Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?

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OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig 12.09.2009 Dabei ist Gewalt jedoch die Äußerung eines „Willens“, der „die Freiheit, d. h. den Willen“ selbst aufhebt. So hebt mit den Worten von Bruno Liebrucks „jedes Denksystem, das die Spontaneität des Menschen aufhebt, ... seinen Willen auf, damit zugleich seine Intelligenz, weil der menschliche [535] Wille intelligenter Wille ist. Dagegen ist das wirkliche Recht in einer Gesellschaft das erste, wenn auch nur unmittelbare Dasein des freien Willens“. 1 Es ist seine denkende Natur, die zur „wirklichen Freiheit des Menschen gehört“. Dabei ist „der Wille nicht ein Vermögen neben dem Denken. Nur ein Wesen, das denkt, kann frei oder unfrei sein. Der Mensch ist nicht als Mensch frei zu nennen, weil ,Mensch’ immer noch ... Name geblieben ist. Er ist nur als existierender Begriff frei“. 2 Solche existierenden Begriffe kann es nur dann geben, „wenn es eine Gesellschaftsordnung gibt, in der Menschen das ihnen Entgegenkommende als vernünftig ansehen können. Das Maß, in dem der Mensch das kann, ist das Maß seiner Freiheit“. 3 In der Rechtsphilosophie ist die Lehre vom Recht in seinen drei Ausprägungen: Recht, Moralität und Sittlichkeit die Entfaltung der menschlichen Freiheit. „Diese Entfaltung kann, wenn sie nicht in der Sphäre des Gedankens bleiben soll, nur innerhalb der Geschichte des Menschen vor sich gehen.“ 4 Die Sittlichkeit als konkreteste Form der Lehre vom Recht stellt „die Bezüglichkeit zur Situtation, in der der Einzelne und seine Gesellschaft sich befinden“ 5 , dar. In ihr gehen sowohl Recht als auch Moralität auf und bestehen dennoch für sich alleine, können jedoch nicht abgetrennt vom Absoluten (der Sittlichkeit) betrachtet werden, sondern fließen ineinander über. [536] Die Idee des Rechts ist sowohl „sein Begriff und seine Verwirklichung“. 6 „Der Begriff ist dabei nicht der Existenz entgegengesetzt ... wie der menschliche Begriff als Leib existiert, so existiert der Begriff des Rechts nur als Gesellschaft, sofern diese rechtlich, moralisch und sittlich ist. Die Gestaltung, welche der Begriff des Rechts sich in den menschlichen Institutionen gibt, ist die Gestaltung durch die Menschen, sofern sie als existierende Rechtsbegriffe gesellschaftlich miteinander verkehren. In den Gestaltungen der Institutionen haben wir den Gang vom Begriff des Rechts, sofern er nicht nur in den Herzen oder Köpfen der Menschen ist, zur Idee. Dieser Gang zur Idee ist der Gang in die Verwirklichung.“ 7 Dies setzt einen freien Willen voraus, der sich Dasein gibt. Er gibt sich dieses auf dem Wege des Denkens, was bedeutet, „etwas als Allgemeines setzen, d. i. es als Allgemeines zum Bewußtsein bringen“. 8 In dem ich etwas denke, nehme ich ihm „seine Individualität ... Damit nehme ich auch mir diese Individualität. Ich verallgemeinere mich. Ich verkehre meine qualitative Individualität in ihr Gegenteil, fixiere mich, dieses Ich, in der ersten Abstraktion der Allgemeinheit aller Iche. Als sprechender trete ich in diese verkehrte Welt ein, welches Eintreten zugleich ihre Herstellung ist. Ich werde nicht in eine schon vorhandene Welt geworfen, sondern empfange und entwerfe sie zugleich. Die erste Abstraktion ist der Entwurf allein. In ihm wird nur das als [537] real zugelassen, was sich diesem Entwurf gefügt hat“. 9 Der Wille als denkender trägt in sich den Trieb, sich Dasein zu geben. Indem der Mensch 1 Ebd., S. 14. 2 Ebd., S. 15. 3 Ebd. 4 Ebd., S. 16. 5 Ebd., S. 17. 6 Hegel: Werke. Bd. 7. S. 29. 7 Liebrucks, Bruno: Recht, Moralität und Sittlichkeit bei Hegel. Bd. 2. S. 22. 8 Hegel: Werke. Bd. 7. S. 361. 9 Liebrucks, Bruno: Recht, Moralität und Sittlichkeit bei Hegel. Bd. 2. S. 22 f.

OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig 12.09.2009 etwas denkt, legt er seinen Willen in dieses „Etwas“ und macht es so zu dem Seinigen, gibt ihm Wirklichkeit. Da der Mensch nicht allein ist, sondern sich in gesellschaftlichem Verkehr befindet, „ist die Freiheit des Willens der Ausdruck der Bezüglichkeit des Willens des Einzelmenschen zu den Willen aller anderen Einzelmenschen“. 1 „Abstraktion“ ist „das erste Moment im Willen“. „Indem ich von der Unmittelbarkeit der in der Phantasie oder Wahrnehmung erscheinenden Dinge abstrahiere, trete ich zugleich ... aus der Unmittelbarkeit heraus. Der Wille ist zunächst die Verneinung der Bestimmtheit ... die Auflösung des Einzelnen als eines konkret Erscheinenden oder wunschhaft Vorgestellten.“ 2 Dabei besteht jedoch die Gefahr, „wird dieses erste Moment verabsolutiert, so gelangen wir zum Fanatismus des Glaubens, der Politik und auch der Erkenntnis. Die Verwechslung der Freiheit des Verstandes mit der menschlichen Freiheit ist die Verwechslung der reinen Unbestimmtheit, in der Ich sich zu sich selbst verhält, mit dem wirklichen Ich. Der Wille ist dabei reines Denken seiner selbst, schrankenlose Abstraktion, Feind jeder Gestaltung, Feind des Bewußtseins. Der Mensch versteht sich darin als ,freies‘, aber nicht dialektisches Wesen“. 3 [538] Dieser „Fanatismus der Zertrümmerung“, wie Hegel es bezeichnet, beruht auf der Unmittelbarkeit der Freiheit, welche in allen „politischen Zuständen immer wieder hervorbrechen“ kann, gibt sie sich nun „konservativ oder revolutionär“. 4 Innerhalb des Willens findet die „Konkretion ... dadurch statt, daß der Wille ... etwas will. Etwas bestimmtes wollen ist die Negation der Negation der Bestimmung ... Die Bestimmung des Gegenstandes des Willens ist zugleich die Bestimmung von Ich. Dadurch erst tritt Ich ins Dasein ...“ 5 Die Selbstbestimmung des Ich enthält die Momente der Unbestimmtheit, die Reflexion des Ich in sich, und des sich Setzens als Bestimmtes, Unterschiedenes. Diese Einheit der beiden Momente ist der Wille, welcher etwas will. Der menschliche Wille ist frei „nur innerhalb der Bezüglichkeit zu allen gesellschaftlichen Wesen und der im Verein mit ihnen erfahrenen und praktisch betätigten Auseinandersetzung mit der Natur außerhalb von Ich“. 6 Dazu bedarf es der Anerkennung des Anderen und durch den Anderen, um dennoch in diesem Anderen bei sich selbst zu bleiben. Dies ist „der konkrete Begriff der Freiheit“, welcher „Begriff des Geistes“ ist, „der alles, was Menschenantlitz trägt, in gegenseitigem Anerkennen der Andersartigkeit in der Pluralität der bestehenden und neu auftauchenden Gesellschaften zu verbinden mag“. 7 [539] Liebrucks schreibt weiter: „Diese Freiheit ist menschlicher Weltumgang in allen Lagen ... Hier geht es nicht um Prinzipien einer möglichen Freiheit, sondern um die konkrete Freiheit des Menschen in seiner Gesellschaft. Diese erscheint in der besonderen geschichtlichen Lage. Als wahrnehmendes Bewußtsein stehe ich immer einer Wirklichkeit gegenüber, die fremd ist, die ich nicht bestimmt habe ... Da Denken Identität des Gedankens und der gedachten Sache ist ... ist die Freiheit ... die Übersetzung der inneren Form in die äußere. Der Schmerz über den Mangel liegt darin, daß der Zweck zunächst nur in Gedanken und nicht in der Wirklichkeit ist. So gehört die Realisierung des Zwecks zum Zweck selbst. So gehört 1 Ebd., S. 25. 2 Ebd., S. 28. 3 Ebd., S. 29. 4 Ebd. 5 Ebd., S. 30. 6 Ebd., S. 32. 7 Ebd., S. 35.

OCR-Texterkennung und Copyright by <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> Archiv Leipzig <strong>–</strong> 12.09.2009<br />

Dabei ist Gewalt jedoch die Äußerung <strong>ein</strong>es „Willens“, der „die Freiheit, d. h. den Willen“<br />

selbst aufhebt. So hebt <strong>–</strong> mit den Worten von Bruno Liebrucks <strong>–</strong> „jedes Denksystem, das die<br />

Spontaneität des Menschen aufhebt, ... s<strong>ein</strong>en Willen auf, damit zugleich s<strong>ein</strong>e Intelligenz,<br />

weil der menschliche [535] Wille intelligenter Wille ist. Dagegen ist das wirkliche Recht in<br />

<strong>ein</strong>er Gesellschaft das erste, wenn auch nur unmittelbare Das<strong>ein</strong> des freien Willens“. 1<br />

Es ist s<strong>ein</strong>e denkende Natur, die zur „wirklichen Freiheit des Menschen gehört“. Dabei ist<br />

