Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?

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OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig 12.09.2009 noch ein anderes ist als die gegenständliche; der Inhalt dieser Selbstbestimmung bleibt deswegen auch schlechthin nur ein Endliches. Die Willkür ist, statt der Wille in seiner Wahrheit zu sein, vielmehr der Wille als der Widerspruch.“ 1 Die Willkür beinhaltet die Möglichkeit, die Wahl zu treffen, „mich hier oder dort zu bestimmen ... die Wahl, die ich habe, liegt in der Allgemeinheit des Willens, daß ich dieses oder jenes zu dem Meinigen machen kann ... Der gewöhnliche Mensch glaubt, frei zu sein, wenn ihm willkürlich zu handeln erlaubt ist, aber gerade in der Willkür liegt, daß er nicht frei ist.“ 2 Wohl kann man „das im Entschluß Gewählte ... wieder aufgeben“, aber „der Widerspruch, welcher die Willkür ist, hat als Dialektik der Triebe und Neigungen die Erscheinung, daß sie sich gegenseitig stören, die Befriedigung des einen, die Unterordnung oder Aufopferung der Befriedigung des anderen fordert ...“. 3 [498] Dieser Willkür muß der Mensch sich entledigen, sich befreien. Er muß die Triebe „reinigen“. In dieser „Forderung ... liegt die allgemeine Vorstellung, daß sie von der Form ihrer unmittelbaren Naturbestimmtheit und von dem Subjektiven und Zufälligen des Inhalts befreit und auf ihr substantielles Wesen zurückgeführt werden. Das Wahrhafte dieser unbestimmten Forderung ist, daß die Triebe als das vernünftige System der Willensbestimmung seien; sie so aus dem Begriffe zu fassen, ist der Inhalt der Wissenschaft des Rechtes“. 4 Die Triebe nehmen hier die Gestalt von Pflichten an, wenn „der Mensch ... als Tatsache seines Bewußtseins in sich [finde], daß er das Recht, Eigentum, den Staat usf. wolle“. 5 Die Reinigung, Kultivierung und Befreiung von den Trieben erfolgt durch die Bildung, denn „die auf die Triebe sich beziehende Reflexion bringt, als sie vorstellend, berechnend, sie untereinander und dann mit ihren Mitteln, Folgen usf. und mit einem Ganzen der Befriedigung der Glückseligkeit vergleichend, die formelle Allgemeinheit an diesen Stoff und reinigt denselben auf diese äußerliche Weise von seiner Rohheit und Barbarei“. 6 Der „absolute Wert der Bildung“ ist dieses „Hervortreiben der Allgemeinheit des Denkens“. 7 „Die Wahrheit aber dieser formellen ... Allgemeinheit ... ist die sich selbst bestimmende Allgemeinheit, der Wille, die Freiheit. Indem er die Allgemeinheit, sich selbst, als die unendliche Form zu seinem Inhalte, Gegenstande und Zweck hat, ist er nicht nur der an sich, sondern ebenso der für sich freie Wille die wahrhafte Idee.“ 8 [499] Weiters heißt es bei Hegel: „Das Selbstbewußtsein des Willens, als Begierde, Trieb, ist sinnlich, wie das Sinnliche überhaupt die Äußerlichkeit und damit das Außersichsein des Selbstbewußtseins bezeichnet. Der reflektierende Wille hat die zwei Elemente, jenes Sinnliche und die denkende Allgemeinheit; der an und für sich seiende Wille hat den Willen selbst als solchen, hiermit sich in seiner reinen Allgemeinheit zu seinem Gegenstande der Allgemeinheit, welche eben dies ist, daß die Unmittelbarkeit der Natürlichkeit und die Partikularität, mit welcher ebenso die Natürlichkeit behaftet, als sie von der Reflexion hervorgebracht wird, in ihr aufgehoben ist. Dies Aufheben aber und Erheben ins Allgemeine ist das, was die Tätigkeit des Denkens heißt.“ 9 Mit anderen Worten bedeutet das, daß der Wille sich selbst als Wille weiß, denkt, und 1 Ebd., S. 66. 2 Ebd., S. 67. 3 Ebd., S. 68. 4 Ebd., S. 70. 5 Ebd. 6 Ebd., S. 71. 7 Ebd. 8 Ebd., S. 71 f. 9 Ebd., S. 72.

OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig 12.09.2009 nur als solcher ist er „wahrhafter, freier Wille ... dies Selbstbewußtsein, das durch das Denken sich als Wesen erfaßt und damit eben sich von dem zufälligen und Unwahren abtut, macht das Prinzip des Rechts, der Moralität und aller Sittlichkeit aus“. 1 An diesem Punkt angelangt, befinden wir uns am Übergang vom Prinzip der Glückseligkeit zum Prinzip der Freiheit. Dieser nun „an und für sich seiende Wille ist wahrhaft unendlich“, weil er sich selbst zum Gegenstand hat, für ihn somit nicht ein Anderes ist, „sondern er darin vielmehr nur in sich zurückgekehrt ist“. 2 Seine wahrhafte Unendlichkeit besteht nicht mehr nur in seiner Möglichkeit, sondern sein „äußerliches Dasein ist seine Innerlichkeit, er selbst“. 3 Er ist bei sich selbst. [500] Dieser freie Wille, in dem „das wahrhaft Unendliche Wirklichkeit und Gegenwart“ hat „er selbst ist diese in sich gegenwärtige Idee“ ist „allgemein, weil in ihm alle Beschränkung und besondere Einzelheit aufgehoben ist ... der Begriff des freien Willens als das über seinen Gegenstand übergreifende, durch seine Bestimmung hindurchgehende Allgemeine, das in ihr mit sich identisch ist. Das an und für sich seiende Allgemeine ist überhaupt das, was man das Vernünftige nennt und was nur auf diese spekulative Weise gefaßt werden kann“. 4 Der freie Wille trägt auch noch die Momente der Subjektivität und der Objektivität in sich. So ist „das Subjektive ... überhaupt die Seite seines Selbstbewußtseins, der Einzelheit im Unterschiede von seinem an sich seienden Begriffe; daher heißt seine Subjektivität a) die reine Form (Tätigkeit), die absolute Einheit des Selbstbewußtseins mit sich, in der es als Ich = Ich schlechthin innerlich und abstraktes Beruhen auf sich ist die reine Gewißheit seiner selbst, unterschieden von der Wahrheit; b) die Besonderheit des Willens als die Willkür und der zufällige Inhalt beliebiger Zwecke; c) überhaupt die einseitige Form, insofern das Gewollte, wie es seinem Inhalte nach sei, nur erst ein dem Selbstbewußtsein angehöriger Inhalt und unausgeführter Zweck ist“. 5 Dieser Wille „ist der schlechthin objektive Wille“, wenn er „a) sich selbst zu seiner Bestimmung hat und so seinem Begriffe gemäß und wahrhaftig ist; ... b) der objektive Wille aber, als ohne die unendliche Form des Selbstbewußtseins, ist der in sein Objekt oder Zustand, wie er seinem Inhalte nach beschaffen sei, versenkte Wille der kindliche, sittliche, wie der sklavische, abergläubische usf. c) die Objektivität ist endlich die einseitige Form im Gegensatz der subjektiven Willensbestimmung, hiermit die Unmittelbarkeit des Daseins als äußerliche Existenz; der Wille wird sich in diesem Sinne erst durch die Ausführung seiner Zwecke objektiv“. 6 [501] Subjektivität und Objektivität stehen sich aber nicht gegenüber, sondern gehen vielmehr ineinander über. Da der Wille nichts Starres, in sich Verharrendes ist, versucht er „den Widerspruch der Subjektivität und Objektivität aufzuheben und seine Zwecke aus jener Bestimmung in diese zu übersetzen und in der Objektivität zugleich bei sich zu bleiben ...“. 7 Diese „Tätigkeit des Willens ... ist außer der formalen Weise des Bewußtseins, worin die Objektivität nur als unmittelbare Wirklichkeit ist, die wesentliche Entwicklung des substantiel- 1 Ebd., S: 72. 2 Ebd., S. 74. 3 Ebd. 4 Ebd., S. 74 f. 5 Ebd., S. 76. 6 Ebd., S. 76 f. 7 Ebd., S. 79.

OCR-Texterkennung und Copyright by <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> Archiv Leipzig <strong>–</strong> 12.09.2009<br />

noch <strong>ein</strong> anderes ist als die gegenständliche; der Inhalt dieser Selbstbestimmung bleibt deswegen<br />

auch schlechthin nur <strong>ein</strong> Endliches. Die Willkür ist, statt der Wille in s<strong>ein</strong>er Wahrheit<br />

zu s<strong>ein</strong>, vielmehr der Wille als der Widerspruch.“ 1<br />

Die Willkür b<strong>ein</strong>haltet die Möglichkeit, die Wahl zu treffen, „mich hier oder dort zu bestimmen<br />

