Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?

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OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig – 12.09.2009 reaktionären Denkens ein, obwohl er – wie Bruno Liebrucks meint – „der einzige [war], der die Denkmittel zu einer wirklichen Revolutionierung der gesellschaftlichen Verhältnisse geschaffen hat“. 1 [544] Jene, die diese Revolutionierung forderten – dazu gehört auch Max Stirner –, „verschmäht[en] die einzigen Denkmittel“ und machten so „von Haus aus jede Revolution unmöglich“, denn „das unmittelbare Aussprechen der [Welt]revolution ... ist unmittelbar geblieben. Es mußte sich als diese Unmittelbarkeit mit Notwendigkeit an die Gewalt als einziges Mittel wenden. Aber durch die Gewalt wird nicht revolutioniert“. 2 Diese Worte sind zwar eher an Karl Marx gerichtet, aber auch Max Stirner kann davon nicht unbehelligt bleiben. Bleibt doch auch er ein Gefangener der Unmittelbarkeit. Hat er doch zur „Verabsolutierung der Individualisierung des Freiheitsbegriff“ (Liebrucks) einen nicht unbedeutenden Betrag geleistet. Er ist auch einer jener, welche das, was Hegel in seiner Philosophie zu einer Einheit zusammengefügt hat, wieder auseinandergerissen haben, in dem Glauben, es dadurch zu überwinden. Dabei handelt es sich um die Verschränkung von Theorie und Praxis, von Idealem und Realem. So schreibt Stirner in seinem Werk: „Der Gegensatz des Realen und Idealen ist ein unversöhnlicher, und es kann das eine niemals das andere werden: würde das Ideale zum Realen, so wäre es eben nicht mehr das Ideale, und würde das Reale zum Idealen, so wäre allein das Ideale, das Reale aber gar nicht. Der Gegensatz beider ist nicht anders zu überwinden, als wenn man beide vernichtet. Nur in diesen ,man‘, dem Dritten, findet der Gegensatz sein Ende; sonst aber decken Idee und Realität sich nimmermehr. Die Idee kann nicht so realisiert werden, daß sie Idee bleibe, sondern nur, wenn sie als Idee stirbt, und ebenso verhält es sich mit dem Realen.“ 3 [545] Für Stirner hat keine Idee „Dasein, denn keine ist der Leibhaftigkeit fähig“. 4 Der in dieser Aussage enthaltene Vorwurf der Ungegenständlichkeit richtet sich gegen Hegel (nicht jedoch ausschließlich). Daran schließt Bruno Liebrucks – bezüglich der Idee der Freiheit – an, indem er sagt: „Wer Hegel Ungegenständlichkeit vorwirft, hat innerhalb des Freiheitsbegriffes das getan, wovor Hegel warnt, nämlich ... das erste abstrakte Moment der Freiheit, die absolute Unbestimmtheit, verabsolutiert“. 5 Stirners ‚Der Einzige und sein Eigentum‘ ist von dieser Unmittelbarkeit durchzogen; der Einzige bleibt in seiner Subjektivität, seiner Individualität stehen. Als „Schüler Hegels“ hat er sich von dessen dialektischer Philosophie entfernt und sich in eine nicht-dialektische Denkungsart zurückentwickelt. Ebenso wie Feuerbach steht er, aufgrund seiner Subjektivität, seiner subjektiven Begriffsbildung auf einer Stufe des Nominalismus, dessen Allgemeinbegriffe „für sich ... bloße Vorstellung oder ein leerer Name“ 6 sind. Max Stirner wendet sich sowohl gegen Hegel als auch gegen Feuerbach. Bei Hegel zerreißt er Zusammengefügtes, von Feuerbach übernimmt er den Nominalismus, um ihn zu radikalisieren. Er zieht, was Feuerbach an Hegels Religionsphilosophie kritisiert 1 Liebrucks, Bruno: Recht, Moralität und Sittlichkeit bei Hegel. Bd. 2. S. 38. 2 Ebd. 3 EE 407. 4 EE 408. 5 Liebrucks, Bruno: Recht, Moralität und Sittlichkeit bei Hegel. Bd. 2. S. 37. 6 Hegel: Werke. Bd. 8. S. 320.
OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig – 12.09.2009 und von Gott in den Menschen hineinträgt, von diesem ab und überträgt es auf sein subjektives, unmittelbares Ich, den Einzigen. Dieser Einzige ist der Ausdruck seines konsequent gedachten Individualismus anarchistischer Prägung, welcher den Standpunkt der Hegelschen „Idee“ nicht zu erreichen vermag. [546] VII. Bibliographie Hegel, G. W. F.: Werke in 20 Bänden. Register. stw. Frankfurt/Main. 1986 Hegel, G. W. F.: Politische Schriften. stw. mit einem Nachwort von Habermas, Jürgen. Frankfurt/M. 1966. Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigentum. Reclam. Stuttgart 1981 Stirner, Max: Parerga-Kritiken-Repliken. Hrsg.: Laska, Bernd. Nürnberg 1986 Löwith, Karl: Sämtliche Schriften Bd. 4; Von Hegel zu Nietzsche. Der revolutionäre Bruch im Denken des 19. Jahrhunderts. Stuttgart 1988 Löwith, Karl: Von Hegel zu Nietzsche. Der revolutionäre Bruch im Denken des 19. Jahrhunderts. Stuttgart 1969 Löwith, Karl: Die Hegelsche Linke. Stuttgart 1962 Marcuse, Herbert: Vernunft und Revolution. Hegel und die Entstehung der Gesellschaftstheorie. Sammlung Luchterhand. 8. Aufl. Frankfurt/Main 1964 Röttges: Heinz: Der Begriff der Freiheit in der Philosophie Hegels. Diss.; Frankfurt/M. 1964 Hoerster, Norbert: (Hrsg.) Klassiker des philosophischen Denkens. 2 Bde. dtv. München 1982 Bubner, Rüdiger: (Hrsg.) Geschichte der Philosophie in Text und Darstellung Bd. 6; Deutscher Idealismus. Reclam. Stuttgart 1985. Kroner, Richard: Von Kant bis Hegel. 1977 Fenske, Hans u. a.: Geschichte der politischen Ideen. Von Homer bis zur Gegenwart. Fischer TB. Frankfurt/Main 1987 G1ockner, Hermann: Die europäische Philosophie – Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Stuttgart 1958 [547] Kant, Immanuel: Schriften zur Geschichtsphilosophie. Reclam. Stuttgart 1974 Kant, Immanuel: Zum ewigen Frieden. Reclam. Stuttgart 1973 Kant, Immanuel: Was ist Aufklärung? Thesen und Definitionen (Hrsg.) von Bahr, Ehrhard. Reclam. Schischkoff, Georgi: (Hrsg.) Philosophische Wörterbuch. Körner TB. Bd. 13; Stuttgart 1982 Heine, Heinrich: Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland. Reclam. Leipzig 1970 Schröter, Klaus: (Hrsg.) G.W.F. Hegel – in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt von Wiedmann, Franz. Rowohlt. Reinbek/Hamburg 1986 Knusenberg, Kurt: (Hrsg.) Karl Marx – in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt von Blumenberg, Werner. Rowohlt. Reinbek/Hamburg 1976 Knusenberg, Kurt: (Hrsg) Immanuel Kant – in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt von Schultz, Uwe. Rowohlt. Reinbek/Hamburg 1976 Schelling, F.W.J: Werke Lukács, Georg: Der junge Hegel. 2 Bde. stw. Frankfurt/Main 1973 Taylor, Charles: Hegel. stw. Frankfurt/Main 1983 Rosenkranz, Karl: G.W.F. Hegels Leben. Berlin 1844. Photomechan. Nachdruck. Darmstadt 1963 Fulda, H. F. und Henrich, D.: (Hrsg.) Materialien zu Hegels „Phänomenolgie des Geistes“. stw. Frankfurt/Main 1973 Uexküll, Jürgen Detlev Freiherr von: Armeen und Amouren. Ein Tagebuch aus napoleonischer Zeit von Boris Uxkull. Hamburg 1965 [548] Schopenhauer, Arthur: Parerga und Paralipomena. 2 Bde. Diogenes. Zürich 1977 Mackay, John Henry: Max Stirner. Sein Leben und sein Werk. Freiburg/Br. 3. Auflage. 1977 Mackay, John Henry: Verschollene und Vergessene. Eine Auswahl aus seinem Werk. Hrsg. von Schwedhelm, Karl. Wiesbaden 1980 Mackay, John Henry: Abrechnung. Randbemerkungen zu Leben und Arbeit. Freiburg/Br. 3. Aufl. 1978 Mader, Johann: Zwischen Hegel und Marx. Zur Verwirklichung der Philosophie. Wien-München 1975 Lübbe, Hermann: Studien zur politischen Philosophie in Deutschland. Zürich 1963 Kast, Bernd: Die Thematik des „Eigners“ in der Philosophie Stirners. Diss. Bonn 1979 Mühsam, Erich: Ausgewählte Werke. 2 Bde. Berlin 1978 Wisser, Richard: Grund-Richtungen des 19. Jahrhunderts in Abkehr von Hegel, in: Alte Fragen und neue Wege des Denkens. Festschrift für Josef Stallmach. Bonn 1977
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