Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?

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OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig 12.09.2009 Richtung gegen das Empirische hat, das Unendliche an sich nur in Beziehung auf das Endliche [67] ist, so sind diese Philosophien, indem sie das empirische bekämpfen, unmittelbar in seiner Sphäre geblieben; die Kantische und Fichtesche haben sich wohl zum Begriff, aber nicht zur Idee erhoben, und der reine Inhalt und seine Dimensionen schlechthin nur in Beziehung auf das Empirische und damit durch dasselbe hat und eben den absoluten sittlichen und wissenschaftlichen Empirismus begründet, den sie dem Eudämonismus zum Vorwurf machen ...“ 1 und weiter: „... so ist das, worauf solche Philosophie ausgehen kann, nicht, Gott zu erkennen, sondern, was man heißt, den Menschen. Dieser Mensch und die Menschheit sind ihr absoluter Standpunkt, nämlich als eine fixe, unüberwindliche Endlichkeit der Vernunft, nicht als Abglanz der ewigen Schönheit, als geistiger Fokus des Universums, sondern als eine absolute Sinnlichkeit, welche aber das Vermögen des Glaubens hat, sich noch mit einem ihr fremden Übersinnlichen an einer und anderer Stelle anzutünchen. Wie wenn Kunst, aufs Porträtieren eingeschränkt, ihr Idealisches darin hätte, daß sie ins Auge eines gemeinen Gesichtes noch eine Sehnsucht, in seine Mund noch ein wehmütiges Lächeln brächte, aber ihr die über Sehnsucht und Wehmut erhabenen Götter schlechthin untersagt wäre darzustellen als ob die Darstellung ewiger Bilder nur auf Kosten der Menschlichkeit möglich wäre , so soll die Philosophie nicht die Idee des Menschen, sondern das Abstraktum der mit Beschränktheit vermischten empirischen Menschheit darstellen und den Pfahl des absoluten Gegensatzes unbeweglich in sich eingeschlagen tragen und, indem sie sich ihre Eingeschränktheit auf das Sinnliche deutlich macht sie mag dies ihr Abstraktum analysieren oder auf die schöngeisterische und rührende Weise ganz lassen , sich zugleich mit der oberflächlichen Farbe eines Übersinnlichen schmücken, indem sie im Glauben auf ein Höheres verweist. Aber die Wahrheit kann durch ein [68] solches Heiliges der Endlichkeit, die bestehen bleibt, nicht hintergangen werden, denn die wahre Heiligung müßte dasselbe vernichten.“ 2 Wie erwähnt, war man auf Hegel aufmerksam geworden, und so läßt es nicht verwundern, daß er, als man gegen 1804 daran dachte, Fries zum außerordentlichen Professor in Jena zu ernennen, einen Brief an Goethes Adresse im Ministerium in Weimar schrieb, in dem er wohl auch dem Umstand seiner Bekanntheit Rechnung getragen sehen wollte: „In dem ich höre, daß einige meiner Kollegen der gnädigsten Ernennung zum Professor der Philosophie entgegensehen und hierdurch daran erinnert werde, daß ich der älteste der hiesigen Privatdozenten der Philosophie bin, so wage ich der Beurteilung Euer Excellenz es vorzulegen, ob ich nicht durch eine solche, von den höchsten Autoritäten erteilte Ausgleichung in der Möglichkeit, nach meinen Kräften auf der Universität zu wirken, beschränkt zu werden befürchten muß ... Ich weiß zu sehr, daß diese Umstände der Ergänzung durch die gnädigen Gesinnungen Euer Excellenz bedürfen zugleich aber auch, wie sehr dadurch, daß die Durchlauchtigsten Erhalter wenigstens diese gnädige Rücksicht auf mich nähmen, mich nicht anderen nachzusetzen, meine Bestrebungen angefeuert würden.“ 3 Tatsächlich erfolgte ein Jahr darauf die Ernennung zum außerordentlichen Professor. Zu der Zeit, als Hegel nach Jena geht, finden für Charles Taylor „vier Veränderungen in Hegels Denken ... statt, und sie beherrschen es bis zur Vollendung seines Systems. Alle vier sind miteinander verbunden: das Akzeptieren der Trennung als Bestandteil der Einheit, der Umschwung zur Philosophie als dem entscheidenden Medium, der Umschwung von einer Theorie, die sich am Menschen orientiert, zu einer [69] Theorie, die sich am Geiste orientiert, und die Vorstellung, daß die Verwirklichung des Menschen nicht von ihm selbst unternommen wird, sondern erst post hoc erkannt werden kann. Die ersten beiden 1 Hegel: Werke Bd. 2. S. 296 f. 2 Ebd. S. 299 f. 3 Schröter, K.: Hegel. S. 33 f.

OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig 12.09.2009 Veränderungen sind miteinander verknüpft durch Hegels Gedanken über die Verbindung von Trennung und Autonomie, Autonomie und Rationalität; der Gegensatz zwischen Autonomie und Einheit des Ausdrucks führt ihn zu der Einsicht, daß der Geist umfassender als der Mensch ist, und zudem verändert der Geist als Subjekt der Geschichte seine Geschichtsauffassung. Die Aufgabe des Menschen besteht darin, zu erkennen, anstatt sich wie zuvor von verschwommener Intuition leiten zu lassen, denn dadurch würde er seiner Berufung zu rationaler Autonomie widersprechen; und so liegt der Höhepunkt menschlicher Verwirklichung, die zur Verwirklichung des Geistes wird, im philosophischen Bewußtsein“. 1 Mit der Verwirklichung des menschlichen Geistes im philosophischen Bewußtsein beschäftigt sich Hegel in seiner ‚Phänomenologie des Geistes‘, zu deren Veröffentlichung er sich im Winter 1805/06 entschloß, nachdem er eine derartige Publikation des längeren geplant und versprochen hatte. In einer Selbstanzeige Hegels, welche am 28. Oktober 1807 im „Intelligenzblatt der Jenaer Allgemeinen Literatur-Zeitung“ erschien in dieser beschreibt Hegel sein Werk selbst heißt es: „Im Verlage der Jos. Ant. Goebhardtschen Buchhandlung zu Bamberg und Würzburg ist erschienen und an alle guten Buchhandlungen versandt: G. W. Fr. Hegels System der Wissenschaft. Erster Band, Die Phänomenologie des Geistes enthaltend. Gr. 8. 1807. Preis 6 fl. Dieser Band stellt das werdende Wissen dar. Die Phänomenologie des Geistes soll an die Stelle der psychologischen Erklärungen oder auch der abstrakten Erörterungen über die Begründung des Wissens treten. Sie betrachtet die Vorbe[70]reitung zur Wissenschaft aus einem Gesichtspunkte, wodurch sie eine neue, interessante, und die erste Wissenschaft der Philosophie ist. Sie faßt die verschiedenen Gestalten des Geistes als Stationen des Weges in sich, durch welchen er reines Wissen oder absoluter Geist wird. Es wird daher in den Hauptabteilungen dieser Wissenschaft, die wieder in mehrere zerfallen, das Bewußtsein, das Selbstbewußtsein, die beobachtende und handelnde Vernunft, der Geist selbst, als sittlicher, gebildeter und moralischer Geist, und endlich als religiöser in seinen unterschiedenen Formen betrachtet. Der dem ersten Blick sich als Chaos darbietende Reichtum der Erscheinungen des Geistes ist in eine wissenschaftliche Ordnung gebracht, welche sie nach ihrer Notwendigkeit darstellt, in der die unvollkommenen sich auflösen und in höhere übergehen, welche ihre nächste Wahrheit sind. Die letzte Wahrheit finden sie zunächst in der Religion und dann in der Wissenschaft, als dem Resultat des Ganzen. In der Vorrede erklärt sich der Verfasser über das, was ihm Bedürfnis der Philosophie auf ihrem jetzigen Standpunkte zu sein scheint; ferner über die Anmaßung und den Unfug der philosophischen Formeln, der gegenwärtig die Philosophie herabgewürdigt, und über das worauf es überhaupt bei ihr und ihrem Studium ankommt. Ein zweiter Band wird das System der Logik als spekulativer Philosophie und der zwei übrigen Teile der Philosophie, die Wissenschaft der Natur und des Geistes enthalten.“ 2 [71] Die ‚Phänomenologie des Geistes‘ erschien im April 1807 und ihr Titel weist sie als ersten Teil eines „Systems der Wissenschaft“ aus „jenes Systems, das Hegel seit Anfang des Jahrhunderts, bei wohl allen Studien und Entwürfen der Jenaer Zeit, im Auge gehabt und von dem er schon 1802/03 und dann wieder 1805 geglaubt hatte, er könne es kurzfristig zum Druck befördern“. 3 „Der angekündigte zweite Band des Systems der Wissenschaft, das mit der Phänomenologie des Geistes beginnen sollte, ist nie erschienen. Doch der erste Band es war das erste Buch, das Hegel schrieb und publizierte hätte seinen Verfasser wohl auch berühmt gemacht, wenn 1 Taylor, Ch.: Hegel. S. 112. 2 Hegel: Werke. Bd. 3. S. 593. 3 Ebd. S. 594.

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Richtung gegen das Empirische hat, das Unendliche an sich nur in Beziehung auf das Endliche<br />

[67] ist, so sind diese Philosophien, indem sie das empirische bekämpfen, unmittelbar in<br />

s<strong>ein</strong>er Sphäre geblieben; die Kantische und Fichtesche haben sich wohl zum Begriff, aber<br />

nicht zur Idee erhoben, und der r<strong>ein</strong>e Inhalt und s<strong>ein</strong>e Dimensionen schlechthin nur in Beziehung<br />

auf das Empirische und damit durch dasselbe hat und eben den absoluten sittlichen und<br />

wissenschaftlichen Empirismus begründet, den sie dem Eudämonismus zum Vorwurf machen<br />

