mal Gebrauch machte. Bis zum April 1934 sollten noch weitere 470<br />

Notverordnungen folgen. Zur weiteren Festigung se<strong>in</strong>er Position g<strong>in</strong>g Dollfuss e<strong>in</strong><br />

engeres Bündnis mit <strong>der</strong> Heimwehr e<strong>in</strong>, <strong>in</strong>dem er den Wiener Heimwehrführer Emil<br />

Fey <strong>in</strong> die Bundesregierung aufnahm. <strong>Die</strong> Heimwehr übernahm <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge immer<br />

mehr exekutive und hilfspolizeiliche Aufgaben und wuchs sich mit <strong>der</strong> Zeit zu e<strong>in</strong>er<br />

Nebenregierung <strong>der</strong> „Hahnenschwanzler“ 88 aus.<br />

Im Oktober 1932 wurde <strong>der</strong> frühere Rektor <strong>der</strong> Wiener Universität und<br />

Sozialm<strong>in</strong>ister Theodor Innitzer Erzbischof von Wien. Innitzer war deutschnational<br />

ges<strong>in</strong>nt und beschwor <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Reden wie<strong>der</strong>holt die Bedeutung <strong>der</strong> geme<strong>in</strong>samen<br />

tausendjährigen Geschichte des deutschen Volkes <strong>in</strong> Deutschland und Österreich. Er<br />

dispensieren und Geschiedenen die Möglichkeit <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>verheiratung zu geben. <strong>Die</strong>se<br />

Ehen wurden Dispensehen genannt.<br />

87 Zitiert nach Grobauer, <strong>Kirche</strong>... S. 127.<br />

88 Spitzname für Heimwehrführer, die die Schwanzfe<strong>der</strong>n des Auerhahnes an ihren<br />

Uniformkappen trugen.


traf sich hier mit Dollfuss, für den deutsch und österreichisch ebenfalls ke<strong>in</strong>e<br />

gegensätzlichen Begriffe waren.<br />

Seit se<strong>in</strong>em Regierungsantritt hatte Dollfuss immer wie<strong>der</strong> nach e<strong>in</strong>er Möglichkeit<br />

gesucht, sich des ihm lästigen Parlaments zu entledigen. <strong>Die</strong>se Gelegenheit boten<br />

ihm die Parlamentarier unbeabsichtigt am 4.3.1933. Im Zuge e<strong>in</strong>er erregten Debatte<br />

über Strafmaßnahmen gegen streikende Eisenbahner legten, um jeweils ihren<br />

Fraktionen die Stimmenmehrheit zu sichern, <strong>der</strong> sozialdemokratische Erste<br />

Präsident des Nationalrats Karl Renner, dann <strong>der</strong> christlichsoziale Zweite Präsident<br />

Rudolf Ramek, schließlich auch noch <strong>der</strong> großdeutsche Dritte Präsident Sepp<br />

Straffner ihre Funktionen zurück. Dollfuss nutzte se<strong>in</strong>e Chance. Er verkündete, dass<br />

<strong>der</strong> Nationalrat sich selbst aufgelöst hätte, verh<strong>in</strong><strong>der</strong>te e<strong>in</strong>en Wie<strong>der</strong>zusammentritt<br />

<strong>der</strong> Abgeordneten durch Polizeie<strong>in</strong>satz und deutete diese Panne <strong>der</strong><br />

parlamentarischen Geschäftsordnung als „F<strong>in</strong>gerzeig Gottes’“, sich auf den<br />

autoritären Weg zu begeben. Der katholische Bundespräsident Wilhelm Miklas<br />

bestärkte ihn dar<strong>in</strong> und Erzbischof Innitzer rechtfertigte diesen Staatsstreich am<br />

2.4.1933 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Rede vor <strong>der</strong> Generalversammlung des Katholischen<br />

Männervere<strong>in</strong>s mit den Worten. „Wir dürfen uns freuen und begrüßen, dass <strong>in</strong><br />

unserem österreichischen Vaterlande tatkräftige katholische Männer an <strong>der</strong> Spitze<br />

des Staates den Kampf gegen die Bolschewisierung und Atomisierung <strong>der</strong><br />

menschlichen Gesellschaft, für die Erneuerung e<strong>in</strong>es gesunden Geme<strong>in</strong>schaftsgeistes<br />

und des gesamten österreichischen Volkstums aufgenommen haben. Männer, die <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er unerschütterlichen <strong>katholischen</strong> Weltanschauung die sicherste Orientierung für<br />

ihr Wirken im <strong>Die</strong>nste des Volkes besitzen. Solchen Männern müssen wir helfen.<br />

H<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>e solche Regierung müssen wir uns geschlossen stellen!“ 89<br />

Nachdem er das H<strong>in</strong><strong>der</strong>nis des Parlaments aus dem Wege geräumt hatte, g<strong>in</strong>g<br />

Dollfuss daran, Österreich zu e<strong>in</strong>en <strong>faschistischen</strong> Staat nach italienischem Muster<br />

umzugestalten. Bevor er se<strong>in</strong>e nächsten <strong>in</strong>nenpolitischen Schritte setzte, sicherte er<br />

sich außenpolitisch auf zweifache Weise ab: E<strong>in</strong>erseits erkaufte er sich gegen die<br />

Zusicherung die österreichische Sozialdemokratie zu vernichten, die Unterstützung<br />

Mussol<strong>in</strong>is <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Kampf gegen die Nationalsozialisten, die seit Hitlers<br />

Machtübernahme im Deutschen Reich immer unverhohlener den Anschluß<br />

Österreichs for<strong>der</strong>ten und mit Wellen von Terroranschlägen <strong>in</strong> Österreich das<br />

<strong>in</strong>nenpolitische Klima hierfür vorbereiten wollten; an<strong>der</strong>erseits ließ er durch se<strong>in</strong>en<br />

Justizm<strong>in</strong>ister Kurt Schuschnigg mit Kard<strong>in</strong>al-Staatssekretär Pacelli e<strong>in</strong> für die<br />

<strong>Kirche</strong> sehr vorteilhaftes Konkordat aushandeln, das am 5.6.1933 von Dollfuss,<br />

Schuschnigg und Pacelli <strong>in</strong> Rom unterzeichnet wurde. Was Dollfuss eigentlich hätte<br />

zu denken geben müssen, war, dass Pacelli se<strong>in</strong>e For<strong>der</strong>ung, die päpstliche Presse<br />

möge e<strong>in</strong>e Nichtanerkennung des Nationalsozialismus zum Ausdruck br<strong>in</strong>gen,<br />

ablehnte. Pacelli stand <strong>in</strong> dieser Zeit ja bereits auch vor dem Abschluß des<br />

Konkordats mit dem Deutschen Reich, das für ihn e<strong>in</strong>en wesentlich bedeuten<strong>der</strong>en<br />

Stellenwert hatte als das mit Österreich.<br />

<strong>Die</strong> Kontakte mit Mussol<strong>in</strong>i hatten sich nicht nur auf den Austausch verbaler<br />

Zusicherungen beschränkt, son<strong>der</strong>n sie brachten Dollfuss auch die nötigen<br />

f<strong>in</strong>anziellen Mittel zum Aufbau <strong>der</strong> sogenannten „Vaterländischen Front“. Schon<br />

bald nach Hitlers Machtantritt hatte Starhemberg gegenüber Dollfuss die<br />

89 Zitiert nach Grobauer, <strong>Kirche</strong>... S. 135 f.


Notwendigkeit und Aufgabe e<strong>in</strong>er <strong>der</strong>artigen Massenorganisation erläutert: „Wir<br />

müssen den Österreichern zeigen, dass es e<strong>in</strong>e österreichische Kraft gibt. Der<br />

Österreicher muss das Gefühl bekommen, dass es e<strong>in</strong>e Kraft gibt, die ihn vor den<br />

Nazis beschützt, und <strong>der</strong> Wankelmütige, vor allem <strong>der</strong> Beamte, <strong>der</strong> Offizier, <strong>der</strong><br />

Gendarm und <strong>der</strong> Polizist muss <strong>in</strong> Zweifel versetzt werden, vor wem er mehr Angst<br />

haben muss. Vor uns o<strong>der</strong> vor den Nazis ... Wir müssen dem nationalsozialistischen<br />

Terror e<strong>in</strong>en noch ärgeren Terror entgegensetzen.“ 90<br />

Nachdem Dollfuss mit <strong>der</strong> Verh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung des Maiaufmarsches im Jahre 1933 e<strong>in</strong>e<br />

weitere Machtprobe mit den Sozialdemokraten gewonnen hatte, organisierte er mit<br />

dem italienischen Geld am 14.5.1933 e<strong>in</strong>e als Türkenbefreiungsfeier getarnte<br />

Großkundgebung von rund 250.000 Heimwehrangehörigen, um zu sehen, wie die<br />

Sozialdemokraten dieser Provokation <strong>in</strong> ihrer Hochburg Wien begegnen würden.<br />

<strong>Die</strong> Sozialdemokraten blieben ruhig, und Dollfuss sah den Weg frei für den<br />

nächsten Schritt.<br />

Von 9. bis 12.9.1933 fand <strong>in</strong> Wien e<strong>in</strong> Gesamtdeutscher Katholikentag statt als<br />

historisches Gedenken an den 250. Jahrestag <strong>der</strong> Befreiung Wiens von <strong>der</strong><br />

Türkenbelagerung des Jahres 1683. Der Katholikentag sollte zu e<strong>in</strong>er Demonstration<br />

des politischen Katholizismus werden, <strong>der</strong> wie damals gegen die Türken nun gegen<br />

den Bolschewismus und Marxismus zu Felde ziehen sollte. In diesem S<strong>in</strong>ne for<strong>der</strong>te<br />

<strong>der</strong> päpstliche Legat Pietro La Fonta<strong>in</strong>e die Teilnehmer auf: „Wir müssen mit<br />

geme<strong>in</strong>samem Gebet zu Gott und unter Zusammenfassung aller Kräfte dieser<br />

S<strong>in</strong>tflut von Übeln und Gefahren e<strong>in</strong>en Wall entgegensetzen.“ 91 Dollfuss kündigte <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er Ansprache e<strong>in</strong>en Aufbau des Staates nach den Richtl<strong>in</strong>ien <strong>der</strong> Enzyklika<br />

„Quadragesimo anno“ an, <strong>in</strong>dem er sagte: „Wir haben den Ehrgeiz, das erste Land<br />

zu se<strong>in</strong>, das dem Rufe dieser herrlichen Enzyklika wirklich im Staatsleben Folge<br />

leistet.“ 92 Den Höhepunkt des Katholikentages bildete am 11.9.1933 <strong>der</strong> erste<br />

Generalappell <strong>der</strong> Vaterländischen Front auf dem Wiener Trabrennplatz, wo<br />

Dollfuss se<strong>in</strong>e künftigen politischen Ziele <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er großangelegten Rede darlegte.<br />

Unter an<strong>der</strong>em führte er aus: „Das Parlament hat sich selbst ausgeschaltet, ist an<br />

se<strong>in</strong>er eigenen Demagogie und Formalistik zugrunde gegangen. <strong>Die</strong>ses Parlament,<br />

e<strong>in</strong>e solche Volksvertretung, e<strong>in</strong>e solche Führung unseres Volkes wird und darf nie<br />

wie<strong>der</strong> kommen ... <strong>Die</strong> Zeit <strong>der</strong> Parteienherrschaft ist vorbei, wir lehnen<br />

Gleichschalterei und Terror ab, wir wollen den sozialen, christlichen, deutschen<br />

Staat Österreich auf ständischer Grundlage, unter starker, autoritärer Führung.“ 93 ...<br />

Wenn ich nicht von dem tiefen Glauben durchdrungen wäre, dass <strong>der</strong> Weg, den wir<br />

gehen, uns von oben als Pflicht gegeben ist..., dann hätte ich nicht die <strong>in</strong>nere<br />

seelische Kraft so zu sprechen und Euch auf diesem Weg voranzugehen. Gott will<br />

es!“ 94 Wenn schon nicht Gott, so wollte es zum<strong>in</strong>dest <strong>der</strong> Papst so. In e<strong>in</strong>er Ansprache<br />

gegen Ende Oktober 1933 vor österreichischen Pilgern brachte Pius XI. dies zum<br />

90 Hellmut Andics: Der Staat, den ke<strong>in</strong>er wollte; Österreich von <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong><br />

Republik bis zur Moskauer Deklaration. Wien, München: Molden Taschebbuch-Verlag<br />

1976. S. 187 f.<br />

91 Zitiert nach Grobauer, <strong>Kirche</strong>... S. 162.<br />

92 Zitiert nach Grobauer, <strong>Kirche</strong>... S. 162.<br />

93 Emmerich Tálos - Wolfgang Neugebauer (Hgg.): „Austrofaschismus“; Beiträge über<br />

Politik, Ökonomie und Kultur 1934 - 1938. Wien: Verlag für Gesellschaftskritik 1984. S.<br />

43.<br />

94 Zitiert nach Grobauer, <strong>Kirche</strong>... S. 163.


Ausdruck, <strong>in</strong> dem er im H<strong>in</strong>blick auf den Katholikentag ausführte: „Es ist e<strong>in</strong><br />

mächtiger Segen für die so vornehmen Männer, die Österreich <strong>in</strong> diesen Tagen<br />

regieren, die Österreich so gut, so entschieden, so christlich regieren. <strong>Die</strong>se Männer<br />

haben wahrhaft christliche Gedanken, e<strong>in</strong>e christliche Überzeugung, sie geben e<strong>in</strong> so<br />

hochwertiges Zeugnis ihrer christlichen Überzeugung ... Wir beten zu Unserem<br />

gütigen Gott..., er möge diesen so christlichen, so hochherzigen Männern immer<br />

beistehen, wie er es bisher getan hat.“ 95<br />

<strong>Die</strong> Frage des Papstes: „Sitzen die Roten noch immer im Rathaus?“ 96 , wie auch das<br />

Drängen Mussol<strong>in</strong>is, <strong>der</strong> Sozialdemokratie den Garaus zu machen, ließen Dollfuss,<br />

Fey, Starhemberg und an<strong>der</strong>e immer offener die Möglichkeit e<strong>in</strong>er gewaltsamen<br />

Bere<strong>in</strong>igung dieser Frage diskutieren. Schritt um Schritt betrieb die Bundesregierung<br />

die Demontage <strong>der</strong> Sozialdemokratie, die vor dem H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> Erfahrungen<br />

aus dem Jahre 1927 immer weiter zurückwich und unentwegt versuchte, mit <strong>der</strong><br />

Regierung <strong>in</strong>s Gespräch zu kommen. Otto Bauer, <strong>der</strong> Führer <strong>der</strong> Religiösen<br />

Sozialisten, g<strong>in</strong>g sogar so weit, kirchliche Funktionäre um e<strong>in</strong>e Vermittlung zu<br />

ersuchen. Innitzer speiste ihn mit unverb<strong>in</strong>dlichen Worten ab, Nuntius Enrico Sibilia<br />

und die Bischöfe Waitz und Gföllner vertraten e<strong>in</strong>e harte L<strong>in</strong>ie, und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

kurzen, dramatischen Gespräch enthüllte <strong>der</strong> Jesuit Georg Bichlmair gegenüber Otto<br />

Bauer die wahre E<strong>in</strong>stellung se<strong>in</strong>er Kreise:<br />

Bichlmair: „Nehmen Sie zur Kenntnis, dass mit <strong>der</strong> Sozialdemokratie Schluß<br />

gemacht wird. - Sie glauben also, dass die Arbeiterschaft Wi<strong>der</strong>stand leisten wird?<br />

Wieviele Tote wird es Ihrer Me<strong>in</strong>ung nach geben?“<br />

Bauer: „M<strong>in</strong>destens dreimal soviel als am 15.7.1927.“<br />

Bichlmair: „So ungefähr habe ich es mir auch vorgestellt. Es gibt Situationen, <strong>in</strong><br />

denen man so etwas <strong>in</strong> Kauf nehmen muss.“ 97<br />

Am 21.12.1933 erließt Innitzer e<strong>in</strong>en Weihnachtshirtenbrief, <strong>in</strong> dem er die Gläubigen<br />

zur Treue gegenüber <strong>der</strong> Regierung aufrief, denn alle Obrigkeit komme von Gott,<br />

demnach sei auch <strong>der</strong> gottlose, unchristliche Gedanke <strong>der</strong> Volkssouveränität zu<br />

verwerfen. Weiters drückte <strong>der</strong> Erzbischof <strong>der</strong> Regierung Dankbarkeit und Lob aus<br />

und versicherte sie <strong>der</strong> weiteren moralischen Unterstützung durch die <strong>Kirche</strong>.<br />

Angesichts dieses Freibriefes versuchte am 6.1.1934 <strong>der</strong> e<strong>in</strong>er gewaltsamen Lösung<br />

abgeneigte Bundespräsident Miklas, Dollfuss <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Brief von se<strong>in</strong>en<br />

Bürgerkriegsplänen abzubr<strong>in</strong>gen: „Mag se<strong>in</strong>, Herr Bundeskanzler, dass es Ihnen<br />

nach e<strong>in</strong>em harten <strong>in</strong>nenpolitischen Kampf, <strong>der</strong> kaum ohne Blutvergießen zu dem<br />

von Ihnen gewünschten Ende führen kann, gel<strong>in</strong>gen wird, die Machtstellung Ihrer<br />

politischen Gegner, <strong>der</strong> Sozialdemokraten, zu zerstören und die sozialdemokratische<br />

Arbeiterschaft von ihren bisherigen Führern zu befreien. Aber Sie werden damit<br />

diese Massen nicht im ger<strong>in</strong>gsten für e<strong>in</strong> Ihnen genehmes Staatsregime gew<strong>in</strong>nen,<br />

son<strong>der</strong>n vielmehr bei <strong>der</strong> Grundstimmung, die ich <strong>in</strong> Österreich wahrnehme, nur<br />

dem äußersten Radikalismus von l<strong>in</strong>ks und rechts, dem Kommunismus aber auch<br />

dem Österreichs Bestand bedrohenden Nationalsozialismus <strong>in</strong> die Arme getrieben<br />

haben. Herr Bundeskanzler! Ich halte es für me<strong>in</strong>e Gewissenspflicht, Sie vor<br />

95 Zitiert nach Grobauer, <strong>Kirche</strong>... S. 165 f.<br />

96 Zitiert nach Grobauer, <strong>Kirche</strong>... S. 168.<br />

97 Zitiert nach Grobauer, <strong>Kirche</strong>... S. 181.


überspitzten Entscheidungen zu warnen. Im Herzen Europas, <strong>in</strong> Österreich, kann es<br />

nur friedliche Lösungen geben, soll nicht unabsehbares Unheil über uns und die<br />

Welt here<strong>in</strong>brechen.“ 98 Miklas wandte sich mit e<strong>in</strong>em Brief ähnlichen Inhalts auch an<br />

Innitzer, <strong>der</strong> ihn mit dem abfälligen Urteil quittierte: „Der Miklas ist doch e<strong>in</strong><br />

richtiger Skrupulant.“ 99<br />

Für den Februar 1934 plante Dollfuss den letzten entscheidenden Schlag gegen die<br />

Sozialdemokratie: Ihre Vertreter sollten auch aus den Landtagen entfernt werden.<br />

Der Februar war angefüllt mit Besprechungen zwischen Dollfuss und den<br />

Heimwehrführern, von provokanten Waffensuchen <strong>in</strong> sozialdemokratischen<br />

Parteilokalen und allerlei sonstigen Übergriffen. <strong>Die</strong>se Strategie <strong>der</strong> Spannung sollte<br />

die Sozialdemokratie zu e<strong>in</strong>er Unbedachtsamkeit h<strong>in</strong>reißen, die für Dollfuss den<br />

Vorwand zum Zuschlagen bieten würde. Am 11.2.1934 richtete <strong>der</strong> Heimwehrführer<br />

Emil Fey nach e<strong>in</strong>er Übung se<strong>in</strong>er Leute <strong>in</strong> Langenzersdorf e<strong>in</strong>e Ansprache an die<br />

Mannschaften, <strong>in</strong> <strong>der</strong> er unter an<strong>der</strong>em sagte. „<strong>Die</strong> Aussprachen von gestern und<br />

vorgestern haben uns Gewißheit gegeben, dass Kanzler Dollfuß <strong>der</strong> Unsrige ist. Ich<br />

kann auch noch mehr, wenn auch nur <strong>in</strong> kurzen Worten sagen: Wir werden morgen<br />

an die Arbeit gehen und wir werden ganze Arbeit leisten für unser Vaterland.“ 100<br />

Am Morgen des 12.2.1934 versuchten Polizeikräfte des Lokal <strong>der</strong> L<strong>in</strong>zer<br />

Sozialdemokraten, das Hotel Schiff, nach Waffen zu durchsuchen. Der<br />

Schutzbundkommandant Richard Bernaschek gab Befehl zum bewaffneten<br />

Wi<strong>der</strong>stand. Der von Dollfuss gewünschte Bürgerkrieg war da! <strong>Die</strong> Kämpfe<br />

dauerten bis zum 15.2.1934 und endeten mit über tausend Toten, willkürlichen<br />

Gefangenenerschießungen und standrechtlichen H<strong>in</strong>richtungen, wobei das Regime<br />

sich nicht scheute, den schwerverwundeten Schutzbundkommandanten Karl<br />

Münichreiter auf <strong>der</strong> Tragbahre zum Galgen schleppen zu lassen.<br />

Pius XI. übermittelte <strong>der</strong> Regierung am 15.2.1934 se<strong>in</strong>en apostolischen Segen.<br />

<strong>Die</strong> siegreiche Regierung handelte ganz nach <strong>der</strong> klassischen Devise „Wehe den<br />

Besiegten“. Neben ungezählten Gewalttaten mussten die geschlagenen Arbeiter<br />

auch noch Spott und Hohn über sich ergehen lassen. So antwortete Innitzers Sekretär<br />

und spätere Wiener Weihbischof Jacob We<strong>in</strong>bacher e<strong>in</strong>em „parteilosen Christen“,<br />

<strong>der</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Brief an den Kard<strong>in</strong>al-Erzbischof se<strong>in</strong>er Erschütterung über die<br />

Brutalität <strong>der</strong> christlichen Regierung Ausdruck verliehen hatte. „Wenn Sie mit den<br />

Aufständischen arme Arbeiter gleichstellen, dann glaube ich, werden zuallererst die<br />

Arbeiter selbst protestieren. Nicht die Arbeiter s<strong>in</strong>d es, gegen die man sich <strong>in</strong> diesen<br />

Tagen wehren muss, sollte nicht ganz Wien brennen, son<strong>der</strong>n gewissenlose<br />

Elemente, die mutwillig zum Angriff gegen bestehende Ordnung vorg<strong>in</strong>gen ... Als<br />

die Revolution ja ganz unvermittelt losbrach und <strong>in</strong> solcher Stärke anhielt, haben<br />

viele ruhig arbeitende Leute um alles gebangt. Wer sollte sie vor <strong>der</strong> Gefahr<br />

schützen? Doch die Regierung, von <strong>der</strong> es je<strong>der</strong> verlangte, und sie tat es, und erst als<br />

die gewöhnlichen Mittel nicht ausreichten und Soldaten und Polizisten e<strong>in</strong>fach<br />

bl<strong>in</strong>dl<strong>in</strong>gs nie<strong>der</strong>gepfeffert wurden, während sie nur das Leben ihrer Mitmenschen<br />

verteidigten, hat man auch zu den schärfsten Mitteln gegriffen. Wenn Frauen und<br />

98 Zitiert nach Andics, Der Staat... S. 194.<br />

99 Zitiert nach Andics, Der Staat... S. 191.<br />

100 Zitiert nach Andics, Der Staat... S. 195.


K<strong>in</strong><strong>der</strong> dabei verletzt wurden, geschah das nur dort, wo man verantwortungslos die<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Frauen vorstellte und dah<strong>in</strong>ter schoß.“ 101 Es fragt sich, ob an diesem Brief<br />

die Häme o<strong>der</strong> die Nie<strong>der</strong>tracht größer ist.<br />

<strong>Die</strong> christliche Presse sparte selbstverständlich auch nicht mit Kommentaren zu den<br />

Ereignissen <strong>der</strong> Februartage. So schreib beispielsweise <strong>der</strong> burgenländische<br />

„Pfarrbote“ unter dem Titel „Wien das drittemal von den Christenfe<strong>in</strong>den befreit“:<br />

„Das erstemal war es am 16. Oktober 1529, als Sultan Soliman <strong>der</strong> Große die<br />

Belagerung abbrach und nach dem Balkan zurückkehrte ... Das zweitemal war es am<br />

12. September 1683. Vor kaum drei Monaten haben wir <strong>in</strong> Frauenkirchen im Beise<strong>in</strong><br />

Se<strong>in</strong>er Em<strong>in</strong>enz des Herrn Kard<strong>in</strong>al-Erzbischofs von Wien Dr. Innitzer die 250.<br />

Wie<strong>der</strong>kehr dieses denkwürdigen Jahrestages gefeiert ... Und zum drittenmal wurde<br />

Wien von den Fe<strong>in</strong>den des Kreuzes befreit <strong>in</strong> den Tagen vom 12. bis 15. Februar<br />

1934. Zwar waren die Fe<strong>in</strong>de diesmal nicht die Türken, son<strong>der</strong>n die<br />

Sozialdemokraten, das heißt, <strong>der</strong> von <strong>der</strong> sozialdemokratischen Partei mit<br />

mo<strong>der</strong>nsten Mordwaffen ausgerüstete ‘Republikanische Schutzbund’ - e<strong>in</strong> Fe<strong>in</strong>d, <strong>der</strong><br />

an Haß gegen das Christentum ke<strong>in</strong>eswegs h<strong>in</strong>ter den Türken zurückstand ... Wißt<br />

ihr, was über Wien und über ganz Österreich gekommen wäre, wenn die<br />

Machtmittel des Staates und se<strong>in</strong>er freiwilligen Helfer versagt hätten? E<strong>in</strong>e rote<br />

bolschewistische Schreckensherrschaft nach dem Muster Sovjet-Russlands, Räte-<br />

Ungarns, Spaniens und Mexikos, furchtbar wie nur Pöbelherrschaft furchtbar se<strong>in</strong><br />

kann - allerd<strong>in</strong>gs nicht von langer Dauer, weil ihr fremde Truppen bald e<strong>in</strong> Ende<br />

bereitet hätten. Was aber aus <strong>der</strong> E<strong>in</strong>mischung <strong>der</strong> fremden Mächte hätte entstehen<br />

können und wahrsche<strong>in</strong>lich entstanden wäre, das auszudenken versagt die<br />

Phantasie. Hun<strong>der</strong>t und mehr Gründe sprechen dafür, dass Österreich und<br />

vermutlich auch Europa e<strong>in</strong> ungeheures Leichenfeld geworden wäre, vom Geheul<br />

<strong>der</strong> roten Hyänen aus Asien erfüllt.“ 102 Dank des Heldenmutes von Dollfuss und<br />

se<strong>in</strong>en christlichen Streitern ist dieses apokalyptische Schicksal den Lesern des<br />

Pfarrboten noch e<strong>in</strong>mal erspart geblieben. Sie mögen ihnen daher ihre Dankbarkeit<br />

nicht versagen.<br />

Der Sieg <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vaterländischen Front versammelten christlichen Heerscharen<br />

bestärkte die <strong>Kirche</strong>nführung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Überzeugung, dass e<strong>in</strong> Weiterbestand <strong>der</strong><br />

Christlichsozialen Partei als weltlicher Arm <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> nicht mehr erfor<strong>der</strong>lich sei<br />

und sie daher aufgelöst werden könnte. <strong>Die</strong> österreichische <strong>Kirche</strong> beschritt hiemit<br />

den Weg, auf dem ihr schon die italienische und die deutsche <strong>Kirche</strong> vorangegangen<br />

waren.<br />

<strong>Die</strong> ersten Äußerungen <strong>in</strong> diese Richtung tat Kard<strong>in</strong>al Innitzer bereits im Rahmen<br />

e<strong>in</strong>er Kleruskonferenz am 2.10.1933, auf <strong>der</strong> <strong>der</strong> Katholikentag analysiert wurde.<br />

Innitzer erklärte, dass nun überzeugungstreue Katholiken an <strong>der</strong> Spitze des Staates<br />

stünden, sodass e<strong>in</strong>e weitere Mitarbeit von Priestern <strong>in</strong> <strong>der</strong> Politik nicht mehr<br />

erfor<strong>der</strong>lich sei. Am 30.11.1933 kam <strong>der</strong> endgültige bischöfliche Erlaß heraus, dass<br />

sich Priester aus allen politischen Funktionen zurückziehen müßten, womit die<br />

Christlichsoziale Partei <strong>in</strong>s Mark getroffen wurde. Es war daraufh<strong>in</strong> leicht<br />

abzusehen, dass die endgültige Auflösung <strong>der</strong> Partei nicht mehr lang auf sich<br />

101 Zitiert nach Grobauer, <strong>Kirche</strong>... S. 192.<br />

102 Pfarrbote; Kirchliches Nachrichtenblatt für den <strong>katholischen</strong> Heideboden 2/34 (Feb.<br />

1934).


warten lassen würde. Mitte Mai 1934 war es schließlich so weit; die Christlichsoziale<br />

Partei beschloß ihre Selbstauflösung und gab <strong>in</strong> ihrem Abschlußkommuniqué kund:<br />

„<strong>Die</strong> Christlichsoziale Partei, <strong>der</strong>en Hauptaufgabe es war, <strong>in</strong> Österreich die<br />

<strong>katholischen</strong> Interessen zu vertreten, hat den Beschluß, ihre Tätigkeit e<strong>in</strong>zustellen,<br />

nicht gefaßt, ohne dafür zu sorgen, dass auch <strong>in</strong> Zukunft die <strong>katholischen</strong> Interessen<br />

<strong>in</strong> Österreich entsprechend gewahrt s<strong>in</strong>d. <strong>Die</strong> Garantie hiefür bietet nicht nur die<br />

Tatsache, dass alle wichtigen Positionen im öffentlichen Leben <strong>in</strong> Händen ehrlicher<br />

Katholiken s<strong>in</strong>d, son<strong>der</strong>n dass e<strong>in</strong>e große katholische Volksorganisation im Werden<br />

ist, die dafür e<strong>in</strong>stehen wird, dass <strong>der</strong> E<strong>in</strong>fluss <strong>der</strong> Katholischen <strong>Kirche</strong> auf das<br />

öffentliche Leben gewahrt bleibt. Denn die <strong>Kirche</strong> Christi kann ihre Mission nur<br />

erfüllen, wenn sie auch den entsprechenden politischen E<strong>in</strong>fluss hat. Umgekehrt<br />

kann e<strong>in</strong> Staat nicht alle<strong>in</strong> das politische Monopol <strong>in</strong> Anspruch nehmen. <strong>Die</strong><br />

katholische Volksorganisation, die unter <strong>der</strong> Führung <strong>der</strong> Bischöfe steht, wird<br />

berufen se<strong>in</strong>, diesen Teil <strong>der</strong> Funktionen <strong>der</strong> Christlichsozialen Partei zu<br />

übernehmen.“ 103<br />

Nachdem nun <strong>der</strong> Fe<strong>in</strong>d auf <strong>der</strong> L<strong>in</strong>ken geschlagen war, wandte sich die<br />

österreichische Regierung dem Fe<strong>in</strong>d auf <strong>der</strong> Rechten zu - den Nationalsozialisten.<br />

<strong>Die</strong> österreichische <strong>Kirche</strong> bekämpfte Sozialdemokratie und Nationalsozialismus<br />

gleichermaßen, die e<strong>in</strong>e, weil sie jede Religion ablehnte, den an<strong>der</strong>en, weil er selbst<br />

e<strong>in</strong>e alles vere<strong>in</strong>nahmende, sich als Ersatzreligion profilierende Bewegung war. <strong>Die</strong><br />

kirchliche Position zum Nationalsozialismus umriß <strong>der</strong> L<strong>in</strong>zer Bischof Gföllner <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>em Hirtenbrief vom 21.1.1933 folgen<strong>der</strong>maßen: „Der Nationalsozialismus krankt<br />

