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Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?

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OCR-Texterkennung und Copyright by <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> Archiv Leipzig <strong>–</strong> 12.09.2009<br />

Philosophie ihre Zeit in Gedanken erfaßt. Es ist ebenso töricht zu wähnen, irgend<strong>ein</strong>e Philosophie<br />

gehe über ihre gegenwärtige Welt hinaus, als, <strong>ein</strong> Individuum überspringe s<strong>ein</strong>e Zeit,<br />

... Geht s<strong>ein</strong>e Theorie in der Tat darüber hinaus, baut er sich <strong>ein</strong>e Welt, wie sie s<strong>ein</strong> soll, so<br />

existiert sie wohl, aber nur in s<strong>ein</strong>em M<strong>ein</strong>en <strong>–</strong> <strong>ein</strong>em weichen Elemente, dem sich alles Beliebige<br />

<strong>ein</strong>bilden läßt.“ 1<br />

Diesen Vorgriff auf Zukünftiges ortet auch Hermann Glockner, der in s<strong>ein</strong>em Buch ‚Die europäische<br />

Philosophie‘ schreibt: „Als Hegel im Jahre 1818 den Berliner Lehrstuhl übernahm,<br />

waren die Gegenmächte, deren Ansturm s<strong>ein</strong>e Philosophie zuletzt erlag, bereits vollzählig am<br />

Werk ... Ohne s<strong>ein</strong>e Gegner zu kennen oder gar in <strong>ein</strong>zelnen zu übersehen, hatte Hegel doch<br />

<strong>ein</strong>e f<strong>ein</strong>e Witterung für den sich vorbereitenden Geisterkampf. Er fühlte, daß es nicht nur auf<br />

weltanschaulichem Gebiet um die Macht ging, sondern daß Sieg oder Niederlage auch von<br />

politischer Bedeutung für Europa s<strong>ein</strong> würden, und er richtete das repräsentative Buch [110]<br />

s<strong>ein</strong>er Berliner Zeit <strong>–</strong> die Rechts<strong>–</strong> und Staatsphilosophie <strong>–</strong>dementsprechend <strong>ein</strong>.“ 2<br />

Dies hinderte jedoch s<strong>ein</strong>e <strong>Schüler</strong>, Nachfolger oder Epigonen nicht daran, an der Zersetzung<br />

s<strong>ein</strong>es Systems zu arbeiten, obwohl Glockner m<strong>ein</strong>t, daß diese „k<strong>ein</strong>en <strong>ein</strong>zigen neuen Begriff<br />

entwickelten, mithin in k<strong>ein</strong>er Hinsicht über <strong>Hegels</strong> System hinausgingen, sondern lediglich<br />

zu überwundenen und im Hegelianismus bereits mitenthaltenen Standpunkten zurückkehrten“.<br />

3<br />

Weiters vertritt er die M<strong>ein</strong>ung, daß „diese Konservierungsversuche“ in Wirklichkeit vergeblich<br />

waren. „Die Schule selbst spaltete sich, was zuerst auf theologischem, bald auch auf politischem<br />

Gebiete deutlich in Ersch<strong>ein</strong>ung trat. David Friedrich Strauß (1808-1874), dessen<br />

,Leben Jesu‘ (1835) bei dieser Spaltung <strong>ein</strong>e Hauptrolle spielte, brachte für die drei Hauptgruppen<br />

die parlamentarischen Bezeichnungen Rechte, Linke und Zentrum auf. Die Hauptstoßkraft<br />

entwickelte die Linke, während die Rechtshegelianer und die zur Vermittlung geneigten<br />

Männer des Zentrums die solideren Bücher schrieben“, und auf den Punkt gebracht:<br />

„Epigonen waren sie alle, d. h. es fehlte ihnen an durchschlagenden neuen schöpferischen<br />

Ideen.“ 4<br />

Vor allem die Linkshegelianer stellen das Primat des Praktischen, des Sollens vor das S<strong>ein</strong>;<br />

ihre „Dialektik ist ,antithetisch‘ konzipiert“ 5 , stellt Mader in s<strong>ein</strong>er Untersuchung fest und<br />

führt dazu weiter aus, daß „bereits <strong>Stirner</strong>, sodann aber vor allem Nietzsche und Dilthey ...<br />

die Dialektik als Methode des Denkens überhaupt aufgehoben“haben. 6<br />

[111] <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong>, als <strong>ein</strong>er der Vertreter der <strong>Hegels</strong>chen Linken, übernimmt die Tendenz<br />

der allgem<strong>ein</strong>en Kritik an der <strong>Hegels</strong>chen Philosophie, die davon ausgeht, daß Philosophie<br />

nicht Metaphysik bleiben dürfe, sondern praktisch werden müsse.<br />

Zu diesem Zwecke dürfe sie nicht Geschichtsphilosophie bleiben, sondern sie müsse Anthropologie<br />

werden.<br />

„<strong>Stirner</strong> denkt in s<strong>ein</strong>em Werk ,Der Einzige und s<strong>ein</strong> Eigentum‘ von 1844 diese Entwicklung,<br />

die durch Bauer als Grundzug der Metaphysik des absoluten Geistes ,entlarvt‘ wurde,<br />

radikal weiter, indem er in s<strong>ein</strong>er Kritik an Hegel auch noch über Bauers ,unendliches Selbstbewußts<strong>ein</strong>‘<br />

hinausgeht und an s<strong>ein</strong>er Stelle das endliche Selbstbewußts<strong>ein</strong>, das endliche Ich,<br />

den ,Einzigen‘ setzt.“ 7<br />

Johann Mader fügt daran noch an: „Die Position <strong>Stirner</strong>s führt über die Auflösung der Dia-<br />

1 Hegel: Werke. Bd. 7. S. 26.<br />

2 Glockner, Hermann: Europ. Philosophie. S. 871.<br />

3 Ebd. S. 872.<br />

4 Ebd. S. 873.<br />

5 Mader, J.: Zwischen Hegel und Marx. S. 41.<br />

6 Ebd.<br />

7 Ebd. S. 45.

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