Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?

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OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig 12.09.2009 Während er in Bern nur von der weltgeschichtlichen Tatsache der französischen Revolution aus seine geschichts-philosophischen Konstruktionen baut, wird von nun an die ökonomische Entwicklung Englands ebenfalls ein grundlegender Bestandteil seiner Geschichtskonzeption, seiner Auffassung der Gesellschaft. Es muß wohl nicht besonders auseinandergesetzt werden, daß auch in diesem Fall Hegel ein deutscher Philosoph bleibt, dessen grundlegende Anschauungen deshalb von der Zurückgebliebenheit Deutschlands in jeder Hinsicht entscheidend bestimmt werden“. 1 Nach seiner Rückkehr aus Bern, wo er drei Jahre eine Hauslehrerstelle innehatte, kann er sich in Frankfurt, einem der kommerziellen Zentren Deutschlands, die Einwirkungen der französischen Revolution auf das deutsche Leben unmittelbar vergegenwärtigen. „Das Problem also, wie die feudal-absolutistische Struktur Deutschlands durch die französische Revolution modifiziert werden muß, taucht für Hegel nunmehr nicht als eine allgemein geschichtsphilosophische Frage, sondern als ein konkretes politisches Problem auf.“ 2 [55] Lukács versucht darzustellen, „wie wenig“ Hegel „die Widersprüche“, die durch die konkrete politische Situation entstanden sind, „politisch und philosophisch zu bewältigen imstande gewesen ist“. 3 Und so führt er weiter aus: „Wir werden aber zugleich sehen, wie gerade dieses Nähertreten an die konkreten Probleme der bürgerlichen Gesellschaft, des politischen und sozialen aktuellen Schicksals von Deutschland die Widersprüchlichkeit immer stärker in den Mittelpunkt seines Denkens rückt, der Widerspruch von ihm immer stärker als Grundlage und bewegende Kraft des Lebens erlebt wird. Wir unterstreichen das Wort ,erlebt‘, denn die Entwicklung Hegels geht nicht so vor sich, daß er von einem philosophischen System zum anderen weiterschreiten würde, wie sie das Schema des Entwicklungsganges von Schelling gewesen ist. Wir müssen uns an die Berner Zeit Hegels erinnern und insbesondere jenen Zug seiner damaligen Arbeiten im Auge halten, daß er für philosophische Probleme, insbesondere für erkenntnistheoretische und logische sehr wenig Interesse gezeigt hat. Er wollte bestimmte gesellschaftliche und geschichtliche Zusammenhänge gedanklich bewältigen und benützte die Philosophie nur dazu, um die für diese Arbeit unerläßliche Verallgemeinerungen zu vollziehen. Dies bleibt vorerst und allgemein seine Arbeitsmethode auch in der Frankfurter Zeit. Wir werden aber sehen, daß parallel mit dem immer stärkeren Konkretwerden seiner gesellschaftlichen und politischen Probleme der Übergang zu den bewußt und direkt philosophischen Fragestellungen immer kürzer wird, daß die gesellschaftlichen und politischen Fragestellungen immer unmittelbarer in philosophische umschlagen. Und dies geschieht interessanterweise desto heftiger und unmittelbarer, je mehr der philosophische Kern des jeweilig behandelten konkreten Problems eben gerade der Widerspruch selbst ist.“ 4 [56] In seiner Schrift über Hegel vertritt Lukács weiter die Meinung, daß die Schwierigkeit der Interpretation der Frankfurter Aufzeichnungen und Fragmente darin liegt, „daß dieser Übergang zumeist ein außerordentlich abrupter, unvermittelter, unabgeleiteter ist. Die Gedankengänge Hegels in seiner Frankfurter Periode gehen, im schroffen Gegensatz sowohl zu seiner früheren, wie zu seiner späteren Entwicklung, fast immer von individuell gefärbten Erlebnissen aus und tragen stilistisch den Stempel sowohl der Leidenschaftlichkeit wie der Verworrenheit und Ungeklärtheit des persönlichen Erlebnisses an sich. Und die beginnende philosophische Formulierung der erlebten Widersprüche ist nicht nur unmittelbar an die indi- 1 Ebd. S. 164 f. 2 Ebd. S. 165. 3 Ebd. S. 166. 4 Ebd. S. 166 f.

OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig 12.09.2009 viduellen Erlebnisse geknüpft, sondern hat auch inhaltlich wie formell selten eine wirkliche Klarheit und Eindeutigkeit. Die ersten philosophischen Formulierungen Hegels verlieren sich sehr oft in eine mystische Abstraktion“. 1 Am Ende seiner Frankfurter Periode macht Hegel zum erstemal den Versuch, seine philosophischen Anschauungen in ein System zusammenzufassen. Allerdings ist es zu dieser Zeit noch nicht ganz ausgereift, obwohl sich bereits ein skizzierter größerer Rahmen erkennen läßt. Im Frankfurter Systemfragment von Hegel mit dem 14. September 1800 datiert sieht er noch „in der Religion die höchste Erfüllung des ,Lebens‘ und damit den Gipfelpunkt des philosophischen Systems ...“ 2 und so formuliert er demgemäß: „Die Philosophie muß ... mit der Religion aufhören, weil jene ein Denken ist, also einen Gegensatz teils des Nachdenkens hat, teils des Denkenden und des Gedachten; sie hat in allem Endlichen die Endlichkeit aufzuzeigen und durch die Vernunft die Vervollständigung desselben (zu) fordern, besonders die Täuschungen durch ihr eigenes unendliches (zu) erkennen und so das wahre Unendliche außerhalb ihres Umkreises (zu) setzen. Die Erhebung des Endlichen zum [57] Unendlichen charakterisiert sich eben dadurch als Erhebung endlichen Lebens zu unendlichem, als Religion, daß sie nicht das Sein des Unendlichen als ein Sein durch Reflexion, als ein objektives oder subjektives setzt, so daß sie zum Beschränkten das Beschränkende hinzufügte, dieses wieder als ein Gesetztes, selbst als ein Beschränktes erkennte und von neuem das Beschränkende für dasselbe aufsuchte und die Forderung machte, dies ins Unendliche fortzusetzen; auch die Tätigkeit der Vernunft ist eine Erhebung zum Unendlichen, aber dies Unendliche ist ein ...“. 3 Leider endet mit diesem Zitat der erste Teil dieses Manuskripts von Hegel, von dem nur zwei geschriebene Bogen erhalten sind. In einer Anmerkung von Georg Lukács heißt es dazu: „Nach Hegels eigener Paginierung der Blätter scheint das Manuskript 47 solche geschriebene Bogen enthalten zu haben. Geblieben ist der 8. und 47. Ob Hegel selbst diese Arbeit als abgeschlossen betrachtet hat, ist zweifelhaft. Jedenfalls spricht er in dem späteren Briefe an Schelling vom 2. November 1800 über seine systematischen Arbeiten noch in Gegenwartsform. Freilich, ob sich diese Wendung auf das uns vorliegende Fragment oder bereits auf Anfänge neuer Arbeiten bezieht, können wir nicht sicher sagen.“ 4 Soviel läßt sich aber mit Sicherheit sagen, daß für Hegel in diesem Fragment, Religion die „Erhebung des Menschen, nicht vom Endlichen zum Unendlichen denn dieses sind nur Produkte der bloßen Reflexion, und als solcher ist ihre Trennung absolut , sondern vom endlichen Leben zum unendlichen Leben“ 5 ist. [58] Und weiter ich zitiere vollständig : „Das unendliche Leben kann man einen Geist nennen, im Gegensatz der abstrakten Vielheit, denn Geist ist die lebendige Einheit des Mannigfaltigen im Gegensatz gegen dasselbe als seine Gestalt, (die) die im Begriff des Lebens liegende Mannigfaltigkeit ausmacht, nicht im Gegensatz gegen dasselbe als von ihm getrennte, tote, bloße Vielheit; denn alsdann wäre er die bloße Einheit, die Gesetz heißt und ein bloß gedachtes, Unlebendiges ist. Der Geist ist belebendes Gesetz in Vereinigung mit dem Mannigfaltigem, das alsdann ein belebtes ist. Wenn der Mensch diese belebte Mannigfaltigkeit als eine Menge von vielen zugleich setzt und doch in Verbindung mit dem Belebenden, wo werden diese Einzelleben Organe, das unendliche Ganze ein unendliches All des Lebens; wenn er das unendliche Leben als Geist des Ganzen zugleich außer sich, weil er selbst ein Beschränktes ist, setzt, sich selbst zugleich außer sich, dem Beschränkten, setzt und sich zum Lebendi- 1 Ebd. S. 167. 2 Ebd. S. 168. 3 Hegel: Werke Bd. 1. S. 423. 4 Lukács, G.: Der junge Hegel. S. 337. 5 Hegel: Werke. Bd. 1. S. 421 f.

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viduellen Erlebnisse geknüpft, sondern hat auch inhaltlich wie formell selten <strong>ein</strong>e wirkliche<br />

Klarheit und Eindeutigkeit. Die ersten philosophischen Formulierungen <strong>Hegels</strong> verlieren sich<br />

sehr oft in <strong>ein</strong>e mystische Abstraktion“. 1<br />

Am Ende s<strong>ein</strong>er Frankfurter Periode macht Hegel zum erstemal den Versuch, s<strong>ein</strong>e philosophischen<br />

Anschauungen in <strong>ein</strong> System zusammenzufassen.<br />

Allerdings ist es zu dieser Zeit noch nicht ganz ausgereift, obwohl sich bereits <strong>ein</strong> skizzierter<br />

größerer Rahmen erkennen läßt.<br />

Im Frankfurter Systemfragment <strong>–</strong> von Hegel mit dem 14. September 1800 datiert <strong>–</strong> sieht er<br />

noch „in der Religion die höchste Erfüllung des ,Lebens‘ und damit den Gipfelpunkt des philosophischen<br />

