Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?
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OCR-Texterkennung und Copyright by <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> Archiv Leipzig <strong>–</strong> 12.09.2009<br />
mächtigt und sich breitgemacht haben.“ 1<br />
So wendet er sich an die Studenten in der Hoffnung, daß es ihm gelingen möge, „Ihr Vertrauen<br />
zu verdienen und zu gewinnen. Zunächst aber darf ich nichts in Anspruch nehmen, als<br />
daß Sie vor allem nur Vertrauen zu der Wissenschaft und [92] Vertrauen zu sich selbst mitbringen.<br />
Der Mut der Wahrheit, der Glaube an die Macht des Geistes ist die erste Bedingung<br />
der Philosophie. Der Mensch, da er Geist ist, darf und soll sich selbst des Höchsten würdig<br />
achten; von der Größe und Macht s<strong>ein</strong>es Geistes kann er nicht groß genug denken“. 2<br />
Während der Zeit in Heidelberg macht Hegel die Bekanntschaft des Barons d‘Yxkull<br />
(Uxkull), [dem wir Aufzeichnungen mit dem Titel „Armeen und Amouren“] 3 verdanken.<br />
Auch bei Rosenkranz finden wir Berichte von dieser Begegnung. Herausgreifen möchte ich<br />
an dieser Stelle <strong>ein</strong>en längeren Textauszug, der <strong>Hegels</strong> Umgang mit s<strong>ein</strong>en Mitmenschen und<br />
der Bewunderung für den Philosophen <strong>ein</strong>erseits, den Umgang mit s<strong>ein</strong>en Texten und s<strong>ein</strong>er<br />
Philosophie andererseits, darstellt.<br />
Baron d‘Yxkull, estnischer Grundbesitzer und Garderittmeister, traf im Frühjahr 1817 in<br />
Heidelberg <strong>ein</strong>: „Kaum angekommen, war m<strong>ein</strong> erstes Geschäft, nachdem ich mich etwas<br />
umgesehen, den Mann zu besuchen, von dessen Persönlichkeit ich mir die abenteuerlichsten<br />
Bilder entworfen hatte. Mit ausstudirten Phrasen, denn ich war mir m<strong>ein</strong>er völligen Unwissenschaftlichkeit<br />
wohl bewußt, ging ich nicht ohne Scheu aber äußerlich zuversichtlich zu<br />
dem Professor hin und fand zu m<strong>ein</strong>er nicht geringen Verwunderung <strong>ein</strong>en ganz schlichten<br />
und <strong>ein</strong>fachen Mann, der ziemlich schwerfällig sprach und nichts Bedeutendes vorbrachte.<br />
Unbefriedigt von diesem Eindruck, obschon heimlich angezogen durch <strong>Hegels</strong> freundlichen<br />
Empfang und <strong>ein</strong>en gewissen Zug gütiger und doch ironischer Höflichkeit, ging ich, nachdem<br />
ich die Collegia des Professors angenommen, zum ersten besten Buchhändler, kaufte mir die<br />
schon erschienen Werke <strong>Hegels</strong> und setzte mich Abends bequem in m<strong>ein</strong>e Sophaecke, um sie<br />
[93] durchzulesen. All<strong>ein</strong> je mehr ich las, und je aufmerksamer ich beim Lesen zu werden<br />
mich bemühte, je weniger verstand ich das Gelesene, so daß ich, nachdem ich mich <strong>ein</strong> paar<br />
Stunden mit <strong>ein</strong>em Satze abgequält hatte, ohne etwas davon verstehen zu können, das Buch<br />
verstimmt weglegte, jedoch aus Neugierde die Vorlesungen besuchte. Ehrlicherweise aber<br />
mußte ich mir sagen, daß ich m<strong>ein</strong>e eigenen Hefte nicht verstand und daß mir alle Vorkenntnisse<br />
zu diesen Wissenschaften fehlten. Nun ging ich in m<strong>ein</strong>er Noth wieder zu Hegel, der,<br />
nachdem er mich geduldig angehört, mich freundlich zurechtwies und mir verschiedene Privatissima<br />
zu nehmen anrieth: Lat<strong>ein</strong>ische Lectüre, die Rudimente der Algebra, Naturkunde<br />
und Geographie. Dies geschah <strong>ein</strong> halb Jahr hindurch, so schwer es dem sechsundzwanzigjährigen<br />
ankam. Nun meldete ich mich zum drittenmal bei Hegel, der mich denn auch sehr<br />
gütig aufnahm und sich des Lächelns nicht erwehren konnte, als ich ihm m<strong>ein</strong>e propädeutischen<br />
Kreuz- und Querzuge mittheilte. S<strong>ein</strong>e Rathschläge waren nun bestimmter, s<strong>ein</strong>e<br />
Theilnahme lebendiger und ich besuchte s<strong>ein</strong>e Collegia mit <strong>ein</strong>igem Nutzen. Ein Converstorium<br />
des Doctor Hinrichs, worin sich Disputierende aus allen vier Fakultäten <strong>ein</strong>fanden und<br />
bei welchem die Erklärung der Phänomenologie des Geistes den Leitfaden ausmachte, unterstützte<br />
mich. Bisweilen sah ich in den folgenden beiden Semestern Hegel bei mir; öfter war<br />
ich bei ihm und begleitete ihn auf <strong>ein</strong>samen Spaziergängen. Oft sagte er mir, daß unsere<br />
überkluge Zeit all<strong>ein</strong> durch die Methode, weil sie den Gedanken bändige und zur Sache führe,<br />
befriedigt werden könne. Die Religion sei die geahnte Philosophie, diese nichts Anderes als<br />
die bewußtvolle Religion; beide suchten, nur auf verschiedenem Wege, dasselbe, nämlich<br />
1 Ebd.<br />
2 Ebd. S. 13 f.<br />
3 Uexküll, Jürgen-Detlev Freiherr von: Armeen und Amouren. Ein Tagebuch aus napoleonischer Zeit von Boris<br />
Uxkull. Hamburg 1965.