Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?

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OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig 12.09.2009 gen emporhebt, aufs innigste sich mit ihm vereinigt, so betet er Gott an. Wenn schon das Mannigfaltige nicht als solches hier mehr gesetzt ist, sondern zugleich durchaus in Beziehung auf den lebendigen Geist, als belebt, als Organ vorkommt, so würde damit eben noch etwas ausgeschlossen und bliebe demnach eine Unvollständigkeit und eine Entgegensetzung, nämlich das Tote; mit anderen Worten, wenn das Mannigfaltige nur als Organ in Beziehung gesetzt wird, so ist die Entgegensetzung selbst ausgeschlossen, aber das Leben kann eben nicht als Vereinigung, Beziehung allein, sondern muß zugleich als Entgegensetzung betrachtet (werden); wenn ich sage, es ist die Verbindung der Entgegensetzung und Beziehung, so kann diese Verbindung selbst wieder isoliert und eingewendet werden, daß (sie) der Nichtverbindung entgegenstünde; ich müßte mich ausdrücken, das Leben sei die Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung, d. h. jeder [59] Ausdruck ist Produkt der Reflexion, und sonach kann von jedem als einem Gesetzten aufgezeigt werden, daß damit, daß etwas gesetzt wird, zugleich ein Anderes nicht gesetzt, ausgeschlossen ist; diesem Fortgetriebenwerden ohne Ruhenspunkt muß aber ein für allemal dadurch gesteuert werden, daß nicht vergessen wird, dasjenige zum Beispiel, was Verbindung der Synthesis und Antithesis genannt wurde, sei nicht ein Gesetztes, Verständiges, Reflektiertes, sondern sein für die Reflexion einziger Charakter sei, daß es ein Sein außer der Reflexion ist. Im lebendigen Ganzen ist der Tod, die Entgegensetzung, der Verstand zugleich gesetzt, nämlich als Mannigfaltiges, das lebendig ist und als Lebendiges sich als ein Ganzes setzen kann, wodurch es zugleich ein Teil ist, d. h. für welches es Totes gibt und welches selbst für Anderes tot ist. Dieses Teilsein des Lebendigen hebt sich in der Religion auf, das beschränkte Leben erhebt sich zum Unendlichen; und nur dadurch, daß das endliche selbst Leben ist, trägt es die Möglichkeit in sich, zum unendlichen Leben sich zu erheben.“ 1 Aus diesem Grund muß für Hegel die Philosophie mit der Religion aufhören. Da die beiden Teile des ‚Frankfurter Systems‘ sehr fragmentarischen Charakter aufweisen, ist es für Lukács und dem kann man nur zustimmen „selbstverständlich unmöglich, auch nur Vermutungen darüber aufzustellen, wie der systematische Aufbau von Hegels damaliger Philosophie gewesen sein mag, welche Probleme sie in den Mittelpunkt gestellt, wie sie die einzelnen Stufen miteinander dialektisch verknüpft hat usw. Nur über die Beziehung von Philosophie und Religion erhalten wir aus dem ersten Bruchstück eine klare Antwort“. 2 [60] Man könne also nicht mehr tun, „als die einzelnen Fragen, die Hegel in diesen Bruchstücken aufwirft, in Beziehung zu seiner bisherigen und folgenden philosophischen Entwicklung in Augenschein zu nehmen“. 3 Klarheit über die Frankfurter Aufzeichnungen Hegels erhält man jedoch nur dann, schreibt Lukács an einer anderen Stelle, „wenn man sie von den späteren Werken aus rückblickend betrachtet. Wenn man sie für sich allen nimmt oder wenn man sie unmittelbar nach den Berner Schriften liest, so ist man über ihre Dunkelheit und Verworrenheit erstaunt“. 4 Charles Taylor ist einer von jenen, die sich Klarheit schaffen, in dem sie Frankfurter Aufzeichnungen rückblickend betrachten, und so bemerkt dieser „einen Wandel in der Perspektive“ „in Hegels erstem veröffentlichtem Werk seiner Laufbahn als Universitätslehrer, der ‚Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie‘ von 1801“. 5 „Hegel stellt fest, daß die ,formale Aufgabe der Philosophie‘ in der ,Aufhebung der Entzweiung‘ besteht. Aber er macht deutlich, daß die Lösung des Problems nicht darin liegt, daß die ,Vernunft eins der Entgegengesetzten (= Subjekt oder Objekt) vernichtet und das andere zu 1 Ebd. 2 Lukács, G.: Der junge Hegel. S. 338. 3 Ebd. 4 Ebd. S. 174. 5 Taylor, Charles: Hegel. stw. Frankfurt/M. 1973. S. 102.

OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig 12.09.2009 einem Unendlichen steigert‘. Das bedeutet, daß sowohl die Trennung, wie die Identität in diesem Akt der ,Aufhebung der Entzweiung‘ zu ihrem Recht kommen müssen. ,Um die Entzweiung aufzuheben, müssen beide Entgegengesetzte, Subjekt und Objekt aufgehoben werden ... ‘. So kommt er dann zu der berühmten Formulierung: ,Das Absolute selbst aber ist darum die Identität der Identität und der Nichtidentität; Entgegensetzen und Einssein ist zugleich in ihm‘. [61] Schon im ,Systemfragment‘ .... sprach Hegel von der Suche nach einer Synthese, nämlich dem Leben als der ,Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung‘.“ 1 Was die Erhöhung der Religion über die Philosophie betrifft, so nimmt in Hegels endgültigem Systemdenken „dann jedoch die Philosophie den ersten Platz ein, denn nur sie ist der einzige vollkommen angemessene Ausdruck für die höchste Einheit, das Medium, in dem der Geist ganz zu sich selbst kommt. Die Entwicklung des philosophischen Denkens ist folglich konstitutiv für die Vervollkommnung der höchsten Synthese“. 2 In einer Anmerkung über Hegels Entwicklung fügt er noch hinzu: „Die Tatsache, daß er so spät zu dieser philosophischen Spekulation gelangte, half Hegel schließlich, Schelling und seine Anhänger zu übertreffen, obwohl er zunächst durch eben diese Spekulation in den Hintergrund gedrängt wurde und im Schatten des jüngeren und philosophisch erfahreneren Schelling stand. Da er sich lange mit der religiösen und sozialen Entwicklung des Menschen beschäftigt hatte, konnte er die Kategorien des nachkantischen Idealismus weitaus umfassender und mit unvergleichbar größerer Wirksamkeit anwenden. Fichte und Schelling kannten sich gründlich in der Terminologie des Ich, des Nicht-Ich, der Subjektivität, der Objektivität etc. aus, und Schelling vertiefte sich auch in die Goethesche und in die romantische Naturvorstellung, die er in seine Naturphilosophie übertrug. Bei Hegel jedoch wird die Philosophie dazu verwendet, den gesamten Bereich menschlicher Geschichte, den politischen, religiösen, philosophischen und künstlerischen Bereich, zu erhellen und auszuleuchten. Das war etwas vollkommen Neues. An Fichte, auch wenn er als Intellektueller durchaus engagiert war, kann man sich kaum wenden, um die historische Bedeutung und philosophische Relevanz der großen Ereignisse jener Zeit zu verstehen.“ 3 [62] Zurückkehrend zum jungen Hegel und bezüglich der Religion, scheint es für Lukács „einerlei, ob er in Bern das Christentum verwirft oder in Frankfurt eine Versöhnung mit ihm sucht, in beiden Fällen behält die Religion jene beherrschende Stellung in der Geschichtskonzeption, die für den Idealismus bezeichnend ist“. 4 Für den marxistischen Denker Lukács ist die Frankfurter Periode „ein krisenhaftes Tasten nach dem Neuen, ein langsames, aber ununterbrochenes Abbauen des Alten. Eine Unsicherheit, ein Herumsuchen; eine wirkliche Krise“. 5 Diese Krise bezieht sich für ihn auf Hegels republikanisch-revolutionäre Anschauungen und deren philosophische Auflösung. Sie endet für Lukács „mit den ersten Formulierungen der dialektischen Methode bei Hegel“. 6 Abschließend zur Frankfurter Periode bleibt noch zu bemerken, daß vor Hegels Tod nichts von seinen sogenannten ‚Theologischen Jugendschriften‘ bekannt wurde. Seit deren Bekanntwerden läßt sich mit den Worten Hermann Glockners „der Weg verfolgen, auf welchem Hegel zuerst von der Aufklärung zu Kants Kritizismus und moralischer Vernunftreligion, in der Frankfurter Periode zu einer irrationalistischen Auffassung des 1 Ebd. 2 Ebd. S. 105. 3 Ebd. 4 Lukács, G.: Der junge Hegel. Bd. 1. S. 174. 5 Ebd. 6 Ebd. S. 180.

