Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?
Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels? Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?
OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig – 12.09.2009 Stirner blieb jedoch nicht untätig und so sah er sich nach der Aufgabe seiner Stellung und der Vollendung seines Werkes nach einem neuen Erwerb um. [198] Es sollte dies ein Unternehmen sein, das ihn „lange und viel in seine Studirstube gefesselt haben muss“. 1 Er beschäftigte sich mit den ‚Nationalökonomen der Franzosen und Engländer‘. Er war davon überzeugt, daß er die grundlegenden Werke der „jüngsten aller Wissenschaften, der Volkswirthschaft, ... seinem Volke auf‘s Neue zuzuführen und näher zu bringen“ 2 hatte. Er übersetzte die Werke von Jean Baptiste Say und Adam Smith. Seine von ihm geplanten Anmerkungen zu diesen Übersetzungen blieben jedoch aus. Mackay behauptet, daß diese Übersetzungen als die besten existierenden galten und gelten. Der Erfolg dieser Arbeit war jedoch von Anfang an ein geringer, und so sehen wir Stirner in Jahre 1845 „sich von seiner litterarischen.Thätigkeit abwenden, wie er sich ihr einst unter Verzichtleistung auf jede staatliche Lehrthätigkeit zugewandt hatte. Er musste bald eingesehen haben, dass er von dem Ertrage seiner Feder nicht leben konnte und dass es das Gerathenste war, durch einen kühnen Versuch Fuss auf einem anderen Gebiete zu fassen ...“ 3 Man kann nicht mit Sicherheit sagen, wessen geistiges Kind der Plan war, dessen Ausführung den Rest des Vermögens aufsaugte. Es handelte sich dabei um die „Idee der Milchwirthschaft“. Stirner ging davon aus, daß die Milchversorgung Berlins, „die damals von den umliegenden Dörfern allmorgendlich durch kleine, mit Hunden bespannte Karren geschah, auf grösserer und koncentrierterer Basis aufgebaut eine nicht unbedeutende Aussicht auf Gewinn eröffnen müsse“. 4 So unternahm es Stirner in der Stadt selbst, eine Milchniederlage zu installieren, von der aus man gedachte den Bedarf, erst im engeren Kreis, später auch in größerem [199] Umfang, zu decken. Aus diesem Grund ging man in die umliegenden Dörfer und Gemeinden, knüpfte Kontakte mit Bauern und Pächtern, schloß Verträge über Lieferungen ab und richtete Büround Lagerräume ein. Die Lieferungen trafen auch rechtzeitig an bestimmten Tagen auf eigens dafür hergerichteten Wagen ein, einzig es fehlte an Abnehmern. Zu geringe Reklame und ein nicht bis in alle Einzelheiten durchdachtes Konzept ließ dieses Projekt in Brüche gehen. Dieser Mißerfolg brachte nicht nur ein finanzielles Desaster, sondern bot auch reichlich Stoff für Spott. Berichten zufolge unternahm Stirner schließlich letzte verzweifelte Versuch um „an der Börse sein Glück zu versuchen“. 5 Mittlerweile waren auch die Verhältnisse des Paares Stirner-Dähnhardt unhaltbar geworden und man trieb unaufhaltsam auf eine Trennung zu. Der erste Gedanke an Trennung dürfte von Mane Dähnhardt ausgegangen sein, und sie war es auch, die den entscheidenden Schritt dazu tat. Nach zweieinhalbjähriger Ehe erfolgte Anfang April 1846 die Trennung: „Marie Dähnhardt ging am 16. April nach London, Stirner blieb in Berlin zurück.“ 6 Marie Wilhelmine Dähnhardt starb an 30. Dezember 1902 in einem Vorort von London, im hohen Alter von 84 Jahren, und sie wurde auch in London zu Grabe getragen. „Seine Frau hatte ihn verlassen, seine praktischen Versuche, Geld zu erwerben, waren fehlgeschlagen, und von der Schwierigkeit, jetzt, bei seinem Namen, eine Lehrer-Stellung zu er- 1 Ebd. S. 184. 2 Ebd. 3 Ebd. S. 185 f. 4 Ebd. S. 186. 5 Ebd. S. 187. 6 Ebd. S. 188.
OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig – 12.09.2009 halten, war er gewiss ebenso überzeugt, wie von der Unmöglichkeit, sich durch grossangelegte, litterarische Werke allein einen auskömmlichen Lebensunterhalt zu verschaffen.“ 1 [200] Was er von nun an tut und treibt, bleibt für Mackay „von einem fast geheimnisvollen Dunkel umgeben, das sich nur zuweilen noch unter den Blitzen vereinzelter Thatsachen lichtet“. 2 Seine prekäre finanzielle Situation veranlaßt Stirner dazu, im Sommer 1846 im Inseratenteil der ‚Vossischen Zeitung‘ einen Aufruf erscheinen zu lassen, „in dem er um ein Darlehen bat, darauf vertrauend, dass sein Name ihm vielleicht ein solches verschaffen würde“. 3 Der Text dieses Aufrufes in Stirners eigener Fassung – und bei Mackay abgedruckt – lautet wörtlich: „,Ich sehe mich in die Nothwendigkeit versetzt, ein Darlehen von 600 Th. aufnehmen zu müssen, und bitte deshalb Einen oder Mehrere, wenn sie zusammenschiessen wollen, mir dasselbe auf 5 Jahre in dem Falle zu gewähren, dass sie mir persönlichen Credit zu geben geneigt sind. Adressen werden angenommen im Intelligenz-Comtoir sub A 38. M. Stirner.“ 4 Ob dieser Aufruf von Erfolg gekrönt wurde, ist nicht bekannt. Es wird aber angenommen, daß dies nicht der Fall war. Dem Gespött der Leute war er allemal ausgesetzt und – so formuliert Mackay treffend: „Jedenfalls ... sprachen Manche höhnisch und spöttisch von dem Egoisten, der Recht und Pflicht verneint hatte, und sie nun erwartete und versprach.“ 5 Trotz aller wirtschaftliche Schwierigkeiten dürfte er doch an seiner Arbeit über die Nationalökonomen tätig gewesen sein, denn erst im Jahre 1847 beendete er diese Arbeit. Es darf auch angenommen werden, daß er seine Not durch journalistische Arbeiten zu lindern suchte. So ist bekannt, daß er im Revolutionsjahr 1848 Mitarbeiter am ‚Journal des österreichischen Lloyds‘, Zentralorgan für Handel, Industrie, Schiffahrt und Volkswirtschaft in Triest wurde, das [201] „sich dort diesen Sommer durch hielt, um im Herbst nach Wien verlegt zu werden, womit auch die Thätigkeit Stirner‘s an ihm aufhört“. 6 In diesem Journal befanden sich unter den Beiträgen aus Deutschland auch acht Aufsätze aus der Feder von Max Stirner, die, obwohl sie nicht mit seinem Namenszug gezeichnet sind, für Mackay doch eindeutig ihm zuzuordnen sind. In der Zeit des Vormärz und der Revolution traf man sich in Berlin noch immer bei Hippel, jedoch in neuen und erweiterten Räumlichkeiten. „... das war auch nöthig geworden. Denn die ,Freien‘ waren nicht mehr die einzige Gesellschaft, die bei Hippel ihr Stammlokal hatte, sondern vor und nach den Revolutionstagen war dort eine Art Hauptquartier der verschiedensten radikalen Strömungen aufgeschlagen und der brave Hippel hatte oft Mühe und Noth, die verschiedenen Lager auseinander zu halten und sachgemäss an die Tische und in das Hinterzimmer zu vertheilen, damit sie nicht aufeinander geriethen, was doch noch oft genug geschah ... Selbst die kühlsten Köpfe der ,Freien‘ – mit Ausnahme wohl nur von Stirner und Bruno Bauer – erhitzten sich und fanden erst nach Tagen, als die Mitglieder der Klubs, des politischen, des demokratischen und anderer, und endlich die Teilnehmer der famosen Nationalversammlung in immer grösserer Anzahl bei Hippel erschienen, ihre frühere Kritik wieder, die nun allerdings vernichtend auf die verunglückte Bewegung fiel. Es waren immer noch die alten: Buhl; Edgar Bauer, der von seiner Festungshaft zurückgekehrt war; Faucher, der am Kampf des 18.-19. März theilgenommen hatte und viel von seinen Thaten zu berichten wusste, Dr. Wiss und seine Frau; Meyen; Maron, ,den man schon todt geglaubt hatte‘; Löwenstein, der verwundet, Ottensosser, der gefangengenommen worden 1 Ebd. S. 191. 2 Ebd. S. 192. 3 Ebd. 4 Ebd. 5 Ebd. 6 Ebd. S. 193.