<strong>in</strong>nerlich an materialistischem Rassenwahn, an unchristlichem Nationalismus, an<br />

nationaler Auffassung <strong>der</strong> Religion, an bloßem Sche<strong>in</strong>christentum. Se<strong>in</strong> religiöses<br />

Programm weisen wir daher zurück. Alle überzeugten Katholiken müssen es<br />

ablehnen und verurteilen, denn wenn es nach <strong>der</strong> Erklärung Papst Pius XI.<br />

unmöglich ist, gleichzeitig e<strong>in</strong> guter Katholik und wirklicher Sozialist zu se<strong>in</strong>, dann<br />

ist es auch unmöglich, gleichzeitig guter Katholik und wirklicher Nationalsozialist<br />

zu se<strong>in</strong>.“ 104 Kard<strong>in</strong>al Innitzer, <strong>der</strong> den Aufsteig Hitlers nicht ohne Sympathie verfolgt<br />

hatte, vertrat e<strong>in</strong>e etwas weichere L<strong>in</strong>ie gegenüber dem Nationalsozialismus. So<br />

schrieb er e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>em angesehenen Nationalsozialisten, <strong>der</strong> sich darüber beklagt<br />

hatte, dass er wegen se<strong>in</strong>er politischen Ansichten nicht mehr <strong>in</strong> die <strong>Kirche</strong> gehen<br />

dürfe, folgende Zeilen: „In Wien hat die kirchliche Behörde die nationalsozialistische<br />

Bewegung <strong>in</strong> <strong>der</strong> von Ihnen vorerwähnten Weise niemals verurteilt. Gehen Sie<br />

weiter <strong>in</strong> die <strong>Kirche</strong>, das kann Ihnen nicht verwehrt werden!. <strong>Die</strong> ganze Sache muss<br />

sich noch klären...“ 105<br />

Unter den <strong>katholischen</strong> Laien gab es viele bedeutende Persönlichkeiten, die ke<strong>in</strong>e<br />

grundsätzlichen Unvere<strong>in</strong>barkeiten zwischen Katholizismus und<br />

Nationalsozialismus erkennen konnten und sich um e<strong>in</strong>e Verständigung zwischen<br />

beiden Lagern bemühten. <strong>Die</strong>se Persönlichkeiten wurden im allgeme<strong>in</strong>en unter <strong>der</strong><br />

Sammelbezeichnung „Brückenbauer“ zusammengefaßt, ohne dass dieser<br />

Bezeichnung e<strong>in</strong> irgendwie gearteter organisatorischer Zusammenschluß<br />

103 Zitiert nach Grobauer, <strong>Kirche</strong>... S. 265. Mit <strong>der</strong> „Katholischen Volksorganisation“ ist die<br />

Katholische Aktion geme<strong>in</strong>t.<br />

104 Zitiert nach Grobauer, <strong>Kirche</strong>... S. 228.<br />

105 Zitiert nach Grobauer, <strong>Kirche</strong>... S. 233.


entsprochen hätte. Aus <strong>der</strong> Zahl dieser Brückenbauer seien beson<strong>der</strong>s<br />

hervorgehoben:<br />

− Der Philosophieprofessor Johann Eibl, <strong>der</strong> im Jahre 1932 me<strong>in</strong>te, dass<br />

Rassenkunde und Rassenpolitik pr<strong>in</strong>zipiell mit dem Christentum vere<strong>in</strong>bar seien -<br />

e<strong>in</strong>e Ansicht, <strong>der</strong> sich fünf Jahre später auch Alois Hudal anschließen konnte;<br />

− <strong>der</strong> Rechtshistoriker Karl Gottfried Hugelmann, <strong>der</strong> <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong><br />

Christlichsozialen Partei zu den Vertretern e<strong>in</strong>es Anschlusses Österreichs an<br />

Deutschland gehörte;<br />

− <strong>der</strong> Urgeschichtler Oswald Mengh<strong>in</strong>;<br />

− <strong>der</strong> Militärhistoriker und Generaldirektor des Staatsarchivs Edmund Glaise-<br />

Horstenau;<br />

− <strong>der</strong> Historiker Taras Borodajkewycz;<br />

− <strong>der</strong> Wiener Diözesanführer <strong>der</strong> Katholischen Aktion Anton Böhm;<br />

− Arthur Seyss-Inquart, <strong>der</strong> Führer <strong>der</strong> <strong>katholischen</strong> Nationalen.<br />

Auch unter den Geistlichen gab es e<strong>in</strong>ige prom<strong>in</strong>ente Anhänger des<br />

Nationalsozialismus, beispielsweise:<br />

− Leopold Schmid, Pfarrer von St. Rochus <strong>in</strong> Wien-Erdberg;<br />

− Gregor Weeser-Kroll, Pfarrer <strong>in</strong> Ebensee <strong>in</strong> Oberösterreich;<br />

− Karl Pleyer, Pfarrer von Altlichtenwörth <strong>in</strong> Nie<strong>der</strong>österreich;<br />

− Simon Pirchegger, e<strong>in</strong> steirischer Priester, <strong>der</strong> heftige publizistische Fehden mit<br />

Bischof Gföllner ausfocht und dafür auch diszipl<strong>in</strong>iert wurde;<br />

− Wilhelm Schier, Mönch und Geschichtsprofessor am Stift Melk, <strong>der</strong> e<strong>in</strong><br />

Geschichtslehrbuch aus nationalsozialistischer Sicht verfaßte.<br />

Als nun Adolf Hitler am 31.1.1933 Reichskanzler wurde und die deutschen Bischöfe<br />

sich am 28.3.1933 bei ihrem traditionellen Treffen <strong>in</strong> Fulda für die neue Regierung<br />

erklärten, schienen die Ereignisse den „Brückenbauern“ recht zu geben. E<strong>in</strong>e weitere<br />

Stärkung ihrer Position erfuhren sie, als sich <strong>der</strong> Münchner Kard<strong>in</strong>al Michael von<br />

Faulhaber über die weitere hartnäckige Ablehnung des Nationalsozialismus durch<br />

Bischof Gföllner bei Kard<strong>in</strong>al-Staatssekretär Pacelli <strong>in</strong> bewegten Worten beschwerte:<br />

„E<strong>in</strong> großer Schaden für die kirchliche Autorität ist die Tatsache, dass die deutschen<br />

Bischöfe dem Nationalsozialismus ihr Vertrauen ausgesprochen haben, während <strong>der</strong><br />

Herr Bischof von L<strong>in</strong>z gleichzeitig alle Verbote gegen die Nationalsozialisten neu<br />

verkündet. Gewiß ist die Situation <strong>in</strong> Österreich an<strong>der</strong>s, da dort die<br />

Nationalsozialisten nicht die Regierung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hand haben, son<strong>der</strong>n nur Partei s<strong>in</strong>d.<br />

Trotzdem versteht das Volk nicht die verschiedene Stellungnahme <strong>der</strong> Bischöfe<br />

gegenüber dem Nationalsozialismus.“ 106<br />

Der Abschluß des Konkordats manövrierte den österreichischen Episkopat, <strong>der</strong> nach<br />

wie vor streng ant<strong>in</strong>ationalsozialistisch e<strong>in</strong>gestellt blieb, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e schwierige Lage. In<br />

Verteidigung ihrer Position verstiegen sich die Bischöfe sogar zu <strong>der</strong> These, dass<br />

Bolschewismus und Nationalsozialismus <strong>in</strong>haltlich übere<strong>in</strong>stimmten, also nur die<br />

rote o<strong>der</strong> die braune Spielart <strong>der</strong>selben Sache seien, wobei <strong>der</strong> braune<br />

Bolschewismus noch gefährlicher sie als <strong>der</strong> rote, weil er se<strong>in</strong>e wahren Ziele<br />

geschickter tarnen und dadurch auch schon <strong>in</strong> die Reihen des Katholizismus<br />

e<strong>in</strong>sickern konnte.<br />

106 Zitiert nach Grobauer, <strong>Kirche</strong>... S. 232 f.


<strong>Die</strong> Lage <strong>in</strong> Österreich war, wie Faulhaber richtig feststellte, tatsächlich an<strong>der</strong>s. <strong>Die</strong><br />

österreichischen Nationalsozialisten wollten wie ihre deutschen Genossen die<br />

Regierung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hand haben, nicht weniger. Angebote von Dollfuss im Jahre 1933,<br />

den Nationalsozialisten zwei Regierungssitze e<strong>in</strong>zuräumen, waren von Theo<br />

Habicht, dem Landes<strong>in</strong>spektor <strong>der</strong> österreichischen Nationalsozialisten und<br />

deutschem Reichstagsabgeordnetem, abgelehnt worden. Er wollte nicht zwei<br />

Regierungssitze, er wollte alle.<br />

Den Ereignissen des Februar 1934 sahen die Nationalsozialisten vorerst e<strong>in</strong>mal<br />

tatenlos zu. E<strong>in</strong>erseits wollte Hitler ke<strong>in</strong>e Schwierigkeiten mit Mussol<strong>in</strong>i, dem<br />

Schutzherrn Österreichs, den er als <strong>in</strong>ternationalen Verbündeten für se<strong>in</strong>e<br />

Aufrüstungspolitik brauchte, an<strong>der</strong>erseits konnte es den Nationalsozialisten nur<br />

recht se<strong>in</strong>, wenn die Regierungskräfte ihren gefährlichsten Fe<strong>in</strong>d vernichteten. Nach<br />

<strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lage <strong>der</strong> Sozialdemokraten gelang es den Nationalsozialisten sogar,<br />

enttäuschte L<strong>in</strong>ke <strong>in</strong> ihr Lager zu ziehen.<br />

Als nun Dollfuss nach se<strong>in</strong>em Sieg am 1.5.1934 die neue, berufsständische<br />

Verfassung „im Namen Gottes“ proklamierte, setzte er für die österreichischen, seit<br />

dem 19.6.1933 <strong>in</strong> die Illegalität abgedrängten Nationalsozialisten das Zeichen zum<br />

Angriff. Sie entfesselten e<strong>in</strong>en wilden Propagandakrieg gegen das Heimwehrregime,<br />

und Terrorwelle folgte auf Terrorwelle. Im Juni 1934 gab Theo Habicht bei e<strong>in</strong>er<br />

Zusammenkunft mit österreichischen Parteigenossen die Anweisung zur<br />

Vorbereitung e<strong>in</strong>es Staatsstreiches. Ziel e<strong>in</strong>er <strong>der</strong>artigen Aktion sollte die Festnahme<br />

<strong>der</strong> gesamten Bundesregierung se<strong>in</strong>. Am 25.7.1934 schlugen die Nationalsozialisten<br />

los. Der Staatsstreich mißlang aber. <strong>Die</strong> Putschisten wurden rasch nie<strong>der</strong>geschlagen,<br />

jedoch wurde Bundeskanzler Dollfuss, <strong>der</strong> <strong>in</strong> ihre Hände gefallen war, im Laufe<br />

e<strong>in</strong>es Handgemenges erschossen. Das Heimwehrregime schlug mit Härte zurück.<br />

Zum zweitenmal gab es im Jahre 1934 Bürgerkriegstote und standrechtliche<br />

H<strong>in</strong>richtungen.<br />

Mussol<strong>in</strong>i ließ sofort italienische Truppenverbände an <strong>der</strong> österreichischen Grenze<br />

aufmarschieren, um Hitler von etwaigen expansionistischen Abenteuern <strong>in</strong><br />

Österreich abzuhalten. Hitler selbst distanzierte sich sofort von den österreichischen<br />

Putschisten, entließ Theo Habicht, <strong>der</strong> bei Gel<strong>in</strong>gen des Putsches sicher zum<br />

deutschen Helden aufgestiegen wäre, rief den deutschen Gesandten Kurt Rieth<br />

zurück und ersetzte ihn durch Franz von Papen.<br />

Als Nachfolger von Dollfuss <strong>in</strong>stallierte sich Kurt Schuschnigg, <strong>der</strong> sich als<br />

Vollen<strong>der</strong> des Werkes se<strong>in</strong>es Vorgängers fühlte.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Kirche</strong> stilisierte Dollfuss zum Märtyrerkanzler hoch und brachte ihn <strong>in</strong> den<br />

Geruch <strong>der</strong> Heiligkeit. Mit echten und falschen Reliquien des Kanzlers wurde e<strong>in</strong><br />

schwunghafter Handel getrieben, und die Gläubigen riefen ihn <strong>in</strong> ihrer Not als<br />

Fürsprecher im Himmel an. E<strong>in</strong> Beispiel liefert <strong>der</strong> „Seraphische K<strong>in</strong><strong>der</strong>freund“, wo<br />

unter <strong>der</strong> Rubrik „Danksagungen“ zu lesen ist: „Innigster Dank dem hlgst. Herzen<br />

Jesu und Maria, hl. Josef, Kaiser Karl und Dr. Dollfuß für Erhörung e<strong>in</strong>es großen<br />

Anliegens und Bitte um weitere Hilfe.“ 107<br />

107 Seraphischer K<strong>in</strong><strong>der</strong>freund, Dez. 1937. S. 2.


Bei <strong>der</strong> E<strong>in</strong>weihung <strong>der</strong> Dollfuss-Gedächtniskirche auf <strong>der</strong> Hohen Wand, e<strong>in</strong>em<br />

Berg im südlichen Nie<strong>der</strong>österreich, am 5.8.1934 fand sogar Innitzer harte Worte<br />

über die Nationalsozialisten: „Es war e<strong>in</strong>e unerhörte, frevelhafte Tat, e<strong>in</strong><br />

himmelschreiendes Verbrechen! Es war e<strong>in</strong> Wahns<strong>in</strong>n, e<strong>in</strong>e Tollheit, e<strong>in</strong>e<br />

überheidnische Unkultur, und wer sich jetzt zu diesen Menschen bekennt, <strong>der</strong> stellt<br />

sich außerhalb des Österreichertums, außerhalb <strong>der</strong> Zivilisation und Kultur.“ 108 Zwei<br />

Jahre h<strong>in</strong>durch mied Innitzer auch jeden Kontakt mit dem deutschen Geschäftsträger<br />

Papen.<br />

<strong>Die</strong> „Brückenbauer“ waren durch die Ereignisse des Juli 1934 schwer diskreditiert.<br />

Ihr Tief sollte jedoch nicht lange dauern. <strong>Die</strong> außenpolitischen Ereignisse <strong>der</strong><br />

kommenden Jahre lenkten wie<strong>der</strong> Wasser auf ihre Mühlen.<br />

Den ersten Silberstreif brachte die Abstimmung über die Rückglie<strong>der</strong>ung des<br />

<strong>katholischen</strong> Saarlandes an das Deutsche Reich. Das überwältigende Votum für die<br />

Rückkehr <strong>in</strong>s Reich veranlaßte den Bischof von Speyer zu e<strong>in</strong>er begeisterten<br />

Enunziation: „Eure Treue ist <strong>der</strong> neueste glänzende Beweis, dass katholische <strong>Kirche</strong><br />

und Deutschtum ke<strong>in</strong>e Gegensätze s<strong>in</strong>d, wie heutzutage vielfach behauptet werden<br />

will. Nun - <strong>der</strong> Katholizismus erfüllt vielmehr se<strong>in</strong>e Anhänger mit e<strong>in</strong>er Liebe und<br />

Treue auch zum irdischen Vaterland, die sich allzeit opferwillig erweist.“ 109<br />

Der Krieg Italiens gegen Äthiopien zwang dann die österreichische Staatsführung<br />

und die österreichische <strong>Kirche</strong> zu e<strong>in</strong>er Neuorientierung ihrer außenpolitischen<br />

Verb<strong>in</strong>dungen. Wohl unterstützte Österreich im Völkerbund das durch se<strong>in</strong>en<br />

Überfall auf das afrikanische Kaiserreich isolierte Italien und wohl verteidigten auch<br />

die österreichischen Bischöfe diese koloniale Aggression, aber für Italien wichtiger<br />

waren die Rohstofflieferungen des Deutschen Reiches, mit denen die Sanktionen des<br />

Völkerbundes unwirksam gemacht wurden. Nun war es Mussol<strong>in</strong>i, <strong>der</strong> die Gunst<br />

Hitlers suchte, und <strong>der</strong> darum se<strong>in</strong>e schützende Hand von Österreich abzog. <strong>Die</strong><br />

Abkehr Mussol<strong>in</strong>is bot Schuschnigg zwar e<strong>in</strong>erseits <strong>in</strong>nenpolitisch die Möglichkeit,<br />

sich am 14.3.1936 des ohne italienische Unterstützung rückhaltlosen Konkurrenten<br />

um die Macht, Heimwehrführer und Vizekanzler Starhemberg, zu entledigen und<br />

die Vaterländische Front als alle<strong>in</strong>ige Staatspartei zu <strong>in</strong>stallieren, außenpolitisch aber<br />

stand er nun alle<strong>in</strong> dem deutschen Druck gegenüber. Schuschnigg versuchte nun die<br />

Unterstützung <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> zu gew<strong>in</strong>nen, <strong>in</strong>dem er die Restauration Otto Habsburgs<br />

<strong>in</strong>s Spiel brachte. Der kaisertreu gebliebene österreichische Episkopat stimmte<br />

diesen Plänen Schuschniggs wohl zu, und Tausende Bürgermeister machten den<br />

habsburgischen Thronprätendenten zum Ehrenbürger ihrer Geme<strong>in</strong>den - jedoch<br />

Kard<strong>in</strong>al-Staatssekretär Pacelli, <strong>der</strong> wußte, wo die stärkeren Bataillone standen,<br />

verhielt sich <strong>der</strong>artigen Versuchen gegenüber ablehnend. Für Pacelli war die Frage<br />

des Anschlusses Österreichs e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>n<strong>der</strong>deutsche Angelegenheit, <strong>in</strong> die er den<br />

Vatikan nicht verwickeln wollte.<br />

Inoffiziell und über an<strong>der</strong>e Kanäle spielte <strong>der</strong> meisterhafte Geheimdiplomat Pacelli<br />

e<strong>in</strong> ganz an<strong>der</strong>es Spiel. Der Katholik Papen machte sich an den <strong>katholischen</strong><br />

Chefredakteur <strong>der</strong> „Reichspost“ Friedrich Fun<strong>der</strong>, heran, die nun für e<strong>in</strong>e<br />

österreichisch-deutsche Verständigung e<strong>in</strong>trat. Auch Mussol<strong>in</strong>i drängte Schuschnigg<br />

108 Zitiert nach Grobauer, <strong>Kirche</strong>... S. 255.<br />

109 Zitiert nach Grobauer, <strong>Kirche</strong>... S. 274.


immer heftiger zu e<strong>in</strong>em Ausgleich mit Hitler, sodass es am 11.7.1936 <strong>in</strong><br />

Berchtesgaden zu e<strong>in</strong>em Abkommen zwischen Deutschland und Österreich kam,<br />

demzufolge Wien<br />

− h<strong>in</strong>künftig se<strong>in</strong>e Außenpolitik mit Berl<strong>in</strong> abstimmen,<br />

− illegale Nationalsozialisten amnestieren,<br />

− zwei Vertreter <strong>der</strong> „nationalen Opposition“ <strong>in</strong> die Regierung aufnehmen<br />

musste. Deutschland sicherte zu, die österreichische NSDAP als <strong>in</strong>nerösterreichische<br />

Angelegenheit zu betrachten, was angesichts <strong>der</strong> Tatsache, dass sie von Papen<br />

gelenkt und über ihn f<strong>in</strong>anziert wurde, e<strong>in</strong>e Farce war.<br />

Innitzer war e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> ersten, <strong>der</strong> für dieses Abkommen, das den Anfang vom Ende<br />

<strong>der</strong> österreichischen Eigenstaatlichkeit darstellte, begeisterte Worte fand: „Der<br />

unselige Bru<strong>der</strong>zwist, <strong>der</strong> so tiefe Wunden schlug, <strong>der</strong> das deutsche Volk gerade <strong>in</strong><br />

drangvollen Zeiten <strong>in</strong>nerlich spaltete und zerriß, war <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er europäischen<br />

Schicksalsstunde, da <strong>der</strong> Friede <strong>der</strong> Völkerfamilie des Abendlandes wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>mal<br />

ernstlich gefährdet war, <strong>in</strong> überraschen<strong>der</strong> Weise beigelegt. Am Herzschlag des<br />

deutschen Volkes <strong>in</strong> Österreich ist über diese Friedenstat aufrichtige und ehrliche<br />

Freude zu spüren. Auch wir Bischöfe Österreichs, die wir als die berufenen Hüter<br />

des Friedens immer wie<strong>der</strong> zur Verständigung mahnten und mit unseren Gläubigen<br />

<strong>in</strong> heißen Gebeten um den Frieden im deutschen Volkes zum Himmel flehten,<br />

begrüßen mit aufrichtiger Freude und ehrlicher Genugtuung dieses Werk des<br />

Friedens, das nicht nur für die beiden Vertragspartner bedeutungsvoll, son<strong>der</strong>n<br />

darüber h<strong>in</strong>aus auch die Gefahr e<strong>in</strong>es verhängnisvollen Krieges zu bannen,<br />

geordnete Verhältnisse im Völkerverkehr und wirtschaftliche Fortschritte zu<br />

ermöglichen geeignet ersche<strong>in</strong>t. In <strong>der</strong> klaren Erkenntnis <strong>der</strong> Bedeutung dieses<br />

Werkes für die Befreiung <strong>der</strong> europäischen Völker ist es uns österreichischen<br />

Bischöfen darum e<strong>in</strong> Herzensbedürfnis, <strong>der</strong> österreichischen Bundesregierung,<br />

vorab unserem verehrten Herrn Bundeskanzler, dessen hoher staatsmännischer<br />

Begabung und vornehmen Geisteshaltung das Gel<strong>in</strong>gen des Werkes <strong>in</strong> beson<strong>der</strong>er<br />

Weise zuzuschreiben ist, aufrichtigen und herzlichen Dank zu sagen ... Möge dieses<br />

Friedenswerk - dies ist unser sehnlichstes Wünschen und Beten - nach all den<br />

Bitterkeiten <strong>der</strong> letzten Jahre auch den letzten Stachel des Unfriedens und <strong>der</strong><br />

Mißgunst aus <strong>der</strong> deutschen Volksseele nehmen zu Nutz und Frommen unseres<br />

Vaterlandes Österreich, des ganzen deutschen Volkes und <strong>der</strong> mit ihm auf Gedeih<br />

und Ver<strong>der</strong>b verbundenen Völkerfamilie Europas.“ 110<br />

<strong>Die</strong>ser Lobgesang Innitzers auf das Berchtesgadener Abkommen, se<strong>in</strong>e<br />

publizistische Verteidigung vor allem durch Bischof Hudal <strong>in</strong> <strong>der</strong> „Reichspost“, die<br />

Abberufung des als deutschfe<strong>in</strong>dlich bekannten Nuntius Sibilia aus Wien und se<strong>in</strong>e<br />

Ersetzung durch Erzbischof Gaetano Cicognani, die öffentliche Billigung des<br />

Abkommens durch Pacelli - diese Fakten und ihr gewiß nicht zufälliges<br />

Zusammentreffen ließen den Verdacht entstehen, dass <strong>der</strong> Vatikan <strong>der</strong> Urheber<br />

dieses Vertrages war.<br />

Nur <strong>der</strong> starrs<strong>in</strong>nige Bischof Gföllner lehnte den deutsch-österreichischen<br />

Brückenschlag ab. als er von <strong>der</strong> Kanzel verlesen ließt: „In letzter Zeit s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Öffentlichkeit wie<strong>der</strong>holt Anschauungen und Stimmen laut geworden, durch die<br />

<strong>der</strong> Ansche<strong>in</strong> erweckt werden konnte, als ob nunmehr <strong>in</strong> Österreich kirchlicherseits<br />

110 Zitiert nach Grobauer, <strong>Kirche</strong>... S. 284.


e<strong>in</strong>e neue Stellungnahme zum Nationalsozialismus erfolgt sei o<strong>der</strong> erfolgen müsse.<br />

<strong>Die</strong>se irrige Auffassung wird entschieden zurückgewiesen. Was die österreichischen<br />

Bischöfe vor drei Jahren <strong>in</strong> ihrem geme<strong>in</strong>samen Hirtenbrief über die kirchlichreligiöse<br />

Seite des Nationalsozialismus erklärt haben, bleibt voll<strong>in</strong>haltlich aufrecht,<br />

und es besteht ke<strong>in</strong> Anlaß, von dieser damaligen lehramtlichen Kundgebung etwas<br />

wegzunehmen, abzuän<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> h<strong>in</strong>zuzufügen...“ 111<br />

Der Anlaß schien mit dem Ausbruch des Bürgerkrieges <strong>in</strong> Spanien im Juli 1936<br />

gekommen. Pius XI. rief Europa zum Kreuzzug gegen den Bolschewismus auf.<br />

Pacelli gab Anweisung an die deutschen Bischöfe, auf die nationalsozialistische<br />

Führung im Deutschen Reich im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Unterstützung <strong>der</strong> aufständischen<br />

Generale zu wirken. Auch die österreichischen Bischöfe riefen zur Unterstützung<br />

<strong>der</strong> spanischen Faschisten auf. Der Nationalsozialismus erschien vielen Katholiken<br />

als e<strong>in</strong>ziges Bollwerk gegen die rote Gefahr. <strong>Die</strong> Position <strong>der</strong> „Brückenbauer“<br />

erschien erneut als richtig bestätigt.<br />

An<strong>der</strong>erseits wurde man <strong>in</strong> Österreich Zeuge, wie das nationalsozialistische Regime<br />

<strong>in</strong> Deutschland mit propagandistisch groß ausgeschlachteten Prozessen gegen<br />

Priester wegen Devisenvergehen und Sittlichkeitsdelikten das moralische Ansehen<br />

<strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bevölkerung zu untergraben versuchte.<br />

Als nun Schuschnigg se<strong>in</strong>e Position festigen wollte, <strong>in</strong>dem er Kontakte zu<br />

Nationalen und Nationalsozialisten suchte, Seyss-Inquart, den ihm <strong>der</strong> Klerus wohl<br />

für die Aufgabe empfahl, mit <strong>der</strong> „Heranziehung bisher abseits stehen<strong>der</strong> Kreise“<br />

beauftragte, verhielt sich die <strong>Kirche</strong> abwartend und mißtrauisch. Der rührige<br />

Botschafter Papen beredete h<strong>in</strong>gegen Schuschnigg unausgesetzt zu e<strong>in</strong>em engeren<br />

Anschluß an Deutschland, den er mit <strong>der</strong> Aussicht auf Aufträge <strong>der</strong> deutschen<br />

Rüstungs<strong>in</strong>dustrie für die darnie<strong>der</strong>liegende österreichische Wirtschaft schmackhaft<br />

machen wollte. Schuschnigg geriet zunehmend <strong>in</strong> die Isolation. <strong>Die</strong><br />

Anlehnungsmöglichkeiten an Italien, das geme<strong>in</strong>sam mit Deutschland im<br />

spanischen Bürgerkrieg kämpfte, fiel weg, die demokratischen Westmächte waren<br />

<strong>der</strong> kleriko<strong>faschistischen</strong> Diktatur <strong>in</strong> Österreich wenig gewogen, und Deutschland<br />

trat immer for<strong>der</strong>n<strong>der</strong> auf, bis Hitler schließlich am 11.2.1938 auf dem Obersalzberg<br />

Schuschnigg kaum mehr verhüllt die Aufgabe <strong>der</strong> Eigenstaatlichkeit Österreichs<br />

abverlangte.<br />

Nun trat wie<strong>der</strong> Innitzer auf den Plan, <strong>der</strong> Schuschnigg zum Wi<strong>der</strong>stand ermutigte.<br />

Als Schuschnigg mit e<strong>in</strong>er für den 13.3.1934 anberaumten Volksabstimmung „für e<strong>in</strong><br />

freies, unabhängiges, soziales, christliches, e<strong>in</strong>iges Österreich“ <strong>der</strong> deutschen<br />

Pression entgegentreten wollte, unterstützte ihn die <strong>Kirche</strong> nach Kräften. In e<strong>in</strong>er<br />

Predigt rief Innitzer aus: „Ich wünsche ferner, dass <strong>in</strong> den Pfarren von jetzt ab nach<br />

Möglichkeit <strong>in</strong> jedem Monat von <strong>der</strong> Katholischen Aktion e<strong>in</strong>e eigene heilige Messe<br />

für den Frieden und für die Freiheit unseres österreichischen Vaterlandes<br />

aufgeopfert werden.“ 112 Noch am Morgen des 11.3.1938 erschien e<strong>in</strong> flammen<strong>der</strong><br />

Appell <strong>der</strong> Katholischen Aktion: „Seit tausend Jahren hat dieses deutsche Volk <strong>der</strong><br />

Ostmark aus christlichem, aus katholischem Geiste e<strong>in</strong>e Kultur geschaffen, die heute<br />

noch als e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> reifsten Früchte deutschen Schaffens von aller Welt bewun<strong>der</strong>t<br />

wird. Seit tausend Jahren haben unsere Väter für das christliche, für das katholische<br />

111 Zitiert nach Grobauer, <strong>Kirche</strong>... S. 293.<br />

112 Zitiert nach Grobauer, <strong>Kirche</strong>... S. 339.


Österreich und se<strong>in</strong>e deutsche Sendung unter den Völkern gekämpft und geblutet.<br />

Väter und Mütter! Jungmänner und Jungmädchen! <strong>Die</strong> Katholische Aktion ruft<br />

Euch! Für dieses deutsche, für dieses christliche Erbe kämpfen wir! 113<br />

An demselben 11.3.1938 überschritten die deutschen Truppen die österreichische<br />

Grenze. Am 13.3.1938 erreichte Hitler <strong>in</strong> St. Pölten e<strong>in</strong>e Botschaft Innitzers, dass bei<br />

se<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>zug <strong>in</strong> Wien alle <strong>Kirche</strong>nglocken läuten und die <strong>Kirche</strong>n mit<br />

Hakenkreuzfahnen geschmückt se<strong>in</strong> würden. Am selben Tag schrieb die katholische<br />

„Reichspost“: Wir sehen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Liebe zu unserem Volke den letzten <strong>Die</strong>nst am<br />

Schöpfer und geben freudig dem Volke, was das Volkes ist, und gläubig Gott, was<br />

Gottes ist. Der höchste <strong>Kirche</strong>nfürst unseres Landes hat die langersehnte Stunde <strong>der</strong><br />

deutschen E<strong>in</strong>igung gesegnet. So dürfen wir, dem Führer offen <strong>in</strong>s Auge blickend,<br />

sagen: Wir Deutschen Österreichs treten heute geschlossen e<strong>in</strong> <strong>in</strong> die deutsche<br />

Schicksalsgeme<strong>in</strong>schaft.“ 114 So rasch läßt sich e<strong>in</strong>e tausendjährige Sendung vergessen.<br />

Tags darauf machte <strong>der</strong> höchste <strong>Kirche</strong>nfürst des Landes als e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> ersten Hitler<br />

se<strong>in</strong>e Aufwartung im Hotel „Imperial“. Vier Tage später, am 18.3.1938, als schon<br />

Tausende Verhaftete <strong>in</strong> die Konzentrationslager abtransportiert wurden,<br />

veröffentlichten die österreichischen Bischöfe - e<strong>in</strong>schließlich Gföllners, für den<br />

offenbar nun doch Anlässe zur Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> lehramtlichen Entscheidung über den<br />

Nationalsozialismus e<strong>in</strong>getreten waren - e<strong>in</strong>e „Feierliche Erklärung“: „Aus <strong>in</strong>nerster<br />

Überzeugung und mit freiem Willen erklären wir unterzeichnete Bischöfe <strong>der</strong><br />

österreichischen <strong>Kirche</strong>nprov<strong>in</strong>z anläßlich <strong>der</strong> großen geschichtlichen Geschehnisse<br />