... die Wahl, die ich habe, liegt in der Allgem<strong>ein</strong>heit des Willens, daß ich dieses oder<br />

jenes zu dem M<strong>ein</strong>igen machen kann ... Der gewöhnliche Mensch glaubt, frei zu s<strong>ein</strong>, wenn<br />

ihm willkürlich zu handeln erlaubt ist, aber gerade in der Willkür liegt, daß er nicht frei<br />

ist.“ 2<br />

Wohl kann man „das im Entschluß Gewählte ... wieder aufgeben“, aber „der Widerspruch,<br />

welcher die Willkür ist, hat als Dialektik der Triebe und Neigungen die Ersch<strong>ein</strong>ung, daß sie<br />

sich gegenseitig stören, die Befriedigung des <strong>ein</strong>en, die Unterordnung oder Aufopferung der<br />

Befriedigung des anderen fordert ...“. 3<br />

[498] Dieser Willkür muß der Mensch sich entledigen, sich befreien. Er muß die Triebe „r<strong>ein</strong>igen“.<br />

In dieser „Forderung ... liegt die allgem<strong>ein</strong>e Vorstellung, daß sie von der Form ihrer<br />

unmittelbaren Naturbestimmtheit und von dem Subjektiven und Zufälligen des Inhalts befreit<br />

und auf ihr substantielles Wesen zurückgeführt werden. Das Wahrhafte dieser unbestimmten<br />

Forderung ist, daß die Triebe als das vernünftige System der Willensbestimmung seien; sie so<br />

aus dem Begriffe zu fassen, ist der Inhalt der Wissenschaft des Rechtes“. 4<br />

Die Triebe nehmen hier die Gestalt von Pflichten an, wenn „der Mensch ... als Tatsache s<strong>ein</strong>es<br />

Bewußts<strong>ein</strong>s in sich [finde], daß er das Recht, Eigentum, den Staat usf. wolle“. 5<br />

Die R<strong>ein</strong>igung, Kultivierung und Befreiung von den Trieben erfolgt durch die Bildung, denn<br />

„die auf die Triebe sich beziehende Reflexion bringt, als sie vorstellend, berechnend, sie unter<strong>ein</strong>ander<br />

und dann mit ihren Mitteln, Folgen usf. und mit <strong>ein</strong>em Ganzen der Befriedigung <strong>–</strong><br />

der Glückseligkeit <strong>–</strong> vergleichend, die formelle Allgem<strong>ein</strong>heit an diesen Stoff und r<strong>ein</strong>igt<br />

denselben auf diese äußerliche Weise von s<strong>ein</strong>er Rohheit und Barbarei“. 6<br />

Der „absolute Wert der Bildung“ ist dieses „Hervortreiben der Allgem<strong>ein</strong>heit des Denkens“. 7<br />

„Die Wahrheit aber dieser formellen ... Allgem<strong>ein</strong>heit ... ist die sich selbst bestimmende Allgem<strong>ein</strong>heit,<br />

der Wille, die Freiheit. Indem er die Allgem<strong>ein</strong>heit, sich selbst, als die unendliche<br />

Form zu s<strong>ein</strong>em Inhalte, Gegenstande und Zweck hat, ist er nicht nur der an sich, sondern<br />

ebenso der für sich freie Wille <strong>–</strong> die wahrhafte Idee.“ 8<br />

[499] Weiters heißt es bei Hegel: „Das Selbstbewußts<strong>ein</strong> des Willens, als Begierde, Trieb, ist<br />

sinnlich, wie das Sinnliche überhaupt die Äußerlichkeit und damit das Außersichs<strong>ein</strong> des<br />

Selbstbewußts<strong>ein</strong>s bezeichnet. Der reflektierende Wille hat die zwei Elemente, jenes Sinnliche<br />

und die denkende Allgem<strong>ein</strong>heit; der an und für sich seiende Wille hat den Willen selbst<br />

als solchen, hiermit sich in s<strong>ein</strong>er r<strong>ein</strong>en Allgem<strong>ein</strong>heit zu s<strong>ein</strong>em Gegenstande <strong>–</strong> der Allgem<strong>ein</strong>heit,<br />

welche eben dies ist, daß die Unmittelbarkeit der Natürlichkeit und die Partikularität,<br />

mit welcher ebenso die Natürlichkeit behaftet, als sie von der Reflexion hervorgebracht<br />

wird, in ihr aufgehoben ist. Dies Aufheben aber und Erheben ins Allgem<strong>ein</strong>e ist das, was die<br />

Tätigkeit des Denkens heißt.“ 9<br />

Mit anderen Worten bedeutet das, daß der Wille sich selbst als Wille weiß, denkt, und<br />

1 Ebd., S. 66.<br />

2 Ebd., S. 67.<br />

3 Ebd., S. 68.<br />

4 Ebd., S. 70.<br />

5 Ebd.<br />

6 Ebd., S. 71.<br />

7 Ebd.<br />

8 Ebd., S. 71 f.<br />

9 Ebd., S. 72.

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