Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?
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OCR-Texterkennung und Copyright by <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> Archiv Leipzig <strong>–</strong> 12.09.2009<br />
<strong>ein</strong> Gebäude fertig ist, wenn s<strong>ein</strong> Grund gelegt worden, so wenig ist der erreichte Begriff des<br />
Ganzen das Ganze selbst. Wo wir <strong>ein</strong>e Eiche in der Kraft ihres Stammes und in der Ausbreitung<br />
ihrer Äste und den Massen ihrer Belaubung zu sehen wünschen, sind wir nicht zufrieden,<br />
wenn uns an Stelle dieser <strong>ein</strong>e Eichel gezeigt wird. So ist die Wissenschaft, die Krone<br />
<strong>ein</strong>er Welt des Geistes, nicht in ihrem Anfange vollendet.“ 1<br />
Die Forderung nach der Vollendung der Philosophie <strong>–</strong> deren Aufgabe es ist, „das was ist zu<br />
begreifen“ 2 <strong>–</strong> in der Wissenschaft liegt für Hegel in der Forderung nach <strong>ein</strong>em System: „Die<br />
wahre Gestalt, in welcher die Wahrheit existiert, kann all<strong>ein</strong> das wissenschaftliche System<br />
derselben s<strong>ein</strong>. Daran mitzuarbeiten, daß die Philosophie der Form der Wissenschaft näherkomme<br />
<strong>–</strong> dem Ziele, ihren Namen der Liebe zum Wissen ablegen zu können und wirkliches<br />
Wissen zu s<strong>ein</strong> <strong>–</strong>, ist, was ich mir vorgesetzt.“ 3<br />
[74] Zu diesen Zwecke bedient sich Hegel der „Sprache als Werkzeug, dem er (Hegel) s<strong>ein</strong>en<br />
Geist aufzwingt“, wie Richard Kroner es formuliert und Hegel mit eigenen Worten ausdrückt:<br />
„Die Kraft des Geistes ist nur so groß als ihre Äußerung, s<strong>ein</strong>e Tiefe nur so tief, als er<br />
in s<strong>ein</strong>er Auslegung sich auszubreiten und sich zu verlieren getraut.“ 4<br />
„Die ‚Phänomenologie des Geistes‘ versucht, von unserem natürlichen Bewußts<strong>ein</strong> auszugehen<br />
und uns von dort zu der wahren Perspektive des Geistes zu führen. Das Werk heißt<br />
,Phänomenologie‘, weil es beschreibt, wie Dinge in unserem Bewußts<strong>ein</strong> ersch<strong>ein</strong>en und wie<br />
die Formen des Bewußts<strong>ein</strong>s beschaffen sind. ,Ersch<strong>ein</strong>en‘ wird hier allerdings nicht mit<br />
,Wirklichkeit‘ verglichen; das Absolute, das am wirklichsten ist, ist wesentlich Selbstersch<strong>ein</strong>en.<br />
Die Phänomenologie ist k<strong>ein</strong>e Wissenschaft von unbedeutenden Dingen, die man hinter<br />
sich lassen kann, sondern <strong>ein</strong> Weg zur Erlangung des absoluten Wissens, zur ,Offenbarung‘<br />
des Absoluten.“ 5<br />
Richard Kroner formuliert dahingehend, daß die Phänomenologie zeigen will, „daß man nur<br />
durch die Reflexion auf das Bewußts<strong>ein</strong>, nur auf dem Wege der Selbsterkenntnis zum absoluten<br />
Wissen gelangen könne“. 6<br />
<strong>Hegels</strong> ‚Phänomenologie des Geistes‘ <strong>–</strong> <strong>ein</strong> schwerverständliches Werk, das jedoch zu mancherlei<br />
Interpretationen veranlaßte <strong>–</strong> setzt voraus, „daß das menschliche Bewußts<strong>ein</strong> in sich<br />
absolut ist bzw. in sich das Absolute enthält. Anders gesagt: dasjenige, was man in theologischer<br />
Sprache als Gott bezeichnet, ist mit unserem Bewußts<strong>ein</strong> in irgend<strong>ein</strong>er Weise identisch,<br />
ist irgendwie in ihm enthalten“. 7<br />
[75] Mit anderen Worten ausgedrückt, besagt der Titel ‚Phänomenologie‘ nichts anderes als<br />
„Wissenschaft der Ersch<strong>ein</strong>ungen“. Der Terminus „Geist“ bezieht sich auf das Absolute im<br />
menschlichen Bewußts<strong>ein</strong>. Demnach bedeutet „Phänomenologie des Geistes“: Wissenschaft<br />
von den Ersch<strong>ein</strong>ungen des Absoluten.<br />
Der Gedankengang der Phänomenologie bewegt sich vom Bewußts<strong>ein</strong> über das Selbstbewußts<strong>ein</strong><br />
zur Vernunft hin. Dies läßt sich auch aus der Einteilung ersehen, wobei das große<br />
Oberkapitel „Vernunft“ noch in die Kapitel „Geist“, „Religion“ und „absolutes Wissen“ unterteilt<br />
ist.<br />
Auf dieser ver<strong>ein</strong>fachenden Form der Darstellung der „Phänomenologie des Geistes“ möchte<br />
ich es beruhen lassen.<br />
Dennoch soll der „Phänomenologie des Geistes“, deren Bedeutung in der „metaphysischen<br />
1 Hegel: Werke. Bd. 3. S. 19.<br />
2 Ebd. S. 24.<br />
3 Ebd. S. 14.<br />
4 Ebd. S. 18.<br />
5 Taylor, Ch.: Hegel. S. 178.<br />
6 Kroner, R.: Von Kant bis Hegel. Bd. 2. S. 363.<br />
7 Becker, W. in: Hoerster, N.: Klassiker. Bd. 2. S. 117.