<strong>in</strong> Deutsch-Östereich: Wir erkennen freudig an, dass die nationalsozialistische<br />

Bewegung auf dem Gebiet des völkischen und wirtschaftlichen Aufbaues sowie <strong>der</strong><br />

Sozial-Politik für das Deutsche Reich und Volk und namentlich für die ärmsten<br />

Schichten des Volkes Hervorragendes geleistet hat und leistet. Wir s<strong>in</strong>d auch <strong>der</strong><br />

Überzeugung, dass durch das Wirken <strong>der</strong> nationalsozialistischen Bewegung die<br />

Gefahr des alles zerstörenden gottlosen Bolschewismus abgewehrt wurde. <strong>Die</strong><br />

Bischöfe begleiten dieses Wirken für die Zukunft mit ihren besten Segenswünschen<br />

und werden auch die Gläubigen <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne ermahnen. Am Tage <strong>der</strong><br />

Volksabstimmung ist es für uns Bischöfe selbstverständliche nationale Pflicht, uns<br />

als Deutsche zum Deutschen Reich zu bekennen, und wir erwarten auch von allen<br />

gläubigen Christen, dass sie wissen, was sie ihrem Volke schuldig s<strong>in</strong>d.“ 115<br />

Am Tag <strong>der</strong> Volksabstimmung betrat <strong>der</strong> Kard<strong>in</strong>al-Erzbischof von Wien, Dr.<br />

Theodor Innitzer, se<strong>in</strong> Abstimmungslokal mit dem deutschen Gruß.<br />

SPANIEN<br />

Dank des <strong>in</strong>nigen Bündnisses zwischen Adel, <strong>Kirche</strong> und Großbürgertum war<br />

Spanien zu Beg<strong>in</strong>n des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts e<strong>in</strong> unbeschreiblich rückständiges und auch<br />

weith<strong>in</strong> entchristlichtes Land. Zwei Drittel <strong>der</strong> Bevölkerung waren um das Jahr 1910<br />

ke<strong>in</strong>e praktizierenden Katholiken mehr, <strong>in</strong> manchen Gebieten wurden 25 Prozent<br />

<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> nicht mehr getauft.<br />

113 Zitiert nach Deschner, Heilsgeschichte, Bd 1. S. 483.<br />

114 Zitiert nach Deschner, Heilsgeschichte, Bd 1. S. 483 f.<br />

115 Zitiert nach Deschner, Heilsgeschichte, Bd 1. S. 486 f.


Das Massenelend im Gefolge <strong>der</strong> wirtschaftlichen Misere des Landes brachte den<br />

liberalen, sozialistischen und radikalsozialistischen Parteien steigenden Zulauf. Im<br />

Jahre 1923 stürzte die Militärdiktatur des Generals Miguel Primo de Rivera über die<br />

wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes. Am 12.4.1931 wurde auch die<br />

Monarchie abgeschafft. König Alfonso XIII. (1886 - 1931) g<strong>in</strong>g <strong>in</strong>s Exil.<br />

Das im Juni 1931 gewählte Parlament gab dem Lande am 9.12.1931 e<strong>in</strong>e<br />

republikanische Verfassung. <strong>Die</strong>se bestimmte die Trennung von Staat und <strong>Kirche</strong>,<br />

garantierte jedoch die allgeme<strong>in</strong>e Religionsfreiheit, auch für Protestanten. Im Zuge<br />

<strong>der</strong> weiteren Reformen wurde die Zivilehe e<strong>in</strong>geführt sowie auch die Ehescheidung.<br />

E<strong>in</strong> neues Strafgesetz wurde erlassen, die Rechtsstellung <strong>der</strong> Frau verbessert, das<br />

Schulwesen mo<strong>der</strong>nisiert.<br />

Im Mai 1932 eröffnete <strong>der</strong> Kard<strong>in</strong>al-Primas von Spanien und Erzbischof von Toledo,<br />

Segura, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Hirtenbrief die Angriffe gegen die Republik. Etwas gleichzeitig<br />

äußerte sich <strong>der</strong> im Pariser Exil lebende Alfonso XIII. <strong>in</strong> Zeitungs<strong>in</strong>terviews sehr<br />

fe<strong>in</strong>dselig über die republikanische Regierung. In Madrid brachen Unruhen aus, die<br />

sich auf das ganze Land ausbreiteten und sich <strong>in</strong> Angriffen gegen die mit Thron und<br />

Adel verbündete <strong>Kirche</strong> entluden. <strong>Die</strong> <strong>Kirche</strong> verstärkte daraufh<strong>in</strong> ihre<br />

propagandistischen Angriffe gegen die „roten Antichristen“ und die „Fe<strong>in</strong>de des<br />

Königreichs Christi“. Im folgenden Jahre 1933 riefen die spanischen Bischöfe bereits<br />

zu e<strong>in</strong>em „heiligen Kreuzzug für die vollständige Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong> kirchlichen<br />

Rechte“ auf, wobei ihnen die päpstliche Enzyklika „Dilectissima nobis“ vom 3.6.1933<br />

noch Unterstützung gab.<br />

Doch nicht nur propagandistisch wirkte die <strong>Kirche</strong>, sie suchte auch nach e<strong>in</strong>em<br />

weltlichen Arm, <strong>der</strong> ihre For<strong>der</strong>ungen politisch durchsetzen sollte. Auf Betreiben<br />

des Kard<strong>in</strong>al-Staatssekretärs Pacelli gründete José Maria Gil Robles im Jahre 1933 die<br />

„Confe<strong>der</strong>acion Española de Derechas Autonomas“(CEDA). Ziele dieser Partei<br />

waren <strong>der</strong> Kampf gegen den Marxismus und die Freimaurerei. <strong>Die</strong> Partei fand<br />

Rückhalt beim Adel, den Großgrundbesitzern und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Armee. Vom Ausland her<br />

wurde sie beson<strong>der</strong>s vom Vatikan und von <strong>faschistischen</strong> Gruppen geför<strong>der</strong>t. Im<br />

gleichen Jahre gründete José Antonio Primo de Rivera die nach faschistischem<br />

Vorbild organisierte „Falange Española“, die gleichfalls enge Beziehungen zu Heer<br />

und Klerus unterhielt.<br />

<strong>Die</strong> Wahlen zu Ende des Jahres 1933 brachten e<strong>in</strong>en Sieg <strong>der</strong> Rechtsparteien. Es<br />

begannen die „schwarzen Jahre“ mit schwerer Unterdrückung aller l<strong>in</strong>ken Kräfte<br />

durch Folter und Mord. Im Oktober und November 1934 wurden 30.000 Menschen<br />

verhaftet. <strong>Die</strong> spanischen Monarchisten unter Führung von Antonio Goiocechea<br />

nahmen Verb<strong>in</strong>dung zu Mussol<strong>in</strong>i auf, <strong>der</strong> ihnen sofort e<strong>in</strong>e F<strong>in</strong>anzhilfe <strong>in</strong> <strong>der</strong> Höhe<br />

von 1,5 Millionen Peseten zukommen ließ und die Lieferung von Waffen zusagte.<br />

Angesichts <strong>der</strong> bevorstehenden Wahlen schlossen sich am 16.1.1936 die l<strong>in</strong>ken<br />

Parteien zur „Volksfront“ zusammen, CEDA, Falange und Monarchisten<br />

antworteten mit <strong>der</strong> Konstituierung e<strong>in</strong>er „Nationalen Front“. In e<strong>in</strong>em Hirtenbrief<br />

vom 24.1.1936 richtete Kard<strong>in</strong>al Goma y Tomas wie<strong>der</strong> wilde Angriffe gegen die<br />

„Roten“, die heftige Unruhen und Ausschreitungen gegen kirchliche E<strong>in</strong>richtungen<br />

nach sich zogen. <strong>Die</strong> Wahlen vom 16.2.1936 brachten <strong>der</strong> Volksfront den Sieg.


Am 17.7.1936 proklamierte Francisco Franco Bahamonde an <strong>der</strong> Spitze großer Teile<br />

<strong>der</strong> Armee den Aufstand gegen die republikanische Regierung. Kard<strong>in</strong>al Goma y<br />

Tomas begrüßte den Aufstand mit den Worten: „Es stehen auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Seite die<br />

Kämpfer jener Ideale, welche aus <strong>der</strong> alten Tradition und <strong>der</strong> alten Geschichte<br />

Spaniens geboren s<strong>in</strong>d; auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite steht e<strong>in</strong>e zusammengewürfelte Horde<br />

... Christus und Antichrist bekämpfen sich auf unserem Boden!“ 116<br />

Als ersichtlich wurde, dass dem Aufstand Francos ke<strong>in</strong> rascher Erfolg beschieden<br />

se<strong>in</strong> würde, entfachte die katholische Propaganda <strong>in</strong> aller Welt e<strong>in</strong>e wilde<br />

Kampagne. „<strong>Die</strong>ser Krieg ist ke<strong>in</strong> Bürgerkrieg, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong> Kreuzzug gegen die rote<br />

Weltrevolution.“ ... „Es ist jämmerlich, dass man <strong>der</strong> zivilisierten Welt noch erklären<br />

muss, dass dies ke<strong>in</strong> militärisches Pronunciamento ist, ke<strong>in</strong> Bürgerkrieg, ke<strong>in</strong><br />

Klassenkampf. Weise <strong>Kirche</strong>nfürsten haben diese Aufklärungsarbeit jetzt<br />

unternommen ... Es wird klar und sicher feststehen, dass es sich von unserer Seite<br />

um e<strong>in</strong>en Verteidigungskrieg handelt.“ 117 Mit diesen und ähnlichen Worten, noch<br />

ausgeschmückt mit den Darstellungen <strong>der</strong> tatsächlichen, jedoch meist übertrieben<br />

geschil<strong>der</strong>ten Grausamkeiten <strong>der</strong> republikanischen Truppen, machte die katholische<br />

<strong>Kirche</strong> von allen Kanzeln Stimmung für die hochverräterischen Generale, die e<strong>in</strong>er<br />

legitimen Regierung den Kampf angesagt hatten, und sammelte sie Geld, dessen<br />

Verwendung unergründlich blieb. Kard<strong>in</strong>al-Staatssekretär Pacelli wies die<br />

deutschen Bischöfe an, e<strong>in</strong>e Intervention <strong>der</strong> nationalsozialistischen Führung <strong>in</strong><br />

Spanien propagandistisch zu unterstützen. <strong>Die</strong> deutschen Bischöfe veröffentlichten<br />

auch prompt e<strong>in</strong>en geme<strong>in</strong>samen Hirtenbrief, <strong>in</strong> dem es unter an<strong>der</strong>em heißt:<br />

„Welche Aufgabe damit unserem Volk und Vaterland zufällt, ergibt sich von selbst.<br />

Möge es unserem Führer mit Gottes Hilfe gel<strong>in</strong>gen, dieses ungeheuer schwere Werk<br />

<strong>der</strong> Abwehr <strong>in</strong> unerschütterlicher Festigkeit und treuester Mitwirkung aller<br />

Volksgenossen zu vollbr<strong>in</strong>gen.“ 118<br />

Dabei soll nicht abgestritten werden, dass die republikanischen Milizen, die die<br />

Regierung <strong>in</strong> ihrer Not mit Freiwilligen und amnestierten Häftl<strong>in</strong>gen auffüllte,<br />

Verbrechen an Priestern begangen haben. So wurden zahlreiche Nonnen vor ihrer<br />

H<strong>in</strong>richtung vergewaltigt; e<strong>in</strong> Beispiel, das die Inquisition bei <strong>der</strong> Tötung junger<br />

„Hexen“ vorexerziert hatte. Auch wurden mehrere Priester lebendig verbrannt,<br />

wofür es auch von christlicher Seite gelieferte Beispiele gibt. Jedoch sagte selbst <strong>der</strong><br />

katholische Literat José Bergam<strong>in</strong> von rund achttausend ermordeten Klerikern:<br />

„Nicht e<strong>in</strong>er von ihnen, auch nicht e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger, hat den Tod für Christus erlitten. Sie<br />

starben für Franco. Nationalistische Helden kann man aus ihnen machen, politische<br />

Opfer, aber ke<strong>in</strong>e Märtyrer.“ 119 Genau das war es aber, was Pius XI. und se<strong>in</strong>e <strong>Kirche</strong><br />

<strong>der</strong> Welt e<strong>in</strong>reden wollten. So ließ sich Pius XI. am 14.9.1936 folgen<strong>der</strong>maßen hören:<br />

„Wir müssen e<strong>in</strong>erseits we<strong>in</strong>en aus <strong>in</strong>nigstem und bitterstem Mitempf<strong>in</strong>den. Wir<br />

müssen an<strong>der</strong>erseits aufjauchzen um des Stolzes und <strong>der</strong> süßen Freude willen, die<br />

Uns erhebt ... <strong>Die</strong>s ist e<strong>in</strong> gewaltiges Schauspiel christlicher und priesterlicher<br />

Tugend, von Heldentaten und Martyrien.“ 120<br />

116 Zitiert nach Deschner, Mit Gott... S. 72.<br />

117 Zitiert nach Deschner, Mit Gott... S. 77.<br />

118 Zitiert nach Deschner, Mit Gott... S. 79.<br />

119 Zitiert nach Deschner, Mit Gott... S. 82.<br />

120 Zitiert nach Deschner, Mit Gott... S. 83.


<strong>Die</strong> katholische Propaganda blieb nicht erfolglos. Am 26.7.1936 sagte Hitler dem<br />

spanischen Caudillo Franco Unterstützung zu. Mittels e<strong>in</strong>er Luftbrücke wurde<br />

Franco aus Marokko, wo er auf verlorenem Posten saß, nach Spanien gebracht. Das<br />

klerikalfaschistische Portugal des Diktators Antonio Salazar de Oliveira bot sich als<br />

Durchgangsland für die deutschen Waffenlieferungen an. Ab November 1936 kam<br />

dann die Legion Condor zum E<strong>in</strong>satz. E<strong>in</strong>e weitere Verstärkung erfuhr Franco, als<br />

am 5.8.1936 auch italienische Truppen <strong>in</strong> die Kämpfe e<strong>in</strong>griffen. <strong>Die</strong>s führte im<br />

September 1937 zur Eroberung Mallorcas, das zu e<strong>in</strong>em Flottenstützpunkt ausgebaut<br />

wurde. Auf dem Höhepunkt des italienischen Engagements kämpften bis zu 110.000<br />

Mann italienischer Truppen auf seiten Francos. <strong>Die</strong>ser Übermacht konnten we<strong>der</strong><br />

die seit Oktober 1937 e<strong>in</strong>setzende Hilfe <strong>der</strong> Sovjetunion für die Republik noch die<br />

Internationalen Brigaden wirkungsvoll entgegentreten.<br />

In e<strong>in</strong>em Interview für den „News Chronicle“ erklärte Franco, er würde Spanien um<br />

jeden Preis vom Marxismus befreien, auch wenn er die Hälfte <strong>der</strong> spanischen<br />

Bevölkerung umbr<strong>in</strong>gen müßte. Genauso handelte die „Nationalspanische“<br />

Aufrührerarmee. Wo immer franquistische Truppen h<strong>in</strong>kamen, wurden die<br />

Zivilgouverneure, Gewerkschafter, Freimaurer und Funktionäre <strong>der</strong> L<strong>in</strong>ksparteien<br />

ermordet, Gefangene und Zivilisten massenhaft abgeschlachtet. Protestantische<br />

Pastoren wurden getötet, manche protestantische Geme<strong>in</strong>de ausgerottet. Weiters<br />

wurden grundsätzlich alle baskischen Geistlichen getötet, denen die katholische<br />

<strong>Kirche</strong> noch <strong>in</strong>s Grab nachspuckte, <strong>in</strong>dem sie sie h<strong>in</strong>stellte als e<strong>in</strong>e „Handvoll<br />

geistesverwirrter o<strong>der</strong> freimaurerisch verseuchter spanischer Kleriker, die sich nicht<br />

schämten, als Wortführer <strong>der</strong> spanischen Katholiken ihren Namen unter<br />

marxistische Hetzaufrufe zu setzen.“ 121 Es ist also ke<strong>in</strong>esfalls e<strong>in</strong>e böswillige<br />

Verleumdung, wenn Antonio Ruiz Villaplana, während des Bürgerkrieges Richter <strong>in</strong><br />

Burgos, über die katholische <strong>Kirche</strong> resümierte: „In diesem entfesselten Kampf hat<br />

die Geistlichkeit niemals ihre Rache vergessen ... Wie e<strong>in</strong>e Kriegsdrommette<br />

schmettert die Stimme dessen, <strong>der</strong> Hirt und Führer des Volkes se<strong>in</strong> sollte,<br />

kriegerische Aufrufe: ‘Wir können nicht geme<strong>in</strong>sam mit den rechtlosen Sozialisten<br />

leben ... Krieg, Blut und Feuer! Es darf we<strong>der</strong> Waffenstillstand noch Pardon geben,<br />

ehe nicht <strong>der</strong> Sieg <strong>der</strong> Religion und <strong>der</strong> Ordnung völlig gesichert ist ...’“ 122<br />

Und es gab tatsächlich we<strong>der</strong> Waffenstillstand noch Pardon. Als Franco die<br />

Republik endlich nie<strong>der</strong>gworfen hatte, stand er auf e<strong>in</strong>em Berg von 600.000 Toten.<br />

Viele hun<strong>der</strong>ttausend Menschen waren schon e<strong>in</strong>gekerkert o<strong>der</strong> wurden noch <strong>in</strong> die<br />

Verliese geworfen, von denen bis zum Jahr 1942 noch weitere 200.000 nach<br />

greuelvollen Folterungen umgebracht werden sollten. Zu all dem sagte Kard<strong>in</strong>al<br />

Goma y Tomas: „Wir bef<strong>in</strong>den uns <strong>in</strong> völliger Übere<strong>in</strong>stimmung mit <strong>der</strong> nationalen<br />

Regierung, die niemals e<strong>in</strong>en Schritt ohne unseren Rat unternimmt, den sie immer<br />

befolgt.“ 123<br />

Als Franco am 1.4.1939 das Ende des Krieges proklamierte, beglückwünschte ihn <strong>der</strong><br />

mittlerweile als Pius XII. (1939 - 1958) zum Papst aufgestiegene Eugenio Pacelli:<br />

„Indem Wir Unser Herz zu Gott erheben, freuen wir Uns mit Eurer Exzellenz über<br />

den von <strong>der</strong> <strong>katholischen</strong> <strong>Kirche</strong> so ersehnten Sieg. Wir hegen die Hoffnung, dass<br />

121 Zitiert nach Deschner, Mit Gott... S. 86.<br />

122 Zitiert nach Deschner, Mit Gott... S. 78.<br />

123 Zitiert nach Deschner, Mit Gott... S. 92.


Ihr Land nach <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>erlangung des Friedens mit neuer Energie die alten<br />

christlichen Traditionen wie<strong>der</strong> aufnimmt.“ 124 Etwas mehr als zwei Wochen später,<br />

am 16.4.1939, erhielt auch die mit Blut besudelte und von unsagbaren Verbrechen<br />

befleckte Soldateska des „Generalissimus“ <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Radioansprache den päpstlichen<br />

Dank: „Mit großer Freude wenden Wir Uns an euch, geliebte Söhne des <strong>katholischen</strong><br />

Spaniens, um euch Unsere väterlichen Segenswünsche für das Geschenk des<br />

Friedens und des Sieges zu erteilen. Gott hat es gefallen, das christliche Heldentum<br />

eures Glaubens und eurer Opferbereitschaft, das sich <strong>in</strong> so vielen und großmütigen<br />

Leiden bewährt hat, mit dem Sieg zu krönen. ... Als Ausdruck <strong>der</strong> unermeßlichen<br />

Dankbarkeit, die euch von <strong>der</strong> unbefleckten Jungfrau und dem Apostel Johannes,<br />

dem Schutzheiligen Spaniens, zuteil wird und die euch alle großen Heiligen<br />

Spaniens erweisen, erteilen Wir euch, Unseren geliebten Söhnen des <strong>katholischen</strong><br />

Spaniens, dem Haupt des Staates und se<strong>in</strong>er erlauchten Regierung, dem strebsamen<br />

Episkopat und se<strong>in</strong>er sich selbst verleugnenden Geistlichkeit, den heroischen<br />

Kämpfern und allen Gläubigen Unseren apostolischen Segen.“ 125<br />

DER VATIKAN IM ZWEITEN WELTKRIEG<br />

Am 1.9.1939 trat <strong>der</strong> Führer und Reichskanzler Adolf Hitler vor den versammelten<br />

deutschen Reichstag und macht dort die folgenschwere Eröffnung: „Ich habe mich<br />

nun entschlossen, mit Polen <strong>in</strong> <strong>der</strong> gleichen Sprache zu reden, die Polen uns<br />

gegenüber seit Monaten anwendet ... Ich habe mich ... entschlossen, das Schicksal<br />

des deutschen Volkes wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> die Hände se<strong>in</strong>er Soldaten zu legen ... Seit 5.45 Uhr<br />

wird zurückgeschossen ...“ 126 Der Zweite Weltkrieg hatte begonnen.<br />

DIE KIRCHLICHE KRIEGSPROPAGANDA<br />

Sofort setzte die kirchliche Kriegspropaganda e<strong>in</strong>. Noch am Tag des Kriegsbeg<strong>in</strong>ns<br />

richtete <strong>der</strong> Feldbischof Franz Justus Rarkowski e<strong>in</strong>en Aufruf an die deutschen<br />

Soldaten: „In ernster Stunde, da unser deutsches Volk die Feuerprobe <strong>der</strong><br />

Bewährung zu bestehen hat und zum Kampfe um se<strong>in</strong>e natürlichen und<br />

gottgewollten Lebensrechte angetreten ist, wende ich mich ... an euch, Soldaten, die<br />

ihr <strong>in</strong> diesem Kampf <strong>in</strong> <strong>der</strong> vor<strong>der</strong>sten Front steht und die große und ehrenvolle<br />

Aufgabe habt, die Sicherheit und das Leben <strong>der</strong> deutschen Nation mit dem Schwerte<br />

zu schützen und zu verteidigen ... Je<strong>der</strong> von euch weiß, worum es <strong>in</strong> diesen<br />

Sturmtagen unseres Volkes geht, und je<strong>der</strong> sieht bei diesem E<strong>in</strong>satz vor sich das<br />

leuchtende Vorbild e<strong>in</strong>es wehrhaften Kämpfers, unseres Führers und Obersten<br />

Befehlshabers, des ersten und tapfersten Soldaten des Großdeutschen Reiches, <strong>der</strong><br />

sich nunmehr bei euch an <strong>der</strong> Kampffront bef<strong>in</strong>det.“ 127 Wenig später folgte e<strong>in</strong><br />

geme<strong>in</strong>samer Hirtenbrief <strong>der</strong> deutschen Bischöfe, <strong>in</strong> dem es unter an<strong>der</strong>em hieß: „In<br />

dieser entscheidenden Stunde ermutigen und ermahnen wir unsere <strong>katholischen</strong><br />

124 Zitiert nach Grigulevic, <strong>Die</strong> Päpste... S. 249.<br />

125 Zitiert nach Grigulevic, <strong>Die</strong> Päpste... S. 249.<br />

126 Kurt Zentner: Illustrierte Geschichte des Dritten Reiches. München: Südwest Verlag<br />

1965. S.452.<br />

127 Saul Friedlän<strong>der</strong>: Pius XII. und das Dritte Reich; E<strong>in</strong>e Dokumentation. Re<strong>in</strong>bek:<br />

Rowohlt 1965. S. 36 f.


Soldaten, aus Gehorsam zum Führer ihre Pflicht zu tun und bereit zu se<strong>in</strong>, ihre<br />

ganze Person zu opfern.“ 128<br />

Immerh<strong>in</strong> mussten im polnischen Feldzug 10.782 Soldaten ihre ganze Person opfern.<br />

<strong>Die</strong> Leiden, die den Polen durch diesen Krieg aufgebürdet wurden, waren h<strong>in</strong>gegen<br />

unvergleichlich größer. 123.000 Soldaten und 521.000 Zivilisten kamen alle<strong>in</strong> <strong>in</strong><br />

diesem kurzen, e<strong>in</strong>monatigen Feldzug ums Leben, <strong>der</strong> aber nur <strong>der</strong> Auftakt war für<br />

e<strong>in</strong>e Ausrottungspolitik des Deutschen Reiches, <strong>der</strong> <strong>in</strong> den folgenden Jahren<br />

Millionen und Abermillionen Menschen zum Opfer fallen sollten.<br />

Was tat die <strong>Kirche</strong>? Vor allem e<strong>in</strong>mal retteten sich die Hirten und überließen ihre<br />

Herde den reißenden Wölfen. Der päpstliche Nuntius Cortesi verließ bereits am<br />

2.9.1939 Warschau und setzte sich nach Rumänien ab. Der Kard<strong>in</strong>al-Primas und<br />

Erzbischof von Gnesen-Posen, August Hlond, floh am folgenden Tag mit<br />

zahlreichen Begleitern nach Rom, von wo er nach deutschen Interventionen nach<br />

Lourdes weiterreisen musste.<br />

Der Papst h<strong>in</strong>gegen weigerte sich beharrlich, zu dem deutschen Überfall auf Polen<br />

Stellung zu nehmen. Selbst das Drängen <strong>der</strong> diplomatischen Vertreter<br />

Großbritanniens und Frankreichs konnte Pius XII. nicht zu e<strong>in</strong>em Tadel, wenn schon<br />

nicht zu e<strong>in</strong>er Verurteilung des deutschen Vorgehens bewegen. Am 20.10.1939<br />

veröffentlichte Pius XII. se<strong>in</strong>e erste Enzyklika „Summi Pontificatus“, <strong>in</strong> <strong>der</strong> er auch<br />

e<strong>in</strong>ige salbungsvolle Worte zu den Kriegsereignissen <strong>in</strong> Polen fand: „Der<br />

Augenblick, <strong>in</strong> welchem diese Unsere Enzyklika zu Euch kommt, Ehrwürdige<br />

Brü<strong>der</strong>, ist <strong>in</strong> mehrfacher H<strong>in</strong>sicht e<strong>in</strong>e wahre Stunde <strong>der</strong> F<strong>in</strong>sternis ..., <strong>in</strong> welcher<br />

<strong>der</strong> Geist <strong>der</strong> Gewalt und Zwietracht auf die Menschheit den blutgefüllten Becher<br />

<strong>der</strong> Schmerzen ausgießt, für die es ke<strong>in</strong>en Namen gibt. Ist es vielleicht notwendig,<br />

Euch zu versichern, dass unser Vaterherz <strong>in</strong> mitleiden<strong>der</strong> Liebe allen se<strong>in</strong>en Söhnen<br />

nahe ist, und <strong>in</strong> beson<strong>der</strong>er Weise den Betrübten, den Bedrückten, den Verfolgten?<br />

<strong>Die</strong> Völker, die <strong>in</strong> den tragischen Schlund des Krieges h<strong>in</strong>abgerissen wurden, s<strong>in</strong>d<br />

vielleicht erst am Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Schmerzen ..., aber schon herrschen <strong>in</strong> Tausenden von<br />

Familien Tod und Trostlosigkeit, Klage und Elend. Das Blut unzähliger Wesen, auch<br />

solche, die nicht Kämpfer s<strong>in</strong>d, erhebt herzzerreißende Klage, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e über<br />

e<strong>in</strong>e geliebte Nation, wie es Polen ist, welche durch ihre Treue für die <strong>Kirche</strong>, durch<br />

ihre Verdienste <strong>in</strong> <strong>der</strong> Verteidigung <strong>der</strong> christlichen Kultur mit unauslöschlichen<br />

Lettern <strong>in</strong> die Bücher <strong>der</strong> Geschichte e<strong>in</strong>getragen bleibt. <strong>Die</strong>ses Polen hat e<strong>in</strong> Recht<br />

auf menschliche und brü<strong>der</strong>liche Sympathie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt und erwartet, vertrauend<br />

auf das mächtige E<strong>in</strong>greifen Mariens, <strong>der</strong> ,Helfer<strong>in</strong> <strong>der</strong> Christenheit’, die Stunde<br />

e<strong>in</strong>er Wie<strong>der</strong>auferstehung, welche den Grundsätzen <strong>der</strong> Gerechtigkeit und des<br />

wahren Friedens entspricht.“ 129 Auf das E<strong>in</strong>greifen Mariens sollte die polnische Volk<br />

noch Jahre warten müssen, für so manche mag es bis heute nicht e<strong>in</strong>getreten se<strong>in</strong>.<br />

<strong>Die</strong>se merkwürdige Teilnahmslosigkeit des Papstes am Schicksal des polnischen<br />

Staates entsprang zu e<strong>in</strong>em Gutteil auch <strong>der</strong> Enttäuschung darüber, dass Polen nach<br />

dem Tode Pilsudskis im Jahre 1935 sich zunehmend von den vatikanischen Plänen<br />

e<strong>in</strong>es geme<strong>in</strong>samen deutsch-polnischen Angriffs auf die Sovjetunion entfernt hatte.<br />

Der polnische Außenm<strong>in</strong>ister Józef Beck hatte nämlich die trotz des im Jahre 1934<br />

abgeschlossenen Vertrages mit dem Deutschen Reich weiterbestehenden fe<strong>in</strong>dlichen<br />

128 Zitiert nach Deschner, Mit Gott... S. 159.<br />

129 Zitiert nach Friedlän<strong>der</strong>, Pius XII... S. 37 f.


deutschen Absichten gegenüber Polen erkannt und sich an Frankreich und<br />

Großbritannien angenähert.<br />

<strong>Die</strong> päpstliche Diplomatie unterstütze <strong>in</strong> dieser Zeit voll die deutsche. Bereits im<br />

Jahre 1938 wurde auf Betreiben Deutschlands <strong>der</strong> Danziger Bischof O’Rourke, <strong>der</strong><br />

den Nationalsozialisten zu polenfreundlich war, durch den Vatikan abberufen und<br />

durch Carl Maria Splett ersetzt, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e wilde antipolnische Politik e<strong>in</strong>leitete. Noch<br />

im August 1939 bestürmte <strong>der</strong> päpstliche Nuntius <strong>in</strong> Warschau den polnischen<br />

Außenm<strong>in</strong>ister, <strong>der</strong> deutschen For<strong>der</strong>ung nach e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>verleibung <strong>der</strong> Stadt Danzig<br />

<strong>in</strong>s Deutsche Reich nachzukommen. Als Polen dieses Ans<strong>in</strong>nen zurückwies, wurde<br />

es vom Vatikan endgültig fallengelassen. Als Hitler Mitte August 1939 über den<br />

Berl<strong>in</strong>er Nuntius Cesare Orsenigo den Papst vom bevorstehenden Überfall auf Polen<br />

unterrichtete und ihn ersuchte, diesen Angriffskrieg nicht zu verurteilen, stellte Pius<br />

XII. nur die Bed<strong>in</strong>gung, dass <strong>der</strong> Krieg nur e<strong>in</strong> M<strong>in</strong>imum an Schaden anrichten<br />

dürfe. Hitler versprach alles und griff an.<br />

Pius XII. setzte nach dem deutschen Sieg voll auf Hitler als den e<strong>in</strong>zigen und<br />

mächtigsten Kämpfer gegen den Bolschewismus. Dementsprechend kam er dem<br />

Deutschen Reich <strong>in</strong> augenfälliger Weise entgegen. In Beantwortung <strong>der</strong><br />

Neujahrswünsche <strong>der</strong> Reichsregierung bat Pius XII. am 31.12.1939 den deutschen<br />

Geschäftsträger beim Vatikan, sie „für Führer, die gesamte Reichsregierung und ‘das<br />

liebe deutsche Volk’ zu erwi<strong>der</strong>n. Dabei gedachte er mit warmen Worten se<strong>in</strong>es<br />

langjährigen Aufenthalts <strong>in</strong> Deutschland, von dem er sich se<strong>in</strong>erzeit nur schwer<br />

getrennt habe. Se<strong>in</strong>e große Zuneigung und Liebe für Deutschland fortbesteht<br />

unverm<strong>in</strong><strong>der</strong>t und vielleicht liebe er es - wenn das überhaupt möglich wäre - <strong>in</strong> den<br />

heutigen schweren Zeiten um so mehr.“ 130 E<strong>in</strong> Ausdruck dieser Liebe war, dass Pius<br />

XII., ohne e<strong>in</strong>en Friedensvertrag abzuwarten, die polnischen Gebiete deutschen<br />

Diözesen e<strong>in</strong>verleibte. E<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er <strong>der</strong>, dass er alle Klagen über die Verfolgung<br />

polnischer Geistlicher und Nonnen geflissentlich überhörte und sie darauf<br />

zurückführte, dass die Polen ihre nationale Sache ungebührlich mit <strong>der</strong> religiösen<br />

vermengt hätten.<br />

So wie im Falle Polens verhielt sich Pius XII. auch bei allen an<strong>der</strong>en<br />

Aggressionshandlungen Hitlers:<br />

− Er schwieg zum Überfall auf Norwegen im April 1940.<br />

− Er schwieg zum Angriff auf die Nie<strong>der</strong>lande, Belgien und Luxemburg. Lediglich<br />

den drei Staatsoberhäuptern drückte er se<strong>in</strong> Bedauern aus, wobei er gleichzeitig<br />

die deutsche Reichsregierung wissen ließ, dass dies ke<strong>in</strong>e Mißbilligung ihres<br />

Vorgehens bedeute.<br />

In <strong>der</strong> gleichen Weise deckte Pius XII. auch Hitlers bedeutendsten <strong>faschistischen</strong><br />

Mitstreiter Mussol<strong>in</strong>i, lagen dessen Aktionen doch im Interesse <strong>der</strong> Ausbreitung des<br />

Katholizismus. So wartete denn auch die Welt vergebens auf tadelnde Worte des<br />

Papstes als<br />

− im April 1939 Albanien von italienischen Truppen angegriffen wurde und<br />

130 Zitiert nach Karlhe<strong>in</strong>z Deschner: E<strong>in</strong> Jahrhun<strong>der</strong>t Heilsgeschichte; <strong>Die</strong> Politik <strong>der</strong><br />

Päpste im Zeitalter <strong>der</strong> Weltkriege. Bd 2: Von Pius XII. 1939 bis zu Johannes Paul I. 1978.<br />

Köln: Kiepenheuer und Witsch 1983. S. 85. Das Zitat entstammt e<strong>in</strong>em Telegrammtext,<br />

daher <strong>der</strong> merkwürdige Stil.


