Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?

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OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig 12.09.2009 berg“. 1 Die Erziehung im Elternhaus war „protestantisch-pietistisch geprägt. Von Jugend auf war Hegel also mit dem Ideengut der altwürttembergischen Theosophie und Mystik des Pietismus vertraut“. 2 Sein schwäbisches Naturell behielt er Zeit seines Lebens bei, auch auf dem Berliner Katheder, vor allem seine Sprache. So meinte er „allen Ernstes, der schwäbische Dialekt mit seinen unerschöpflichen Modulationsmöglichkeiten eigne sich wie kein anderer vorzüglich zum Philosophieren“. 3 Tatsächlich hat dieses Land eine ganze Reihe von hervorragenden Dichtern, Philosophen und Theologen hervorgebracht, was man auch selbstgefällig besungen hat: „Der Schelling und der Hegel, der Schiller und der Hauff, das ist bei uns die Regel und fällt uns gar nicht auf.“ 4 Nach seinem Abschluß am Gymnasium tritt Hegel in das Tübinger Stift ein, wo er ab dem Wintersemester 1788/79 als Stipendiat Philosophie und Theologie studiert. Soweit bekannt ist, ist es „dem jungen Hegel nie in den Sinn gekommen, er könne etwas anderes als Theologie studieren“. 5 Aufgabe des Tübinger Stifts war, wie bei zahlreichen anderen Landesuniversitäten „primär die Ausbildung für den Staats-, Kirchen- und Schuldienst des Landes“. 6 [51] Ab dem Wintersemester 1790/91 bewohnen Hegel, Hölderlin und Schelling dasselbe Zimmer im Stift und es entstand die bereits erwähnte Freundschaft zwischen den Dreien. Erst durch Hölderlins schwere Erkrankung und durch die langsame Entfremdung Hegels und Schellings brach diese ab 1807 auseinander. Im Zusammenhang damit steht das Erscheinen der ‚Phänomenologie des Geistes‘. Schelling will von Hegel nichts mehr wissen, „weil dieser in der Vorrede die naturphilosophische Romantik in Bausch und Bogen verwirft, den Standpunkt der Indifferenz aufgibt und den Begriff wieder in Gegensatz zur Anschauung bringt“. 7 In der Zeit des Aufenthaltes im Stift ist von seiner Genialität noch nichts zu erkennen, wie aus einigen zeitgenössischen Aussagen hervorgeht. Hegel war bedächtig. Etwas behäbig von Natur, lagen ihm Reiten und Fechten nicht sehr. Über seine vernachlässigte Kleidung rümpften die jungen Damen die Nasen, obwohl sie ihn seiner Gutmütigkeit und geistigen Munterkeit wegen litten. Seine schwerfällige Art ließ ihn älter erscheinen als er war. (Vgl. Rosenkranz: G. W. F. Hegels Leben) Bei „nicht seltenen Gelagen“ in einer Tübinger Wirtschaft war er „dagegen gern gesehener Zechgenosse“. 8 Des öfteren kam er erst zu später Stunde ins Stift und bei einer solchen Gelegenheit soll ihm der Stubenälteste zugerufen haben: „O Hegel, du saufst dir gewiß no dei bißle Verstand vollends ab!“ 9 Dies nur als Detail am Rande; seiner späteren Bedeutung sollte dies keinen Abbruch tun. [52] In den ersten Studienjahren las er „Platon, Kant, Schiller, Jacobi, ... Montesquieu und Herder“, 10 aber vor allem beschäftigte er sich begeistert mit Rousseau. So ist es nicht ver- 1 Schröter, K.: Hegel. S. 7. 2 Ebd. S. 12. 3 Ebd. 4 Ebd. 5 Ebd. 6 Ebd. S. 14. 7 Glockner, H.: Europ. Philosophie. S. 754. 8 Schröter, K.: Hegel. S. 16. 9 Ebd. 10 Ebd.

OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig 12.09.2009 wunderlich, daß er sich bereits hier für politische Probleme interessierte und sich für die Französische Revolution begeisterte. Am 27. September 1790 wird Hegel zum Magister promoviert und beschließt sein Studium nach Ablegung eines theologischen Konsistorialexamens am 20. September 1793. In den folgenden Jahren nahm Hegel, wie es damals offensichtlich Sitte war, Hauslehrerstellen an. „Auch Kant, Fichte, Herbart und Hölderlin nahmen verschiedene Jahre über solche Posten an. Der Vorteil bestand darin, daß man neben freier Station und einem kleinen Gehalt freie Zeit für eigene Studien hatte und wohl auch in die Gesellschaft eingeführt wurde, um neue Verbindungen anzuknüpfen.“ 1 Die Stationen, die Hegel dabei durchlief, lagen in Bern und Frankfurt, wohin er auf Empfehlung Höderlins kam. „Hegel fühlte sich zunächst so wohl wie nie zuvor in seinem Leben. ,Ich werde hier in Frankfurt wieder etwas mehr der Welt gleich‘ ... Vor allem aber gelingen ihm jetzt größere Arbeiten und Vorstudien zu seinem System. Die ... unter dem Titel ‚Der Geist des Christentums und sein Schicksal‘ zusammengefaßten Fragmente stehen in ihrer tragischen Behandlung des Schicksalsgedankens allerdings ganz im Bann der schweren Krankheit des Freundes Hölderlin, die Hegel miterleben mußte. Unser Interesse verdienen die Studien auch dadurch, daß hier erstmals die für Hegels Denken so charakteristischen Begriffe wie Aufhebung, dialektischer Fortschritt und Versöhnung zu finden sind. Der Entwicklungsgang des Christentums schreitet nach Hegel vom Katho[53])lizismus durch den Protestantismus zur Philosophie fort, von der Anschauung der Offenbarung zur Feststellung und zum Wissen in der Erkenntnis. Durch die Vermittlung der Philosophie soll sich eine höhere Form der Religion ergeben, in der die Gegensätze aufgehoben und versöhnt erscheinen. Die Vermittlung ist so zu denken, daß die neue Idee das Ganze des Lebens in sich aufnimmt, wodurch sie allen endlichen Gegensätzen und Widersprüchen gerecht wird und sie in dem dreifachen Sinne aufhebt, daß sie in einem Höheren überwunden, jedoch zugleich erhalten und als aufgehobene zu lebendiger Einheit emporgehoben sind.“ 2 „... Hegels Natur war von Anfang an stark auf das Praktische angelegt“, bemerkt Georg Lukács, und so ist es nicht verwunderlich, daß er sich „auch in den sogenannten theologischen Frühschriften weitgehend mit staatsphilosophischen Problemen auseinandersetzt“. 3 Dieser Hang zum Praktischen läßt Lukács in seiner Schrift ‚Der junge Hegel‘ weiterformulieren: „Er hat immer gehofft, ins politische Leben seiner Zeit aktiv eingreifen zu können. Es ist z. B. charakteristisch, daß er nach der Vollendung der ‚Phänomenologe des Geistes‘ die ihm angebotene Redakteursstelle in Bamberg freudig und hoffnungsvoll angenommen hat; erst im Laufe dieser Tätigkeit ist die Enttäuschung eingetreten, aber vor allem infolge des außerordentlich beschränkten Betätigungsfeldes seiner Zeitung unter den damaligen Zensurverhältnissen.“ 4 Dennoch treten in der Philosophie des jungen Hegel „selbstverständlich die idealistischen Züge unvergleichlich stärker und beherrschender hervor“. 5 [54] Aber „als Vorwegnahme einer grundlegenden Tendenz in Hegels Entwicklung“ wird von Lukács hervorgehoben, „daß Hegel der einzige bedeutende deutsche Denker dieser Periode ist, der die klassischen Ökonomen Englands studiert hat, sein Studium erstreckt sich auch, ..., auf die konkreten ökonomischen Verhältnisse von England selbst. Damit weitet sich gerade in der Frankfurter Periode der internationale Gesichtskreis Hegels außerordentlich aus. 1 Ebd. S. 22. 2 Ebd. S. 25 f. 3 Ebd. S. 27. 4 Lukács, Georg: Der junge Hegel. Bd. 1. stw 1973. S. 160. 5 Ebd. S. 164.

