Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?
Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels? Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?
OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig – 12.09.2009 schen Erinnerung ...“. 1 Des weiteren gesteht er ein, daß sich die besten Darstellungen der Hegelschen Rechten, über die wir verfügen, in zeitgenössischen Darstellungen finden. Zugleich bezieht sich Lübbe auf Karl Löwith, der „auf die wichtige Rolle, die die Hegelsche Rechte im Historisierungsprozeß der Philosophie gespielt hat“ 2 , verweist, indem dieser wie folgt schreibt: „Die Bewahrung der Hegelschen Philosophie geschieht also auf dem Weg einer Historisierung der Philosophie überhaupt zur Philosophie-Geschichte. Diesem Rückzug auf die gewußte Geschichte entspricht eine Abkehr vom Geschehen der Zeit, zu der man 1850 in einem mehr oder minder resignierten Verhältnis stand: Rosenkranz hat im Vertrauen auf die Vernunft der Geschichte einen ,neuen Ruck‘ des Weltgeistes erwartet, Haym hat sich im Gefühl einer großen Enttäuschung ,vor der triumphierenden Misere der Reaktion‘ dem ,Gericht der Zeit‘ unterworfen und Erdmann hat sich, der Zeit zum Trotz, mit lässiger Ironie zur Durchführung seiner historischen Arbeiten entschlossen, während Fischer die Lösung der Fragen der ,Evolution‘ überließ. Der Historismus, der aus Hegels Metaphysik der Geschichte des Geistes entsprang, wurde zur ,letzten Religion‘ der Gebildeten, die noch an Bildung und Wissen glaubten.“ 3 Und weiter – nicht unkritisch – fortsetzend: „Die großen Leistungen der ,historischen Schule‘ und der historischen Wissenschaften vom Geiste können über die philosophische [154] Schwäche der auf ihre Geschichte reduzierten Philosophie nicht hinwegtäuschen. Was man von Haym bis zu Dilthey und darüber hinaus unter der ,geistig-geschichtlichen‘ Welt verstand, ist von Hegels philosophischer Theologie so entfernt, wie es schon die Denkweise der Mitarbeiter der Halleschen Jahrbücher war. Mit Hegels Begriff vom Geist und von der Geschichte hat der seit 1850 in Umlauf gekommene Begriff einer ,Geistesgeschichte‘ nicht viel mehr als die wörtliche Zusammensetzung gemein. Für Hegel war der Geist als Subjekt und Substanz der Geschichte das Absolute und der Grundbegriff seiner Lehre vom Sein. Eine Wissenschaft vom Geiste ist darum eben so sehr die Naturphilosophie wie die Staats-, Kunst- , Religions- und Geschichtsphilosophie.“ 4 Für Herman Lübbe hat der Vorschlag von Strauß‘ zunächst seinen guten Sinn, die Hegelianer rechts und links von einem Zentrum zu gruppieren, denn „er traf genau die unterschiedlichen Konsequenzen, die die Hegelschüler aus den Prämissen, die ihr Meister gesetzt hatte, zogen. Hegel hatte in seiner Religionsphilosophie die Konsequenzen offen gelassen. Er hatte, wie die Folgen lehrten, in zweideutiger Weise geredet.“ 5 So meint Hegel einerseits: „Die absolute Religion ist die offenbare, die Religion, die sich selbst zu ihrem Inhalt, (ihrer) Erfüllung hat. Es ist die vollendete Religion, die Religion, in welcher sie selbst sich objektiv geworden ist, die christliche.“ 6 Andererseits erklärt Hegel, daß die Religion und Philosophie denselben Inhalt hätten und er formuliert dies folgendermaßen: [155] „Der Gegenstand der Religion wie der Philosophie ist die ewige Wahrheit in ihrer Objektivität selbst, Gott und nichts als Gott und die Explikation Gottes. Die Philosophie ist nicht Weisheit der Welt, sondern Erkenntnis des Nichtweltlichen, nicht Erkenntnis der äußerlichen Masse, des empirischen Daseins und Lebens, sondern Erkenntnis dessen, was ewig ist, was Gott ist und was aus seiner Natur fließt. Denn diese Natur muß sich offenbaren und entwikkeln. Die Philosophie expliziert daher nur sich, indem sie die Religion expliziert, und indem 1 Ebd. 2 Ebd. S. 33. 3 Löwith, K.: Von Hegel zu Nietzsche. S. 75 f. 4 Ebd. S. 76. 5 Lübbe, H.: Politische Philosophie. S. 34. 6 Hegel: Werke. Bd. 17. S. 189.
OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig – 12.09.2009 sie sich expliziert, expliziert sie die Religion. Als Beschäftigung mit der ewigen Wahrheit, die an und für sich ist, und zwar als Beschäftigung des denkenden Geistes, nicht der Willkür und des besonderen Interesses mit diesem Gegenstande, ist sie dieselbe Tätigkeit, welche die Religion ist; und als philosophierend versenkt sich der Geist mit gleicher Lebendigkeit in diesen Gegenstand und entsagt er ebenso seiner Besonderheit, indem er sein Objekt durchdringt, wie es das religiöse Bewußtsein tut, das auch nichts Eigenes haben, sondern sich nur in diesen Inhalt versenken will. So fällt Religion und Philosophie in eins zusammen; die Philosophie ist in der Tat selbst Gottesdienst, ist Religion, denn sie ist dieselbe Verzichtung auf subjektive Einfälle und Meinungen in der Beschäftigung mit Gott. Die Philosophie ist also identisch mit der Religion; aber der Unterschied ist, daß sie es auf eigentümliche Weise ist, unterschieden von der Weise, die man Religion als solche zu nenne pflegt. Ihr Gemeinsames ist, Religion zu sein; das Unterscheidende fällt nur in die Art und Weise der Religion. In dieser Eigentümlichkeit der Beschäftigung mit Gott unterscheiden sich beide.“ 1 [156] Die von Strauß eingeführte Unterscheidung hatte ihren primären Ausgangspunkt in religionsphilosophischen Fragen. Diese radikale Religionskritik hielt von ihm ausgehend „bis zum späteren Bruno Bauer und zu Feuerbach die Vernichtung des christlichen Glaubens als solchen für die eigentliche Konsequenz des Hegelschen Denkens und zog sie“. 2 Man warf Hegel nicht die Vernichtung, sondern eine Verschleierung vor, „die er betrieben habe, indem er sie als ,Versöhnung‘ des Glaubens mit dem Wissen ausgab“. 3 Die orthodoxen Hegelianer wollten jedoch gerade die Hegelsche Versöhnungsthese bewahren. Dazu Hermann Lübbe: „Das gilt für Michelet nicht anders als für Rosenkranz, Marheineke oder Gabler. Und zwar bewahrten sie die Hegelsche These von der Versöhnung der Philosophie mit der Theologie vor allem, indem sie interpretierten. Durch permanente Versuche der Interpretation dessen, was denn jene These eigentlich besage, entzog man sich ihren radikalen Folgerungen bzw. orthodoxen Gegenfolgerungen. Man blieb ,dialektisch‘ und versöhnte. Man unterwarf in der freiesten Weise den Glauben der Spekulation und behauptete, dabei ebensosehr christlich verblieben zu sein. Man wollte beides: christlich die Wahrheit der Offenbarung lehren und zugleich den Inhalt dieser Offenbarung aus souveräner Vernunft zu erzeugen.“ 4 Die ganze Diskussion, die die Hegel-Schule in den Fragen nach den Konsequenzen, die sich aus der spekulativen Religionsphilosophie für den Inhalt des christlichen Glaubens ergaben, ein gutes Jahrzehnt beherrschte, läßt Hermann Lübbe die hegelianische Religionsphilosophie der Versöhnung von Wissen und Glauben schließlich als „faulen Kompromiß“ [157] erscheinen, und er meint zeigen zu können, „daß dieser Kompromiß nichts anderes als ein verschleierter Historismus war“. 5 Nach Karl Löwiths Auffassung war „für Hegels Wirkung ... die Diskussion dieser theologischen Fragen nicht weniger wichtig als die, welche sich, bei Ruge, Marx und Lassalle, an seine Staatslehre anschloß“. 6 Allen Hegelschen Rechten ist „die Treue zu Hegel“ (Lübbe) gemein. In seiner Schrift über die „hegelschen Rechten“ assoziiert Lübbe „rechts“ mit „konservativ“ und behauptet, daß der Name „Hegelsche Rechte“ insofern zutrifft, „als es sich dabei um eine Schule konservativer 1 Ebd. Bd. 16. S. 28. 2 Lübbe, H.: Politische Philosophie. S. 35. 3 Ebd. 4 Ebd. S. 36. 5 Ebd. S. 30. 6 Löwith, K.: Von Hegel zu Nietzsche. S. 65.