− als im Oktober 1940 Italien den Krieg gegen Griechenland eröffnete.<br />

Wie lautet doch e<strong>in</strong> Grundsatz? Wer schweigt, stimmt zu.<br />

Der Zweite Weltkrieg brachte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em weiteren Verlauf für die <strong>Kirche</strong> jedoch bald<br />

Gelegenheit, ihrer Zustimmung zur <strong>faschistischen</strong> Aggressionspolitik deutlicher als<br />

durch vornehme Zurückhaltung Ausdruck zu verleihen. <strong>Die</strong>se Gelegenheit kam mit<br />

dem 22.6.1941, als Deutschland se<strong>in</strong>en Angriff auf die Sovjetunion eröffnete. Der<br />

deutsche Militärbischof Rarkowski fand für diesen Aggressionsakt wie<strong>der</strong><br />

ergreifende Worte: „Wie schon oft <strong>in</strong> <strong>der</strong> Geschichte ist Deutschland <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Gegenwart e<strong>in</strong> Retter und Vorkämpfer Europas geworden ... Viele europäische<br />

Staaten ... wissen es, dass <strong>der</strong> Krieg gegen Russland e<strong>in</strong> europäischer Kreuzzug ist ...<br />

<strong>Die</strong>ses starke und verpflichtende Erlebnis eures E<strong>in</strong>satzes im Osten wird euch zu<br />

Bewußtse<strong>in</strong> br<strong>in</strong>gen, wie unsagbar groß das Glück ist, dass wir Deutsche se<strong>in</strong><br />

dürfen.“ 131 Bereits am 21.6.1941 hatten die deutschen Bischöfe e<strong>in</strong>en geme<strong>in</strong>samen<br />

Hirtenbrief erlassen, <strong>in</strong> dem sie die Soldaten und die übrige Bevölkerung wissen<br />

ließen: „Bei <strong>der</strong> Erfüllung <strong>der</strong> schweren Pflichten dieser Zeit, bei den harten<br />

Heimsuchungen, die im Gefolge des Krieges über euch kommen, möge die trostvolle<br />

Gewißheit euch stärken, dass ihr damit nicht nur dem Vaterlande dient, son<strong>der</strong>n<br />

zugleich dem heiligen Willen Gottes folgt.“ 132<br />

Wenn das nationalsozialistische Regime mit se<strong>in</strong>en Angriffskriegen gegen die halbe<br />

Welt als Erfüllungsgehilfe des göttlichen Willens galt, mussten die Bischöfe e<strong>in</strong>e<br />

davon allenfalls nicht so ganz überzeugte Bevölkerung zu treuer Pflichterfüllung<br />

ermahnen, wie dies, um nur e<strong>in</strong> Beispiel unter vielen herauszugreifen, e<strong>in</strong><br />

Hirtenbrief <strong>der</strong> bayerischen Bischöfe aus dem Jahre 1941 zeigt: „Wir haben e<strong>in</strong>e<br />

ähnliche Zeit schon durchlebt im Weltkrieg und wissen daher aus e<strong>in</strong>er harten und<br />

bitteren Erfahrung, wie notwendig und wichtig es ist, dass <strong>in</strong> solcher Lage<br />

je<strong>der</strong>mann ganz und gern und treu se<strong>in</strong>e Pflicht erfüllt, ruhige Besonnenheit und<br />

festes Gottvertrauen bewahrt und nicht anfängt zu zagen und zu klagen. Darum<br />

richten wir heute an euch, liebe Diözesanen, <strong>in</strong> väterlicher Liebe und Sorge e<strong>in</strong> Wort<br />

<strong>der</strong> Ermahnung, das euch ermuntern möchte, <strong>in</strong> gewissenhafter Pflichterfüllung und<br />

ernster Berufsauffassung die ganze Kraft e<strong>in</strong>zusetzen im <strong>Die</strong>nst des Vaterlandes und<br />

<strong>der</strong> teuren Heimat ... E<strong>in</strong>ig wollen wir se<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Liebe und im <strong>Die</strong>nst des<br />

Vaterlandes, wollen zum Schutz <strong>der</strong> Heimat e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige Opfer- und<br />

Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft bilden.“ 133<br />

<strong>Die</strong>se Äußerungen des deutschen Episkopats waren jedoch nicht bloß Auslassungen<br />

e<strong>in</strong>es überhitzten, verblendeten Nationalismus, son<strong>der</strong>n sie entsprachen voll den<br />

Ansichten des Vatikans. Bereits am 22.6.1941 berichtete <strong>der</strong> deutsche Botschafter<br />

beim Heiligen Stuhl, <strong>Die</strong>go von Bergen, nach Berl<strong>in</strong>: „Kennzeichnend für die<br />

Aufnahme im Vatikan seien die beiden folgenden Bemerkungen :<br />

1. <strong>Die</strong> Ausdehnung des Krieges auf Russland werde erheblich zu <strong>der</strong> für die<br />

Neuordnung Europas notwendigen Klärung beitragen. Es sei zu befürchten<br />

gewesen, dass <strong>der</strong> Bolschewismus als Machthaber <strong>in</strong> Europa, ja <strong>in</strong> <strong>der</strong> ganzen<br />

Welt bis zum Ende des Krieges unberührt bleibt, ja sogar gestärkt aus ihm<br />

131 Zitiert nach Deschner, Mit Gott... S. 161.<br />

132 Zitiert nach Deschner, Mit Gott... S. 162.<br />

133 Zitiert nach Deschner, Mit Gott... S. 162.


hervorgehen könne, während alle übrigen sozialen Kräfte <strong>in</strong> Mitleidenschaft<br />

gezogen würden. Durch e<strong>in</strong>e Nie<strong>der</strong>werfung Russlands sei zum m<strong>in</strong>desten e<strong>in</strong>e<br />

erhebliche Schwächung des bolschewistischen E<strong>in</strong>flusses <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt<br />

unausbleiblich.<br />

2. Das gottlose Russland an <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> ‘Demokratien’ nehme diesen Vorwand,<br />

von e<strong>in</strong>em ‘Kreuzzug für das Christentum’ zu sprechen. Der Vatikan habe schon<br />

bei früherer Gelegenheit e<strong>in</strong> solches Argument zur Rechtfertigung dieses Krieges<br />

zurückgewiesen.<br />

In dem Vatikan nahestehenden Kreisen wird dieser neue Abschnitt des Krieges mit<br />

e<strong>in</strong>em gewissen Aufatmen begrüßt und mit beson<strong>der</strong>em Interesse verfolgt.“ 134<br />

Zwei Monate später, am 23.8.1941, analysierte <strong>der</strong> Botschaftsrat Fritz Menshausen<br />

sehr ausführlich die vatikanische Haltung zum Krieg mit <strong>der</strong> Sovjetunion: „Der<br />

Papst hat zu dem Kriege gegen die Sovjetunion <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en öffentlichen Äußerungen<br />

bisher ke<strong>in</strong>e direkte Stellung genommen. Indes steht fest, dass sich e<strong>in</strong>e Stelle <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er Rundfunkansprache vom 29. Juni d.J. ... auf den Kampf gegen den<br />

Bolschewismus bezieht. Es heißt dort nach <strong>der</strong> amtlichen deutschen Übersetzung ...:<br />

‘Gewiß, es fehlt mitten im Dunkel des Gewitters nicht an Lichtblicken, die das Herz<br />

zu großen, heiligen Erwartungen erheben: Großmütige Tapferkeit zur Verteidigung<br />

<strong>der</strong> Grundlagen <strong>der</strong> christlichen Kultur und zuversichtliche Hoffnung auf ihren<br />

Triumph ...’ Wie ich von unterrichteter Seite höre, hat Pius XII. hiermit <strong>der</strong> Hoffnung<br />

Ausdruck geben wollen, dass die großen Opfer, die dieser Krieg erfor<strong>der</strong>t, nicht<br />

umsonst wären und nach dem Willen <strong>der</strong> Vorsehung zum Siege über den<br />

Bolschewismus führten ... An öffentlichen Äußerungen sonstiger vatikanischer<br />

Stellen ist nur e<strong>in</strong>e Ansprache bekannt, die <strong>der</strong> Sekretär <strong>der</strong> Kongregation <strong>der</strong><br />

Propaganda Fide, Erzbischof Constant<strong>in</strong>i, bei e<strong>in</strong>em Festgottesdienst <strong>in</strong> <strong>der</strong> Basilika<br />

von Concordia (Prov<strong>in</strong>z Venedig) Anfang dieses Monats gehalten hat und wor<strong>in</strong> er<br />

nach italienischen Pressemeldungen u.a. folgendes sagte: Gestern auf spanischem<br />

Boden, heute im bolschewistischen Russland selbst, <strong>in</strong> jenem unermeßlichen Land,<br />

wo Satan <strong>in</strong> den Oberhäuptern <strong>der</strong> Republiken se<strong>in</strong>e Stellvertreter und besten<br />

Mitarbeiter gefunden zu haben schien, schlagen jetzt tapfere Soldaten auch unseres<br />

Vaterlandes die größte Schlacht . Wir wünschen von ganzem Herzen, dass diese<br />

Schlacht uns den abschließenden Sieg und den Untergang des auf Verne<strong>in</strong>ung und<br />

Umsturz gerichteten Bolschewismus br<strong>in</strong>gen möge.’ - Zum Schluß rief Constant<strong>in</strong>i<br />

den Segen Gottes auf die italienischen und deutschen Kämpfer herab die ‘<strong>in</strong> dieser<br />

entscheidenden Stunde das Ideal unserer Freiheit gegen die rote Barbarei<br />

verteidigen.’“ 135<br />

Das Seelenheil <strong>der</strong> Soldaten war <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> überhaupt e<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>es Anliegen, für<br />

dessen Befriedigung e<strong>in</strong> riesiger militärischer Apparat mit <strong>in</strong>tensiven<br />

Schulungskursen für Feldgeistliche aufgezogen wurde. In diesen Schulungskursen<br />

und <strong>in</strong> zahllosen Predigtvorlagen wurde <strong>der</strong> Krieg theologisch gerechtfertigt und<br />

verherrlicht. <strong>Die</strong> Aufgaben <strong>der</strong> Militärseelsorge umriß <strong>der</strong> Breslauer Moraltheologe<br />

Johann Stelzenhammer bei verschiedenen Gelegenheiten mit den Worten: „Unsere<br />

Aufgabe und heilige Verantwortung ist es, die Basileia tou theou (Königsherrschaft<br />

Gottes) <strong>in</strong>s deutsche Volk und beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong> die Herzen unserer Kameraden zu<br />

tragen. Das ist Wehrmachtsseelsorge: In die Königsherrschaft Gottes jene Träger<br />

134 Zitiert nach Friedlän<strong>der</strong>, Pius XII... S. 61.<br />

135 Zitiert nach Friedlän<strong>der</strong>, Pius XII... S. 62 f.


deutscher Waffen immer enger h<strong>in</strong>zuführen, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Taufe an Christi Gnade<br />

angeschlossen wurden und <strong>der</strong> heiligen Geme<strong>in</strong>schaft <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> angehören ... Gibt<br />

es e<strong>in</strong>e schönere Aufgabe als diese deutsche Männerseelsorge? Und e<strong>in</strong> nationaleres<br />

Tun als über das Haus und den Raum des deutschen Volkes den Überbau <strong>der</strong><br />

Königsherrschaft Gottes heben? ... In dieser B<strong>in</strong>dung vom Deutschen und Göttlichen<br />

liegt unser Feld ... Das ist katholische und sittliche Haltung, und diese hat allezeit<br />

die Träger <strong>der</strong> Militär- und Feldseelsorge durch die Jahrhun<strong>der</strong>te ausgezeichnet:<br />

den Staat und se<strong>in</strong>e Waffengewalt als Ausdruck göttlicher Ordnung <strong>in</strong>nerlich<br />

anzuerkennen und auch für Herrscher zu beten, die ihre Exousia (Herrschergewalt)<br />

gegen die <strong>Kirche</strong> richten. Jede Autorität hat ihre Mission. Letztlich werden Gottes<br />

Pläne <strong>in</strong> <strong>der</strong> Geschichte verwirklicht ... Vieles <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zukunft wird vom Ausgang<br />

dieses Krieges abhängen. Gebe Gott, dass <strong>der</strong> Bolschewismus auf die Knie<br />

gezwungen wird. Als Deutsche und als Katholiken wünschen wir das. Auf dass das<br />

Feld frei werde für bessere Saat.“ 136 E<strong>in</strong>e große Zahl von Theologen drängte<br />

daraufh<strong>in</strong> <strong>in</strong> den Militärseelsorgedienst und verbreitete den todessehnsüchtigen<br />

Kitsch des „dulce et decorum est pro patria mori“ unter den Soldaten. „<strong>Die</strong> Grenze<br />

zwischen Todesfurcht und Tod ist mit e<strong>in</strong>em Sprung überwunden“, ließ da e<strong>in</strong>er<br />

verlauten, „<strong>Die</strong> Pflicht hat gerufen, und es wird gekämpft, solange noch e<strong>in</strong>e<br />

Handgranate vorhanden ist.“ 137 Kampf sei e<strong>in</strong>e zutiefst christliche Sache, me<strong>in</strong>te e<strong>in</strong><br />

an<strong>der</strong>er, denn „das Christentum ... belehrt uns, dass nur die Gewalttätigen das<br />

Himmelreich an sich reißen.“ 138 Deshalb müsse die Wehrmacht des Dritten Reiches<br />

ihre Feuerprobe bestehen, <strong>der</strong> Soldat mit se<strong>in</strong>em Herzblut dafür e<strong>in</strong>stehen, denn<br />

„wie viele Soldaten gehen auf dem Schlachtfeld <strong>in</strong> ihrem Blute lächelnd <strong>in</strong> die<br />

Ewigkeit ... <strong>Die</strong>se Verklärung liegt als schönster und unverwelklicher Kranz auf dem<br />

e<strong>in</strong>samen Grab des Gefallenen“, 139 <strong>der</strong> se<strong>in</strong>en Eid erfüllt hat.<br />

Überhaupt wurde um den Soldateneid und die Treue zur Fahne e<strong>in</strong> Mysterienkult<br />

aufgebaut. „Geradezu furchterregend ist das! hieß es da, „denn das Angesicht Gottes<br />

auf sich herabzurufen ist wahrhaft ke<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Sache. <strong>Die</strong>ses Angesicht Gottes<br />

durchschaut uns nämlich bis <strong>in</strong> unser <strong>in</strong>nerstes Herz h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, es prüft unsere<br />

geheimsten Gedanken, vor allem aber: es läßt se<strong>in</strong>en Blick nun nicht mehr los von<br />

uns. Es schaut vielmehr unser ganzes Leben auf uns und wacht eifersüchtig, ob wir<br />

unserem Versprechen auch treu bleiben, treu im Kle<strong>in</strong>en wie im Größten, treu im<br />

Gehorsam durch Zucht und Diszipl<strong>in</strong> wie auch treu im letzten E<strong>in</strong>satz unseres<br />

Lebens. Hierdurch erst gew<strong>in</strong>nt <strong>der</strong> Eid se<strong>in</strong>e volle Kraft, se<strong>in</strong>e stärkste und tiefste<br />

B<strong>in</strong>dung, e<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>dung, wie sie menschliche Autoritäten und irdische<br />

Gegebenheiten niemals zustande br<strong>in</strong>gen können.“ 140 Im Hohelied auf die Fahne<br />

fand die christliche Liebe zum Tod ihren beredtesten Ausdruck. „Denn die Fahne<br />

verkörpert uns selbst, unser Leben, unser Volk. Und weil dies alles heilige D<strong>in</strong>ge<br />

s<strong>in</strong>d, die uns von Gott geschenkt, hohe Werte, die Gott uns zum Schutz und zur<br />

Bewahrung anvertraut, darum ist auch das an<strong>der</strong>e geblieben, dass die Fahne uns<br />

heilig ist: denn schon mancher hat se<strong>in</strong> Bestes dafür h<strong>in</strong>gegeben. Heilig und kostbar<br />

ist sie wie unser Leben. Ja, die Fahne ist unser Leben! <strong>Die</strong> Fahne flattert im W<strong>in</strong>de,<br />

136 Zitiert nach He<strong>in</strong>rich Missalla: Für Volk und Vaterland; <strong>Die</strong> Kirchliche Kriegshilfe im<br />

Zweiten Weltkrieg. Königste<strong>in</strong>: Athenäum Verlag 1978. S. 67 f.<br />

137 Zitiert nach Deschner, Heilsgeschichte, Bd 2. S. 63.<br />

138 Zitiert nach Deschner, Heilsgeschichte, Bd 2. S. 63.<br />

139 Zitiert nach Deschner, Heilsgeschichte, Bd 2. S. 68.<br />

140 Zitiert nach Missalla, Für Volk... S. 164 f.


ist sie nicht e<strong>in</strong> wun<strong>der</strong>bares Symbol alles Lebendigen, aller Freiheit, alles<br />

stürmischen Siegeswillens, alles zuversichtlichen Mutes? ... Ihr Leuchten und Wehn<br />

<strong>in</strong> freier Luft künden uns von Geist und Leben unserer Selbst. <strong>Die</strong>ses Leben e<strong>in</strong>es<br />

Volkes schließt aber auch den Tod des E<strong>in</strong>zelnen mit sich e<strong>in</strong>; denn <strong>der</strong> Tod hat<br />

neben se<strong>in</strong>en dunklen Schatten auch e<strong>in</strong>e helle Seite: er ist <strong>der</strong> große, unerbittliche<br />

Erneuerer <strong>der</strong> Völker. Indem er das Alte und Kranke auslöscht, schafft er dem<br />

jungen und gesunden Leben Raum. Und selbst dieses junge und gesunde Leben<br />

e<strong>in</strong>es Volkes kann nur reifen und stark werden, kann nur dann zu neuen Siegen, die<br />

die Geschichte vergangener Generationen überstrahlen, aufbrechen, wenn es die<br />

tapfere Bereitschaft zum Tode kennt. Auch das kündet uns die Fahne, wie es<br />

wun<strong>der</strong>bar im Lied unserer Tage s<strong>in</strong>gt: ’Deutschland, sieh uns, wir weihen dir den<br />

Tod als kle<strong>in</strong>ste Tat, grüßt er e<strong>in</strong>st unsere Reihen, werden wir die große Saat. Darum<br />

laßt die Fahnen wehen <strong>in</strong> das große Morgenrot, das uns zu neuen Siegen leuchtet<br />

o<strong>der</strong> brennt zum Tod!’ Hier aber s<strong>in</strong>d wir dah<strong>in</strong> gelangt, wo über die Fahne unseres<br />

Reiches, wo über allen Fahnen <strong>der</strong> Völker jene Fahne sichtbar wird von <strong>der</strong> die<br />

Fahnen dieser Erde erst ihren seligsten Glanz erhalten, jene Fahne, die <strong>der</strong> alte<br />

deutsche Lie<strong>der</strong>dichter Venantius Fortunatus <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Karfreitagshymnus bes<strong>in</strong>gt:<br />

‘Vexilla Regis prodeunt - des Königs Fahne weht e<strong>in</strong>her, es glänzt geheimnisvoll<br />

und hehr daran das Kreuz, daran das Leben starb und Leben aus dem Tod erwarb!’<br />

Denn dieses Kreuz, es ist auch wohl e<strong>in</strong> brennendes Mahnmal des Todes, das<br />

Mahnmal heroischer Opferbereitschaft für an<strong>der</strong>e; aber es ist zugleich das<br />

leuchtende Zeichen ewigen Sieges, <strong>der</strong> den Tod bezwang. Und er, <strong>der</strong> am Kreuze<br />

verstarb, wurde jene große göttliche Saat, aus <strong>der</strong> neues Leben erwuchs für die<br />

Völker, für alle, die glauben an Christus, den Auferstandenen. So tritt <strong>der</strong> Christ<br />

zum Fahneneid, wissend, dass über <strong>der</strong> Fahne se<strong>in</strong>es Reiches die Fahne des Kreuzes<br />

aufstrahlt und damit jenes Zeichen, <strong>in</strong> dem e<strong>in</strong>stmals Kaiser Konstant<strong>in</strong> <strong>der</strong> Sieg<br />

verheißen ward. In hoc signo v<strong>in</strong>ces! In diesem Zeichen des Kreuzes, <strong>in</strong> dessen Kraft<br />

du de<strong>in</strong>er Fahne treu warst, wirst du die Krone des ewigen Lebens err<strong>in</strong>gen und die<br />

Erfüllung jener Schlußbitte aus dem Karfreitagshymnus erfahren: ‘Hast uns des<br />

Kreuzes Sieg gewährt, nun sei uns auch <strong>der</strong> Lohn beschert!’ Amen.“ 141<br />

DIE KATHOLISCHEN STAATEN<br />

„Als mit den siegreichen Feldzügen <strong>in</strong> Polen, Frankreich und auf dem Balkan <strong>der</strong><br />

Vorhang weggezogen“, me<strong>in</strong>te e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> <strong>katholischen</strong> Kriegsprediger, „da trat die<br />

teuflische Maske des Bolschewismus ungeschm<strong>in</strong>kt hervor. Nun verstanden wir,<br />

warum es, zunächst aus ger<strong>in</strong>gfügigerem Anlaß, überhaupt zu diesem Krieg<br />

kommen musste. Ist es nicht, als sollten wir geprüft werden, ob wir uns bewährten,<br />

da Gott e<strong>in</strong> solches Satanswerk <strong>der</strong> Verne<strong>in</strong>ung und des Unglaubens zuließ? Gott<br />

selber ist dar<strong>in</strong> abgeschafft. Es gibt nur noch die Gött<strong>in</strong> Masch<strong>in</strong>e, e<strong>in</strong>e<br />

Weltanschauung des elektrischen Stroms und <strong>der</strong> Masch<strong>in</strong>e, die den Menschen zu<br />

e<strong>in</strong>em D<strong>in</strong>g macht, das eben zu funktionieren hat, bis es zerstört wird, das<br />

heimtückisch und fern von je<strong>der</strong> Regel <strong>der</strong> Ritterlichkeit und Sauberkeit und mit<br />

Betrug, nicht mit kluger und erlaubter List, kämpft, das e<strong>in</strong>e Bestie ist, allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Gefangenschaft schnell zahm wird, vielleicht weil sich dann noch wie<strong>der</strong><br />

Menschliches und Göttliches <strong>in</strong> ihm regt. Me<strong>in</strong>e Herren Kriegspfarrer, dieser Krieg<br />

141 Zitiert nach Missalla, Für Volk... S. 165 f.


gegen den Bolschewismus und se<strong>in</strong>e Helfershelfer ist damit zum heiligen Krieg<br />

geworden.“ 142<br />

Gedeckt h<strong>in</strong>ter dem Rauchvorhang dieses heiligen Krieges machte sich die Catholica<br />

daran, diesem satanisch-bolschewistischen Zerrbild e<strong>in</strong>es Staates ihre<br />

Staatsvorstellung entgegenzusetzen, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ritterlichkeit, Sauberkeit und<br />

Gläubigkeit verwirklicht se<strong>in</strong> sollten. Als Modelle hiezu sollten die Slowakei und<br />

Kroatien dienen.<br />

SLOWAKEI<br />

Als eigentlicher Begrün<strong>der</strong> des am 14.3.1939 proklamierten slowakischen Staates<br />

muss <strong>der</strong> Geistliche Andrej Hl<strong>in</strong>ka gelten. Nach <strong>der</strong> Konstituierung <strong>der</strong><br />

Tschechoslowakei als Nachfolgestaat <strong>der</strong> im Ersten Weltkrieg untergegangenen<br />

Österreichisch-ungarischen Monarchie gründete Hl<strong>in</strong>ka die Slowakische<br />

Volkspartei, zu <strong>der</strong>en Vorsitzendem er am 19.12.1918 gewählt wurde.<br />

Hl<strong>in</strong>ka und se<strong>in</strong>e Partei waren entschiedene Vertreter e<strong>in</strong>er möglichst weitgehenden<br />

Autonomie <strong>der</strong> Slowakei <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Tschechoslowakei. <strong>Die</strong>se Haltung wurzelte<br />

<strong>in</strong> dem tiefen Mißtrauen Hl<strong>in</strong>kas gegenüber dem tschechischen Antiklerikalismus,<br />

<strong>der</strong> se<strong>in</strong>erseits auf die gewaltsame Rekatholisierung <strong>der</strong> Tschechen im 17.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t zurückg<strong>in</strong>g. Damals haben die katholische <strong>Kirche</strong>, <strong>der</strong> katholische Adel<br />

und die katholische Dynastie Habsburg die nationalen Son<strong>der</strong>rechte <strong>der</strong> Tschechen<br />

beseitigt und das Volk e<strong>in</strong>er harten Herrschaft unterworfen. Es war daher nicht<br />

überraschend, dass <strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten Hälfte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts <strong>der</strong> E<strong>in</strong>fluss <strong>der</strong><br />

freidenkenden liberaldemokratischen Intelligenz e<strong>in</strong>erseits und des Sozialismus<br />

an<strong>der</strong>erseits unter <strong>der</strong> Bevölkerung ständig stieg. <strong>Die</strong> Slowakische Volkspartei<br />

führte deshalb e<strong>in</strong>en beständigen Kampf gegen den Prager Zentralismus und gegen<br />

die staatliche Schulpolitik, die den kirchlichen E<strong>in</strong>fluss auf die Schule<br />

zurückdrängen wollte. Weitere Angriffspunkte für die Slowakische Volkspartei<br />

stellten die protestantische M<strong>in</strong><strong>der</strong>heit <strong>der</strong> Slowakei und die Juden dar.<br />

Zum endgültigen Bruch zwischen dem Tschechoslowakischen Staat und <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong><br />

und den mit ihr verbundenen <strong>katholischen</strong> Parteien kam es am 6.7.1925. An diesem<br />

Tag beg<strong>in</strong>g <strong>der</strong> Staat <strong>in</strong> feierlicher Form den 410. Jahrestag <strong>der</strong> Verbrennung des<br />

tschechischen Reformators Ján Hus, <strong>der</strong> mit dem Versprechen freien Geleits im Jahre<br />

1415 vor das Konzil von Konstanz geladen und dort unter Bruch aller<br />

Zusicherungen gefangengesetzt und getötet worden war. Nach den Jahrhun<strong>der</strong>ten<br />

<strong>der</strong> habsburgischen Unterdrückung kam den Feierlichkeiten des Jahres 1925 e<strong>in</strong><br />

beson<strong>der</strong>er Symbolwert zu. Für die <strong>Kirche</strong> waren die Feierlichkeiten allerd<strong>in</strong>gs <strong>der</strong><br />

Grund, auf die Zerstörung <strong>der</strong> als „Hussitenrepublik“ beschimpften<br />

Tschechoslowakei h<strong>in</strong>zuarbeiten.<br />

Als wichtigstes Werkzeug hiezu diente ihr die Slowakische Volkspartei, die im Jahre<br />

1925 den Namen ihres Führers annahm und sich h<strong>in</strong>fort „Hl<strong>in</strong>kas Slowakische<br />

Volkspartei“ nannte. E<strong>in</strong>en ersten H<strong>in</strong>weis auf diese Zielsetzung <strong>der</strong> Politik <strong>der</strong><br />

Slowakischen Volkspartei gab Hl<strong>in</strong>ka im Dezember 1932, als er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Ansprache<br />

142 Zitiert nach Missalla, Für Volk... S. 69 f.


etonte, er „werde die Nation sogar auf Kosten <strong>der</strong> Republik verteidigen“. 143 Schon<br />

nachdrücklicher zeigte sich Hl<strong>in</strong>ka am 13.8.1933. An diesem Tag sollte <strong>in</strong> Nitra <strong>in</strong><br />

feierlicher Form im Beise<strong>in</strong> des Regierungschefs und mehrerer Regierungsmitglie<strong>der</strong><br />

des 1100. Jahrestages <strong>der</strong> ersten christlichen <strong>Kirche</strong> auf tschechoslowakischem Boden<br />

gedacht werden. <strong>Die</strong> Feierlichkeiten wurden von Hl<strong>in</strong>ka und se<strong>in</strong>er Partei zu e<strong>in</strong>er<br />

wilden regierungsfe<strong>in</strong>dlichen Demonstration umfunktioniert. Fünf Jahre später, als<br />

die Politik des Deutschen Reiches immer unverhohlener auf e<strong>in</strong>e Zertrümmerung<br />

<strong>der</strong> Tschechoslowakei abzielte, kam es am 8.2.1938 zu ersten Kontakten zwischen<br />

Vertretern <strong>der</strong> pronationalsozialistischen Sudentendeutschen Partei Konrad<br />

Henle<strong>in</strong>s, die die Abtrennung <strong>der</strong> deutschsprachigen Landesteile von <strong>der</strong><br />

Tschechoslowakei betrieb, mit Hl<strong>in</strong>ka zum Zwecke e<strong>in</strong>er Zusammenarbeit. Hl<strong>in</strong>ka<br />

stand diesen hochverräterischen Kontakten e<strong>in</strong>erseits wohlwollend gegenüber,<br />

scheute aber aus Mißtrauen vor <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong>npolitik <strong>der</strong> Nationalsozialisten im Reich<br />

vor e<strong>in</strong>er wirksamen Zusammenarbeit zurück.<br />

<strong>Die</strong>s än<strong>der</strong>te sich, als Hl<strong>in</strong>ka am 16.8.1938 starb und <strong>der</strong> Geistliche Jozef Tiso am<br />