OCR-Texterkennung und Copyright by <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> Archiv Leipzig <strong>–</strong> 12.09.2009<br />

berg“. 1<br />

Die Erziehung im Elternhaus war „protestantisch-pietistisch geprägt. Von Jugend auf war<br />

Hegel also mit dem Ideengut der altwürttembergischen Theosophie und Mystik des Pietismus<br />

vertraut“. 2<br />

S<strong>ein</strong> schwäbisches Naturell behielt er Zeit s<strong>ein</strong>es Lebens bei, auch auf dem Berliner Katheder,<br />

vor allem s<strong>ein</strong>e Sprache. So m<strong>ein</strong>te er „allen Ernstes, der schwäbische Dialekt mit s<strong>ein</strong>en<br />

unerschöpflichen Modulationsmöglichkeiten eigne sich wie k<strong>ein</strong> anderer vorzüglich zum Philosophieren“.<br />

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Tatsächlich hat dieses Land <strong>ein</strong>e ganze Reihe von hervorragenden Dichtern, Philosophen und<br />

Theologen hervorgebracht, was man auch selbstgefällig besungen hat: „Der Schelling und der<br />

Hegel, der Schiller und der Hauff, das ist bei uns die Regel und fällt uns gar nicht auf.“ 4<br />

Nach s<strong>ein</strong>em Abschluß am Gymnasium tritt Hegel in das Tübinger Stift <strong>ein</strong>, wo er ab dem<br />

Wintersemester 1788/79 als Stipendiat Philosophie und Theologie studiert. Soweit bekannt<br />

ist, ist es „dem jungen Hegel nie in den Sinn gekommen, er könne etwas anderes als Theologie<br />

studieren“. 5<br />

Aufgabe des Tübinger Stifts war, wie bei zahlreichen anderen Landesuniversitäten „primär<br />

die Ausbildung für den Staats-, Kirchen- und Schuldienst des Landes“. 6<br />

[51] Ab dem Wintersemester 1790/91 bewohnen Hegel, Hölderlin und Schelling dasselbe<br />

Zimmer im Stift und es entstand die bereits erwähnte Freundschaft zwischen den Dreien. Erst<br />

durch Hölderlins schwere Erkrankung und durch die langsame Entfremdung <strong>Hegels</strong> und<br />

Schellings brach diese ab 1807 aus<strong>ein</strong>ander. Im Zusammenhang damit steht das Ersch<strong>ein</strong>en<br />

der ‚Phänomenologie des Geistes‘.<br />

Schelling will von Hegel nichts mehr wissen, „weil dieser in der Vorrede die naturphilosophische<br />

Romantik in Bausch und Bogen verwirft, den Standpunkt der Indifferenz aufgibt und<br />

den Begriff wieder in Gegensatz zur Anschauung bringt“. 7<br />

In der Zeit des Aufenthaltes im Stift ist von s<strong>ein</strong>er Genialität noch nichts zu erkennen, wie<br />

aus <strong>ein</strong>igen zeitgenössischen Aussagen hervorgeht.<br />

Hegel war bedächtig. Etwas behäbig von Natur, lagen ihm Reiten und Fechten nicht sehr.<br />

Über s<strong>ein</strong>e vernachlässigte Kleidung rümpften die jungen Damen die Nasen, obwohl sie ihn<br />

s<strong>ein</strong>er Gutmütigkeit und geistigen Munterkeit wegen litten. S<strong>ein</strong>e schwerfällige Art ließ ihn<br />

älter ersch<strong>ein</strong>en als er war. (Vgl. Rosenkranz: G. W. F. <strong>Hegels</strong> Leben)<br />

Bei „nicht seltenen Gelagen“ in <strong>ein</strong>er Tübinger Wirtschaft war er „dagegen gern gesehener<br />

Zechgenosse“. 8<br />

Des öfteren kam er erst zu später Stunde ins Stift und bei <strong>ein</strong>er solchen Gelegenheit soll ihm<br />

der Stubenälteste zugerufen haben: „O Hegel, du saufst dir gewiß no dei bißle Verstand vollends<br />

ab!“ 9<br />

Dies nur als Detail am Rande; s<strong>ein</strong>er späteren Bedeutung sollte dies k<strong>ein</strong>en Abbruch tun.<br />

[52] In den ersten Studienjahren las er „Platon, Kant, Schiller, Jacobi, ... Montesquieu und<br />

Herder“, 10 aber vor allem beschäftigte er sich begeistert mit Rousseau. So ist es nicht ver-<br />

1 Schröter, K.: Hegel. S. 7.<br />

2 Ebd. S. 12.<br />

3 Ebd.<br />

4 Ebd.<br />

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6 Ebd. S. 14.<br />

7 Glockner, H.: Europ. Philosophie. S. 754.<br />

8 Schröter, K.: Hegel. S. 16.<br />

9 Ebd.<br />

10 Ebd.

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