Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?

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OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig 12.09.2009 Der dritte Grund liegt in dem eigenthümlich verschlossene Charakter Stirner‘s, der einestheils keine eigenen Mit[118]theilungen über sein Leben zeitigte, anderntheils keine jener intimen Freundschaften, als denen etwa zur Zeit seines kurzen Ruhmes persönliche Aufzeichnungen an ihn so leicht hätten hervor gehen können. Zusammen mit anderen Zufälligkeiten, ... haben diese Ursachen meine Arbeit zu einer aussergewöhnlich mühevollen gemacht, und ich darf wohl sagen, dass jede einzelne Thatsache des biographischen Materials Stück um Stück aus dem Schutte der Jahre wieder hervorgegraben werden musste.“ 1 Nachdem J. H. Mackay das Leben Stirners aus dem „Schatten der Vergessenheit“ 2 geholt hat, schreitet er daran, es zu gliedern, vielmehr drückt er dies so aus: „Das Leben Max Stirner‘s gliedert sich von selbst in drei Perioden, trivial gesprochen in: Aufstieg, Höhe, Niedergang. Die erste umfasst seine Jugend und sein Leben bis zur Beendigung seiner Lehrthätigkeit (1806-1844); die zweite die Jahre, die in dem Erscheinen seines Werkes gipfeln (1844-1846); die dritte die Zeit der Vergessenheit und Verlassenheit bis zu seinem Tod (1846-1856).“ 3 Dieser Gliederung möchte ich nichts entgegenstellen, sondern aus ihr den Versuch unternehmen, das Werk dieses Mannes im Kontext mit dem politisch-philosophischen Gedankengut jener Zeit, welches es umgibt, darzustellen. [119] 3. Max Stirners Leben bis 1839 Am 25. Oktober des Jahres 1806, „in der Frühe um sechs Uhr“ 4 , wurde Johann Caspar Schmidt in Bayreuth geboren. In diesem Jahr wird Bayreuth „von den Wirren der napoleonischen Kriege auf das Schwerste heimgesucht“. 5 (In dieses Jahr seiner Geburt fällt auch die Fertigstellung der ‚Phänomenologie des Geistes‘ von Hegel.) Das Kind erhält am 6. November die Taufe „nach evangelisch-lutherischem Ritus“. 6 Johann Caspar Schmidt war das erste und einzige Kind seiner Eltern. Sein Vater „war seines Zeichens ,blasender Instrumentenmacher‘“ 7 , er verfertigte Flöten. „Bereits ein halbes Jahr nach der Geburt des Kindes, am 19. April 1807, starb der Vater im Alter von 37 Jahren an einem durch zu grosse Körperanstrengung verursachten Blutsturz, und zwei Jahre später, am 13. April 1809, verheirathete sich die ‚Schmidtin‘ zum zweiten Male und zwar mit dem damaligen Provisor an der Hof-Apotheke, mit dem fast fünfzigjährigen Heinrich F. L. Ballerstedt.“ 8 Die Mutter J. C. Schmidts verließ mit ihrem zweiten Gatten nach ihrer Wiederverheiratung Bayreuth und kam „mit ihm ,nach mancherlei wechselnden Schicksalen‘ nach Kulm an der Weichsel in Westpreussen“. 9 [120] Dorthin gingen sie auf den Wunsch und Ruf des Großonkels des nunmehrigen Stiefvaters von J. C. Schmidt, welcher zu Gunsten der Eheleute ein Testament einrichtete, das ihnen nach seiner Vollstreckung zusammen mit den Einnahmen, die die Apotheke, die sie innehatten, abwarf ein sorgenfreies Leben bescherte und es erlaubte, daß sie „dem einzigen 1 Ebd. S. 7. 2 Ebd. S. 14. 3 Ebd. 4 Ebd. S. 27. 5 Ebd. S. 32. 6 Ebd. S. 28. 7 Ebd. 8 Ebd. 9 Ebd. S. 28 f.

OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig 12.09.2009 Kinde der Frau die gute Erziehung geben konnten, die es genoss“. 1 J. C. Schmidt blieb das einzige Kind, denn der zweiten Ehe der Mutter entstammte zwar ein Töchterchen, welches jedoch, noch nicht drei Jahre alt, starb. „Nach Kulm wurde, sobald als möglich, nach einem Jahr, 1810, das in Baireuth zurückgelassene Kind nachgeholt, und hier in Kulm wuchs der kleine Johann Caspar auf und empfing seinen ersten Unterricht. Der Stiefvater war zugleich der Vormund des Kindes geworden.“ 2 In seiner Stirner-Biographie mutmaßt J. H. Mackay, ob es „die Verhältnisse im Hause wünschenswerth machen“ 3 oder ob „es der grosse Ruf des Gymnasiums in Baireuth und der Wunsch der dort lebenden Anverwandeten“ 4 war, der dazu führte, das J. C. Schmidt wieder in seine Geburtsstadt zurückkehrte. Mackay faßt sich kurz und schreibt: „Johann Caspar kam schon als Knabe von zwölf Jahren, 1818, in seine Vaterstadt zurück und fand hier Aufnahme in den Hause seines Paten, nach dem er genannt war, des ,Bürgen und Strumpfwirkermeisters‘ Johann Caspar Martin Sticht aus Erlangen und seiner Frau, der um drei Jahre älteren, einzigen Schwester seines Vaters.“ 5 [121] Das kinderlose Ehepaar nahm ihn an Kindesstatt auf, und er blieb in ihren Hause „acht Jahre, bis zu seinen Abgang an die Universität“. 6 Die „einzelnen Stationen der Schulwanderung des Knaben“ 7 wie Mackay sie auflistet möchte ich hier nicht näher verfolgen, aber man kann es vereinfacht mit den Worten ausdrükken: „Er war ein guter und fleissiger Schüler.“ 8 Im Herbst 1826 machte J. C. Schmidt sein „Absolutorium, das eine ausserordentlich günstiges Resultat erzielt“, und „in dem Abgangszeugnis vom 8. September 1826 wird ihn die Note I und das Prädikat ,sehr würdig‘ verliehen.“ 9 „Dieses Abgangszeugnis ist von dem damaligen Direktor des Gymnasiums, Georg Andreas Gabler, unterschrieben. Leider war dieser bedeutender Mann, der einige Zeit im Schiller‘schen Hause in Weimar gelebt hatte, der begeisterte Schüler Hegel‘s, in dessen Lehre er die ,absolute Befreiung seines Denkens und Erkennens fand‘ und der später auch an seine Stelle nach Berlin gerufen wurde, niemals Schmidt‘s Klassenlehrer. Aber seinen Unterricht hat dieser doch genossen.“ 10 Zur Person Gablers dessen Namen im Zusammenhang mit der Spaltung der Hegelschen Schule des öfteren erwähnt wird sei noch bemerkt, daß er von dem Theologen David Friedrich Strauß, der „die Hegelschule in eine rechten und linken [122] Flügel und ein Zentrum“ 11 teilte, zum rechten Flügel gerechnet wurde. Hermann Lübbe vermerkt dazu lakonisch, daß über ihn „nicht viel mehr zu sagen ist, als daß er, erst 1835, der Nachfolger Hegels wurde“ 12 und in einem Zusatz: „Auch damals war es also schon schwierig, ,berühmte Lehrstühle‘ neu zu besetzen“. 13 Bezüglich der Nachfolge Hegels äußert sich Lübbe noch an anderer Stelle: „Die Überzeugung der Schule, daß im Verhältnis zu ihr ein Nachfolger Hegels nicht denkbar sei, wurde üb- 1 Ebd. S. 29. 2 Ebd. 3 Ebd. S. 30. 4 Ebd. 5 Ebd. 6 Ebd. 7 Ebd. 8 Ebd. S. 31. 9 Ebd. 10 Ebd. 11 Kast, Bernd: Die Thematik des ”Eigners” in der Philosophie Max Stirners. Diss. Bonn 1979. S. 2. 12 Lübbe, H.: Politische Philosophie. S. 33. 13 Ebd.

OCR-Texterkennung und Copyright by <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> Archiv Leipzig <strong>–</strong> 12.09.2009<br />

Kinde der Frau die gute Erziehung geben konnten, die es genoss“. 1<br />

J. C. Schmidt blieb das <strong>ein</strong>zige Kind, denn der zweiten Ehe der Mutter entstammte zwar <strong>ein</strong><br />

Töchterchen, welches jedoch, noch nicht drei Jahre alt, starb.<br />

„Nach Kulm wurde, sobald als möglich, nach <strong>ein</strong>em Jahr, 1810, das in Baireuth zurückgelassene<br />

Kind nachgeholt, und hier in Kulm wuchs der kl<strong>ein</strong>e Johann Caspar auf und empfing<br />

s<strong>ein</strong>en ersten Unterricht. Der Stiefvater war zugleich der Vormund des Kindes geworden.“ 2<br />