31.8.1938 se<strong>in</strong>e Nachfolge als Parteiführer antrat. An<strong>der</strong>s als se<strong>in</strong> Vorgänger wußte<br />

Tiso: „Katholizismus und Nationalsozialismus haben viel Geme<strong>in</strong>sames und<br />

arbeiten Hand <strong>in</strong> Hand für die Verbesserung <strong>der</strong> Welt.“ 144<br />

Ab Oktober 1938 begann Tiso dann auch mit <strong>der</strong> Ausgestaltung <strong>der</strong> Slowakischen<br />

Volkspartei nach dem Muster <strong>der</strong> NSDAP. Es erfolgte <strong>der</strong> Aufbau <strong>der</strong> sogenannten<br />

Hl<strong>in</strong>ka-Garde, e<strong>in</strong>er paramilitärischen Organisation, die e<strong>in</strong>er aus <strong>faschistischen</strong>,<br />

nationalsozialistischen und ständestaatlichen Elementen zusammengefügten<br />

Ideologie anh<strong>in</strong>g. Der Hl<strong>in</strong>ka-Garde zur Seite gestellt wurde die Hl<strong>in</strong>ka-Jugend,<br />

sodass mit diesen beiden Organisationen fast alle männlichen Slowaken zwischen<br />

dem sechsten und dem sechzigsten Lebensjahr erfaßt wurden. Am 18.12.1938<br />

wurden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Slowakei nach demokratischen Grundsätzen anfechtbare Wahlen<br />

durchgeführt, die <strong>der</strong> Slowakischen Volkspartei die unumschränkte Herrschaft im<br />

slowakischen Landtag brachten. <strong>Die</strong> Eröffnung <strong>der</strong> neuen Sitzungsperiode des<br />

slowakischen Landtages am 18.1.1939 gestaltete sich zu e<strong>in</strong>er deutlichen<br />

Demonstration des slowakischen Wunsches nach Abtrennung vom<br />

tschechoslowakischen Gesamtstaat. <strong>Die</strong> Regierung <strong>in</strong> Prag for<strong>der</strong>te daraufh<strong>in</strong> von<br />

Tiso <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Funktion als M<strong>in</strong>isterpräsident <strong>der</strong> slowakischen Landesregierung<br />

e<strong>in</strong>e Loyalitätserklärung gegenüber dem Staat, <strong>der</strong> sich Tiso durch ausweichende<br />

Antworten entzog. Er entwich vielmehr nach Berl<strong>in</strong>, wo er am 14.3.1939 die<br />

Souveränität <strong>der</strong> Slowakei proklamierte. Tags darauf, am 15.3.1939, wurde <strong>der</strong> nach<br />

<strong>der</strong> Abtretung <strong>der</strong> deutschsprachigen Gebiete an das Deutsche Reich im Gefolge des<br />

Münchner Abkommens vom 28.9.1938 verbleibende Rests <strong>der</strong> Tschechoslowakei als<br />

„Protektorat Böhmen und Mähren“ dem Reich e<strong>in</strong>verleibt und von deutschen<br />

Truppen besetzt.<br />

Am 21.7.1939 verabschiedete das slowakische Parlament die Verfassung des jungen<br />

Staates. <strong>Die</strong>se Verfassung orientierte sich an den päpstlichen Sozialenzykliken, <strong>der</strong><br />

Ständestaatslehre des österreichischen Staatsrechtslehrers Othmar Spann, <strong>der</strong><br />

italienischen und deutschen politischen Praxis sowie an den Verfassungen Portugals<br />

143 Victor S. Mamatey - Radomir Luza (Hgg.): Geschichte <strong>der</strong> Tschechoslowakischen<br />

Republik 1918 - 1948. Wien, Köln, Graz: Böhlau 1980. S. 162.<br />

144 Zitiert nach Deschner, Mit Gott... S. 189.


und des ständestaatlichen Österreichs. Im slowakischen Landtag war e<strong>in</strong> Fünftel <strong>der</strong><br />

Abgeordnetensitze dem Klerus vorbehalten. Am 24.10.1939 begrüßten die<br />

<strong>katholischen</strong> Bischöfe <strong>der</strong> Slowakei den neuen Staat. Zwei Tage später, am<br />

26.10.1939, wurde Tiso mit Zustimmung des Erzbischofs Karol Kmetko zum<br />

Staatspräsidenten bestellt. Pius XII. beglückwünschte Tiso und zeichnete ihn mit<br />

dem Titel „Monsignore“ aus.<br />

Unter <strong>der</strong> Präsidentschaft Tisos betrieb die Slowakei e<strong>in</strong>e sich zunehmend<br />

verschärfende Verfolgung von Orthodoxen, Protestanten und Juden. Das alles vor<br />

dem von Tiso propagierten Ideal e<strong>in</strong>es neuen slowakischen Menschen, <strong>der</strong> vom<br />

Glauben an Gott und die geistigen Werte <strong>der</strong> <strong>katholischen</strong> Weltanschauung sowie<br />

auch vom Glauben an die christlich untrennbare E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> slowakischen Familie<br />

bestimmt se<strong>in</strong> sollte.<br />

Am 30.7.1939 wurde die Ausmerzung des jüdischen E<strong>in</strong>flusses aus Wirtschaft und<br />

Politik zum Ziel des neuen slowakischen Nationalsozialismus erklärt. In e<strong>in</strong>er Reihe<br />

von Gesetzen wurde die jüdische Bevölkerung schrittweise ihrer<br />

verfassungsmäßigen Rechte beraubt, enteignet und schließlich ab August 1940 nach<br />

Deutschland ausgesiedelt, wo sie <strong>in</strong> den Lagern von Auschwitz und Majdanek<br />

umgebracht wurde. Rund 100.000 Menschen kamen hierdurch ums Leben, wobei die<br />

slowakische Regierung für jeden vom Deutschen Reich übernommenen Juden<br />

hun<strong>der</strong>t Reichsmark zahlte.<br />

Bischof Ján Vojtaššak, stellvertreten<strong>der</strong> Vorsitzen<strong>der</strong> des slowakischen Staatsrates,<br />

<strong>der</strong> sich schamlos an jüdischen Vermögenswerten bereicherte, berichtete am<br />

25.3.1942 diesem Gremium <strong>in</strong> geschäftsmäßigem Ton: „<strong>Die</strong> Ausweisung <strong>der</strong> Juden<br />

haben wir fortgesetzt. Wir haben die Bilanz erhöht.“ 145 Staatspräsident Monsignore<br />

Tiso erklärte hiezu am 28.8.1942: „Was die jüdische Frage anbelangt, so fragen<br />

manche, ob das, was wir tun, christlich und human sei. Ich frage so: Ist es christlich,<br />

wenn die Slowaken sich von ihren ewigen Fe<strong>in</strong>den, den Juden, befreien wollen? <strong>Die</strong><br />

Liebe zu unserem Nächsten ist Gottes Gebot. Se<strong>in</strong>e Liebe macht es mir zur Pflicht,<br />

alles zu beseitigen, was me<strong>in</strong>em Nächsten Böses antun will.“ 146<br />

<strong>Die</strong> klerofaschistische Slowakei unterstützte den deutschen Feldzug gegen Polen,<br />

<strong>in</strong>dem sie von ihrem Territorium aus den Angriff deutscher Truppen gestattete, und<br />

sie beteiligte sich am Krieg gegen die Sovjetunion mit 50.000 Mann, die mit dem<br />

Segen <strong>der</strong> Bischöfe Vojtaššak und Buzalka <strong>in</strong>s Feld zogen. Als die Nie<strong>der</strong>lage des<br />

Deutschen Reiches allgeme<strong>in</strong> als unabwendbar angesehen wurde, brach am 28.8<br />

1944 e<strong>in</strong> Aufstand gegen das Regime Tisos und se<strong>in</strong>er Slowakischen Volkspartei aus.<br />

Während Tiso am 27.9.1944 verkündete: „<strong>Die</strong> Slowakei wird an <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong><br />

Achsenmächte bis zum Endsieg stehen“ 147 , ließ er die Erhebung von deutschen<br />

Truppen nie<strong>der</strong>schlagen. Noch am 20.10.1944 betonte er: „Deutschland ist als<br />

Bannerträger <strong>der</strong> progressiven sozialen Ideen alle<strong>in</strong> fähig, den sozialen Ansprüchen<br />

aller Nationen gerecht zu werden.“ 148 Es verwun<strong>der</strong>t daher nicht, dass Tiso die<br />

145 Zitiert nach Deschner, Mit Gott... S. 190.<br />

146 Zitiert nach Deschner, Heilsgeschichte, Bd 2. S. 31 f.<br />

147 Zitiert nach Deschner, Mit Gott... S. 190.<br />

148 Zitiert nach Deschner, Heilsgeschichte, Bd 2. S. 34.


Nie<strong>der</strong>werfung des Aufstands am 30.101944 mit e<strong>in</strong>er Siegesparade und e<strong>in</strong>em<br />

Dankgottesdienst feierte.<br />

Am 4.4.1945 eroberten die sovjetischen Truppen Bratislava. Tiso floh nach<br />

Kremsmünster <strong>in</strong> Oberösterreich, wo er vor e<strong>in</strong>em amerikanischen General die<br />

Kapitulation <strong>der</strong> Slowakei unterzeichnete. <strong>Die</strong> Alliierten lieferten ihn jedoch an die<br />

wie<strong>der</strong>erstandene Tschechoslowakei aus, wo er am 18.4.1947 gehängt wurde.<br />

Angesichts des Todes erklärte Tiso noch: „Ich sterbe als Märtyrer ... als Verteidiger<br />

<strong>der</strong> christlichen Zivilisation.“ 149<br />

Pius XII. und se<strong>in</strong>e <strong>Kirche</strong> unternahmen denn auch alles, um Tiso zu retten o<strong>der</strong><br />

zum<strong>in</strong>dest zu rehabilitieren. In diesem S<strong>in</strong>ne stellte sich das Wirken Jozef Tisos <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> mit päpstlicher Zustimmung erschienenen „Katholischen Enzyklika“ auch <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em seltsam verklärenden Licht dar: „Tiso war e<strong>in</strong> vorbildlicher Priester, <strong>der</strong> e<strong>in</strong><br />

unbescholtenes Leben führte. Er widmete sich <strong>der</strong> Politik, weil er sich durch die<br />

Notwendigkeit dazu gezwungen sah; denn seit Beg<strong>in</strong>n dieses Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

verteidigte nur <strong>der</strong> Klerus die Rechte des slowakischen Volkes. Deshalb wurde er<br />

von allen wie e<strong>in</strong> Vater geliebt. Unter <strong>der</strong> Regierung Tiso hat die Slowakei große<br />

Fortschritte sowohl auf kulturellem und ökonomischem als auch auf sozialem Gebiet<br />

gemacht und ihre nationale Selbständigkeit bewiesen.“ 150<br />

KROATIEN<br />

Der nach dem Ersten Weltkrieg geschaffene jugoslavische Staat krankte von Anfang<br />

an an dem tiefgehenden Gegensatz zwischen den katholisch bestimmten Teilvölkern<br />

<strong>der</strong> Slovenen und ganz beson<strong>der</strong>s Kroaten auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en und den orthodoxen Serben<br />

auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite. Da die Gründung des Staates von Serbien ausgegangen war<br />

und die serbische Führungsschicht sich als die e<strong>in</strong>zige staatstragende Gruppe gab,<br />

regte sich bei <strong>der</strong> kroatischen Intelligenz e<strong>in</strong>e starke Abneigung gegen den Staat, die<br />

bis zur Zielsetzung <strong>der</strong> Lostrennung Kroatiens g<strong>in</strong>g.<br />

Am heftigsten betrieb die Zertrümmerung des jugoslavischen Staates die von dem<br />

Rechtsanwalt Ante Pavelic geführte katholisch-faschistische Geheimorganisation <strong>der</strong><br />

„Ustaša“, zu deutsch „<strong>der</strong> Aufständische“. Se<strong>in</strong>e Umtriebe zwangen Pavelic, seit<br />

dem Jahre 1929 im italienischen Exil zu leben, wo ihm von <strong>der</strong> <strong>faschistischen</strong><br />

Regierung e<strong>in</strong> Haus <strong>in</strong> Bologna zugewiesen worden war. In Zusammenarbeit mit<br />

dem italienischen Geheimdienst und <strong>der</strong> Polizei bildete Pavelic <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Exilort<br />

kroatische Untergrundkämpfer aus, die am Ende ihrer Ausbildung „bei dem<br />

allmächtigen Gott“ e<strong>in</strong>en Eid auf das von Pavelic ausgearbeitete Statut zur<br />

„Befreiung Kroatiens vom fremden Joch“ ablegen mussten.<br />

<strong>Die</strong> Ustascha entfaltete e<strong>in</strong>e rege Terrortätigkeit <strong>in</strong>nerhalb und außerhalb<br />

Jugoslaviens. So wurde beispielsweise <strong>der</strong> Chefredakteur <strong>der</strong> Zagreber Zeitung<br />

„Novosti“, Anton Šlegel, am 22.3.1929 von Ustaschen ermordet. Der schwerste<br />

Schlag gegen den jugoslavischen Staat gelang Pavelic am 9.10.1934, als e<strong>in</strong>er se<strong>in</strong>er<br />

Agenten <strong>in</strong> Marseille e<strong>in</strong> Attentat auf den <strong>in</strong> Frankreich auf Staatsbesuch weilenden<br />

149 Zitiert nach Deschner, Heilsgeschichte, Bd 2. S. 34.<br />

150 Zitiert nach Deschner, Mit Gott... S. 190.


König Aleksandar (1921 - 1934) verübte. Sowohl <strong>der</strong> König als auch <strong>der</strong> ihn<br />

begleitende französische Außenm<strong>in</strong>ister Barthou kamen bei diesem Anschlag ums<br />

Leben, worauf Pavelic sowohl <strong>in</strong> Jugoslavien als auch <strong>in</strong> Frankreich <strong>in</strong> Abwesenheit<br />

zum Tode verurteilt wurde.<br />

Nicht nur die Ustascha, auch <strong>der</strong> Vatikan war dem jugoslavischen Staat fe<strong>in</strong>dlich<br />

gesonnen. galt doch schon seit Jahrzehnten das Bestreben <strong>der</strong> Päpste e<strong>in</strong>er<br />

Unterwerfung <strong>der</strong> Orthodoxie auf dem Balkan. Das katholische Kroatien galt dem<br />

Vatikan als wichtiger Brückenkopf bei se<strong>in</strong>er Strategie. Zur Festigung <strong>der</strong> Position<br />

des Katholizismus <strong>in</strong> diesem Brückenkopf versuchte <strong>der</strong> Vatikan unter <strong>der</strong><br />

Fe<strong>der</strong>führung des Kard<strong>in</strong>al-Staatssekretärs Pacelli, mit Jugoslavien e<strong>in</strong> Konkordat<br />

abzuschließen. Das jugoslavische Parlament, das auch die Vielfalt <strong>der</strong> Religionen im<br />

Rahmen dieses Staates repräsentierte, lehnte jedoch e<strong>in</strong>en Konkordatsabschluß ab.<br />

<strong>Die</strong> neunzehn <strong>katholischen</strong> Bischöfe erklärten daraufh<strong>in</strong> im Oktober 1937: „Der<br />

katholische Episkopat wird <strong>in</strong> jedem Falle die Rechte <strong>der</strong> <strong>katholischen</strong> <strong>Kirche</strong> und<br />

<strong>der</strong> sechs Millionen Katholiken <strong>in</strong> diesem Staate zu beschützen wissen und er hat<br />

zur Gutmachung aller Ungerechtigkeiten die erfor<strong>der</strong>lichen Maßnahmen<br />

ergriffen.“ 151 Der von dieser diplomatischen Nie<strong>der</strong>lage schwer gekränkte Pacelli<br />

verstieg sich bei e<strong>in</strong>er Ansprache an das Konsistorium vom Dezember 1937 sogar zu<br />

unverhohlenen Drohungen: „Es kommt <strong>der</strong> Tag ..., wo die Zahl jener nicht ger<strong>in</strong>g<br />

se<strong>in</strong> wird, die sehr bedauern werden, e<strong>in</strong> großmütiges und großherziges gutes Werk<br />

ausgeschlagen zu haben, das <strong>der</strong> Statthalter Christi ihrem Lande anbot.“ 152<br />

Der Tag kam am 6.4.1941, als deutsche Truppen <strong>in</strong> Jugoslavien e<strong>in</strong>marschierten.<br />

Noch am selben Tag rief Pavelic über Geheimsen<strong>der</strong> die kroatischen Soldaten auf,<br />

gegen ihre serbischen Kameraden die Waffen zu erheben. Am 10.4.1941 erließ<br />

Pavelic die Proklamation e<strong>in</strong>es „Unabhängigen Kroatien“ mit den Worten: „Gottes<br />

Vorsehung und <strong>der</strong> Wille unseres großen Verbündeten sowie <strong>der</strong> jahrhun<strong>der</strong>telange<br />

Kampf des kroatischen Volkes und die große Opferbereitschaft unseres Führers Ante<br />

Pavelic und <strong>der</strong> Ustascha-Bewegung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Heimat und im Ausland haben es<br />

gefügt, dass heute, vor <strong>der</strong> Auferstehung des Gottessohnes, auch unser<br />

unabhängiger Staat Kroatien aufersteht ... Gott mit den Kroaten! Für das Vaterland<br />

bereit!“ 153 In <strong>der</strong> Nacht zum 13.4.1941 betrat <strong>der</strong> neue „Poglavnik“ (Führer) Ante<br />

Pavelic den jungen Staat, <strong>in</strong> dem drei Millionen katholische Kroaten und zwei<br />

Millionen orthodoxe Serben und Bosniaken rund e<strong>in</strong>er halben Million<br />

Mohammedanern und e<strong>in</strong>er weiteren halben Million Angehöriger an<strong>der</strong>er<br />

Nationalitäten und religiöser Bekenntnisse gegenüberstanden.<br />

E<strong>in</strong>en Monat später, Mitte Mai 1941, hielt sich Pavelic mit zahlreichen Begleitern,<br />

darunter dem Generalvikar des Erzbischofs Alojzije Step<strong>in</strong>ac, Bischof Salis-Sewis,<br />

wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> Rom auf, wo er dem Pr<strong>in</strong>zen Aimone di Spoleto die Krone Zvonimirs als<br />

designiertem König von Kroatien anbot. Pr<strong>in</strong>z Aimone nahm die Krone an, wurde<br />

am 17.5.1941 vom Papst als König empfangen, zog es aber vor, nie se<strong>in</strong>en Fuß <strong>in</strong> se<strong>in</strong><br />

Königreich zu setzen. Tags darauf, am 18.5.1941, wurde <strong>der</strong> <strong>in</strong> zwei Staaten wegen<br />

Anstiftung zum Mord verurteilte Pavelic auch von Pius XII. <strong>in</strong> Privataudienz<br />

151 Zitiert nach Deschner, Mit Gott... S. 230.<br />

152 Zitiert nach Deschner, Mit Gott... S. 231.<br />

153 Zitiert nach Deschner, Mit Gott... S. 233.


empfangen. Der Papst verabschiedete den Poglavnik mit se<strong>in</strong>en besten Wünschen<br />

für die weitere Arbeit.<br />

Und Pavelic g<strong>in</strong>g, ganz im S<strong>in</strong>ne se<strong>in</strong>es geistigen Mentors Ante Starcevic, für den die<br />

Serben „Arbeit für den Schlachthof“ bedeuteten, an die Arbeit. Nachdem bereits im<br />

April 1941 angeordnet worden war, alle Serben müßten e<strong>in</strong>e blaue Armb<strong>in</strong>de mit<br />

dem Buchstaben P für Pravoslave o<strong>der</strong> Orthodoxer tragen - alle Juden mussten<br />

selbstverständlich den Davidstern tragen -, begann man <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge mit <strong>der</strong><br />

Ausrottung <strong>der</strong> serbischen Bevölkerung Kroatiens. <strong>Die</strong> Ustaschaführung bemühte<br />

sich nicht im ger<strong>in</strong>gsten, diese ihre Ziele zu verschleiern. Als beispielsweise am<br />

21.5.1941 <strong>der</strong> Franziskanerpater Simic mit zwei Mitarbeitern im Auftrag <strong>der</strong><br />

Ustascha bei dem italienischen Militärkommandanten von Kn<strong>in</strong> erschien, um die<br />

Zivilverwaltung zu übernehmen, wurde er von dem General nach den Richtl<strong>in</strong>ien<br />

se<strong>in</strong>er Politik befragt. Darauf antwortete Simic ungerührt: „Alle Serben <strong>in</strong> möglichst<br />

kurzer Zeit töten. Das ist unser Programm.“ 154 Nicht ganz so radikal äußerte sich <strong>der</strong><br />

Ustascha-Führer Mile Budak, als er im Juli 1941 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Rede <strong>in</strong> Gospic erklärte:<br />

„E<strong>in</strong>en Teil <strong>der</strong> Serben werden wir umbr<strong>in</strong>gen, den an<strong>der</strong>en Teil umsiedeln und die<br />

übrigen zum <strong>katholischen</strong> Glauben umtaufen und so zu Kroaten machen.“ 155<br />

Vor allem die orthodoxe Priesterschaft wurde sofort nach dem Machtantritt durch<br />

die Ustascha blutig verfolgt. Stellvertretend für zahllose an<strong>der</strong>e seien hier nur e<strong>in</strong>ige<br />

Beispiele genannt:<br />

− Der serbisch-orthodoxe Patriarch Gavrilo Dozic und <strong>der</strong> Bischof Nikolaj<br />

Velimirovic wurden nach Dachau verschleppt, wo sie bis zum Ende des Krieges<br />

<strong>in</strong>terniert blieben.<br />

− Der Metropolit Dositej von Zagreb, <strong>der</strong> Residenzstadt des <strong>katholischen</strong><br />

Erzbischofs Step<strong>in</strong>ac und des Nuntius Marcone, wurde unter <strong>der</strong> Folter<br />

wahns<strong>in</strong>nig.<br />

− Dem Bischof Platon von Banjaluka wurde e<strong>in</strong> Feuer auf <strong>der</strong> Brust entzündet,<br />

sodann wurden ihm die Augen ausgestochen und die Ohren abgeschnitten, ehe<br />

man ihn endlich erstach.<br />

− Ähnliche Folterungen musste <strong>der</strong> Priester Branko Dobrosavlejevic erdulden, dem<br />

Bart und Haare abgerissen und die Augen ausgestochen wurden, ehe er zu Tode<br />

gequält wurde.<br />

<strong>Die</strong> serbische Bevölkerung wurde systematisch ausgemordet. Innerhalb <strong>der</strong> ersten<br />

sechs Wochen des kroatischen Staates wurden 180.000 Serben und Juden<br />

umgebracht. Das ganze Land wurde mit e<strong>in</strong>em Netz von Konzentrationslagern<br />

überzogen, wie etwa <strong>in</strong> Jasenovac, Jadovno, Pag, Ogul<strong>in</strong> und an<strong>der</strong>en Orten, <strong>in</strong><br />

denen Hun<strong>der</strong>ttausende entwe<strong>der</strong> grauenhaft zu Tode gebracht wurden o<strong>der</strong><br />

verhungerten. Es wurden sogar eigene Konzentrationslager für elternlose serbische<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> e<strong>in</strong>gerichtet. Viele dieser K<strong>in</strong><strong>der</strong> wurden <strong>in</strong> Priestersem<strong>in</strong>are und Klöster<br />

gesteckt, wo sie katholisiert wurden.<br />

<strong>Die</strong> Massaker an <strong>der</strong> serbischen Bevölkerung waren wohl auch von nationalistischen<br />

Motiven bestimmt, <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie g<strong>in</strong>gen sie jedoch auf den Antrieb <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong><br />

154 Zitiert nach Deschner, Mit Gott... S. 245.<br />

155 Vladimir Dedijer: Jasenovac - das jugoslawische Auschwitz und <strong>der</strong> Vatikan. Freiburg<br />

im Breisgau: Ahriman Verlag 1988. S. 77.


zurück. Vom Anfang bis zum Ende des Regimes <strong>der</strong> Ustascha bestand e<strong>in</strong>e enge<br />

Zusammenarbeit zwischen ihr und <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong>. Bischöfe saßen als Abgeordnete im<br />

Parlament, an dessen Sitzungen <strong>der</strong> Vertreter des Papstes häufig als Beobachter<br />

teilnahm, Priester fungierten als Polizeichefs und als Offiziere <strong>in</strong> <strong>der</strong> Leibgarde<br />

Pavelics, Franziskaner kommandierten <strong>in</strong> den Konzentrationslagern, Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Katholischen Aktion waren häufig auch Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Ustascha und sogar Nonnen<br />

nahmen mit Orden dekoriert an Aufmärschen teil.<br />

<strong>Die</strong> katholische Presse unterstützte immer wie<strong>der</strong> die Politik Pavelics. So schrieb<br />

etwa die Zagreber „Nedjelja“ am 27.4.1941: „Gott, <strong>der</strong> die Geschichte <strong>der</strong> Nationen<br />

lenkt und die Herzen <strong>der</strong> Könige regiert, hat uns Ante Pavelic gegeben und den<br />

Führer e<strong>in</strong>es uns befreundeten und verbündeten Volkes, Adolf Hitler, bewegt, mit<br />

se<strong>in</strong>en siegreichen Truppen unsere Unterdrücker zu zerstreuen und die Gründung<br />

des Unabhängigen Kroatischen Staates zu ermöglichen. Ruhm sei Gott, Unsere<br />

Dankbarkeit Adolf Hitler und unendliche Treue unserem Poglavnik Ante Pavelic!“ 156 .<br />

Direktere Worte bevorzugte <strong>der</strong> Erzbischof von Sarajevo, Ivan Šaric, als er im Juni<br />

1941 im „Katolicki Tjednik“ schrieb: „Bis jetzt sprach Gott durch päpstliche<br />

Enzykliken. Aber man verschloß die Ohren. Nun beschloß Gott, an<strong>der</strong>e Methoden<br />

anzuwenden. Er will Missionen vorbereiten. Europa-Missionen, Welt-Missionen.<br />

Nicht Priester werden sie stützen, son<strong>der</strong>n Armeekommandanten. <strong>Die</strong> Predigten<br />

wird man hören mit Hilfe von Kanonen, Masch<strong>in</strong>engewehren, Panzern und<br />

Bomben.“ 157<br />

<strong>Die</strong> tüchtigsten Missionare dieses neuen Stils waren im <strong>katholischen</strong> Kroatien die<br />

Franziskaner. So reiste Bozidar Bralo nach se<strong>in</strong>er Ernennung zum Präfekten <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>em Amtsbereich tatsächlich mit e<strong>in</strong>em Masch<strong>in</strong>engewehr umher. Der<br />

Franziskaner Radoslav Galvaš war e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> engsten Berater Pavelics mit<br />

je<strong>der</strong>zeitigem Zutritt zum Poglavnik. Der Franziskaner Zvonko Brekalo war Offizier<br />

im Konzentrationslager von Jasenovac und berüchtigt wegen se<strong>in</strong>er<br />

Massenenthauptungen. Der Franziskaner Miroslav Filipovic-Majstorovic war im<br />

Herbst 1942 e<strong>in</strong>ige Monate Kommandant von Jasenovac. Unter se<strong>in</strong>em Kommando<br />

wurden 40.000 Menschen getötet. Alle<strong>in</strong> <strong>der</strong> Franziskaner-Stipendiat Brzica<br />

ermordete mit e<strong>in</strong>em Spezialmesser <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nacht des 29.8.1942 1.360 Menschen. <strong>Die</strong><br />

Aufzählung von Namen ließe sich noch beliebig fortsetzen. Vor diesem H<strong>in</strong>tergrund<br />

ersche<strong>in</strong>t es nicht mehr als Zufall, dass es wie<strong>der</strong> Franziskanerklöster waren, vor<br />

allem <strong>in</strong> Klagenfurt und Modena, die nach dem Zusammenbruch flüchtenden<br />

Ustaschen Unterschlupf gewährten.<br />

Alle diese von Klerikern <strong>in</strong> Kroatien begangenen Verbrechen geschahen unter dem<br />

Schutz des Primas Erzbischof Alojzije Step<strong>in</strong>ac, <strong>der</strong> vom ersten bis zum letzten Tag<br />

e<strong>in</strong> tatkräftiger För<strong>der</strong>er des Ustascha-Regimes war. So erließ er am 28.4.1941 e<strong>in</strong>en<br />

Hirtenbrief, <strong>in</strong> dem er die Machtergreifung durch Pavelic begrüßte: „Wer könnte<br />

uns e<strong>in</strong>en Vorwurf daraus machen, dass wir als geistliche Hirten auch die Freude<br />

und Begeisterung des Volkes unterstützen, wenn wir uns <strong>in</strong> tiefer Dankbarkeit an<br />

die göttliche Majestät wenden. Obwohl die aktuellen Ereignisse, die von so großer<br />

Wichtigkeit, sehr verwickelt s<strong>in</strong>d, ist es jedoch leicht, die Hand Gottes <strong>in</strong> diesem<br />

Werk zu sehen. Ab dom<strong>in</strong>o factum est istud et est mirabile <strong>in</strong> oculis nostris. Darum<br />

156 Zitiert nach Deschner, Mit Gott... S. 242.<br />

157 Zitiert nach Deschner, Mit Gott... S. 243.


werdet ihr unserem Aufruf Folge leisten und dadurch die Erhaltung und Entfaltung<br />

des unabhängigen Staates Kroatien unterstützen. Wir kennen die Menschen, die<br />

heute das Schicksal des kroatischen Volkes <strong>in</strong> ihren Händen halten, und wir s<strong>in</strong>d fest<br />

davon überzeugt, dass die <strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> dem wie<strong>der</strong>hergestellten kroatischen Staat die<br />

unfehlbaren Grundsätze <strong>der</strong> Wahrheit und <strong>der</strong> ewigen Gerechtigkeit <strong>in</strong> voller<br />

Freiheit wird verkünden können.“ 158<br />

<strong>Die</strong>se Überzeugung Step<strong>in</strong>acs sollte sich als richtig erweisen. Ihm und e<strong>in</strong>igen<br />

Kollegen im bischöflichen Amt wurden hohe staatliche Funktionen im kroatischen<br />

Staat übertragen. So ernannte ihn Pius XII. im Jänner 1942 zum Militärvikar <strong>der</strong><br />

Ustascha. Als wenig später sich am 23.2.1942 das kroatische Parlament konstituierte,<br />

zählten auch Step<strong>in</strong>ac und zehn weitere geistliche Würdenträger zu den<br />

Abgeordneten. Im Interesse <strong>der</strong> unbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ten Verkündigung <strong>der</strong> „unfehlbaren<br />

Grundsätze <strong>der</strong> Wahrheit und <strong>der</strong> ewigen Gerechtigkeit“ stimmten diese<br />

Abgeordneten am 25.2.1942 auch gegen die Anerkennung <strong>der</strong> alt<strong>katholischen</strong> und<br />

<strong>der</strong> orthodoxen Religionsgeme<strong>in</strong>schaften.<br />

Während die Greuel <strong>der</strong> Ustascha Ausmaße erreichten, die selbst den italienischen<br />

und deutschen Verbündeten zu abscheulich waren, ja deutsche E<strong>in</strong>heiten im April<br />

1942 sich an <strong>der</strong> Dr<strong>in</strong>a sogar mehrtägige Gefechte mit Ustascha-Verbänden lieferten,<br />

um sie von <strong>der</strong> Verfolgung flüchten<strong>der</strong> Serben über diesen Grenzfluß abzuhalten,<br />

während die Presse <strong>in</strong> verschiedenen europäischen Staaten voll Entsetzen über die<br />

Vorgänge <strong>in</strong> Kroatien berichtete, sah Step<strong>in</strong>ac ke<strong>in</strong>en Grund, die Ustascha und ihre<br />

priesterlichen Mitglie<strong>der</strong> im Namen e<strong>in</strong>er allfälligen christlichen Nächstenliebe zur<br />

Mäßigung aufzurufen. Ganz im Gegenteil, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Rede am 31.10.1943 sagte<br />