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halten, war er gewiss ebenso überzeugt, wie von der Unmöglichkeit, sich durch grossangelegte,<br />
litterarische Werke all<strong>ein</strong> <strong>ein</strong>en auskömmlichen Lebensunterhalt zu verschaffen.“ 1<br />
[200] Was er von nun an tut und treibt, bleibt für Mackay „von <strong>ein</strong>em fast geheimnisvollen<br />
Dunkel umgeben, das sich nur zuweilen noch unter den Blitzen ver<strong>ein</strong>zelter Thatsachen lichtet“.<br />
2<br />
S<strong>ein</strong>e prekäre finanzielle Situation veranlaßt <strong>Stirner</strong> dazu, im Sommer 1846 im Inseratenteil<br />
der ‚Vossischen Zeitung‘ <strong>ein</strong>en Aufruf ersch<strong>ein</strong>en zu lassen, „in dem er um <strong>ein</strong> Darlehen bat,<br />
darauf vertrauend, dass s<strong>ein</strong> Name ihm vielleicht <strong>ein</strong> solches verschaffen würde“. 3<br />
Der Text dieses Aufrufes in <strong>Stirner</strong>s eigener Fassung <strong>–</strong> und bei Mackay abgedruckt <strong>–</strong> lautet<br />
wörtlich: „,Ich sehe mich in die Nothwendigkeit versetzt, <strong>ein</strong> Darlehen von 600 Th. aufnehmen<br />
zu müssen, und bitte deshalb Einen oder Mehrere, wenn sie zusammenschiessen wollen,<br />
mir dasselbe auf 5 Jahre in dem Falle zu gewähren, dass sie mir persönlichen Credit zu geben<br />
geneigt sind. Adressen werden angenommen im Intelligenz-Comtoir sub A 38. M. <strong>Stirner</strong>.“ 4<br />
Ob dieser Aufruf von Erfolg gekrönt wurde, ist nicht bekannt. Es wird aber angenommen,<br />
daß dies nicht der Fall war. Dem Gespött der Leute war er allemal ausgesetzt und <strong>–</strong> so formuliert<br />
Mackay treffend: „Jedenfalls ... sprachen Manche höhnisch und spöttisch von dem Egoisten,<br />
der Recht und Pflicht vern<strong>ein</strong>t hatte, und sie nun erwartete und versprach.“ 5<br />
Trotz aller wirtschaftliche Schwierigkeiten dürfte er doch an s<strong>ein</strong>er Arbeit über die Nationalökonomen<br />
tätig gewesen s<strong>ein</strong>, denn erst im Jahre 1847 beendete er diese Arbeit.<br />
Es darf auch angenommen werden, daß er s<strong>ein</strong>e Not durch journalistische Arbeiten zu lindern<br />
suchte. So ist bekannt, daß er im Revolutionsjahr 1848 Mitarbeiter am ‚Journal des<br />
österreichischen Lloyds‘, Zentralorgan für Handel, Industrie, Schiffahrt und Volkswirtschaft<br />
in Triest wurde, das [201] „sich dort diesen Sommer durch hielt, um im Herbst nach Wien<br />
verlegt zu werden, womit auch die Thätigkeit <strong>Stirner</strong>‘s an ihm aufhört“. 6<br />
In diesem Journal befanden sich unter den Beiträgen aus Deutschland auch acht Aufsätze aus<br />
der Feder von <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong>, die, obwohl sie nicht mit s<strong>ein</strong>em Namenszug gezeichnet sind, für<br />
Mackay doch <strong>ein</strong>deutig ihm zuzuordnen sind.<br />
In der Zeit des Vormärz und der Revolution traf man sich in Berlin noch immer bei Hippel,<br />
jedoch in neuen und erweiterten Räumlichkeiten. „... das war auch nöthig geworden. Denn<br />
die ,Freien‘ waren nicht mehr die <strong>ein</strong>zige Gesellschaft, die bei Hippel ihr Stammlokal hatte,<br />
sondern vor und nach den Revolutionstagen war dort <strong>ein</strong>e Art Hauptquartier der verschiedensten<br />
radikalen Strömungen aufgeschlagen und der brave Hippel hatte oft Mühe und<br />
Noth, die verschiedenen Lager aus<strong>ein</strong>ander zu halten und sachgemäss an die Tische und in<br />
das Hinterzimmer zu vertheilen, damit sie nicht auf<strong>ein</strong>ander geriethen, was doch noch oft genug<br />
geschah ... Selbst die kühlsten Köpfe der ,Freien‘ <strong>–</strong> mit Ausnahme wohl nur von <strong>Stirner</strong><br />
und Bruno Bauer <strong>–</strong> erhitzten sich und fanden erst nach Tagen, als die Mitglieder der Klubs,<br />
des politischen, des demokratischen und anderer, und endlich die Teilnehmer der famosen<br />
Nationalversammlung in immer grösserer Anzahl bei Hippel erschienen, ihre frühere Kritik<br />
wieder, die nun allerdings vernichtend auf die verunglückte Bewegung fiel.<br />
Es waren immer noch die alten: Buhl; Edgar Bauer, der von s<strong>ein</strong>er Festungshaft zurückgekehrt<br />
war; Faucher, der am Kampf des 18.-19. März theilgenommen hatte und viel von s<strong>ein</strong>en<br />
Thaten zu berichten wusste, Dr. Wiss und s<strong>ein</strong>e Frau; Meyen; Maron, ,den man schon todt<br />
geglaubt hatte‘; Löwenst<strong>ein</strong>, der verwundet, Ottensosser, der gefangengenommen worden<br />
1 Ebd. S. 191.<br />
2 Ebd. S. 192.<br />
3 Ebd.<br />
4 Ebd.<br />
5 Ebd.<br />
6 Ebd. S. 193.