„der Wille nicht <strong>ein</strong> Vermögen neben dem Denken. Nur <strong>ein</strong> Wesen, das denkt, kann frei oder<br />

unfrei s<strong>ein</strong>. Der Mensch ist nicht als Mensch frei zu nennen, weil ,Mensch’ immer noch ...<br />

Name geblieben ist. Er ist nur als existierender Begriff frei“. 2<br />

Solche existierenden Begriffe kann es nur dann geben, „wenn es <strong>ein</strong>e Gesellschaftsordnung<br />

gibt, in der Menschen das ihnen Entgegenkommende als vernünftig ansehen können. Das<br />

Maß, in dem der Mensch das kann, ist das Maß s<strong>ein</strong>er Freiheit“. 3<br />

In der Rechtsphilosophie ist die Lehre vom Recht <strong>–</strong> in s<strong>ein</strong>en drei Ausprägungen: Recht,<br />

Moralität und Sittlichkeit <strong>–</strong> die Entfaltung der menschlichen Freiheit.<br />

„Diese Entfaltung kann, wenn sie nicht in der Sphäre des Gedankens bleiben soll, nur innerhalb<br />

der Geschichte des Menschen vor sich gehen.“ 4<br />

Die Sittlichkeit als konkreteste Form der Lehre vom Recht stellt „die Bezüglichkeit zur Situtation,<br />

in der der Einzelne und s<strong>ein</strong>e Gesellschaft sich befinden“ 5 , dar.<br />

In ihr gehen sowohl Recht als auch Moralität auf und bestehen dennoch für sich all<strong>ein</strong>e, können<br />

jedoch nicht abgetrennt vom Absoluten (der Sittlichkeit) betrachtet werden, sondern fließen<br />

in<strong>ein</strong>ander über.<br />

[536] Die Idee des Rechts ist sowohl „s<strong>ein</strong> Begriff und s<strong>ein</strong>e Verwirklichung“. 6<br />

„Der Begriff ist dabei nicht der Existenz entgegengesetzt ... wie der menschliche Begriff als<br />

Leib existiert, so existiert der Begriff des Rechts nur als Gesellschaft, sofern diese rechtlich,<br />

moralisch und sittlich ist. Die Gestaltung, welche der Begriff des Rechts sich in den menschlichen<br />

Institutionen gibt, ist die Gestaltung durch die Menschen, sofern sie als existierende<br />

Rechtsbegriffe gesellschaftlich mit<strong>ein</strong>ander verkehren. In den Gestaltungen der Institutionen<br />

haben wir den Gang vom Begriff des Rechts, sofern er nicht nur in den Herzen oder Köpfen<br />

der Menschen ist, zur Idee. Dieser Gang zur Idee ist der Gang in die Verwirklichung.“ 7<br />

Dies setzt <strong>ein</strong>en freien Willen voraus, der sich Das<strong>ein</strong> gibt. Er gibt sich dieses auf dem Wege<br />

des Denkens, was bedeutet, „etwas als Allgem<strong>ein</strong>es setzen, d. i. es als Allgem<strong>ein</strong>es zum Bewußts<strong>ein</strong><br />

bringen“. 8<br />

In dem ich etwas denke, nehme ich ihm „s<strong>ein</strong>e Individualität ... Damit nehme ich auch<br />

mir diese Individualität. Ich verallgem<strong>ein</strong>ere mich. Ich verkehre m<strong>ein</strong>e qualitative Individualität<br />

in ihr Gegenteil, fixiere mich, dieses Ich, in der ersten Abstraktion der Allgem<strong>ein</strong>heit aller<br />

Iche. Als sprechender trete ich in diese verkehrte Welt <strong>ein</strong>, welches Eintreten zugleich ihre<br />

Herstellung ist. Ich werde nicht in <strong>ein</strong>e schon vorhandene Welt geworfen, sondern empfange<br />

und entwerfe sie zugleich. Die erste Abstraktion ist der Entwurf all<strong>ein</strong>. In ihm wird nur das<br />

als [537] real zugelassen, was sich diesem Entwurf gefügt hat“. 9<br />

Der Wille als denkender trägt in sich den Trieb, sich Das<strong>ein</strong> zu geben. Indem der Mensch<br />

1 Ebd., S. 14.<br />

2 Ebd., S. 15.<br />

3 Ebd.<br />

4 Ebd., S. 16.<br />

5 Ebd., S. 17.<br />

6 Hegel: Werke. Bd. 7. S. 29.<br />

7 Liebrucks, Bruno: Recht, Moralität und Sittlichkeit bei Hegel. Bd. 2. S. 22.<br />

8 Hegel: Werke. Bd. 7. S. 361.<br />

9 Liebrucks, Bruno: Recht, Moralität und Sittlichkeit bei Hegel. Bd. 2. S. 22 f.

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