In s<strong>ein</strong>er <strong>Stirner</strong>-Biographie mutmaßt J. H. Mackay, ob es „die Verhältnisse im Hause wünschenswerth<br />

machen“ 3 oder ob „es der grosse Ruf des Gymnasiums in Baireuth und der<br />

Wunsch der dort lebenden Anverwandeten“ 4 war, der dazu führte, das J. C. Schmidt wieder<br />

in s<strong>ein</strong>e Geburtsstadt zurückkehrte. Mackay faßt sich kurz und schreibt:<br />

„Johann Caspar kam schon als Knabe von zwölf Jahren, 1818, in s<strong>ein</strong>e Vaterstadt zurück<br />

und fand hier Aufnahme in den Hause s<strong>ein</strong>es Paten, nach dem er genannt war, des ,Bürgen<br />

und Strumpfwirkermeisters‘ Johann Caspar Martin Sticht aus Erlangen und s<strong>ein</strong>er Frau, der<br />

um drei Jahre älteren, <strong>ein</strong>zigen Schwester s<strong>ein</strong>es Vaters.“ 5<br />

[121] Das kinderlose Ehepaar nahm ihn an Kindesstatt auf, und er blieb in ihren Hause „acht<br />

Jahre, bis zu s<strong>ein</strong>en Abgang an die Universität“. 6<br />

Die „<strong>ein</strong>zelnen Stationen der Schulwanderung des Knaben“ 7 <strong>–</strong> wie Mackay sie auflistet <strong>–</strong><br />

möchte ich hier nicht näher verfolgen, aber man kann es ver<strong>ein</strong>facht mit den Worten ausdrükken:<br />

„Er war <strong>ein</strong> guter und fleissiger <strong>Schüler</strong>.“ 8 Im Herbst 1826 machte J. C. Schmidt s<strong>ein</strong><br />

„Absolutorium, das <strong>ein</strong>e ausserordentlich günstiges Resultat erzielt“, und „in dem Abgangszeugnis<br />

vom 8. September 1826 wird ihn die Note I und das Prädikat ,sehr würdig‘ verliehen.“<br />

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„Dieses Abgangszeugnis ist von dem damaligen Direktor des Gymnasiums, Georg Andreas<br />

Gabler, unterschrieben. Leider war dieser bedeutender Mann, der <strong>ein</strong>ige Zeit im Schiller‘schen<br />

Hause in Weimar gelebt hatte, der begeisterte <strong>Schüler</strong> Hegel‘s, in dessen Lehre er<br />

die ,absolute Befreiung s<strong>ein</strong>es Denkens und Erkennens fand‘ und der später auch an s<strong>ein</strong>e<br />

Stelle nach Berlin gerufen wurde, niemals Schmidt‘s Klassenlehrer. Aber s<strong>ein</strong>en Unterricht<br />

hat dieser doch genossen.“ 10<br />

Zur Person Gablers <strong>–</strong> dessen Namen im Zusammenhang mit der Spaltung der <strong>Hegels</strong>chen<br />

Schule des öfteren erwähnt wird <strong>–</strong> sei noch bemerkt, daß er von dem Theologen David Friedrich<br />

Strauß, der „die <strong>Hegels</strong>chule in <strong>ein</strong>e rechten und linken [122] Flügel und <strong>ein</strong> Zentrum“ 11<br />

teilte, zum rechten Flügel gerechnet wurde.<br />

Hermann Lübbe vermerkt dazu lakonisch, daß über ihn „nicht viel mehr zu sagen ist, als daß<br />

er, erst 1835, der Nachfolger <strong>Hegels</strong> wurde“ 12 und in <strong>ein</strong>em Zusatz: „Auch damals war es also<br />

schon schwierig, ,berühmte Lehrstühle‘ neu zu besetzen“. 13<br />

Bezüglich der Nachfolge <strong>Hegels</strong> äußert sich Lübbe noch an anderer Stelle: „Die Überzeugung<br />

der Schule, daß im Verhältnis zu ihr <strong>ein</strong> Nachfolger <strong>Hegels</strong> nicht denkbar sei, wurde üb-<br />

1 Ebd. S. 29.<br />

2 Ebd.<br />

3 Ebd. S. 30.<br />

4 Ebd.<br />

5 Ebd.<br />

6 Ebd.<br />

7 Ebd.<br />

8 Ebd. S. 31.<br />

9 Ebd.<br />

10 Ebd.<br />

11 Kast, Bernd: Die Thematik des ”Eigners” in der Philosophie <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong>s. Diss. Bonn 1979. S. 2.<br />

12 Lübbe, H.: Politische Philosophie. S. 33.<br />

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