Systems ...“ 2 und so formuliert er demgemäß: „Die Philosophie muß ... mit der<br />

Religion aufhören, weil jene <strong>ein</strong> Denken ist, also <strong>ein</strong>en Gegensatz teils des Nachdenkens hat,<br />

teils des Denkenden und des Gedachten; sie hat in allem Endlichen die Endlichkeit aufzuzeigen<br />

und durch die Vernunft die Vervollständigung desselben (zu) fordern, besonders die Täuschungen<br />

durch ihr eigenes unendliches (zu) erkennen und so das wahre Unendliche außerhalb<br />

ihres Umkreises (zu) setzen. Die Erhebung des Endlichen zum [57] Unendlichen charakterisiert<br />

sich eben dadurch als Erhebung endlichen Lebens zu unendlichem, als Religion,<br />

daß sie nicht das S<strong>ein</strong> des Unendlichen als <strong>ein</strong> S<strong>ein</strong> durch Reflexion, als <strong>ein</strong> objektives oder<br />

subjektives setzt, so daß sie zum Beschränkten das Beschränkende hinzufügte, dieses wieder<br />

als <strong>ein</strong> Gesetztes, selbst als <strong>ein</strong> Beschränktes erkennte und von neuem das Beschränkende für<br />

dasselbe aufsuchte und die Forderung machte, dies ins Unendliche fortzusetzen; auch die Tätigkeit<br />

der Vernunft ist <strong>ein</strong>e Erhebung zum Unendlichen, aber dies Unendliche ist <strong>ein</strong> ...“. 3<br />

Leider endet mit diesem Zitat der erste Teil dieses Manuskripts von Hegel, von dem nur zwei<br />

geschriebene Bogen erhalten sind. In <strong>ein</strong>er Anmerkung von Georg Lukács heißt es dazu:<br />

„Nach <strong>Hegels</strong> eigener Paginierung der Blätter sch<strong>ein</strong>t das Manuskript 47 solche geschriebene<br />

Bogen enthalten zu haben. Geblieben ist der 8. und 47. Ob Hegel selbst diese Arbeit als abgeschlossen<br />

betrachtet hat, ist zweifelhaft. Jedenfalls spricht er in dem späteren Briefe an Schelling<br />

vom 2. November 1800 über s<strong>ein</strong>e systematischen Arbeiten noch in Gegenwartsform.<br />

Freilich, ob sich diese Wendung auf das uns vorliegende Fragment oder bereits auf Anfänge<br />

neuer Arbeiten bezieht, können wir nicht sicher sagen.“ 4<br />

Soviel läßt sich aber mit Sicherheit sagen, daß für Hegel in diesem Fragment, Religion die<br />

„Erhebung des Menschen, nicht vom Endlichen zum Unendlichen <strong>–</strong> denn dieses sind nur<br />

Produkte der bloßen Reflexion, und als solcher ist ihre Trennung absolut <strong>–</strong>, sondern vom endlichen<br />

Leben zum unendlichen Leben“ 5 ist.<br />

[58] Und weiter <strong>–</strong> ich zitiere vollständig <strong>–</strong>: „Das unendliche Leben kann man <strong>ein</strong>en Geist<br />

nennen, im Gegensatz der abstrakten Vielheit, denn Geist ist die lebendige Einheit des Mannigfaltigen<br />

im Gegensatz gegen dasselbe als s<strong>ein</strong>e Gestalt, (die) die im Begriff des Lebens<br />

liegende Mannigfaltigkeit ausmacht, nicht im Gegensatz gegen dasselbe als von ihm getrennte,<br />

tote, bloße Vielheit; denn alsdann wäre er die bloße Einheit, die Gesetz heißt und <strong>ein</strong> bloß<br />

gedachtes, Unlebendiges ist. Der Geist ist belebendes Gesetz in Ver<strong>ein</strong>igung mit dem Mannigfaltigem,<br />

das alsdann <strong>ein</strong> belebtes ist. Wenn der Mensch diese belebte Mannigfaltigkeit als<br />

<strong>ein</strong>e Menge von vielen zugleich setzt und doch in Verbindung mit dem Belebenden, wo werden<br />

diese Einzelleben Organe, das unendliche Ganze <strong>ein</strong> unendliches All des Lebens; wenn er<br />

das unendliche Leben als Geist des Ganzen zugleich außer sich, weil er selbst <strong>ein</strong> Beschränktes<br />

ist, setzt, sich selbst zugleich außer sich, dem Beschränkten, setzt und sich zum Lebendi-<br />

1 Ebd. S. 167.<br />

2 Ebd. S. 168.<br />

3 Hegel: Werke Bd. 1. S. 423.<br />

4 Lukács, G.: Der junge Hegel. S. 337.<br />

5 Hegel: Werke. Bd. 1. S. 421 f.

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