Step<strong>in</strong>ac kaltschnäuzig: „Da gibt es Leute, die uns beschuldigen, dass wir uns nicht<br />

rechtzeitig empören o<strong>der</strong> dass wir nicht wirksame Maßnahmen ergriffen haben<br />

gegen die <strong>in</strong> den verschiedensten Gegenden unseres Landes begangenen<br />

Verbrechen. Unsere Antwort ist: Wir s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong> politisches Instrument von<br />

irgendwem und wir wünschen nicht, es zu se<strong>in</strong> ... Wir haben immer im öffentlichen<br />

Leben die Grundsätze des ewigen und göttlichen Gesetzes nachdrücklich betont ...<br />

Wir können nicht als verantwortlich betrachtet werden für manche dieser<br />

verwegenen Fanatiker <strong>in</strong> den Reihen <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong>.“ 159<br />

Nach diesen Äußerungen muss angenommen werden, dass sich Step<strong>in</strong>ac als<br />

niemandes politisches Werkzeug fühlte, als er noch am 24.3.1945 e<strong>in</strong> Manifest<br />

zugunsten des Ustascha-Staates erließ. Fürwahr e<strong>in</strong>e merkwürdige Auffassung von<br />

unpolitischem Handeln.<br />

So wie <strong>der</strong> kroatische Primas, so schwieg auch Pius XII. beharrlich zu den<br />

Vorkommnissen <strong>in</strong> Kroatien, mochten selbst italienische Zeitungen darüber<br />

berichten und aus aller Welt und von allen alliierten Regierungen Protestschreiben<br />

mit <strong>der</strong> Auffor<strong>der</strong>ung zur Stellungnahme e<strong>in</strong>treffen. Der Vatikan wies die gegen<br />

Kroatien erhobenen Vorwürfe als ungerechtfertigt zurück. Der Papst schwieg und<br />

erhob Step<strong>in</strong>ac noch zum Kard<strong>in</strong>al, als er nach Ende des Krieges vom Obersten<br />

Volksgerichtshof <strong>in</strong> Zagreb zu sechzehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt wurde.<br />

158 Zitiert nach Deschner, Mit Gott... S. 247 f. Übersetzung des late<strong>in</strong>ischen Zitats: Gott<br />

hat dies gemacht, und es ist wun<strong>der</strong>bar <strong>in</strong> unseren Augen, Psalm 117,23.<br />

159 Zitiert nach Deschner, Mit Gott... S. 249 f.


VERSUCHE ZUR TRENNUNG DER ALLIIERTEN<br />

Der E<strong>in</strong>tritt <strong>der</strong> Vere<strong>in</strong>igten Staaten <strong>in</strong> den Krieg gegen Ende des Jahres 1941 und<br />

die Nie<strong>der</strong>lage <strong>der</strong> deutschen Armeen <strong>in</strong> Stal<strong>in</strong>grad an <strong>der</strong> Jahreswende von 1942<br />

auf 1943 ließen im Vatikan die Überzeugung von e<strong>in</strong>em deutschen Sieg über die<br />

Sovjetunion wankend werden. Mit e<strong>in</strong>er deutschen Nie<strong>der</strong>lage wären aber auch alle<br />

Hoffnungen auf e<strong>in</strong>e Überw<strong>in</strong>dung des Bolschewismus und e<strong>in</strong>e Unterwerfung <strong>der</strong><br />

Orthodoxie unter Rom zunichte gemacht. <strong>Die</strong> vatikanische Diplomatie schlug<br />

angesichts dieser Entwicklung <strong>der</strong> Lage e<strong>in</strong>e zweifache Strategie e<strong>in</strong>:<br />

− Engerer Anschluß an das Deutsche Reich und Italien, um die dortigen Regimes zu<br />

unterstützen. E<strong>in</strong> allfälliger Zusammenbruch des Faschismus und des<br />

Nationalsozialismus würde nach Me<strong>in</strong>ung des Vatikans unweigerlich e<strong>in</strong>e<br />

kommunistische Machtübernahme mit sich br<strong>in</strong>gen, was unbed<strong>in</strong>gt verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t<br />

werden müßte.<br />

− Neuorientierung auf die Vere<strong>in</strong>igten Staaten mit <strong>der</strong> Absicht, die<br />

angelsächsischen Mächte für e<strong>in</strong>en Separatfrieden mit dem Reich zum Zwecke<br />

e<strong>in</strong>es geme<strong>in</strong>samen Krieges gegen die Sovjetunion zu gew<strong>in</strong>nen.<br />

<strong>Die</strong> Kontakte Pius’ XII. zu den Vere<strong>in</strong>igten Staaten reichten bis <strong>in</strong>s Jahr 1936 zurück.<br />

Damals hatte er noch als Kard<strong>in</strong>al-Staatssekretär über Vermittlung des Bostoner<br />

Weihbischofs Francis Spellman e<strong>in</strong>e Reise durch die USA unternommen, die ihn mit<br />

Präsident Roosevelt und führenden Politikern sowie mit e<strong>in</strong>igen F<strong>in</strong>anzmagnaten,<br />

darunter dem Präsidenten <strong>der</strong> United States Steel Corporation, Myron Taylor,<br />

zusammenführte. Dass bei diesem Besuch die f<strong>in</strong>anzielle Lage des Vatikans im<br />

Mittelpunkt <strong>der</strong> Gespräche stand, zeigte e<strong>in</strong> Geheimdienstbericht aus dem Jahre<br />

1941 über die Beziehungen zwischen Vatikan und Weißem Haus, <strong>in</strong> dem es unter<br />

an<strong>der</strong>em heißt: „Schon vor dem Krieg befand sich <strong>der</strong> Vatikan <strong>in</strong> dauern<strong>der</strong><br />

Geldverlegenheit; <strong>in</strong>zwischen s<strong>in</strong>d die größten Zahler: Nie<strong>der</strong>lande, Belgien,<br />

Frankreich, Österreich, Spanien ausgefallen; deshalb erhält <strong>der</strong> Vatikan seit<br />

Kriegsausbruch regelmäßig e<strong>in</strong>e beträchtliche Geldsumme aus den USA, die als<br />

Sammlung <strong>der</strong> amerikanischen Katholiken bezeichnet wird, <strong>in</strong> Wirklichkeit aber aus<br />

Geheimfonds Roosevelts stammt.“ 160<br />

Recht aufschlußreich ist auch <strong>der</strong> weitere Inhalt dieses Agentenberichts: Der<br />

amerikanische Geschäftsträger „Tittmann pochte auf diese Geldzuwendungen <strong>der</strong><br />

USA wie e<strong>in</strong> Bankier, <strong>der</strong> von se<strong>in</strong>em Schuldner Rechenschaft for<strong>der</strong>t. Der Papst<br />

antwortete trotz des ungewöhnlich scharfen Tones nachgiebig, das amerikanische<br />

Geld sei zum großen Teil zur Errichtung e<strong>in</strong>es Netzes von V-Leuten <strong>in</strong> den<br />

verschiedensten Län<strong>der</strong>n aufgewendet worden; man müsse <strong>in</strong> USA die Haltung des<br />

Vatikans verstehen. Der Krieg Deutschland-Russland stehe vor <strong>der</strong> Tür; <strong>der</strong> Vatikan<br />

werde alles tun, um den Kriegsausbruch zu beschleunigen und Hitler dazu sogar<br />

unter Zusage moralischer Hilfestellung ermuntern. Deutschland werde gegen<br />

Russland siegen, aber es werde so erheblich geschwächt se<strong>in</strong>, dass man dann ihm<br />

gegenüber ganz an<strong>der</strong>s auftreten könne.“ 161<br />

160 Zitiert nach Friedlän<strong>der</strong>, Pius XII... S. 60.<br />

161 Zitiert nach Friedlän<strong>der</strong>, Pius XII... S. 60.


Mit <strong>der</strong> deutschen Nie<strong>der</strong>lage <strong>in</strong> Stal<strong>in</strong>grad, die mit <strong>der</strong> Kapitulation <strong>der</strong> 6. Armee<br />

am 31.1.1943 besiegelt wurde, sah nun Pius XII. se<strong>in</strong>en antibolschewistischen<br />

Kreuzzug vor dem Scheitern. Bereits seit dem Herbst des Jahres 1942 war die<br />

päpstliche Diplomatie bestrebt, die westlichen Alliierten an die Achsenmächte<br />

Deutschland und Italien heranzuführen, <strong>in</strong>dem man den Vertretern <strong>der</strong> Westmächte<br />

immer wie<strong>der</strong> die Gefahren e<strong>in</strong>es sovjetischen Sieges vor Augen führte.<br />

Beispielsweise erklärte Kard<strong>in</strong>al-Staatssekretär Luigi Maglione am 23.3.1943<br />

gegenüber dem britischen Botschafter Osborne: „Das bolschewistische Russland hat<br />

politische Expansionsbestrebungen übernommen, die von den Zaren seit Peter dem<br />

Großen immer gehegt worden waren ... Sie haben ihr ungeheures Land<br />

<strong>in</strong>dustrialisiert, sie besitzen alle Rohstoffe ... Wenn sie die politische und<br />

wirtschaftliche Vorherrschaft <strong>in</strong> Europa gewännen, wäre das Gleichgewicht, das den<br />

Englän<strong>der</strong>n <strong>in</strong> Europa so wertvoll war, zerstört, vielleicht für Jahrhun<strong>der</strong>te ... Im<br />

Grunde muss das Britische Reich e<strong>in</strong>en Block <strong>der</strong> Westmächte wollen, stark genug,<br />

um e<strong>in</strong>e deutsche o<strong>der</strong> russische Hegemonie zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n, e<strong>in</strong> wie<strong>der</strong>hergestelltes<br />

Frankreich, e<strong>in</strong> nicht geschwächtes Italien, e<strong>in</strong> ruhiges Spanien.“ 162<br />

Gleichzeitig versuchte Pius XII., Präsident Roosevelt durch dessen Son<strong>der</strong>gesandten<br />

beim Vatikan, Myron Taylor, davon zu überzeugen, dass <strong>der</strong> Bolschewismus weit<br />

gefährlicher sei als <strong>der</strong> Faschismus und <strong>der</strong> Nationalsozialismus. Auch <strong>der</strong><br />

mittlerweile zum Erzbischof von New York aufgestiegene Francis Spellman flog im<br />

Jahre 1943 monatelang als päpstlicher Son<strong>der</strong>gesandter umher, um für den<br />

päpstlichen Plan e<strong>in</strong>es westlichen Bündnisses gegen die Sovjetunion zu werben. Auf<br />

Anregung Spellmans übermittelte auch Franco an den britischen Premierm<strong>in</strong>ister<br />

W<strong>in</strong>ston Churchill e<strong>in</strong>e Botschaft, <strong>in</strong> <strong>der</strong> es unter an<strong>der</strong>em hieß: „Wenn <strong>der</strong><br />

Kriegsverlauf so weitergeht, dann ist klar, dass die russische Armee bis tief <strong>in</strong> das<br />

deutsche Gebiet vordr<strong>in</strong>gen wird. Wenn das geschieht, dann wird die eigentliche<br />

Gefahr für Europa und für England dar<strong>in</strong> bestehen, dass e<strong>in</strong> Sovjetdeutschland<br />

entsteht.“ 163<br />

Noch am 1.9.1943 drängte Pius XII. Präsident Roosevelt zu e<strong>in</strong>em Separatfrieden mit<br />

dem Deutschen Reich, um e<strong>in</strong>e Nachkriegsordnung aufzubauen, die geprägt se<strong>in</strong><br />

sollte von relativ gemäßigten, <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> hörigen, ständisch-autoritären Staaten wie<br />

das faschistische Italien, Spanien, Portugal, Vichy-Frankreich o<strong>der</strong> Österreich vor <strong>der</strong><br />

Annexion durch das Deutsche Reich. Auf ke<strong>in</strong>en Fall wünschte Pius XII. die<br />

bed<strong>in</strong>gungslose Kapitulation <strong>der</strong> Achsenmächte, wie sie von den Alliierten seit <strong>der</strong><br />

Konferenz von Casablanca am 20.1.1943 zwischen Roosevelt und Churchill verlangt<br />

wurde. Wie aus e<strong>in</strong>em Bericht des Stellvertretenden Reichsführers-SS Ernst<br />

Kaltenbrunner an den deutschen Außenm<strong>in</strong>ister Joachim von Ribbentrop vom<br />

16.12.1943 hervorg<strong>in</strong>g, war Pius XII. noch gegen Ende des Jahres 1943 von <strong>der</strong><br />

wichtigen <strong>Rolle</strong> des Deutschen Reiches im Kampf gegen den Bolschewismus<br />

überzeugt. Es heißt dort unter an<strong>der</strong>em: „Wie schon mehrfach hiesigen V-Personen<br />

gegenüber, kam <strong>der</strong> Papst schließlich auch auf die Frage <strong>der</strong> Weltgefahr des<br />

Bolschewismus zu sprechen und ließ dabei erneut durchblicken, dass zur Zeit noch<br />

alle<strong>in</strong> <strong>der</strong> Nationalsozialismus e<strong>in</strong> Bollwerk gegen den Kommunismus darstelle. 164<br />

162 Zitiert nach Deschner, Heilsgeschichte, Bd 2. S. 177 f.<br />

163 Zitiert nach Deschner, Heilsgeschichte, Bd 2. S. 185.<br />

164 Zitiert nach Friedlän<strong>der</strong>, Pius XII... S. 149.


E<strong>in</strong>e Chance für die vatikanischen Pläne tat sich auf, als Roosevelt erkennen ließ,<br />

dass er zu e<strong>in</strong>em Frieden mit dem Deutschen Reich bereit se<strong>in</strong> könnte, falls Hitler<br />

zurückträte. Pius XII. beschwor daraufh<strong>in</strong> Hitler, e<strong>in</strong>e „große Tat“ zu vollbr<strong>in</strong>gen<br />

und durch se<strong>in</strong>en Rücktritt e<strong>in</strong>e ansonsten zu erwartende sovjetische Besetzung<br />

Deutschlands zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Hitler lehnte jedoch ab. Der Vatikan, möglicherweise<br />

Pius XII. selbst, signalisierte den Verschwörern vom 20.7.1944 se<strong>in</strong> E<strong>in</strong>verständnis<br />

mit <strong>der</strong> Beseitigung Hitlers, wenn dadurch <strong>der</strong> Fortbestand des Reiches gesichert<br />

werden könnte.<br />

<strong>Die</strong> D<strong>in</strong>ge verliefen jedoch an<strong>der</strong>s. Das Attentat schlug fehl, und da sich auch Pius<br />

XII. dem Drängen Roosevelts verschloß, zu e<strong>in</strong>er Verständigung mit Stal<strong>in</strong> zu<br />

kommen, war <strong>der</strong> Untergang des Deutschen Reiches besiegelt.<br />

DER VATIKAN NACH DEM ZWEITEN WELTKRIEG<br />

Mit dem Zusammenbruch des <strong>faschistischen</strong> Regimes <strong>in</strong> Italien und dem Untergang<br />

des nationalsozialistischen Deutschen Reiches waren die vatikanischen Hoffnungen<br />

auf e<strong>in</strong>e Vernichtung des Bolschewismus und e<strong>in</strong>e Unterwerfung <strong>der</strong> Orthodoxie<br />

vorerst e<strong>in</strong>mal zerstört. <strong>Die</strong> Bemühungen <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> waren nach dem Ende des<br />

Zweiten Weltkrieges zum e<strong>in</strong>en darauf gerichtet, aus dem Malstrom des<br />

allgeme<strong>in</strong>en Zerfalls <strong>in</strong> den Monaten um das Kriegsende von ihren Getreuen zu<br />

retten, wer noch zu retten war, zum an<strong>der</strong>en darauf abgestellt, sich mit den Siegern<br />

zu arrangieren und abzuklären, <strong>in</strong>wieweit sie als neue Verbündete zur Erreichung<br />

<strong>der</strong> alten Ziele angenommen werden konnten, und zum dritten darauf abgezielt,<br />

sich von aller Schuld an den Greueln <strong>der</strong> vergangenen Jahre re<strong>in</strong>zuwaschen.<br />

DIE AUFRICHTUNG DER LEGENDE VON DER<br />

SCHULDLOSIGKEIT<br />

Den Auftakt gab am 25.6.1945 Pius XII. selbst, als er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Ansprache an das<br />

Kard<strong>in</strong>alskollegium ausführte: „Um diesen Angriffen Wi<strong>der</strong>stand zu leisten,<br />

scharten sich immer noch Millionen tapferer Katholiken, Männer und Frauen, um<br />

ihre Bischöfe, die es nie unterlassen haben, auch <strong>in</strong> den letzten Kriegsjahren nicht,<br />

mutig und ernst ihre Stimme zu erheben; sie scharten sich um ihre Priester, denen<br />

sie halfen, die Seelsorge den verän<strong>der</strong>ten Notwendigkeiten und Verhältnissen<br />

anzupassen; und bis zum Letzten stellten sie <strong>in</strong> zäher Geduld <strong>der</strong> Front <strong>der</strong><br />

Gottlosen und des Stolzes die Front des Glaubens, des Gebetes, <strong>der</strong> bewußt<br />

<strong>katholischen</strong> Lebenshaltung und Erziehung gegenüber.“ 165<br />

<strong>Die</strong>se etwas verschwommene Stellungnahme Pius’ XII. nahmen die deutschen<br />

Bischöfe zum Anlaß, <strong>in</strong> ihrem Hirtenbrief vom 28.6.1945 ganz offen zur<br />

Geschichtslüge zu schreiten: „<strong>Die</strong> deutschen Bischöfe haben, wie ihr selber wißt, von<br />

Anfang an vor den Irrlehren und Irrwegen des Nationalsozialismus gewarnt und<br />

immer wie<strong>der</strong> h<strong>in</strong>gewiesen auf die unglücklichen Folgen, die <strong>der</strong> Kampf gegen<br />

Glaube, Christentum und <strong>Kirche</strong>, gegen Recht, Freiheit und Wahrheit mit sich<br />

br<strong>in</strong>gen muss. Wir Bischöfe waren wegen unserer pflichtgemäßen Ablehnung <strong>der</strong><br />

165 Georg Denzler: Wi<strong>der</strong>stand o<strong>der</strong> Anpassung; Katholische <strong>Kirche</strong> und Drittes Reich.<br />

München, Zürich: piper 1984. S. 92.


Irrtümer und Gewalttaten des Nationalsozialismus zugleich mit unserem Klerus<br />

schärfster Anfe<strong>in</strong>dung und Bekämpfung ausgesetzt. Wir haben uns nicht bloß <strong>in</strong><br />

Hirtenworten und Ansprachen an das deutsche Volk gewendet, son<strong>der</strong>n auch<br />

wie<strong>der</strong>holt <strong>in</strong> geme<strong>in</strong>samen Denkschriften an den Führer selbst; aber unseren<br />

Vorstellungen und Bitten blieb e<strong>in</strong> Erfolg versagt...“ 166<br />

<strong>Die</strong>se Worte zeigen wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>mal, wie schnell Bischöfe vergessen können. S<strong>in</strong>d all<br />

die Hirtenworte und Ansprachen, <strong>in</strong> denen zum Gehorsam gegen den Führer, zur<br />

Pflichterfüllung an <strong>der</strong> Front und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Heimat aufgerufen wurde, niemals erlassen<br />

und gehalten worden? S<strong>in</strong>d die zahllosen Bücher und Traktate, <strong>in</strong> denen die<br />

Vere<strong>in</strong>barkeit von Christentum und Nationalsozialismus bewiesen wurde, nie<br />

geschrieben worden? Und welcher Verfolgung waren die deutschen Bischöfe denn<br />

ausgesetzt? Ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger war jemals e<strong>in</strong>en Tag e<strong>in</strong>gesperrt, ganz im Gegensatz zu<br />

ihren Amtsbrü<strong>der</strong>n <strong>in</strong> Polen, ganz zu schweigen von den orthodoxen Bischöfen, die<br />

oft unsagbar grausam zu Tode gebracht worden waren.<br />

Am 1.11.1945 bestätigte Pius XII. die deutschen Bischöfe <strong>in</strong> ihrer Art <strong>der</strong><br />

Vergangenheitsbewältigung, als er ihnen schrieb: „Wir haben sehr wohl gewußt,<br />

was heute zu Eurem Lob öffentlich bekannt ist, dass Ihr <strong>in</strong> gewissenhafter Erfassung<br />

eures Amtes den wahns<strong>in</strong>nigen Ideen und Maßnahmen des hemmungslosen<br />

sogenannten Nationalsozialismus mit ganzem Herzen Wi<strong>der</strong>stand und Abwehr<br />

entgegengesetzt habt, und dass dabei <strong>der</strong> bessere Teil Eures Volkes auf Eurer Seite<br />

gestanden ist.“ 167<br />

Es ist unglaublich, aber wahr, dass diese kirchliche Geschichtslüge allgeme<strong>in</strong>en<br />

Glauben fand. Ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger Bischof wurde von den Siegermächten wegen se<strong>in</strong>er<br />

Zusammenarbeit mit dem nationalsozialistischen Regime zur Verantwortung<br />

gezogen, während diese <strong>Kirche</strong> unter aller Augen nichts unversucht ließ, selbst die<br />

größten Verbrecher <strong>in</strong> Sicherheit zu br<strong>in</strong>gen.<br />

FLUCHTHILFE FÜR KRIEGSVERBRECHER<br />

Als sich <strong>der</strong> Zweite Weltkrieg se<strong>in</strong>em Ende näherte, kam die große Stunde des<br />

Bischofs Alois Hudal, <strong>in</strong> <strong>der</strong> er se<strong>in</strong>e Nibelungentreue zum Nationalsozialismus, den<br />

er im Jahre 1936 <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em bereits erwähnten Buch verteidigt hatte, bewähren<br />

konnte. <strong>Die</strong> Grundlagen für Hudals Tätigkeit wurden im Jahre 1944 geschaffen, als<br />

nach dem Tode des Kard<strong>in</strong>al-Staatssekretärs Maglione dieses Amt von Pius XII.<br />

nicht mehr besetzt wurde. Der Papst zerlegte das Staatssekretariat <strong>in</strong> zwei ihm<br />

direkt unterstehende Abteilungen: In die Verwaltungsabteilung, die Domenico<br />

Tard<strong>in</strong>i unterstellt wurde, und <strong>in</strong> die außenpolitische Abteilung, die Giovanni<br />

Battista Mont<strong>in</strong>i, <strong>der</strong> es als Paul VI. (1963 - 1978) noch zum Papst br<strong>in</strong>gen sollte,<br />

unterstand. Unter Mont<strong>in</strong>i führte Hudal das vatikanische Paßbüro und pflegte auch<br />

Kontakte zum Flüchtl<strong>in</strong>gsbüro und zur Caritas Internationalis. Auf Drängen Hudals<br />

legte Mont<strong>in</strong>i mit Zustimmung des Papstes Paß- und Flüchtl<strong>in</strong>gsbüro zusammen.<br />

Damit standen Hudal alle denkbaren Möglichkeiten offen, um se<strong>in</strong>en Freunden zu<br />

helfen, sich aus dem Ver<strong>der</strong>ben zu retten. Und er half, denn er war von den<br />

166 Zitiert nach Denzler, Anpassung S. 93.<br />

167 Zitiert nach Denzler, Anpassung S. 92.


unlauteren Motiven <strong>der</strong> Alliierten im Zweiten Weltkrieg zutiefst überzeugt. In<br />

se<strong>in</strong>en Lebenser<strong>in</strong>nerungen nahm Hudal zu se<strong>in</strong>en diesbezüglichen Tätigkeiten<br />

folgen<strong>der</strong>maßen Stellung: „Alle diese Erfahrungen haben mich schließlich veranlaßt,<br />

nach 1945 me<strong>in</strong>e ganze karitative Arbeit <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie den früheren Angehörigen<br />

des NS und Faschismus, beson<strong>der</strong>s den sogenannten ‘Kriegsverbrechern’ zu weihen,<br />

die von Kommunisten und ‘christlichen’ Demokraten verfolgt wurden, oft mit<br />

Mitteln, <strong>der</strong>en Methoden sich nur wenig von manchen ihrer Gegner von gestern<br />

unterschieden haben; obwohl diese Angeklagten vielfach persönlich ganz schuldlos,<br />

nur die ausführenden Organe <strong>der</strong> Befehle ihnen übergeordneter Stellen und so das<br />

Sühneopfer für Fehlentwicklungen des Systems waren. Hier zu helfen, manchen zu<br />

retten, ohne opportunistische und berechnende Rücksichten, selbstlos und tapfer,<br />

war <strong>in</strong> diesen Zeiten die selbstverständliche For<strong>der</strong>ung e<strong>in</strong>es wahren Christentums,<br />

das ke<strong>in</strong>en Talmudhaß, son<strong>der</strong>n nur Liebe, Güte und Verzeihung kennt und<br />

Schlußurteile über die Handlungen <strong>der</strong> eigentlichen Menschen nicht politischen<br />

Parteien, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>em ewigen Richter überläßt, <strong>der</strong> alle<strong>in</strong> die Herzen,<br />

Beweggründe und letzten Absichten überprüfen kann ... Ich danke aber dem<br />

Herrgott, dass Er mir me<strong>in</strong>e Augen geöffnet hat und auch die unverdiente Gabe<br />

geschenkt hat, viele Opfer <strong>der</strong> Nachkriegszeit im Kerkern und Konzentrationslagern<br />

besucht, getröstet und nicht wenige mit falschen Ausweispapieren ihren Pe<strong>in</strong>igern<br />

durch die Flucht <strong>in</strong> glücklichere Län<strong>der</strong> entrissen zu haben.“ 168<br />

Wer waren nun diese armen, unschuldigen Verfolgten, die Hudal vor ihren<br />

Pe<strong>in</strong>igern gerettet hat?<br />

Da war auch Adolf Eichmann, Leiter des Judenreferats im<br />

Reichssicherheitshauptamt, dem e<strong>in</strong> gewisser Pater Benedetti zur Flucht verhalf.<br />

Zu nennen ist auch noch Hans Hefelmann, <strong>der</strong> als Angeklagter im Lüneburger<br />

Euthanasieprozeß im Jahre 1964 aussagte, dass er im Februar 1949 nach Argent<strong>in</strong>ien<br />

geflohen wäre, nachdem ihm das Wiener Büro <strong>der</strong> Caritas Internationalis mit<br />

Reisedokumenten und Geld für die Flucht ausgestattet hätte.<br />

Beson<strong>der</strong>e Erwähnung verdient <strong>der</strong> Fall des Chefs <strong>der</strong> Gestapo, He<strong>in</strong>rich Müller.<br />

Unter <strong>der</strong> Identität se<strong>in</strong>es gefallenen Assistenten Oskar Liedtke floh Müller mit<br />

e<strong>in</strong>em Koffer voll Dollars am 17.5.1945 aus Berl<strong>in</strong>. Drei Wochen später hatte er<br />

Innsbruck erreicht, von wo er sich weiter nach Meran durchschlug. Von dort g<strong>in</strong>g es<br />

mit dem Auto nach Rom <strong>in</strong>s Collegio Croato. Im Juli 1945 traf Müller mit Hudal<br />

zusammen, <strong>der</strong> ihn zunächst im Collegio Teutonico und dann im Institut Santa<br />

Maria dell’Anima unterbrachte. Mit neuen Papieren, lautend auf Jan Bel<strong>in</strong>ski aus<br />

Lodz, und gekleidet als Mönch, schiffte sich Müller Ende 1945 <strong>in</strong> Neapel nach<br />

Barcelona e<strong>in</strong>. Im Jahre 1950 kam er dann nach Südamerika, wo er zuletzt unter dem<br />

Namen Herzog als Gutsverwalter <strong>in</strong> <strong>der</strong> argent<strong>in</strong>ischen Stadt Córdoba lebte.<br />

E<strong>in</strong> großer Fisch war <strong>der</strong> Poglavnik Ante Pavelic. Reich beladen mit geraubtem Gold<br />

und Edelste<strong>in</strong>en fand er nach dem Zusammenbruch se<strong>in</strong>es Regimes zunächst<br />

Unterschlupf im Haus <strong>der</strong> Franziskaner<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> St. Gilgen am Wolfgangsee, sodann<br />

bei den Barmherzigen Schwestern <strong>in</strong> Bad Ischl. In Priesterklei<strong>der</strong>n gelangte Pavelic<br />

nach Rom. Gegen Ende des Jahres 1948 erreichte er als Pablo Aranyoz Buenos Aires,<br />

168 Alois C. Hudal: Römische Tagebücher; Lebensbeichte e<strong>in</strong>es alten Bischofs. Graz,<br />

Stuttgart: Stocker 1976. S. 21.


noch immer im Besitz von 250 Kilogramm Gold und 1.100 Karat Edelste<strong>in</strong>en. Nach<br />

dem Sturz des argent<strong>in</strong>ischen Diktators Juan Perón musste Pavelic untertauchen und<br />

nach Spanien flüchten. Unbehelligt von je<strong>der</strong> Justiz starb Pavelic am 26.12.1959 <strong>in</strong><br />

Madrid, gestärkt mit dem päpstlichen Segen Johannes XXIII. (1958 - 1963). Mit<br />

Pavelic waren rund tausend Ustaschen, darunter fünfhun<strong>der</strong>t Priester, an <strong>der</strong> Spitze<br />

Erzbischof Šaric von Sarajevo und Bischof Jozo Gavic von Banjaluka, geflüchtet.<br />

<strong>Die</strong>se begründeten <strong>in</strong> Spanien e<strong>in</strong>e Ustaschen-Organisation, die bis zu se<strong>in</strong>em Tod<br />

im Jahre 1960 von Erzbischof Šaric, sodann von Vjekoslav Luburic, e<strong>in</strong>em <strong>der</strong><br />

Kommandanten des Konzentrationslagers von Jasenovac, geleitet wurde.<br />

E<strong>in</strong> weiterer Schützl<strong>in</strong>g Hudals war Erich Rajakowitsch, <strong>der</strong> Schwiegersohn von<br />

Anton R<strong>in</strong>telen, dem Kanzlerkandidaten beim Putsch <strong>der</strong> österreichischen<br />

Nationalsozialisten im Jahre 1934. Als enger Mitarbeiter Eichmanns organisierte<br />

Rajakowitsch die Deportation von 100.000 Juden aus den Nie<strong>der</strong>landen. Im Jahre<br />

1945 floh er nach Italien, wo ihn Hudal vorerst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kloster versteckte und ihm<br />

sodann die Weiterreise nach Argent<strong>in</strong>ien ermöglichte. Der Sturz Peróns zwang auch<br />

ihn wie<strong>der</strong> zur Flucht. Als Enrico Raja kehrte er nach Italien zurück, von wo er aber<br />

im Jahre 1963 vor den Nachstellungen <strong>der</strong> italienischen Behörden zuerst <strong>in</strong> die<br />

Schweiz, dann nach Österreich entwich. In Österreich wurde Rajakowitsch <strong>der</strong><br />

Prozeß gemacht, bei dem er mit milden zweie<strong>in</strong>halb Jahren davonkam.<br />

E<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er von Hudals unschuldig Verfolgten war Walter Rauff, <strong>der</strong> Erf<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

fahrbaren Gaskammer. Rauff wurde am 30.4.1945 von den Amerikanern <strong>in</strong> Italien<br />

festgenommen. Es gelang ihm zwanzig Monate lang, se<strong>in</strong>e Identität zu verschleiern.<br />

Im Dezember 1946 schmuggelten ihn zwei Priester aus dem Internierungslager und<br />

ermöglichten ihm den Weg nach Rom. Dort brachte er weitere achtzehn Monate <strong>in</strong><br />

verschiedenen Klöstern zu, zeitweise als Lehrer für Mathematik und Französisch <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em von Nonnen geführten Waisenhaus. Nachdem es mit kirchlicher Hilfe<br />

gelungen war, Rauffs Frau und K<strong>in</strong><strong>der</strong> aus <strong>der</strong> sovjetischen Besatzungszone<br />

Deutschlands nach Italien zu br<strong>in</strong>gen, g<strong>in</strong>g die wie<strong>der</strong>vere<strong>in</strong>igte Familie nach<br />

Damaskus. Im Jahre 1949, nach <strong>der</strong> Gründung des Staates Israel, verlegte Rauff<br />

se<strong>in</strong>en Wohnsitz nach Ecuador, später nach Chile.<br />

Als letzter sei noch Franz Stangl erwähnt, Kommandant <strong>der</strong> Vernichtungslager<br />

Trebl<strong>in</strong>ka und Sobibor. Stangl entkam nach Kriegsende e<strong>in</strong>em Gefangenenlager <strong>in</strong><br />

Österreich. E<strong>in</strong> österreichischer Bischof verschaffte ihm Personaldokumente des<br />

Roten Kreuzes, mit denen Stangl sich nach Damaskus absetzte. Ende <strong>der</strong> vierziger<br />

Jahre erhielt Stangl von Hudal e<strong>in</strong>en vatikanischen Paß, mit dem er und se<strong>in</strong>e Frau<br />

nach Brasilien emigrierten.<br />

Wie die aufgezählten Beispiele zeigen, hatte Hudal e<strong>in</strong>e weitverzweigte<br />

Organisation aufgebaut, die sich hauptsächlich auf katholische Klöster stütze. <strong>Die</strong><br />

Schützl<strong>in</strong>ge Hudals wurden daher auch überwiegend auf <strong>der</strong> sogenannten<br />

„Klosterroute“ weitergereicht, bis sie <strong>in</strong> Sicherheit waren. Das wichtigste dabei war,<br />

sie mit Papieren und Geld zu versorgen. Zu beiden hatte Hudal dank se<strong>in</strong>er Position<br />

fast une<strong>in</strong>geschränkten Zugang. Bei <strong>der</strong> Herstellung <strong>der</strong> Fluchtdokumente, für <strong>der</strong>en<br />

Ausstellung letztlich Monsignore Mont<strong>in</strong>i verantwortlich zeichnete, suchten Hudal<br />

und se<strong>in</strong>e Leute als Geburtsorte <strong>der</strong> neuen Inhaber mit Vorliebe Städte aus, <strong>der</strong>en<br />

standesamtliche Unterlagen durch Kriegse<strong>in</strong>wirkungen vernichtet worden waren.


