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Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?

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OCR-Texterkennung und Copyright by <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> Archiv Leipzig <strong>–</strong> 12.09.2009<br />

mus, gegenseitig als ,Spießbürger‘ und ,Reaktionär‘ schmähen. Feuerbach und Ruge, Ruge<br />

und Marx, Marx und Bauer, Bauer und <strong>Stirner</strong>, sie bilden Paare von f<strong>ein</strong>dlichen Brüdern, bei<br />

denen der Zufall entscheidet, in welchem Augenblick sie sich nur noch als F<strong>ein</strong>de erkennen.<br />

Sie sind im bürgerlichen Sinn genommen, gescheiterte Existenzen, die unter dem Zwang der<br />

sozialen Verhältnisse ihre gelehrten Kenntnisse ins Journalistische übersetzen. Ihr eigentlicher<br />

Beruf ist die [166] ,freie‘ Schriftstellerei unter beständiger Abhängigkeit von Geldgebern<br />

und Verlegern, Publikum und Zensoren. Das Literatentum als Beruf und Gegenstand des Erwerbs<br />

ist in Deutschland erst um 1830 zur Geltung gekommen.“ 1<br />

Diese Tatsache bringt es mit sich, daß „durch diese Männer ... Hegel das paradoxe Schicksal<br />

zuteil (wurde), daß s<strong>ein</strong> System, welches wie k<strong>ein</strong>es zuvor die ,Anstrengung des Begriffs‘<br />

verlangt, durch die energische Popularisierung in Umlauf und zu breitester Wirkung kam“. 2<br />

Inmitten der bürgerlichen Beschränkungen wußte sich Hegel als frei und so war es für ihn <strong>–</strong><br />

wie Löwith es formuliert <strong>–</strong> „k<strong>ein</strong> Ding der Unmöglichkeit, als bürgerlicher Beamter <strong>ein</strong><br />

,Priester des Absoluten‘, er selbst und etwas zu s<strong>ein</strong>“. 3 An anderer Stelle heißt es weiters:<br />

„Wenn es wahr ist, was Hegel sagt, daß der <strong>ein</strong>zelne Mensch nur im ,Allgem<strong>ein</strong>en‘ <strong>ein</strong>es bestimmten<br />

Standes positiv frei und überhaupt ,etwas‘ ist, dann waren Feuerbach und Ruge,<br />

Bauer und <strong>Stirner</strong>, Marx und Kierkegaard nur negativ frei und ,nichts‘.“ 4<br />

Für Hegel schien es durchaus ver<strong>ein</strong>bar, <strong>ein</strong>erseits frei für die Wahrheit zu s<strong>ein</strong>, andererseits<br />

aber zugleich abhängig vom Staate zu s<strong>ein</strong>. Alle Späteren entzogen sich um ihres Zweckes<br />

willen der bürgerlichen Ordnung.<br />

In Anlehnung an den Ausspruch über die Ähnlichkeit der persönlichen Schicksale der Linkshegelianer<br />

und des sich Entziehens aus der bürgerlichen Ordnung schildert Löwith in kurzen<br />

Sätzen <strong>ein</strong>ige dieser Schicksale.<br />

„Feuerbach mußte wegen des Anstoßes, den s<strong>ein</strong>e ‚Gedanken über Tod und Unsterblichkeit‘<br />

in den akademischen Kreisen erregten, s<strong>ein</strong>e Erlanger Privatdozentur wieder aufgeben und<br />

höchst ,privat auf <strong>ein</strong>em Dorf‘ dozieren, ,dem selbst die [167] Kirche fehlte‘. Öffentlich trat<br />

er nur <strong>ein</strong>mal noch auf, als ihn die Studenten 1848 nach Heidelberg riefen. Ruge hat das<br />

Schicksal der revolutionären Intelligenz noch härter getroffen: in beständigem Streit mit Regierung<br />

und Polizei verlor er alsbald s<strong>ein</strong>e Hallesche Dozentur; s<strong>ein</strong> Versuch, in Dresden <strong>ein</strong>e<br />

freie Akademie zu gründen, mißlang und die Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst, deren<br />

Mitherausgeber er war, mußte nach wenigen Jahren erfolgreichen Wirkens ihr Ersch<strong>ein</strong>en<br />

<strong>ein</strong>stellen. Um nicht <strong>ein</strong> zweitesmal ins Gefängnis zu kommen, flüchtete er nach Paris, dann<br />

nach der Schweiz und schließlich nach England. B. Bauer wurden wegen s<strong>ein</strong>er radikalen<br />

theologischen Ansichten s<strong>ein</strong>er Dozentur enthoben und ist auf diese Weise zum freien<br />

Schriftsteller und zum Mittelpunkt der Berliner ,Freien‘ geworden. <strong>Stirner</strong>, der Lehrer an <strong>ein</strong>er<br />

Schule war, verkam im kl<strong>ein</strong>bürgerlichen Elend und fristete schließlich s<strong>ein</strong>e Existenz<br />

mit Übersetzungen und den Erträgnissen <strong>ein</strong>es Milchladens.“ 5 S<strong>ein</strong>e Darstellung über die<br />

Schicksale der Apologeten linkshegelianischer Provenienz setzt sich aber noch weiter fort:<br />

„Marx mißlang der Plan, sich in Bonn für Philosophie zu habilitieren. Er übernahm zunächst<br />

die Redaktion der Deutsch-Französichen Jahrbücher, deren Mitarbeiter u. a. Ruge und H<strong>ein</strong>e<br />

waren, um später als Emigrant in Paris, Brüssel und London von dürftigen Schriftstellerhonoraren,<br />

Zeitungsarbeit, Unterstützungen und Schulden zu leben. Kierkegaard konnte sich nie<br />

entschließen, s<strong>ein</strong> theologisches Examen zur Erlangung <strong>ein</strong>er Pfarrstelle zu gebrauchen, und<br />

sich ,in der Endlichkeit anzubringen‘, um ,das Allgem<strong>ein</strong>e zu realisieren‘. Er lebte ,auf eige-<br />

1 Ebd.<br />

2 Ebd.<br />

3 Ebd. S. 13.<br />

4 Ebd. S. 12.<br />

5 Ebd. S. 13 f.

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