OCR-Texterkennung und Copyright by <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> Archiv Leipzig <strong>–</strong> 12.09.2009<br />

<strong>ein</strong>em Unendlichen steigert‘. Das bedeutet, daß sowohl die Trennung, wie die Identität in diesem<br />

Akt der ,Aufhebung der Entzweiung‘ zu ihrem Recht kommen müssen. ,Um die Entzweiung<br />

aufzuheben, müssen beide Entgegengesetzte, Subjekt und Objekt aufgehoben werden<br />

... ‘. So kommt er dann zu der berühmten Formulierung:<br />

,Das Absolute selbst aber ist darum die Identität der Identität und der Nichtidentität; Entgegensetzen<br />

und Einss<strong>ein</strong> ist zugleich in ihm‘.<br />

[61] Schon im ,Systemfragment‘ .... sprach Hegel von der Suche nach <strong>ein</strong>er Synthese, nämlich<br />

dem Leben als der ,Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung‘.“ 1<br />

Was die Erhöhung der Religion über die Philosophie betrifft, so nimmt in <strong>Hegels</strong> endgültigem<br />

Systemdenken „dann jedoch die Philosophie den ersten Platz <strong>ein</strong>, denn nur sie ist der<br />

<strong>ein</strong>zige vollkommen angemessene Ausdruck für die höchste Einheit, das Medium, in dem der<br />

Geist ganz zu sich selbst kommt. Die Entwicklung des philosophischen Denkens ist folglich<br />

konstitutiv für die Vervollkommnung der höchsten Synthese“. 2<br />

In <strong>ein</strong>er Anmerkung über <strong>Hegels</strong> Entwicklung fügt er noch hinzu: „Die Tatsache, daß er so<br />

spät zu dieser philosophischen Spekulation gelangte, half Hegel schließlich, Schelling und<br />

s<strong>ein</strong>e Anhänger zu übertreffen, obwohl er zunächst durch eben diese Spekulation in den Hintergrund<br />

gedrängt wurde und im Schatten des jüngeren und philosophisch erfahreneren Schelling<br />

stand. Da er sich lange mit der religiösen und sozialen Entwicklung des Menschen beschäftigt<br />

hatte, konnte er die Kategorien des nachkantischen Idealismus weitaus umfassender<br />

und mit unvergleichbar größerer Wirksamkeit anwenden. Fichte und Schelling kannten sich<br />

gründlich in der Terminologie des Ich, des Nicht-Ich, der Subjektivität, der Objektivität etc.<br />

aus, und Schelling vertiefte sich auch in die Goethesche und in die romantische Naturvorstellung,<br />

die er in s<strong>ein</strong>e Naturphilosophie übertrug. Bei Hegel jedoch wird die Philosophie dazu<br />

verwendet, den gesamten Bereich menschlicher Geschichte, den politischen, religiösen, philosophischen<br />

und künstlerischen Bereich, zu erhellen und auszuleuchten. Das war etwas vollkommen<br />

Neues. An Fichte, auch wenn er als Intellektueller durchaus engagiert war, kann<br />

man sich kaum wenden, um die historische Bedeutung und philosophische Relevanz der großen<br />

Ereignisse jener Zeit zu verstehen.“ 3<br />

[62] Zurückkehrend zum jungen Hegel und bezüglich der Religion, sch<strong>ein</strong>t es für Lukács<br />

„<strong>ein</strong>erlei, ob er in Bern das Christentum verwirft oder in Frankfurt <strong>ein</strong>e Versöhnung mit ihm<br />

sucht, in beiden Fällen behält die Religion jene beherrschende Stellung in der Geschichtskonzeption,<br />

die für den Idealismus bezeichnend ist“. 4<br />

Für den marxistischen Denker Lukács ist die Frankfurter Periode „<strong>ein</strong> krisenhaftes Tasten<br />

nach dem Neuen, <strong>ein</strong> langsames, aber ununterbrochenes Abbauen des Alten. Eine Unsicherheit,<br />

<strong>ein</strong> Herumsuchen; <strong>ein</strong>e wirkliche Krise“. 5<br />

Diese Krise bezieht sich für ihn auf <strong>Hegels</strong> republikanisch-revolutionäre Anschauungen und<br />

deren philosophische Auflösung. Sie endet für Lukács „mit den ersten Formulierungen der<br />

dialektischen Methode bei Hegel“. 6<br />

Abschließend zur Frankfurter Periode bleibt noch zu bemerken, daß vor <strong>Hegels</strong> Tod nichts<br />

von s<strong>ein</strong>en sogenannten ‚Theologischen Jugendschriften‘ bekannt wurde.<br />

Seit deren Bekanntwerden läßt sich <strong>–</strong> mit den Worten Hermann Glockners <strong>–</strong> „der Weg verfolgen,<br />

auf welchem Hegel zuerst von der Aufklärung zu Kants Kritizismus und moralischer<br />

Vernunftreligion, in der Frankfurter Periode zu <strong>ein</strong>er irrationalistischen Auffassung des<br />

1 Ebd.<br />

2 Ebd. S. 105.<br />

3 Ebd.<br />

4 Lukács, G.: Der junge Hegel. Bd. 1. S. 174.<br />

5 Ebd.<br />

6 Ebd. S. 180.

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