Das erleichterte die Herstellung neuer Identitäten ungeme<strong>in</strong> und ermöglichte etwa<br />

50.000 Menschen den Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>es neuen Lebens.<br />

Wiewohl die Vere<strong>in</strong>igten Staaten, die neuen Verbündeten des Vatikans, Verständnis<br />

dafür aufbrachten, dass Pius XII. aus Sorge vor dem dort aufsteigenden<br />

Kommunismus die Massenflucht <strong>der</strong> <strong>faschistischen</strong> Granden nach Südamerika, wo<br />

sie häufig ihrer bisherigen Berufspraxis entsprechende Beschäftigungen bei Polizei<br />

und Geheimdiensten fanden, för<strong>der</strong>te, mussten sie, die sich während des Krieges<br />

e<strong>in</strong>en so ausgeprägten anti<strong>faschistischen</strong> Anstrich gegeben hatten, auf die öffentliche<br />

Me<strong>in</strong>ung, die diesen Anstrich überwiegend für bare Münze nahm, Rücksicht<br />

nehmen. Sie drängten daher den Vatikan, die Tätigkeiten Hudals zu unterb<strong>in</strong>den.<br />

Hudal wurde dadurch zunehmend für die vatikanische Diplomatie zu e<strong>in</strong>er<br />

Verlegenheit, aber se<strong>in</strong>e Beseitigung war nicht so e<strong>in</strong>fach, da er im österreichischen<br />

Episkopat starken Rückhalt hatte. Es dauerte bis zum Jahre 1951, ehe die<br />

österreichischen Bischöfe bereit waren, e<strong>in</strong>er Absetzung Hudals zuzustimmen.<br />

Kaum hatten die Bischöfe die Zustimmungserklärung unterschreiben, fühlte sich <strong>der</strong><br />

Grazer Bischof Ferd<strong>in</strong>and Pawlikowski gedrängt, sich namens se<strong>in</strong>er Amtsbrü<strong>der</strong><br />

bei Hudal zu entschuldigen, <strong>in</strong>dem er ihm am 22.6.1953 schrieb: „Uns allen<br />

Bischöfen war diese Sache höchst unangenehm und wir hätten sicher e<strong>in</strong>en Weg<br />

gefunden, um alles ohne Aufsehen zu ordnen. Wir s<strong>in</strong>d vor den Kopf gestoßen<br />

worden, und dem Heiligen Stuhl hat man auch nichts Angenehmes bereitet. Auch<br />

Ihr Vorfall zählt zu den Katastrophen, die Österreich getroffen haben.“ 169<br />

<strong>Die</strong> österreichischen Bischöfe hatten also aus den vergangenen zwei Jahrzehnten<br />

nicht gelernt. Doch nicht nur sie.<br />

MOTOR DES KALTEN KRIEGES<br />

Wohl hatte <strong>der</strong> Sieg <strong>der</strong> alliierten Mächte den bisher wichtigsten Verbündeten des<br />

Vatikans im Kampf gegen Kommunismus und Orthodoxie, das Deutsche Reich,<br />

vernichtet, aber dem Papsttum e<strong>in</strong>en möglicherweise noch mächtigeren<br />

Verbündeten beschert: die Vere<strong>in</strong>igten Staaten von Amerika.<br />

DIE UMPOLUNG DER VEREINIGTEN STAATEN<br />

<strong>Die</strong> Vere<strong>in</strong>igten Staaten, „Gottes eigenes Land“, wie sie sich <strong>in</strong> edler Bescheidenheit<br />

gerne nennen, waren durchaus e<strong>in</strong> Land nach dem Geschmack des Papsttums. Wie<br />

diesem g<strong>in</strong>g es auch jenen immer nur um den Frieden <strong>der</strong> Welt, um das Heil <strong>der</strong><br />

Gesellschaft, um Gerechtigkeit und Glück. Wie das Papsttum, so mussten auch die<br />

Vere<strong>in</strong>igten Staaten zur Erreichung dieser Ziele die Wi<strong>der</strong>setzlichkeiten des Bösen <strong>in</strong><br />

aller Welt bekämpfen, seien es nun die <strong>in</strong>dianischen Ure<strong>in</strong>wohner gewesen, „dieser<br />

Unrat und Bodensatz <strong>der</strong> Erde“, „diese Ungeheuer ohne Glauben“, wie sie von<br />

christlichen Predigern vom Schlage e<strong>in</strong>es Cotton Mather o<strong>der</strong> William Hubbard<br />

liebevoll bezeichnet worden waren, die man ausrotten musste, o<strong>der</strong> seien es die vom<br />

Bösen angezettelten revolutionären Umtriebe, die man immer wie<strong>der</strong> von<br />

Südamerika bis zu den fernen Philipp<strong>in</strong>en im Keim o<strong>der</strong> besser gesagt im Blut<br />

ersticken musste - alle<strong>in</strong> auf den Philipp<strong>in</strong>en um den Preis von 600.000 Toten.<br />

169 Anton Szanya: Alois C. Hudal; Zum 100. Geburtstag e<strong>in</strong>es gern vergessenen<br />

Österreichers, <strong>in</strong>: <strong>der</strong> freidenker - Geist und Gesellschaft 4(1985). S. 18


Selbstverständlich waren die Vere<strong>in</strong>igten Staaten auch <strong>in</strong> die antisovjetischen<br />

Interventionskriege <strong>der</strong> zwanziger Jahre verwickelt, als ruchbar wurde, dass <strong>der</strong><br />

allböse Fe<strong>in</strong>d se<strong>in</strong>en Sitz nun <strong>in</strong> Moskau aufgeschlagen hatte.<br />

Es war sicher Musik <strong>in</strong> den Ohren Pius’ XII., <strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Nachricht vom<br />

Kriegse<strong>in</strong>tritt <strong>der</strong> Vere<strong>in</strong>igten Staaten im Jahre 1941 e<strong>in</strong>en Nervenzusammenbruch<br />

erlitten hatte, zu hören, dass <strong>der</strong> amerikanische General Dwight D. Eisenhower<br />

bereits im Herbst des Jahres 1945 den Plan für e<strong>in</strong>en Krieg gegen die Sovjetunion<br />

ausarbeitete.<br />

Bedauerlich war sowohl <strong>in</strong> den Augen <strong>der</strong> amerikanischen Regierung wie auch des<br />

Vatikans, dass die Sovjetunion als Verbündeter <strong>der</strong> Vere<strong>in</strong>igten Staaten <strong>in</strong> dem<br />

soeben zu Ende gegangenen Krieg <strong>in</strong> <strong>der</strong> öffentlichen Me<strong>in</strong>ung sehr positiv<br />

e<strong>in</strong>geschätzt wurde. Der Vatikan war gerne dazu bereit, das Se<strong>in</strong>e dazu beizutragen,<br />

um e<strong>in</strong>en Umschwung dieser öffentlichen Me<strong>in</strong>ung herbeizuführen. Hierbei gelang<br />

ihm e<strong>in</strong> Geniestreich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Person des <strong>in</strong> aller Welt bekannten Kommunistenjägers<br />

Joseph McCarthy.<br />

Es geschah bei e<strong>in</strong>em Abendessen <strong>in</strong> Wash<strong>in</strong>gton im Jahre 1949, wo <strong>der</strong><br />

Vizepräsident <strong>der</strong> jesuitischen University of Georgetown, Edmund Walsh SJ, schon<br />

seit Jahrzehnten e<strong>in</strong> Prononcierter Gegner des Kommunismus, se<strong>in</strong>en<br />

Tischnachbarn, den <strong>katholischen</strong> Senator Joseph McCarthy, zur Bildung e<strong>in</strong>es<br />

Senatsausschusses anregte, <strong>der</strong> <strong>der</strong> Gefahr <strong>der</strong> kommunistischen Infiltration <strong>der</strong><br />

Vere<strong>in</strong>igten Staaten entgegentreten sollte. McCarthy trat wenig später mit <strong>der</strong><br />

Behauptung an die Öffentlichkeit, e<strong>in</strong>e Liste von 250 kommunistischen<br />

Sympathisanten im öffentlichen <strong>Die</strong>nst <strong>in</strong> Händen zu haben. Durch geschickte<br />

Aufbereitung se<strong>in</strong>er Anschuldigungen gelang es ihm, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit e<strong>in</strong>e<br />

<strong>der</strong>artige Hysterie zu erzeugen, dass <strong>der</strong> Senat e<strong>in</strong> „Committee On Un-American<br />

Activities“ (Komitee für unamerikanische Tätigkeiten) <strong>in</strong>s Leben rief, dessen Vorsitz<br />

McCarthy übernahm. Er demütigte M<strong>in</strong>ister und Generale, verleumdete und<br />

verklagte ohne Beweise, erzwang Gesetze zur E<strong>in</strong>schränkung <strong>der</strong><br />

verfassungsmäßigen Freiheiten. Das Spitzel- und Denunziantenunwesen blühte,<br />

Millionen lebten <strong>in</strong> Angst und Schrecken, wagten auf <strong>der</strong> Straße nicht mehr laut zu<br />

sprechen. Tausende und Abertausende wurden beschuldigt, Kommunisten zu se<strong>in</strong>,<br />

und damit um ihre Existenz gebracht. Das <strong>in</strong>tellektuelle Leben <strong>der</strong> Vere<strong>in</strong>igten<br />

Staaten verödete unter dem lähmenden Druck <strong>der</strong> McCarthyschen Inquisition, die<br />

selbst <strong>in</strong> Übersee amerikanische Bibliotheken von unliebsamen Büchern säubern<br />

ließ, die sie öffentlich verbrannte.<br />

Beredte Schützenhilfe erhielt McCarthy durch den New Yorker Kard<strong>in</strong>al Spellman,<br />

<strong>der</strong> wild über „die Gott und Freiheit hassenden kommunistischen Marionetten“<br />

herzog, „die jetzt schon die halbe Welt terrorisieren, sie unmenschlich behandeln<br />

und tyrannisieren und die offenbar anstreben, mit Hilfe von Verrätern, von denen<br />

viele sogar <strong>in</strong> unserem eigenen Land leben, die an<strong>der</strong>e Hälfte <strong>der</strong> Welt ebenfalls zu<br />

versklaven.“ 170 Noch im Oktober 1953 wetterte Spellman: „Das angstvolle Gejammer<br />

und die Proteste gegen den ‘McCarthysmus’ werden die Amerikaner nicht von<br />

ihrem Wunsch abbr<strong>in</strong>gen, den Kommunisten die Maske vom Gesicht zu reißen und<br />

170 Zitiert nach Deschner, Heilsgeschichte, Bd 2. S. 302.


sie aus all jenen Positionen zu entfernen, <strong>in</strong> denen sie ihre nie<strong>der</strong>trächtigen<br />

Vorhaben ausführen können.“ 171<br />

Es dauerte bis zum Jahre 1954, ehe es <strong>der</strong> mittlerweile zum Präsidenten<br />

aufgestiegene Eisenhower wagen konnte, McCarthy fallenzulassen. <strong>Die</strong>s mag<br />

Eisenhower nicht leicht gefallen se<strong>in</strong>, war er doch weitgehend <strong>der</strong>selben Ansicht wie<br />

<strong>der</strong> Senator, wie aus e<strong>in</strong>er se<strong>in</strong>er Ansprachen vor Militärgeistlichen hervorg<strong>in</strong>g, wo<br />

er äußerte: „<strong>Die</strong> ganze Theorie <strong>der</strong> unveräußerlichen Menschenrechte gründet auf<br />

e<strong>in</strong>em religiösen Glauben; denn nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em religiösen Glauben kann man zu <strong>der</strong><br />

Überzeugung kommen, dass <strong>der</strong> Mensch etwas mehr ist als e<strong>in</strong> gebildeter Maulesel<br />

... Deshalb ist die kommunistische und meist auch jede an<strong>der</strong>e Diktatur gezwungen,<br />

Gott zu leugnen o<strong>der</strong> ihn <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>er Weise mit <strong>der</strong> herrschenden Gewalt zu<br />

identifizieren ... <strong>Die</strong> erste Pflicht e<strong>in</strong>es geistlichen Führers ist, uns daran zu er<strong>in</strong>nern,<br />

dass die Freiheit und <strong>der</strong> Glaube von e<strong>in</strong> und <strong>der</strong>selben Münze s<strong>in</strong>d. Wenn wir dem<br />

Menschen e<strong>in</strong> Ideal geben wollen, für das er kämpfen muss, müssen wir ihm zeigen,<br />

dass alles, was ihm teuer ist, <strong>in</strong> Gefahr schwebt und dass, was ihm teuer ist, von<br />

Gott stammt. Und dies ist die Aufgabe des Militärpfarrers. Se<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e<br />

Aufgabe.“ 172<br />

<strong>Die</strong> Aufgabe des Militärpfarrers war also für Eisenhower dieselbe wie für Hitler.<br />

Und sie erfüllten sie immer gut, die Militärpfarrer. Angefeuert von Spellman und<br />

an<strong>der</strong>en kämpften amerikanische Soldaten <strong>in</strong> Korea, <strong>in</strong> Vietnam und an noch<br />

an<strong>der</strong>en Orten <strong>der</strong> Welt, um die Macht des Reiches des Bösen zurückzudrängen.<br />

DIE WIEDERAUFRÜSTUNG DEUTSCHLANDS<br />

Mögen Deutschland und das deutsche Volk noch so schwer geschädigt aus dem<br />

Zweiten Weltkrieg hervorgegangen se<strong>in</strong>, für Pius XII. war es nach dem Verlust<br />

Polens die neue Vormauer <strong>der</strong> Christenheit gegen den Osten. Dabei kam ihm die<br />

Teilung Deutschlands sehr zupaß, wie aus e<strong>in</strong>er Äußerung des Kard<strong>in</strong>als Tard<strong>in</strong>i<br />

gegenüber dem französischen Botschafter beim Vatikan d’Ormesson hervorg<strong>in</strong>g.<br />

Tard<strong>in</strong>i betonte, dass die preußischen Bevölkerungsteile Deutschlands Barbaren<br />

seien, und setzte fort: „In den Gegenden Westdeutschlands und Süddeutschlands,<br />

wo das Christentum tiefer e<strong>in</strong>gedrungen ist, ist jedoch <strong>der</strong> Geist nicht <strong>der</strong>selbe. Mit<br />

diesen Bevölkerungsteilen und mit ihren christlichen Elementen muss man<br />

arbeiten.“ 173<br />

Auf <strong>der</strong> Suche nach e<strong>in</strong>em Manne, bei dem er arbeiten lassen könnte, geriet Pius XII.<br />

bald an Konrad Adenauer. Der katholische Rhe<strong>in</strong>län<strong>der</strong> Adenauer entsprach <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>en politischen Vorstellungen genau denen, die <strong>der</strong> Papst unter den gegebenen<br />

Umständen für angemessen hielt. In e<strong>in</strong>er Rede am 1.2.1919 hatte Adenauer bereits<br />

e<strong>in</strong> politisches Programm entwickelt, das den politischen Verhältnissen fast dreißig<br />

Jahre später ziemlich genau entsprach. Adenauer führte damals aus: „Würde<br />

Preußen geteilt werden, die westlichen Teile Deutschlands zu e<strong>in</strong>em Bundesstaate,<br />

<strong>der</strong> ‘Westdeutschen Republik’, zusammengeschlossen, so würde dadurch die<br />

171 Zitiert nach Deschner, Heilsgeschichte, Bd 2. S. 302.<br />

172 Zitiert nach Deschner, Heilsgeschichte, Bd 2. S. 271 f.<br />

173 Karlhe<strong>in</strong>z Deschner: Abermals krähte <strong>der</strong> Hahn; E<strong>in</strong>e kritische <strong>Kirche</strong>ngeschichte von<br />

den Anfängen bis zu Pius XII. Stuttgart: Günther 4 1971. S. 586.


Beherrschung Deutschlands durch e<strong>in</strong> vom Geiste des Ostens, vom Militarismus<br />

beherrschtes Preußen unmöglich gemacht ... <strong>Die</strong>se Westdeutsche Republik würde<br />

wegen ihrer Größe und wirtschaftlichen Bedeutung <strong>in</strong> dem neuen Deutschen Reiche<br />

e<strong>in</strong>e bedeutungsvolle <strong>Rolle</strong> spielen und demgemäß auch die außenpolitische<br />

Haltung Deutschlands <strong>in</strong> ihrem friedensfreundlichen Geiste bee<strong>in</strong>flussen können ...<br />

Ich schließe mit <strong>der</strong> Feststellung: Entwe<strong>der</strong> kommen wir direkt o<strong>der</strong> als Pufferstaat<br />

zu Frankreich o<strong>der</strong> wir werden e<strong>in</strong>e Westdeutsche Republik. E<strong>in</strong> Drittes gibt es nicht<br />

...“ 174<br />

Dreißig Jahre später sollte Adenauer Gelegenheit haben, se<strong>in</strong> damaliges Programm<br />

zu verwirklichen. Er nahm <strong>in</strong> se<strong>in</strong> erstes Kab<strong>in</strong>ett Männer auf, die zwar von <strong>der</strong><br />

nationalsozialistischen Vergangenheit unbelastet schienen, es aber durchaus nicht<br />

waren, und ke<strong>in</strong>er Sympathie für die politische L<strong>in</strong>ke verdächtigt werden konnten.<br />

Adenauers Wirtschaftsm<strong>in</strong>ister Ludwig Erhard beispielsweise hatte bereits unter <strong>der</strong><br />

nationalsozialistischen Regierung an den wirtschaftlichen Planungen für die<br />

deutsche Nachkriegswirtschaft mitgearbeitet. Aufbauend auf diese Planungen<br />

konnten er und se<strong>in</strong>e damaligen Mitarbeiter, die nach dem Ende des zweiten<br />

Weltkrieges E<strong>in</strong>flussreiche Posten <strong>in</strong> Industrie und Wirtschaft bekleideten, die junge<br />

Bundesrepublik Deutschland <strong>in</strong> e<strong>in</strong> „Wirtschaftswun<strong>der</strong>“ führen, das den Interessen<br />

<strong>der</strong> großen Konzerne entgegenkam. Bedenklich musste für Antifaschisten auch die<br />

<strong>Rolle</strong> des später zum Staatssekretär aufgestiegenen Hans Globke als engster Berater<br />

Adenauers se<strong>in</strong>; schließlich war Globke maßgeblich an <strong>der</strong> Ausarbeitung <strong>der</strong><br />

Nürnberger Rassengesetze beteiligt gewesen.<br />

<strong>Die</strong> Personen des Kab<strong>in</strong>etts Adenauers, <strong>der</strong> selbst auch se<strong>in</strong>erzeit offen für die<br />

NSDAP e<strong>in</strong>getreten war, und die Besetzung <strong>der</strong> leitenden Funktionen <strong>in</strong> Politik und<br />

Wirtschaft zeigten deutlich, dass man seitens <strong>der</strong> herrschenden gesellschaftlichen<br />

Schicht <strong>der</strong> Bundesrepublik genauso wenig daran dachte, mit <strong>der</strong> Vergangenheit zu<br />

brechen und sich von ihr zu distanzieren, wie die katholische <strong>Kirche</strong>. <strong>Die</strong> auf beiden<br />

Seiten bestehende Belastetheit wurde durch e<strong>in</strong>e grellen Antikommunismus zu<br />

überdecken versucht - vielfach mit Erfolg. In <strong>der</strong> Person des propagandistisch<br />

geschickten Adenauer g<strong>in</strong>gen katholisches Christentum und Antikommunismus<br />

erneut e<strong>in</strong>e enge Verb<strong>in</strong>dung e<strong>in</strong>. Nur e<strong>in</strong> Beispiel von vielen aus dem Munde<br />

Adenauers sei angeführt: „Je<strong>der</strong> von uns und namentlich je<strong>der</strong> von uns <strong>katholischen</strong><br />

Christen ist verpflichtet, mitzutun und mitzuhandeln, denn glauben Sie; es geht<br />

darum, ob Europa christlich bleibt o<strong>der</strong> Europa heidnisch wird ... Wir Christen<br />

müssen e<strong>in</strong> weiteres tun. Wir müssen den Damm mit errichten helfen gegen den<br />

russischen Nationalismus. <strong>Die</strong>ser sovjetrussische Nationalismus ist beson<strong>der</strong>s<br />

gefährlich deshalb, weil er auch getragen wird vom Kommunismus, <strong>der</strong> die<br />

Herrschaft <strong>der</strong> Welt erstrebt ...“ 175<br />

Der Antikommunismus war jedoch nicht nur e<strong>in</strong> geschickt gewähltes Tarnmittel, um<br />

die politische Herkunft <strong>der</strong> führenden Leute zu vernebeln, er sprach auch geschickt<br />

die <strong>in</strong> <strong>der</strong> nationalsozialistischen Erziehungs- und Propagandaarbeit grundgelegten<br />

Affekte an und diente nicht zuletzt <strong>der</strong> Verwirklichung e<strong>in</strong>es von Wirtschaftskreisen<br />

beharrlich verfolgten Planes: <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>aufrüstung <strong>der</strong> Bundesrepublik; versprach<br />

174 Bernt Engelmann: Wie wir wurden, was wir s<strong>in</strong>d; Von <strong>der</strong> bed<strong>in</strong>gungslosen<br />

Kapitulation bis zur unbed<strong>in</strong>gten Wie<strong>der</strong>bewaffnung. München: Bertelsmann 1980. S. 55 f.<br />

175 Zitiert nach Engelmann, Wie wir wurden... S. 290.


man sich doch vom Aufbau e<strong>in</strong>er deutschen Rüstungs<strong>in</strong>dustrie starke<br />

Wachstumsantriebe für die wirtschaftliche Entwicklung. <strong>Die</strong> unermüdliche<br />

Indoktr<strong>in</strong>ation <strong>der</strong> Menschen mit dem Bild <strong>der</strong> vom Osten drohenden Gefahr ließ<br />

denn auch tatsächlich die nach Kriegsende bestimmende antimilitaristische<br />

Grunde<strong>in</strong>stellung <strong>in</strong> den Menschen abbröckeln.<br />

Auf dem Katholikentag <strong>in</strong> Bonn ließ man schließlich durch die Person des Kölner<br />

Kard<strong>in</strong>als Joseph Fr<strong>in</strong>gs vorfühlen, wie die Stimmung gegenüber e<strong>in</strong>er<br />

Wie<strong>der</strong>bewaffnung <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland wäre. Fr<strong>in</strong>gs me<strong>in</strong>te also <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er Ansprache am 23.6.1950: „E<strong>in</strong> E<strong>in</strong>tritt für e<strong>in</strong>e une<strong>in</strong>geschränkte und absolute<br />

Kriegsdienstverweigerung ist mit dem christlichen Gedanken unvere<strong>in</strong>bar. Es ist<br />

e<strong>in</strong>e verwerfliche Sentimentalität und e<strong>in</strong> falsch gerichtetes Humanitätsdenken,<br />

wenn man aus Furcht vor den Leiden e<strong>in</strong>es Krieges jegliches Unrecht geschehen<br />

ließe ... Nach den Gedanken des Papstes ist also e<strong>in</strong>e Kriegsführung, die gegen das<br />

Unrecht gerichtet ist, nicht nur e<strong>in</strong> Recht, son<strong>der</strong>n sogar e<strong>in</strong>e Pflicht aller Staaten. ...<br />

Der echte Friede kann nur auf e<strong>in</strong>er Gottesordnung beruhen. Wo immer aber diese<br />

angegriffen wird, müssen die Völker auch mit Waffengewalt die gestörte Ordnung<br />

wie<strong>der</strong>herstellen.“ 176<br />

Der große Proteststurm gegen die Worte des Kard<strong>in</strong>als blieb aus, und Konrad<br />

Adenauer erklärte am 29.8.1950 die Bereitwilligkeit <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

Deutschland, eigene Streitkräfte aufzustellen. Beg<strong>in</strong>nend mit <strong>der</strong> Aufstellung e<strong>in</strong>es<br />

Bundesgrenzschutzes wurde <strong>in</strong> den folgenden Jahren eifrig am Aufbau e<strong>in</strong>er<br />

schlagkräftigen Bundeswehr gearbeitet, bei <strong>der</strong> auch zahlreiche Offiziere, die schon<br />

mit den Armeen Hitlers gegen Osten marschiert waren, wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e berufsadäquate<br />

Beschäftigung <strong>in</strong> höchsten Rängen fanden.<br />

Gleichzeitig wurden auch die offiziellen kirchlichen Stimmen immer lauter, die den<br />

Krieg wie<strong>der</strong> als erlaubtes Mittel <strong>der</strong> Politik anerkannten, vor allem im Kampf gegen<br />

den Kommunismus. So war etwa gegen Ende des Jahres 1954 <strong>in</strong> <strong>der</strong> „Badischen<br />

Volkszeitung“, dem Sprachrohr des Erzbistums Freiburg zu lesen: „Der Glaube an<br />

die friedliche Koexistenz bei<strong>der</strong> Systeme muss sich auf die Dauer als Illusion<br />

erweisen. Niemals hat Christus davon gesprochen, dass er uns den irdischen Frieden<br />

br<strong>in</strong>gen werde. Was er me<strong>in</strong>te und immer wie<strong>der</strong> klar ausgedrückt hat, das ist <strong>der</strong><br />

Friede, ‘den die Welt nicht geben kann’ und <strong>der</strong> erworben werden muss, <strong>in</strong>dem wir<br />

bis aufs Blut dem Bösen und <strong>der</strong> Lüge wi<strong>der</strong>stehen. Es mag sehr schön kl<strong>in</strong>gen,<br />

wenn man vom Frieden spricht und diesen Frieden durch Verhandlungen zu<br />

erreichen sucht. Wer aber solches gegenüber Moskau als Ziel und Notwendigkeit<br />

betrachtet, <strong>der</strong> irrt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beurteilung des östlichen Systems.“ 177 Auch die <strong>Kirche</strong> war<br />

also bereit, wie<strong>der</strong> gen Ostland zu ziehen.<br />

Mit <strong>der</strong> Erf<strong>in</strong>dung <strong>der</strong> Atombombe hat <strong>der</strong> Krieg e<strong>in</strong>e neue Qualität gewonnen. Je<br />

mehr die Rüstungen voranschritten, umso klarer wurde, dass e<strong>in</strong> atomarer Krieg<br />

unweigerlich das Ende <strong>der</strong> Menschheit mit sich br<strong>in</strong>gen würde. Aber auch diese<br />

Aussicht konnte die <strong>Kirche</strong> nicht zu e<strong>in</strong>er Revision ihrer Haltung zum Krieg<br />

bestimmen. Ganz im Gegenteil. <strong>Die</strong> Theologen nahmen bewußt die Zerstörung <strong>der</strong><br />

Welt <strong>in</strong> Kauf, wenn die christlichen Vorstellungen und Ansprüche nur um diesen<br />

176 Zitiert nach Deschner, Abermals krähte... S. 587.<br />

177 Zitiert nach Deschner, Abermals krähte... S. 591.


Preis durchgesetzt o<strong>der</strong> bewahrt werden könnten. Der Jesuit Gustav Gundlach,<br />

lange Jahre e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> engsten Berater Pius’ XII., faßte diese Lehrme<strong>in</strong>ung im Februar<br />

1959 bündig zusammen: „<strong>Die</strong> Anwendung des atomaren Krieges ist nicht absolut<br />

unsittlich. ... Denn wir haben erstens sichere Gewißheit, dass die Welt nicht ewig<br />

dauert, und zweitens haben wir nicht die Verantwortung für das Ende <strong>der</strong> Welt. Wir<br />

können dann sagen, dass Gott <strong>der</strong> Herr, <strong>der</strong> uns durch se<strong>in</strong>e Vorsehung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

solche Situation geführt hat o<strong>der</strong> h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>kommen ließ, wo wir dieses Treuebekenntnis<br />

zu se<strong>in</strong>er Ordnung ablegen müssen, dann auch die Verantwortung übernimmt.“ 178<br />

Angesichts dieser und ähnlicher Äußerungen wun<strong>der</strong>t es, dass die Christen ihre<br />

Hirten nicht längst <strong>in</strong> näheren Augensche<strong>in</strong> genommen haben, um sich zu<br />

vergewissern, ob sie vielleicht nicht doch Wölfe wären.<br />

IST DIE GEGENWÄRTIGE KIRCHE EINE ANDERE?<br />

Zwischen den Äußerungen Gundlachs und <strong>der</strong> Gegenwart liegen dreißig Jahre, <strong>in</strong><br />

denen vier Päpste regiert haben und <strong>in</strong> denen das vielfach als epochemachend<br />

erklärte Zweite Vatikanische Konzil stattgefunden hat, <strong>in</strong> und mit dem die <strong>Kirche</strong><br />

angeblich e<strong>in</strong>en tiefgreifenden Wandel durchgemacht hätte. Hat sich die E<strong>in</strong>stellung<br />

<strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> gegenüber <strong>der</strong> Demokratie und dem Sozialismus tatsächlich so<br />

grundlegend verän<strong>der</strong>t?<br />

KIRCHE UND DEMOKRATIE<br />

Im Jahre 1983 wurde durch Johannes Paul II. das neue „Corpus Iuris Canonici“, das<br />

Gesetzbuch <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong>, <strong>in</strong> Kraft gesetzt. In diesem Gesetzbuch wird die<br />

unbeschränkte Machtausübung des Papstes und se<strong>in</strong>er Nuntien erneut festgestellt.<br />

Im Canon 331 des „Corpus Iuris Canonici“ wird <strong>der</strong> Papst ausdrücklich als<br />

„Stellvertreter Christi“ bezeichnet, dem laut Canon 333 e<strong>in</strong>e „Herrscherstellung“<br />

über alle Glie<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> zukommt. Damit hat die Entwicklung des<br />

päpstlichen Hochmutes auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Titulatur des römischen Bischofs ihren<br />

