Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?

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OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig 12.09.2009 kenntnis des Geistes vollzieht, bereiteten die Feuerbachsche Wendung zur Anthropologie vor. Die Eigenständigkeit der Theologie war durch Hegel ohnehin vernichtet worden. Theologie ist eine Vorstufe der Philosophie, und sofern die Philosophie Theologie ist, hat die Theologie ihren Charakter entschieden verändert: sie hat nicht mehr geglaubte Inhalte zum Gegenstand, sondern gewußte. Wenn Theologie und Philosophie den gleichen Gegenstand besitzen, die Philosophie aber in der Sukzession der Zeiten die verschiedenen Stufen der allmählich sich vollendenden Selbsterkenntnis ist, die sich realiter im philosophischen Menschen verwirklicht, dann bleibt der Mensch doch das selbständige Zentrum der Welt. [469] Dazu kam, daß Hegel den Geist wesentlich als das Tätige, sich Manifestierende begriff, so nämlich, daß in dem, was der Geist schafft, erkannt wird, was der Geist an und für sich ist. Danach muß in Religion und Kunst, Recht und Staat einen Ausdruck finden, was der Mensch selbst ist. Sofern der Mensch der Schöpfer dieser Gebilde ist, kann man auch die Anthropologie zur Grundwissenschaft erheben“. 1 Für Feuerbach ist der Mensch der „Kern der Theologie, nicht Gott. Gott entsteht nur, weil ich denke oder glaube, daß ein übernatürliches und übermenschliches Wesen sei. ,Glaube, denke ich überhaupt keinen Gott, so habe ich keinen Gott; er ist für mich nur durch mich, für die Vernunft nur durch die Vernunft; das Apriori, das erste Wesen ist also nicht das Gedachte, sondern das denkende Wesen, nicht das Objekt, sondern das Subjekt‘ ... Jedes Wesen ... hat seinen Gott, sein höchstes Wesen in sich selbst‘.“ 2 Somit stellt sich erneut die Frage nach dem „Unterschied zwischen dem Wesen des Menschen und seiner realen geschichtlichen Existenz. Dieser Unterscheidung liegt der Gegensatz von Wirklichkeit und Idee zugrunde. Das Wesen des Menschen hebt sich vom wirklichen Menschen ab, wie sich das, was der Mensch sein möchte und sein sollte, abhebt von dem, was er wirklich ist. Der Mensch bejaht in Gott, was er an sich vermißt ... Das göttliche Wesen ist ... das menschliche.“ 3 Demgemäß zitiert Barth Ludwig Feuerbach: „,Gott ist das in mir, durch mich, auf mich, für mich handelnde Wesen, das Prinzip meines Heils, meiner guten Gesinnungen und Handlungen, folglich mein eigenes Prinzip und Wesen‘.“ 4 Dabei vollzieht die Philosophie „,einen universalen Selbsttäuschungsact‘, in welchem sie darstellt, daß das Wesen [470] Gottes das Wesen des Menschen und die Theologie Anthropologie ist. Durch die Aufhebung der menschlichen Selbsttäuschung durch diese Ent-täuschung wird der Zwiespalt zwischen dem ,Herrn im Himmel‘ und einem ,Herrn der Erde‘ überwunden. Das göttliche Wesen wird in den Menschen, dem es entstammt, zurückgenommen und so die Forderung begründet, das wahre menschliche Wesen hier und jetzt, in Staat und Familie zu realisieren. Diese Verwirklichung ist der Politik vorbehalten.“ 5 Die Feuerbachsche Religionskritik richtet an den Menschen die Forderung, „sein wahres Wesen zu verwirklichen ... Die Kritik der Religion wird zum praktischen Drang nach Weltveränderung. Denn sein wahres Wesen realisiert der Mensch nur, indem er sich das heißt aber, da er ursprünglich ein soziales Wesen ist und dem Mitmenschen solche Zustände zu bereiten versucht, in welchen er sein und des andern Wollen und Bedürfnis befriedigt findet. ,Die Verneinung des Jenseits hat die Bejahung des Diesseits zur Folge. Die Aufhebung eines besseren Lebens im Himmel schließt die Forderung in sich: es soll, es muß besser 1 Ebd., S. 83 f. 2 Ebd., S. 83 f. 3 Ebd., S. 85 f. 4 Ebd., S. 86. 5 Ebd., S. 87.

OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig 12.09.2009 werden auf der Erde; sie verwandelt die bessere Zukunft aus dem Gegenstand eines müßigen Glaubens in einen Gegenstand der Pflicht, der menschlichen Selbsttätigkeit‘.“ 1 Hegel selbst erscheint so als der „Wegbereiter“ seiner sich kritisch gegen ihn wendenden „Nachfolger“. Seine eigene Intention der Versöhnung der Wirklichkeit im Reich des Ideellen, nicht in der Welt des Realen, förderte die Kritik zutage. Er selbst wünschte auch in einem Abschlußsatz zu seinen ‚Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie‘ „daß diese Geschichte der Philosophie eine Aufforderung für sich enthalten möge, den Geist der Zeit ... zu ergreifen und ... [471] hervor an den Tag zu ziehen und jeder an seinem Ort mit Bewußtsein an den Tag zu bringen“. 2 Karl Löwith erklärt dazu, daß vor allem der „linke Flügel“ von Hegels Epigonen zu dem Schluß kommen mußte, daß im Anschluß an Hegels „absolut-geschichtliches Verständnis ... in der erreichten Totalität des Systems das Ende einer Vollendung begriffen und daraus konsequenterweise gefolgert [werden mußte], daß man nach Hegel nicht mehr in der bisherigen Weise Philosophieren könne, sondern einen ganz anderen und neuen Weg einschlagen müsse, um aus Hegels Erinnerung des Gewesenen wieder in die Richtung eines zukunftsvollen Fortschritts zu kommen“. 3 Dies wurde auch auf sehr konsequente Weise betrieben und die Zersetzung der Hegelschen Philosophie nahm ihren unaufhaltsamen Lauf. Im Abschnitt über die „Spaltung der Hegelschen Schule“ wurde darauf bereits ausführlich eingegangen. Max Stirner gilt als einer der radikalsten „Überwinder“ von Hegels Philosophie. Es galt nachzuweisen, inwieweit ein Beziehung zwischen ihm und Hegel bestand. Als nicht unmittelbarer Nachfolger von Hegel ist davon auszugehen, daß seine Auseinandersetzung mit dem großen deutschen Denker sich vor allem über den Umweg der zeitgenössischen „Kritik“ vollzog, obwohl seine Wurzeln durchaus wenn nicht ausschließlich bei Hegel zu finden sind. Wichtigste Repräsentanten dieser „Kritik“ waren vor allem Bruno Bauer und Ludwig Feuerbach; jener Kreis, welcher sich in der Weinstube Hippel zusammenfand, aber auch seine eigenen Studien, die er betrieben hatte, deren Grundlagen sich in den von ihm besuchten Vorlesungen bei Hegel finden lassen. Im einzelnen ist dies bereits im Kapitel III (Max Stirner ein Schüler Hegels?) beleuchtet worden. [472] Ein Hinweis auf seine Auseinandersetzung mit Bruno Bauer und Ludwig Feuerbach findet sich in seinem Werk ‚Der Einzige und sein Eigentum‘ zu Beginn der ersten Abteilung „Der Mensch“, welcher er den Slogan voranstellt: „Der Mensch ist dem Menschen das höchste Wesen, sagt Feuerbach. Der Mensch ist nun erst gefunden, sagt Bruno Bauer. Sehen Wir Uns denn dieses höchste Wesen und diesen neuen Fund genauer an.“ 4 Zugegeben, „wissenschaftsgeschichtlich bedeutet Stirner ein besonderes Problem. Von jeher war seine Lehre den krassesten Mißverständnissen ausgesetzt, so daß der Zugang zu ihr über die Geschichte ihrer Kritik zu führen scheint“, wie Kurt Adolf Mautz im Vorwort zu seiner Arbeit ‚Die Philosophie Max Stirners im Gegensatz zum Hegelschen Idealismus‘ schreibt, jedoch hinzufügt, daß „diese Möglichkeit der Deutung ... in Stirners Werk selbst angelegt“ 1 Ebd., S. 87. 2 Hegel: Werke. Bd. 20. S. 462. 3 Löwith, Karl: Hegelsche Linke. S. 9. 4 EE 7.

OCR-Texterkennung und Copyright by <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> Archiv Leipzig <strong>–</strong> 12.09.2009<br />

werden auf der Erde; sie verwandelt die bessere Zukunft aus dem Gegenstand <strong>ein</strong>es müßigen<br />

Glaubens in <strong>ein</strong>en Gegenstand der Pflicht, der menschlichen Selbsttätigkeit‘.“ 1<br />

Hegel selbst ersch<strong>ein</strong>t so als der „Wegbereiter“ s<strong>ein</strong>er sich kritisch gegen ihn wendenden<br />

„Nachfolger“.<br />

S<strong>ein</strong>e eigene Intention der Versöhnung der Wirklichkeit im Reich des Ideellen, nicht in der<br />

Welt des Realen, förderte die Kritik zutage.<br />

Er selbst wünschte auch <strong>–</strong> in <strong>ein</strong>em Abschlußsatz zu s<strong>ein</strong>en ‚Vorlesungen über die Geschichte<br />

der Philosophie‘ <strong>–</strong> „daß diese Geschichte der Philosophie <strong>ein</strong>e Aufforderung für sich enthalten<br />

möge, den Geist der Zeit ... zu ergreifen und ... [471] hervor an den Tag zu ziehen und<br />

