Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?
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OCR-Texterkennung und Copyright by <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> Archiv Leipzig <strong>–</strong> 12.09.2009<br />
Man brauche „die auf dem Kopf stehende Welt nur umzustülpen“. 1<br />
Vorangegangen ist diesem Versuch die Frage nach dem Verhältnis zwischen Idee und Wirklichkeit,<br />
zwischen Theorie und Praxis, dem theoretischen Verhalten der Welt gegenüber <strong>ein</strong>em<br />
praktischen.<br />
Darauf kann die Anwort jedoch nur lauten, „daß ,die Praxis der Philosophie selbst theoretisch<br />
ist‘.“ 2<br />
Und so besteht „die Funktion der Kritik“ <strong>–</strong> in diesem Fall für Marx <strong>–</strong> „in nichts anderem als<br />
in der Feststellung der Diskrepanz zwischen dem, was etwas faktisch ist, und s<strong>ein</strong>er eigensten<br />
Bestimmung, die zu erfüllen s<strong>ein</strong>e Aufgabe wäre. Dieser Mangel an Über<strong>ein</strong>stimmung wird<br />
ihm zum Motiv, in die Wirklichkeit verändernd <strong>ein</strong>zugreifen ... Der Philosophie [467] steht<br />
die Wirklichkeit gegenüber als das Mangelhafte, das Ungenügende, als das, was im argen<br />
liegt und ihren immanenten Forderungen nicht entspricht. Jetzt tritt die Philosophie aus ihrer<br />
,inneren Selbstgenügsamkeit‘ heraus; und indem sie das tut, verwandelt sie sich in den Willen,<br />
der die Welt nach dem Maßstabe der Idee zu verändern unternimmt. Das Ziel dieser Veränderung<br />
ist die Herbeiführung der Wirklichkeit mit sich selbst.“ 3<br />
Mit anderen Worten: Philosophie soll „praktisch werden“. (Vgl. Kapitel III. Abschnitt 5.)<br />
Diesem Praktisch-Werden liegt nicht nur <strong>ein</strong>e Kritik an der <strong>Hegels</strong>chen Rechtsphilosophie<br />
zugrunde, sondern vor allem <strong>ein</strong>e Kritik an der Religion.<br />
„Sachlich geht sie aus von der Aus<strong>ein</strong>andersetzung Ludwig Feuerbachs mit dem Christentum,<br />
dessen religionskritische Prinzipien Marx übernimmt und weiterführt. Eine nicht minder<br />
wichtige Gem<strong>ein</strong>samkeit verband beide mit Hegel. <strong>Hegels</strong> Einstellung zum Christentum ist in<br />
mehr als <strong>ein</strong>er Hinsicht problematisch. Einmal mußte sich durch die Behauptung, daß Religion<br />
und Philosophie <strong>ein</strong> und denselben Gegenstand besitzen <strong>–</strong> nämlich die Erkenntnis Gottes <strong>–</strong><br />
die Religion ohnehin für bedroht halten; denn die Philosophie vollendet im Begriff in der Gestalt<br />
der vernünftigen Allgem<strong>ein</strong>heit, also innerhalb der Hierarchie der geistigen Manifestationen<br />
auf der höchsten Stufe, was die Religion nur im Gefühl hat, das ist in der subjektiven<br />
und daher unübertragbaren Form der Befangenheit, und im Mythos, das heißt in der Gestalt<br />
der bildlichen, zufällig geschichtlichen Anschauung. Dann aber verhehlt sich Hegel nicht, daß<br />
die christliche Religion selbst in die kritische Endphase ihres Bestandes <strong>ein</strong>getreten war.<br />
Schon darin, daß die Kirche mit ihren dogmatisch fixierten Glaubenssätzen nicht mehr das<br />
Fundament des Staates abgeben konnte und der Staat [468] daher von nun an dem ,Prinzip<br />
der Weltlichkeit‘, der profanen Sittlichkeit der Vernunft als <strong>ein</strong>er im Vergleich mit religiöskirchlichen<br />
Sittlichkeit ,höheren Form des vernünftigen Gedankens‘ aufgebaut werden mußte,<br />
kündigen sich unverkennbare Bedenken gegen die Mächtigkeit und Unversehrtheit der christlichen<br />
Religion an. Hegel hat sie am Schluß s<strong>ein</strong>er Religionsphilosophie derart unmißverständlich<br />
zum Ausdruck gebracht, daß s<strong>ein</strong>e Einsicht in die Tragik der christlichen Lebensformen<br />
k<strong>ein</strong> Zweifel aufkommen kann. S<strong>ein</strong> Bestreben ist zwar darauf gerichtet, die Religion<br />
durch die Philosophie zu rechtfertigen ... aber eben so sehr rechtfertigte die Philosophie auch<br />
die Reflexion, die ,in die Religion <strong>ein</strong>gebrochen ist‘ und ,<strong>ein</strong>e f<strong>ein</strong>dliche Stellung zur Vorstellung<br />
in der Religion und zum konkreten Inhalt‘ bezogen hat.“ 4<br />
So ist es nicht verwunderlich, daß „Feuerbachs Religionskritik ... sich mühelos an Hegel anschließen<br />
[konnte]. Die Identifikation von Theologie und Philosophie <strong>ein</strong>erseits und andererseits<br />
die Bestimmungen der Aufgabe der Philosophie dahin, daß sich im philosophierenden<br />
Subjekt als dem Träger und Organ des sich selbst begreifenden Weltgeistes die Selbster-<br />
1 Ebd., S. 74.<br />
2 Ebd., S. 69.<br />
3 Ebd., S. 69 f.<br />
4 Ebd., S. 80 f.