Ausdruck gefunden: Vom „Servus servorum Dei“ (Knecht <strong>der</strong> Knechte Gottes) über<br />

den „Vicarius beati Petri“ (Stellvertreter des heiligen Petrus) bis zum „Vicarius<br />

Christi“ (Stellvertreter Christi), <strong>der</strong> doch immerh<strong>in</strong> gemäß <strong>der</strong> <strong>katholischen</strong><br />

Theologie e<strong>in</strong>e Person <strong>der</strong> göttlichen Dreifaltigkeit ist. Es dürfte nur noch e<strong>in</strong>e Frage<br />

<strong>der</strong> Zeit se<strong>in</strong>, bis sich die Päpste auch offiziell als „altro Cristo“ (zweiter Christus)<br />

bezeichnen, wie es Paul VI. <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Audienz schon e<strong>in</strong>mal getan hat.<br />

<strong>Die</strong>ser Aufwertung <strong>der</strong> päpstlichen Stellung entspricht auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite, dass<br />

die Bedeutung und bestimmende Kompetenz ökumenischer Konzilien im „Corpus<br />

Iuris Canonici“ beschnitten wird. <strong>Die</strong> Bischofssynoden werden auf e<strong>in</strong>e beratende<br />

<strong>Rolle</strong> beschränkt.<br />

Um die päpstliche Machtpolitik nicht <strong>in</strong> ihrer arroganten Schroffheit unverhüllt<br />

sichtbar werden zu lassen, lieferte <strong>der</strong> Präfekt <strong>der</strong> Kongregation für die<br />

Glaubenslehre, Kard<strong>in</strong>al Joseph Ratz<strong>in</strong>ger, hierzu die ideologische Verbrämung,<br />

178 Zitiert nach Deschner, Abermals krähte... S. 595.


wenn er ausführt: „Unsere Zeit ist sicher dem <strong>katholischen</strong> <strong>Kirche</strong>nbegriff nicht eben<br />

zuträglich. Wenn alle Strukturen unter dem Gesichtspunkt ihrer Auswechselbarkeit<br />

gesehen werden und <strong>in</strong> unserer Gesellschaft alles auf demokratische Weise entsteht<br />

und auch entstehen soll, dann s<strong>in</strong>d das Denkansätze, die es tatsächlich schwer<br />

machen, das eigentlich Katholische zu verstehen ... Konsens ist e<strong>in</strong>e positive Sache.<br />

Aber es gibt eben nicht nur e<strong>in</strong>e Konsensautorität, son<strong>der</strong>n auch e<strong>in</strong>e echte<br />

Vertretungsautorität. Wer sie ausübt, vertritt etwas, das nicht er geschaffen hat, das<br />

ihm auch nicht von Menschen gegeben worden ist. Hat man das e<strong>in</strong>mal begriffen,<br />

dann weiß man, dass dadurch auch <strong>der</strong> Autoritätsträger unvergleichlich mehr<br />

gebunden ist als durch jede Verantwortung, die ihm von Menschen aufgetragen ist;<br />

denn er hat sie nicht nur Menschen gegenüber zu tragen. Niemand hat sie ihm<br />

gegeben, niemand kann sie ihm nehmen - auch im S<strong>in</strong>ne von ‘abnehmen’.“ 179<br />

Damit wäre das Gottesgnadentum längst dah<strong>in</strong>gesunkener Monarchen glücklich <strong>in</strong>s<br />

20. Jahrhun<strong>der</strong>t h<strong>in</strong>übergerettet.<br />

<strong>Die</strong> vorsichtig abgewogenen Worte, die Ratz<strong>in</strong>ger im Mai 1984 gesprochen hat, s<strong>in</strong>d<br />

wohl verstanden worden. Als im Dezember 1985 die von Johannes Paul II.<br />

e<strong>in</strong>berufene außerordentliche Bischofssynode zur Aufarbeitung <strong>der</strong> Ereignisse des<br />

zwanzig Jahre zuvor zu Ende gegangenen Zweiten Vatikanischen Konzils<br />

geschlossen wurde, versicherte <strong>der</strong> Erzbischof von K<strong>in</strong>shasa, Joseph Malula, dem<br />

Stellvertreter Christi: „In <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> ist es unmöglich, demokratische Konzepte<br />

e<strong>in</strong>zuführen, und man kann sich nicht nach Formen <strong>der</strong> zivilen Gesellschaft<br />

richten.“ 180 Johannes Paul II. wird diese Worte mit Wohlgefallen aufgenommen<br />

haben. Es gibt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hierarchie aber auch Männer, die den direkteren, für das<br />

Verständnis des Volkes griffigeren Ausdruck bevorzugen. E<strong>in</strong>er davon ist <strong>der</strong><br />

Erzbischof von Fulda, Johannes Dyba, <strong>der</strong> schon im September 1985 se<strong>in</strong>e Gläubigen<br />

wissen ließ: „Wer das Volk Gottes nach dem politischen Strickmuster <strong>der</strong><br />

Demokratie von unter her aufbauen wollte, käme zu e<strong>in</strong>er <strong>Kirche</strong> ohne Gott, ohne<br />

Berufung, ohne Verheißung, zu e<strong>in</strong>em Debattierklub, e<strong>in</strong>em Turmbau zu Babel.“ 181<br />

Mit dem gleichen Tonfall, mit ähnlicher Wortwahl ist bereits vor fünfzig und sechzig<br />

Jahren kirchlicherseits die Demokratie verächtlich gemacht worden.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Kirche</strong> hat ihrer Liebe zum Autoritären noch immer nicht abgeschworen; noch<br />

immer bedenkt sie Autokratie und starke Führerpersönlichkeiten mit ihrer<br />

Sympathie; noch immer verlangt sie von ihren Angehörigen Unterwerfung und<br />

Gehorsam. Angesichts dieser Hochschätzung <strong>der</strong> Macht und <strong>der</strong> Mächtigen wun<strong>der</strong>t<br />

es nicht, dass Johannes Paul II. sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft an<strong>der</strong>er Machtmenschen<br />

wohlfühlt. Wie Pius XII. Duces, Poglavniks, Caudillos und Führer empf<strong>in</strong>g, so<br />

empfängt Johannes Paul II. junge kroatische Katholiken, die e<strong>in</strong>e Fahne <strong>der</strong> Ustascha<br />

mit sich führen, empfängt er die erklärten Fe<strong>in</strong>de <strong>der</strong> Demokratie, Giorgio<br />

Almirante, den mittlerweile gestorbenen Führer <strong>der</strong> italienischen Neofaschisten, und<br />

Jean-Marie Le Pen, den Chef <strong>der</strong> rechtsextremen französischen „Front national“. E<strong>in</strong><br />

Papst, <strong>der</strong> dem blutbefleckten Diktator Rios Montt die Hand schüttelt und mit dem<br />

Usurpator P<strong>in</strong>ochet geme<strong>in</strong>sam <strong>in</strong> dessen Privatkapelle betet, h<strong>in</strong>gegen e<strong>in</strong>em<br />

Ernesto Cardenal mit erhobenem Zeigef<strong>in</strong>ger droht, e<strong>in</strong> solcher Papst demonstriert<br />

179 Anton Szanya: Stehen wir vor e<strong>in</strong>er neuen Gegenreformation? <strong>in</strong>: <strong>der</strong> freidenker - Geist<br />

und Gesellschaft 3/86. S. 23.<br />

180 Zitiert nach Szanya, Gegenreformation... S. 23.<br />

181 Zitiert nach Szanya, Gegenreformation... S. 23.


wohl unübersehbar, dass ihm die Demokratie zum<strong>in</strong>dest nichts bedeutet, wenn sie<br />

ihm nicht gar zuwi<strong>der</strong> ist. In diesen Zusammenhang gehört auch, dass die <strong>Kirche</strong> <strong>in</strong><br />

Österreich alljährlich Gedenkgottesdienste für den Beseitiger <strong>der</strong> österreichischen<br />

Demokratie, Engelbert Dollfuss, abhält.<br />

OPUS DEI<br />

Ganz auf dieser demokratiefe<strong>in</strong>dlichen L<strong>in</strong>ie liegt denn auch die Vorliebe Johannes<br />

Pauls II. für die reaktionäre spanische Geheimorganisation „Opus Dei“, die er am<br />

23.8.1982 als „Personalprälatur“ unmittelbar sich selbst unterstellt hat.<br />

„Opus Dei“ wurde gegen Ende <strong>der</strong> zwanziger Jahre von Jesùs Maria Escriva <strong>in</strong><br />

Spanien gegründet und nahm nach dem Sieg Francos e<strong>in</strong>e steile<br />

Aufwärtsentwicklung. Ihrer Herkunft aus e<strong>in</strong>em <strong>faschistischen</strong> Milieu entspricht<br />

denn auch die Ideologie dieser Organisation: „Opus Dei glaubt, dass die <strong>Kirche</strong><br />

korrupt ist, dass Opus Dei selbst das neue auserwählte Volk ist und dass man von<br />

Gott den heiligen Auftrag hat, die ganze <strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> die Organisation zu rekrutieren.<br />

Und das erreicht man, <strong>in</strong>dem man versucht, wirtschaftliche, politische und religiöse<br />

Macht zu gew<strong>in</strong>nen. <strong>Die</strong> Methoden, die dabei zum E<strong>in</strong>satz kommen, s<strong>in</strong>d alles<br />

an<strong>der</strong>e als ehrenhaft. Man praktiziert Geheimhaltung, Täuschung, ja sogar Betrug -<br />

wenn das notwendig se<strong>in</strong> sollte, um die gesetzten Ziele zu erreichen. Opus Dei ist<br />

e<strong>in</strong> <strong>in</strong>ternationaler F<strong>in</strong>anzkonzern, dem Banken und Import- und Exportfirmen<br />

angehören.“ 182<br />

Als solcher beschränkt sich Opus Dei nicht darauf, se<strong>in</strong>e Mitglie<strong>der</strong> mit <strong>der</strong><br />

nekrophilen Ideologie <strong>der</strong> Abtötung und Kasteiung zu <strong>in</strong>doktr<strong>in</strong>ieren. Vielmehr<br />

verfolgt Opus Dei die Aufrichtung e<strong>in</strong>es diktatorischen Theokratismus. Das<br />

bekannteste Exerzierfeld für die diesbezüglichen Bestrebungen von Opus Dei<br />

musste Chile abgeben, wo dieser Geheimbund ganz wesentlich am Sturz des<br />

gewählten Präsidenten Salvador Allende Gossens im Jahre 1973 und an <strong>der</strong><br />

Aufrichtung des Terroregimes des Augusto P<strong>in</strong>ochet Ugarte beteiligt war. <strong>Die</strong><br />

Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Militärjunta General Gustavo Leigh Guzman und Admiral José<br />

Mer<strong>in</strong>o Castro wie die meisten zivilen Assessoren wie Fernando Le<strong>in</strong>z, Jaime<br />

Guzman, Enrique Ortuzar, um nur e<strong>in</strong>ige zu nennen, waren und s<strong>in</strong>d Mitglie<strong>der</strong><br />

von Opus Dei und bestimmen entscheidend die Politik <strong>in</strong> Chile. Den ideologischen<br />

H<strong>in</strong>tergrund dieser Politik skizzierte Juan Ossadon mit den Worten: ...die berühmte<br />

demokratische Freiheit ist nichts weiter als Ausschweifung ... Gott helfe uns, dass<br />

das Parlament nie wie<strong>der</strong> nach Chile zurückkomme und dass die Demokratie sanft<br />

ruhe für alle Zeiten.“ 183<br />

Gewiß nicht <strong>in</strong> Unkenntnis dieser Denkungsart schrieb Johannes Paul II. am<br />

28.11.1982: „Mit größter Hoffnung wendet die <strong>Kirche</strong> ihre mütterliche Sorge und<br />

Aufmerksamkeit dem durch den <strong>Die</strong>ner Gottes Escriva de Balaguer auf E<strong>in</strong>gebung<br />

vom 2. Oktober 1928 <strong>in</strong> Madrid gegründeten Opus Dei zu, damit es e<strong>in</strong> kraftvolles<br />

und wirksames Werkzeug ihres Heilsauftrages für das Leben <strong>der</strong> Welt sei.“ 184 Derzeit<br />

182 Andreas Brandtner: Opus Dei; H<strong>in</strong>ter uns die Zukunft, <strong>in</strong>: <strong>der</strong> freidenker - Geist und<br />

Gesellschaft 3/87. S. 3.<br />

183 Zitiert nach Brandtner, Opus Dei... S. 8.<br />

184 Zitiert nach Brandtner, Opus Dei... S. 8.


arbeitet Opus Dei bereits <strong>in</strong> rund neunzig Staaten <strong>der</strong> Erde an <strong>der</strong> Untergrabung <strong>der</strong><br />

Demokratie, was ohne Zweifel mit dem päpstlichen Wort <strong>der</strong> Heilsauftrages<br />

geme<strong>in</strong>t ist, darunter auch <strong>in</strong> Österreich.<br />

KIRCHE UND SOZIALISMUS<br />

E<strong>in</strong>e <strong>Kirche</strong>, die nichts für die Demokratie übrig hat, läßt auch für den Sozialismus<br />

nichts Gutes erwarten. Und tatsächlich beharrt sie immer noch auf ihrer<br />

bed<strong>in</strong>gungslosen Ablehnung des Materialismus und Marxismus. In se<strong>in</strong>er Enzyklika<br />

„Dom<strong>in</strong>um et vivicantem“ führt Johannes Paul II. aus: „<strong>Die</strong>ser fundamentale<br />

Wi<strong>der</strong>stand gegen den Geist hat <strong>in</strong> unserer Zeit auch e<strong>in</strong>e äußere Dimension<br />

gefunden, <strong>in</strong>dem er sich als Inhalt <strong>der</strong> Kultur und Zivilisation, als philosophisches<br />

System, als Ideologie, als Aktions- und Bildungsprogramm für das menschliche<br />

Verhalten konzentriert. <strong>Die</strong>ser Wi<strong>der</strong>stand f<strong>in</strong>det se<strong>in</strong>en höchsten Ausdruck im<br />

Materialismus, sei es <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er theoretischen Form als Gedankensystem, sei es <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er praktischen Form als Methode <strong>der</strong> Interpretation und Bewertung <strong>der</strong><br />

Tatsachen sowie als Programm e<strong>in</strong>es entsprechenden Verhaltens. Der dialektische<br />

und historische Materialismus, <strong>der</strong> noch immer als Lebenssubstanz des Marxismus<br />

gilt, ist jenes System, das diese Denkweise, Ideologie und Praxis am meisten<br />

entwickelt und zu den äußersten praktischen Konsequenzen geführt hat, denn <strong>der</strong><br />

Materialismus schließt grundsätzlich und de facto die Gegenwart und das Wirken<br />

Gottes, <strong>der</strong> Geist ist, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt und vor allem im Menschen aus.“ 185<br />

Wer also dem Materialismus anhängt, <strong>der</strong> begeht laut <strong>der</strong> Enzyklika Johannes Pauls<br />

II. die Sünde wi<strong>der</strong> den Heiligen Geist, die Sünde, die nicht vergeben wird. Der<br />

Verführer zu dieser Sünde ist selbstverständlich <strong>der</strong> Teufel, von dem Ratz<strong>in</strong>ger<br />

weiß, dass er e<strong>in</strong>e „rätselhafte, aber reale, e<strong>in</strong>e gestalthafte und ke<strong>in</strong>e symbolische<br />

Präsenz, e<strong>in</strong>e übermenschlich und Gott entgegengesetzte Unheilsmacht“ 186 ist. Für<br />

schlichtere Gemüter beschreiben katholische Postillen das Wirken des Teufels <strong>in</strong><br />

düsteren Farben: „Wir wollen uns hüten, die schrecklichen Untiefen menschlicher<br />

Bosheit zu verkle<strong>in</strong>ern, aber wir s<strong>in</strong>d überzeugt, dass h<strong>in</strong>ter aller menschlichen<br />

Bosheit <strong>der</strong> personal Böse steht, <strong>der</strong> die menschliche Bosheit schürt, lenkt, stärkt und<br />

se<strong>in</strong>em Generalplan teuflischer Bosheit dienstbar macht. <strong>Die</strong> Bosheit <strong>der</strong> Menschen<br />

steht ganz im <strong>Die</strong>nste des ‘Fürsten dieser Welt’, <strong>der</strong> angetreten ist, das ‘Reich Gottes’<br />

womöglich erst gar nicht erst aufkommen zu lassen, und, soweit er das nicht<br />

verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n kann, es wie<strong>der</strong> auszulöschen und die Trümmer se<strong>in</strong>em Reiche<br />

e<strong>in</strong>zuverleiben.“ 187<br />

Wie die Kongregation für die Glaubenslehre erkannt hat, ist die „Theologie <strong>der</strong><br />

Befreiung“, die <strong>in</strong> weiten Teilen <strong>der</strong> Bevölkerung Südamerikas Anhänger f<strong>in</strong>det,<br />

dr<strong>in</strong>gend verdächtig, e<strong>in</strong> Werk des Teufels zu se<strong>in</strong>. In <strong>der</strong> von ihr am 3.9.1984<br />

veröffentlichten „Instruktion über e<strong>in</strong>ige Aspekte <strong>der</strong> ‘Theologie <strong>der</strong> Befreiung’“<br />

wird ausdrücklich festgestellt. „<strong>Die</strong>ses so beschaffene System ist e<strong>in</strong>e Perversion <strong>der</strong><br />

christlichen Botschaft, wie Gott sie se<strong>in</strong>er <strong>Kirche</strong> anvertraut hat. <strong>Die</strong>se Botschaft wird<br />

also <strong>in</strong> ihrer Ganzheit bei den ‘Befreiungstheologien’ <strong>in</strong> Frage gestellt. <strong>Die</strong><br />

185 Zitiert nach Szanya, Gegenreformation... S. 25.<br />

186 Zitiert nach Szanya, Gegenreformation... S. 16.<br />

187 Zitiert nach Szanya, Gegenreformation... S. 25.


‘Befreiungstheologien’ übernehmen nicht die Tatsache <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />

Schichtungen und die mit ihnen verbundenen Ungerechtigkeiten, son<strong>der</strong>n die<br />

Theorien des Klassenkampfes als strukturelles Grundgesetz <strong>der</strong> Geschichte.“ 188 Und<br />

die Theorie des Klassenkampfes ist schließlich auch e<strong>in</strong>e Grundthese des vom Teufel<br />

<strong>in</strong>spirierten Marxismus. Demzufolge ist e<strong>in</strong>e darauf sich stützende Theologie <strong>der</strong><br />

Befreiung e<strong>in</strong> Irrweg. <strong>Die</strong> „Instruktion“ drückt dies auch klar aus, wenn es heißt: „So<br />

wird die Sehnsucht nach Gerechtigkeit von Ideologien <strong>in</strong> Beschlag genommen, die<br />

<strong>der</strong>en S<strong>in</strong>n verdunkeln o<strong>der</strong> pervertieren, <strong>in</strong>dem sie dem Kampf <strong>der</strong> Völker für ihre<br />

Befreiung Ziele setzen, die dem wahren Ziele des menschlichen Lebens<br />

entgegengesetzt s<strong>in</strong>d, und Wege <strong>der</strong> Aktion vertreten, die den systematischen<br />

Rückgriff auf die Gewalt e<strong>in</strong>schließen und e<strong>in</strong>er die Person achtenden Ethik<br />

entgegenstehen.“ 189 Wenn die Unterdrückten sich gegen die <strong>in</strong> Folterkellern und<br />

Todesschwadronen <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung tretende, die Person verachtende Ethik ihrer<br />

Unterdrücker zur Wehr setzen, f<strong>in</strong>det das die schärfste Mißbilligung durch Johannes<br />

Paul II., denn, so sagte er an an<strong>der</strong>er Stelle: „Der ewige Plan <strong>der</strong> Liebe wurde nicht<br />

mit Mitteln <strong>der</strong> ‘Befreiung’ von Nie<strong>der</strong>tracht verwirklicht, son<strong>der</strong>n gerade durch<br />

Mittel des Gehorsams bis zum Tod.“ 190<br />

Damit steht Johannes Paul II. auf <strong>der</strong>selben Position wie Pius XI. und Pius XII., die<br />

den Gehorsam gegenüber den <strong>faschistischen</strong> Regimes als oberstes Gebot<br />

verkündeten. Und diese Position ist dieselbe, die schon Paulus aus Tarsos <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

ersten Brief an die Kor<strong>in</strong>ther e<strong>in</strong>genommen hatte, als er schrieb: „Je<strong>der</strong> bleibe <strong>in</strong> dem<br />

Beruf, <strong>in</strong> dem er berufen wurde. Bist du als Sklave berufen, so mache dir ke<strong>in</strong>e<br />

Sorge. Aber auch, wenn du frei werden kannst, bleibe erst recht dabei. Denn wer im<br />

Herrn berufen wurde als Sklave, ist e<strong>in</strong> Freigelassener des Herrn; ebenso ist, wer als<br />

Freier berufen wurde, e<strong>in</strong> Sklave Christi. Ihr seid teuer erkauft; werdet nicht Sklaven<br />

von Menschen! Wor<strong>in</strong> e<strong>in</strong> je<strong>der</strong> berufen wurde, Brü<strong>der</strong>, dar<strong>in</strong> verbleibe er vor<br />

Gott!“ 191<br />

Sowenig also die Sklaven <strong>der</strong> Antike vom Christentum e<strong>in</strong>e Besserung ihres elenden<br />

Loses erwarten durften, so wenig dürfen die Entrechteten unserer Zeit von <strong>der</strong><br />

<strong>Kirche</strong> Hilfe erwarten. Als <strong>der</strong> Verfasser des Textes <strong>der</strong> Internationale schrieb: „Uns<br />

hilft ke<strong>in</strong> Gott, ke<strong>in</strong> Kaiser noch Tribun, uns aus dem Elend zu erlösen, können wir<br />

nur selber tun“, hatte er diesen Umstand klar erkannt. Heutzutage ist diese<br />

Erkenntnis allem Ansche<strong>in</strong> nach wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> Vergessenheit geraten.<br />

BEFUND<br />

Wie die bisherige Analyse zeigt, hat die <strong>Kirche</strong> <strong>der</strong> achtziger Jahre immer noch<br />

dieselbe Grunde<strong>in</strong>stellung zu Demokratie und Sozialismus wie die <strong>Kirche</strong> <strong>der</strong><br />

fünfziger, vierziger und dreißiger Jahre. Es kann aber auch gar nicht an<strong>der</strong>s se<strong>in</strong>,<br />

und zwar aus zwei Gründen, aus ideologischen und ökonomischen.<br />

Von ihrer Ideologie her betrachtet, ist die <strong>Kirche</strong> e<strong>in</strong> totalitäres System, das sich<br />

darauf beruft, <strong>der</strong> unfehlbare Verwalter und Ausdeuter e<strong>in</strong>er ihr von Gott<br />

188 Adalbert Krims: Karol Wojtyla; Papst und Politiker. Köln: Pahl-Rugenste<strong>in</strong> 1986. S. 195.<br />

189 Zitiert nach Krims, Wojtyla... S. 194.<br />

190 Zitiert nach Krims, Wojtyla... S. 193.<br />

191 1 Kor 7,20-24


geoffenbarten Wahrheit und Lehre zu se<strong>in</strong>. <strong>Die</strong> von sich behauptete Unfehlbarkeit<br />

macht es <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> unmöglich, von e<strong>in</strong>mal bezogenen Positionen wie<strong>der</strong><br />

abzugehen. E<strong>in</strong>e Räumung e<strong>in</strong>er Position wäre ja gleichbedeutend mit dem<br />

E<strong>in</strong>geständnis e<strong>in</strong>es Irrtums und hätte unabsehbare Folgen, weil dann ke<strong>in</strong>e Position<br />

mehr vor e<strong>in</strong>er kritischen Infragestellung gefeit wäre. Damit würde aber die<br />

tragende Säule <strong>der</strong> kirchlichen Lehrautorität zusammenbrechen. <strong>Die</strong> <strong>Kirche</strong> ist daher<br />

aus re<strong>in</strong>em Selbsterhaltungstrieb zum Immobilismus, zur Unbeweglichkeit,<br />

gezwungen. Sie verschleiert dies, <strong>in</strong>dem sie die geistige Armut ihrer Aussagen<br />

durch e<strong>in</strong>e verschwommene Sprache bemäntelt, die ganzen Heerscharen von<br />

Interpreten Gelegenheit gibt, <strong>in</strong> die Enunziationen des kirchlichen Lehramtes<br />

Tiefs<strong>in</strong>niges h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zu<strong>in</strong>terpretieren.<br />

Da nun die <strong>Kirche</strong> mit dem Anspruch auftritt, göttliche Offenbarungen und<br />

Moralgesetze zu vertreten, kann und darf sie sich nicht defensiv auf ihre Position<br />

zurückziehen. <strong>Die</strong> im Wesen göttlicher Gebote e<strong>in</strong>geschlossene For<strong>der</strong>ung nach ihrer<br />

Allgeme<strong>in</strong>gültigkeit verlangt von <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> e<strong>in</strong>e offensive Ausbreitung ihrer<br />

Grundsätze sowohl über alle Völker und Staaten als auch <strong>in</strong> alle Bereiche des<br />

menschlichen Lebens. Ihr sich selbst gegebener göttlicher Auftrag zw<strong>in</strong>gt die <strong>Kirche</strong>,<br />

nach e<strong>in</strong>er möglichst totalen, umfassenden Herrschaft über den Menschen zu<br />

streben, sie ist demnach totalitär. <strong>Die</strong> <strong>Kirche</strong> muss daher alles, was zu kritischer<br />

Geistesfreiheit und weltanschaulilchem Pluralismus h<strong>in</strong>tendiert, auf das heftigste<br />

bekämpfen.<br />

Zu diesem Zwecke sucht die <strong>Kirche</strong> bei <strong>der</strong> Erreichung ihrer Ziele Verbündete und<br />

Helfer. <strong>Die</strong>se f<strong>in</strong>det sie natürlich bei ideologisch ihr dem Wesen nach ähnlichen<br />

politischen Systemen, also Systemen, die von irrationalen Ansätzen her gleichfalls<br />

e<strong>in</strong>e totale Herrschaft über die Menschen anstreben. <strong>Die</strong>ses Bündnis ist ziemlich<br />

konfliktfrei, wenn sich e<strong>in</strong>e ausgeprägte Interessensparallelität ergibt. Zwischen <strong>der</strong><br />

Ustascha, die sich die Ausmordung von Orthodoxen und Juden zum Ziel gesetzt hat,<br />

und <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong>, die die Unterwerfung o<strong>der</strong> Bekehrung <strong>der</strong> Orthodoxie und die<br />

Fe<strong>in</strong>dschaft gegen die Juden auf ihre Banner geschrieben hat, war das Verhältnis<br />

daher sehr eng. Abgesehen von e<strong>in</strong>igen Konflikten auf eng begrenzten Bereichen,<br />

konnte sich die <strong>Kirche</strong> auch mit dem Faschismus arrangieren, als sich beide auf e<strong>in</strong>e<br />

klare Trennung <strong>der</strong> Reviere e<strong>in</strong>igen konnten. Sobald <strong>der</strong> Duce dem Papst gab, was<br />

des Papstes war, gab <strong>der</strong> Papst auch dem Duce, was des Duces war. Am<br />

schwierigsten waren die Beziehungen zwischen <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> und dem<br />

Nationalsozialismus, sobald dieser dazu neigte, selbst e<strong>in</strong> religiöses System mit<br />

eigener Mythologie zu werden. In diesem Falle war die bald e<strong>in</strong>zige Klammer, die<br />

das Bündnis zusammenhielt, <strong>der</strong> geme<strong>in</strong>same äußere Fe<strong>in</strong>d, <strong>der</strong> Bolschewismus, <strong>der</strong><br />

sowohl von <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> als auch vom Nationalsozialismus dämonisiert wurde,<br />

entwe<strong>der</strong> als Ausgeburt <strong>der</strong> Hölle o<strong>der</strong> als Werkzeug <strong>der</strong> jüdischen<br />

Weltverschwörung.<br />

Ökonomisch gesehen ist die <strong>Kirche</strong> e<strong>in</strong> transnationaler Konzern, <strong>der</strong> durch e<strong>in</strong><br />

dichtes Gewirr von Beteiligungen, F<strong>in</strong>anzströmen und unmittelbarem Besitz an<br />

Produktionsmitteln und Liegenschaften mit dem System des Kapitalismus<br />

untrennbar verbunden ist. Der <strong>Kirche</strong> muss daher e<strong>in</strong>e Stabilisierung dieses Systems<br />

sehr angelegen se<strong>in</strong>. Ihren Beitrag leistet sie hierzu als e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> effizientesten<br />

Ideologieproduzenten. Dabei ist zu bemerken, dass das kirchlicherseits gepredigte<br />

Gehorsams- und Entsagungsethos auch noch <strong>in</strong> gesellschaftlichen Kreisen wirksam<br />

ist, die von sich annehmen, schon längst mit <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> gebrochen zu haben, so auch


<strong>in</strong> weiten Bereichen <strong>der</strong> Arbeiterschaft o<strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>er <strong>der</strong> abhängig Beschäftigten.<br />

Zwischen <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong> und dem Faschismus, dieser brutalsten Ausformung des<br />

Willens <strong>der</strong> herrschenden Klassen zur Macht und zur Nie<strong>der</strong>werfung aller<br />

emanzipatorischen Versuche <strong>der</strong> von den Quellen des Reichtums abgeschnittenen<br />

Klassen, ergeben sich demnach auch auf ökonomischem Gebiet immer wie<strong>der</strong> von<br />

weitreichenden Interessensgeme<strong>in</strong>schaften bestimmte Bündnisse.<br />

Ernst Nolte, e<strong>in</strong> bekannter Historiker und Erforscher des Faschismus, schreibt diese<br />

Wechselbeziehung zwischen <strong>Kirche</strong> und Faschismus mit den Worten. „Der<br />

Katholizismus kann <strong>der</strong> Vater des Faschismus, aber niemals selbst faschistisch se<strong>in</strong> -<br />

was nicht ausschließt, dass e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelner Katholik aus voller Überzeugung Faschist<br />

se<strong>in</strong> mag. Es gibt daher ke<strong>in</strong>en Klerikofaschismus, son<strong>der</strong>n allenfalls e<strong>in</strong>en<br />

<strong>katholischen</strong> Pseudofaschismus. Der eigentliche Faschismus ist immer e<strong>in</strong>e Sache<br />

<strong>der</strong> Söhne, die tendenziell mit dem Vater gebrochen haben, auch wenn sie ihn gegen<br />

die Angriffe <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en und unverhüllt abgefallenen Söhne verteidigen.“ 192<br />

Ohne dass jetzt im e<strong>in</strong>zelnen untersucht werden soll, ob es nun e<strong>in</strong>en echten o<strong>der</strong><br />

nur sche<strong>in</strong>baren <strong>katholischen</strong> Faschismus gibt, zeigt <strong>der</strong> geschichtliche Befund, dass<br />

<strong>der</strong> Katholizismus tatsächlich <strong>der</strong> Vater des Faschismus ist, so wie er <strong>der</strong> Vater <strong>der</strong><br />

Gegenreformation, des Hexenwahns, <strong>der</strong> Ketzerverfolgungen, <strong>der</strong> Kreuzzüge und<br />

an<strong>der</strong>er Monstren war. Wann wird sich die Menschheit dieses Vaters entledigen, <strong>der</strong><br />

immer wie<strong>der</strong> solche Söhne zeugt?<br />

Wien, Lerici, Halle<strong>in</strong>, im Sommer 1988<br />

192 Ernst Nolte: <strong>Die</strong> <strong>faschistischen</strong> Bewegungen; <strong>Die</strong> Krise des liberalen Systems und die<br />

Entwicklung <strong>der</strong> Faschismen. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1966. S: 249 (=dtv<br />

Weltgeschichte des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts Bd 4).

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