<strong>–</strong> jeder an s<strong>ein</strong>em Ort <strong>–</strong> mit Bewußts<strong>ein</strong> an den Tag zu bringen“. 2<br />

Karl Löwith erklärt dazu, daß vor allem der „linke Flügel“ von <strong>Hegels</strong> Epigonen zu dem<br />

Schluß kommen mußte, daß im Anschluß an <strong>Hegels</strong> „absolut-geschichtliches Verständnis ...<br />

in der erreichten Totalität des Systems das Ende <strong>ein</strong>er Vollendung begriffen und daraus konsequenterweise<br />

gefolgert [werden mußte], daß man nach Hegel nicht mehr in der bisherigen<br />

Weise Philosophieren könne, sondern <strong>ein</strong>en ganz anderen und neuen Weg <strong>ein</strong>schlagen müsse,<br />

um aus <strong>Hegels</strong> Erinnerung des Gewesenen wieder in die Richtung <strong>ein</strong>es zukunftsvollen Fortschritts<br />

zu kommen“. 3<br />

Dies wurde auch auf sehr konsequente Weise betrieben und die Zersetzung der <strong>Hegels</strong>chen<br />

Philosophie nahm ihren unaufhaltsamen Lauf.<br />

Im Abschnitt über die „Spaltung der <strong>Hegels</strong>chen Schule“ wurde darauf bereits ausführlich<br />

<strong>ein</strong>gegangen.<br />

<strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> gilt als <strong>ein</strong>er der radikalsten „Überwinder“ von <strong>Hegels</strong> Philosophie. Es galt<br />

nachzuweisen, inwieweit <strong>ein</strong> Beziehung zwischen ihm und Hegel bestand.<br />

Als nicht unmittelbarer Nachfolger von Hegel ist davon auszugehen, daß s<strong>ein</strong>e Aus<strong>ein</strong>andersetzung<br />

mit dem großen deutschen Denker sich vor allem über den Umweg der zeitgenössischen<br />

„Kritik“ vollzog, obwohl s<strong>ein</strong>e Wurzeln durchaus <strong>–</strong> wenn nicht ausschließlich <strong>–</strong><br />

bei Hegel zu finden sind.<br />

Wichtigste Repräsentanten dieser „Kritik“ waren vor allem Bruno Bauer und Ludwig Feuerbach;<br />

jener Kreis, welcher sich in der W<strong>ein</strong>stube Hippel zusammenfand, aber auch s<strong>ein</strong>e eigenen<br />

Studien, die er betrieben hatte, deren Grundlagen sich in den von ihm besuchten Vorlesungen<br />

bei Hegel finden lassen.<br />

Im <strong>ein</strong>zelnen ist dies bereits im Kapitel III (<strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>–</strong> <strong>ein</strong> <strong>Schüler</strong> <strong>Hegels</strong>?) beleuchtet<br />

worden.<br />

[472] Ein Hinweis auf s<strong>ein</strong>e Aus<strong>ein</strong>andersetzung mit Bruno Bauer und Ludwig Feuerbach<br />

findet sich in s<strong>ein</strong>em Werk ‚Der Einzige und s<strong>ein</strong> Eigentum‘ zu Beginn der ersten Abteilung<br />

„Der Mensch“, welcher er den Slogan voranstellt:<br />

„Der Mensch ist dem Menschen das höchste Wesen, sagt Feuerbach.<br />

Der Mensch ist nun erst gefunden, sagt Bruno Bauer.<br />

Sehen Wir Uns denn dieses höchste Wesen und diesen neuen Fund genauer an.“ 4<br />

Zugegeben, „wissenschaftsgeschichtlich bedeutet <strong>Stirner</strong> <strong>ein</strong> besonderes Problem. Von jeher<br />

war s<strong>ein</strong>e Lehre den krassesten Mißverständnissen ausgesetzt, so daß der Zugang zu ihr über<br />

die Geschichte ihrer Kritik zu führen sch<strong>ein</strong>t“, wie Kurt Adolf Mautz im Vorwort zu s<strong>ein</strong>er<br />

Arbeit ‚Die Philosophie <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong>s im Gegensatz zum <strong>Hegels</strong>chen Idealismus‘ schreibt,<br />

jedoch hinzufügt, daß „diese Möglichkeit der Deutung ... in <strong>Stirner</strong>s Werk selbst angelegt“<br />

1 Ebd., S. 87.<br />

2 Hegel: Werke. Bd. 20. S. 462.<br />

3 Löwith, Karl: <strong>Hegels</strong>che Linke. S. 9.<br />

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