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sie sich expliziert, expliziert sie die Religion. Als Beschäftigung mit der ewigen Wahrheit,<br />
die an und für sich ist, und zwar als Beschäftigung des denkenden Geistes, nicht der Willkür<br />
und des besonderen Interesses mit diesem Gegenstande, ist sie dieselbe Tätigkeit, welche die<br />
Religion ist; und als philosophierend versenkt sich der Geist mit gleicher Lebendigkeit in diesen<br />
Gegenstand und entsagt er ebenso s<strong>ein</strong>er Besonderheit, indem er s<strong>ein</strong> Objekt durchdringt,<br />
wie es das religiöse Bewußts<strong>ein</strong> tut, das auch nichts Eigenes haben, sondern sich nur in diesen<br />
Inhalt versenken will.<br />
So fällt Religion und Philosophie in <strong>ein</strong>s zusammen; die Philosophie ist in der Tat selbst<br />
Gottesdienst, ist Religion, denn sie ist dieselbe Verzichtung auf subjektive Einfälle und M<strong>ein</strong>ungen<br />
in der Beschäftigung mit Gott. Die Philosophie ist also identisch mit der Religion;<br />
aber der Unterschied ist, daß sie es auf eigentümliche Weise ist, unterschieden von der Weise,<br />
die man Religion als solche zu nenne pflegt. Ihr Gem<strong>ein</strong>sames ist, Religion zu s<strong>ein</strong>; das Unterscheidende<br />
fällt nur in die Art und Weise der Religion. In dieser Eigentümlichkeit der Beschäftigung<br />
mit Gott unterscheiden sich beide.“ 1<br />
[156] Die von Strauß <strong>ein</strong>geführte Unterscheidung hatte ihren primären Ausgangspunkt in religionsphilosophischen<br />
Fragen. Diese radikale Religionskritik hielt von ihm ausgehend „bis<br />
zum späteren Bruno Bauer und zu Feuerbach die Vernichtung des christlichen Glaubens als<br />
solchen für die eigentliche Konsequenz des <strong>Hegels</strong>chen Denkens und zog sie“. 2<br />
Man warf Hegel nicht die Vernichtung, sondern <strong>ein</strong>e Verschleierung vor, „die er betrieben<br />
habe, indem er sie als ,Versöhnung‘ des Glaubens mit dem Wissen ausgab“. 3<br />
Die orthodoxen Hegelianer wollten jedoch gerade die <strong>Hegels</strong>che Versöhnungsthese bewahren.<br />
Dazu Hermann Lübbe:<br />
„Das gilt für Michelet nicht anders als für Rosenkranz, Marh<strong>ein</strong>eke oder Gabler. Und zwar<br />
bewahrten sie die <strong>Hegels</strong>che These von der Versöhnung der Philosophie mit der Theologie<br />
vor allem, indem sie interpretierten. Durch permanente Versuche der Interpretation dessen,<br />
was denn jene These eigentlich besage, entzog man sich ihren radikalen Folgerungen bzw. orthodoxen<br />
Gegenfolgerungen. Man blieb ,dialektisch‘ und versöhnte. Man unterwarf in der<br />
freiesten Weise den Glauben der Spekulation und behauptete, dabei ebensosehr christlich<br />
verblieben zu s<strong>ein</strong>. Man wollte beides: christlich die Wahrheit der Offenbarung lehren und<br />
zugleich den Inhalt dieser Offenbarung aus souveräner Vernunft zu erzeugen.“ 4<br />
Die ganze Diskussion, die die Hegel-Schule in den Fragen nach den Konsequenzen, die sich<br />
aus der spekulativen Religionsphilosophie für den Inhalt des christlichen Glaubens ergaben,<br />
<strong>ein</strong> gutes Jahrzehnt beherrschte, läßt Hermann Lübbe die hegelianische Religionsphilosophie<br />
der Versöhnung von Wissen und Glauben schließlich als „faulen Kompromiß“ [157] ersch<strong>ein</strong>en,<br />
und er m<strong>ein</strong>t zeigen zu können, „daß dieser Kompromiß nichts anderes als <strong>ein</strong> verschleierter<br />
Historismus war“. 5<br />
Nach Karl Löwiths Auffassung war „für <strong>Hegels</strong> Wirkung ... die Diskussion dieser theologischen<br />
Fragen nicht weniger wichtig als die, welche sich, bei Ruge, Marx und Lassalle, an s<strong>ein</strong>e<br />
Staatslehre anschloß“. 6<br />
Allen <strong>Hegels</strong>chen Rechten ist „die Treue zu Hegel“ (Lübbe) gem<strong>ein</strong>. In s<strong>ein</strong>er Schrift über<br />
die „hegelschen Rechten“ assoziiert Lübbe „rechts“ mit „konservativ“ und behauptet, daß der<br />
Name „<strong>Hegels</strong>che Rechte“ insofern zutrifft, „als es sich dabei um <strong>ein</strong>e Schule konservativer<br />
1 Ebd. Bd. 16. S. 28.<br />
2 Lübbe, H.: Politische Philosophie. S. 35.<br />
3 Ebd.<br />
4 Ebd. S. 36.<br />
5 Ebd. S. 30.<br />
6 Löwith, K.: Von Hegel zu Nietzsche. S. 65.