...“ 1 und weiter: „... so ist das, worauf solche Philosophie ausgehen kann, nicht, Gott zu erkennen,<br />

sondern, was man heißt, den Menschen. Dieser Mensch und die Menschheit sind ihr<br />

absoluter Standpunkt, nämlich als <strong>ein</strong>e fixe, unüberwindliche Endlichkeit der Vernunft, nicht<br />

als Abglanz der ewigen Schönheit, als geistiger Fokus des Universums, sondern als <strong>ein</strong>e absolute<br />

Sinnlichkeit, welche aber das Vermögen des Glaubens hat, sich noch mit <strong>ein</strong>em ihr<br />

fremden Übersinnlichen an <strong>ein</strong>er und anderer Stelle anzutünchen. Wie wenn Kunst, aufs Porträtieren<br />

<strong>ein</strong>geschränkt, ihr Idealisches darin hätte, daß sie ins Auge <strong>ein</strong>es gem<strong>ein</strong>en Gesichtes<br />

noch <strong>ein</strong>e Sehnsucht, in s<strong>ein</strong>e Mund noch <strong>ein</strong> wehmütiges Lächeln brächte, aber ihr die über<br />

Sehnsucht und Wehmut erhabenen Götter schlechthin untersagt wäre darzustellen <strong>–</strong> als ob die<br />

Darstellung ewiger Bilder nur auf Kosten der Menschlichkeit möglich wäre <strong>–</strong>, so soll die Philosophie<br />

nicht die Idee des Menschen, sondern das Abstraktum der mit Beschränktheit vermischten<br />

empirischen Menschheit darstellen und den Pfahl des absoluten Gegensatzes unbeweglich<br />

in sich <strong>ein</strong>geschlagen tragen und, indem sie sich ihre Eingeschränktheit auf das Sinnliche<br />

deutlich macht <strong>–</strong> sie mag dies ihr Abstraktum analysieren oder auf die schöngeisterische<br />

und rührende Weise ganz lassen <strong>–</strong>, sich zugleich mit der oberflächlichen Farbe <strong>ein</strong>es Übersinnlichen<br />

schmücken, indem sie im Glauben auf <strong>ein</strong> Höheres verweist. Aber die Wahrheit<br />

kann durch <strong>ein</strong> [68] solches Heiliges der Endlichkeit, die bestehen bleibt, nicht hintergangen<br />

werden, denn die wahre Heiligung müßte dasselbe vernichten.“ 2<br />

Wie erwähnt, war man auf Hegel aufmerksam geworden, und so läßt es nicht verwundern,<br />

daß er, als man gegen 1804 daran dachte, Fries zum außerordentlichen Professor in Jena zu<br />

ernennen, <strong>ein</strong>en Brief an Goethes Adresse im Ministerium in Weimar schrieb, in dem er wohl<br />

auch dem Umstand s<strong>ein</strong>er Bekanntheit Rechnung getragen sehen wollte:<br />

„In dem ich höre, daß <strong>ein</strong>ige m<strong>ein</strong>er Kollegen der gnädigsten Ernennung zum Professor der<br />

Philosophie entgegensehen und hierdurch daran erinnert werde, daß ich der älteste der hiesigen<br />

Privatdozenten der Philosophie bin, so wage ich der Beurteilung Euer Excellenz es vorzulegen,<br />

ob ich nicht durch <strong>ein</strong>e solche, von den höchsten Autoritäten erteilte Ausgleichung<br />

in der Möglichkeit, nach m<strong>ein</strong>en Kräften auf der Universität zu wirken, beschränkt zu werden<br />

befürchten muß ... Ich weiß zu sehr, daß diese Umstände der Ergänzung durch die gnädigen<br />

Gesinnungen Euer Excellenz bedürfen <strong>–</strong> <strong>–</strong> <strong>–</strong> zugleich aber auch, wie sehr dadurch, daß die<br />

Durchlauchtigsten Erhalter wenigstens diese gnädige Rücksicht auf mich nähmen, mich nicht<br />

anderen nachzusetzen, m<strong>ein</strong>e Bestrebungen angefeuert würden.“ 3<br />

Tatsächlich erfolgte <strong>ein</strong> Jahr darauf die Ernennung zum außerordentlichen Professor.<br />

Zu der Zeit, als Hegel nach Jena geht, finden für Charles Taylor „vier Veränderungen in<br />

<strong>Hegels</strong> Denken ... statt, und sie beherrschen es bis zur Vollendung s<strong>ein</strong>es Systems. Alle vier<br />

sind mit<strong>ein</strong>ander verbunden: das Akzeptieren der Trennung als Bestandteil der Einheit,<br />

der Umschwung zur Philosophie als dem entscheidenden Medium, der Umschwung von<br />

<strong>ein</strong>er Theorie, die sich am Menschen orientiert, zu <strong>ein</strong>er [69] Theorie, die sich am Geiste<br />

orientiert, und die Vorstellung, daß die Verwirklichung des Menschen nicht von ihm<br />

selbst unternommen wird, sondern erst post hoc erkannt werden kann. Die ersten beiden<br />

1 Hegel: Werke Bd. 2. S. 296 f.<br />

2 Ebd. S. 299 f.<br />

3 Schröter, K.: Hegel. S. 33 f.

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