Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?

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OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig 12.09.2009 auf diese Verköperung los, so sehr auch stets die Leibhaftigkeit ausbleibt.“ 1 Trotz der entgegengesetzten Wege ist es „dem Christentum wie dem Altertum ums Göttliche zu tun ... Am Ende des Heidentuns wird das Göttliche zum Außerweltlichen, am Ende des Christentums zum Innerweltlichen. Es ganz außerhalb der Welt zu setzen, gelingt dem Altertum nicht, und als das Christentum diese Aufgabe vollbringt, da sehnt sich augenblicklich das Göttliche in die Welt zurück und will die Welt ,erlösen‘. Aber innerhalb des Christentum kommt und kann es [461] nicht dazu kommen, daß das Göttliche als Innerweltliches wirklich das Weltliche selbst würde. ... Das Christentum beginnt damit, daß der Gott zum Menschen wird, und es treibt sein Bekehrungs- und Erlösungswerk alle Zeit hindurch, um dem Gotte in allen Menschen und allem Menschlichen Aufnahme zu bereiten und alles mit dem Geiste zu durchdringen: es bleibt dabei, für den ,Geist‘ eine Stätte zu bereiten. Wenn zuletzt auf den Menschen oder die Menschheit der Akzent gelegt wurde, so war es wieder die Idee, die man ,ewig sprach‘: ... Man meinte nun die Realität der Idee gefunden zu haben: Der Mensch ist das Ich der Geschichte, der Weltgeschichte; er, dieser Ideale, ist es, der sich wirklich entwickelt, d. h. realisiert. Er ist der wirklich Reale, Leibhaftige, denn die Geschichte ist sein Leib, woran die Einzelnen nur die Glieder sind. [...] es ist der Mensch als solcher, der Mensch schlechthin der ,Mittelpunkt‘ der Geschichte. In ,dem Menschen‘ kehrt der imaginäre Anfang wieder; denn ,der Mensch‘ ist so imaginär als Christus es ist. ,Der Mensch‘ als Ich der Weltgeschichte schließt den Zyklus christlicher Anschauungen“. 2 Dieser „Zauberkreis der Christlichkeit wäre gebrochen, wenn die Spannung zwischen Existenz und Beruf, d. h. zwischen Mir, wie Ich bin, und Mir, wie Ich sein soll, aufhörte“. 3 Somit kommt Stirner endgültig zum Schluß. „Daß der Einzelne für sich eine Weltgeschichte ist und an der übrigen Weltgeschichte sein Eigentum besitzt, das geht übers Christliche hinaus. Dem Christen ist die Weltgeschichte das Höhere, weil sie die Geschichte Christi oder ,des Menschen‘ ist; dem Egoisten hat nur seine Geschichte Wert, weil er nur sich entwickeln will, nicht die Menschheits-Idee, nicht den Plan Gottes, nicht die Absichten der Vorsehung, nicht die Freiheit u. dgl. Er sieht sich nicht für ein Werkzeug der Idee oder ein Gefäß Gottes an, er er[462]erkennt keinen Beruf an, er wähnt nicht, zur Fortentwicklung der Menschheit dazusein und sein Scherflein dazu beitragen zu müssen, sondern er lebt sich aus, unbesorgt darum, wie gut oder schlecht die Menschheit dabei fahre ... Was, bin Ich dazu in der Welt, um Ideen zu realisieren? Um etwa zur Verwirklichung der Idee ,Staat‘ durch mein Bürgertum das Meinige zu tun, oder durch die Ehe, als Ehegatte und Vater, die Idee der Familie zu einem Dasein zu bringen? Was ficht Mich ein solcher Beruf an! Ich lebe so wenig nach einem Berufe, als die Blume nach einem Berufe wächst und duftet. Das Ideal ‚der Mensch‘ ist realisiert, wenn die christliche Anschauung umschlägt in den Satz: ,Ich, dieser Einzige, bin der Mensch‘. Die Begriffsfrage: ,was ist der Mensch?‘ hat sich dann in die persönliche umgesetzt ,wer ist der Mensch?‘ Bei ,was‘ sucht man den Begriff, um ihn zu realisieren; bei ,wer‘ ist’s überhaupt keine Frage mehr, sondern die Antwort im Fragenden gleich persönlich vorhanden: die Frage beantwortet sich von selbst. Man sagt von Gott: ,Namen nennen Dich nicht‘. Das gilt von Mir: kein Begriff drückt mich aus, nichts, was man als mein Wesen angibt, erschöpft Mich; es sind nur Namen. Gleichfalls sagt man von Gott, er sei vollkommen und habe keinen Beruf, nach Vollkommenheit zu streben. Auch das gilt allein von Mir. 1 EE 408. 2 EE 409 f. 3 EE 410.

OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig 12.09.2009 Eigner bin Ich meiner Gewalt, und Ich bin es dann, wenn Ich Mich als Einzigen weiß. Im Einzigen kehrt selbst der Eigner in sein schöpferisches Nichts zurück, aus welchem er geboren wird. Jedes höher Wesen über Mir, sei Gott, sei es der Mensch, schwächt das Gefühl meiner Einzigkeit und erbleicht erst vor der Sonne diese Bewußtseins. Stell’ Ich auf Mich, den Einzigen, meine Sache, dann steht sie auf dem Vergänglichen, dem sterblichen Schöpfer seiner, der sich selbst verzehrt, und Ich darf sagen: Ich hab’ mein’ Sach’ auf Nichts gestellt.“ 1 [463] V. Resümee Der vorliegenden Arbeit lag die Idee zugrunde, der Beziehung Max Stirners zu G. W. F. Hegel nachzugehen. Es ließ sich dabei nicht umgehen, auf die philosophischen Vorgänger Hegels und den „Gang des Deutschen Idealismus“ von Kant zu Hegel einzugehen. Dieser verdeutlichte die philosophische Entwicklung jener Jahre, welche in der Aufklärung ihren Ursprung hat. Der „Gang des Deutschen Idealismus“ ist durch die kritische Auseinandersetzung mit Kant gekennzeichnet, bei dem „das Denken bei sich selber einkehrt, ... um im Ich den Grund der Welt zu finden ...“ Bei Fichte dem „Begründer des Deutschen Idealismus“ „entdeckt es Gott auf dem Grund des Ich. In Schelling neigt es dahin, unter Übergehung des Ich Gott unmittelbar in der Welt zu suchen ..., in Hegel endet es damit, aus dem absoluten und göttlichen Ich die Welt, die Welten zu erbauen“ (vgl. Abschnitt 2. 1. S. 8) Hegel gilt und galt als der wichtigste Vertreter der Philosophie des Deutschen Idealismus. Bei ihm kommt die Philosophie zu ihrer Vollendung. Für Hegel hat Philosophie die Aufgabe „das, was ist, zu begreifen ...; denn das, was ist, ist die Vernunft. Was das Individuum betrifft, so ist ohnehin jedes ein Sohn seiner Zeit; so ist auch die Philosophie ihre Zeit in Gedanken erfaßt.“ 2 Und eben „weil die Vernunft das Wesen der Dinge ausmacht“, schreibt Hans Barth, „weil in Natur und Geschichte sich die Vernunft verwirklicht, ist es die Aufgabe der Philosophie, die sich selbst entfremdete und in sich selbst entzweite Vernunft zu begreifen und auf diese Weise das Werk der Versöhnung mit sich selbst zu vollziehen. Wenn der Geist sich wiedererkennt in dem, was er selbst geschaffen hat, wird die Entzweiung im Reiche des Gedankens aufgehoben“. 3 [464] Dabei ist dem Geist die Entzweiung notwendig, „denn würde er bei sich bleiben, so wäre es ausgeschlossen, daß er jemals wüßte, was er ist. Was der Geist ist, zeigt die Geschichte. Sie ist die Manifestation des Geistes.“ 4 „Allein dieser Sachverhalt“, so Barth, „legt die Vermutung nahe, daß die Selbsterkenntnis des Geistes nicht am Anfang, sondern am Ende der Geschichte stehen muß.“ 5 Mit anderen Worten, die Philosophie tritt in der Gestalt des Geistes zu einer bestimmten Zeit hervor. „Die Philosophie ist das Erzeugnis des Greisenalters.“ 6 Dieses ist das „vierte Reich des Geistes ... das germanische Reich“, welches auf das orientalische, das griechische und das römische im Laufe der Menschheitsentwicklung folgt. „Das natürliche Greisenalter ist Schwäche, 1 EE 411 f. 2 Hegel: Werke. Bd. 7. S. 26. 3 Barth, Hans: Wahrheit und Ideologie. S. 63. 4 Ebd., S. 63 f. 5 Ebd., S. 64. 6 Ebd. S. 65.

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auf diese Verköperung los, so sehr auch stets die Leibhaftigkeit ausbleibt.“ 1<br />

Trotz der entgegengesetzten Wege ist es „dem Christentum wie dem Altertum ums<br />

Göttliche zu tun ... Am Ende des Heidentuns wird das Göttliche zum Außerweltlichen,<br />

am Ende des Christentums zum Innerweltlichen. Es ganz außerhalb der Welt zu setzen,<br />

gelingt dem Altertum nicht, und als das Christentum diese Aufgabe vollbringt, da sehnt sich<br />

augenblicklich das Göttliche in die Welt zurück und will die Welt ,erlösen‘. Aber innerhalb<br />

des Christentum kommt und kann es [461] nicht dazu kommen, daß das Göttliche als Innerweltliches<br />

wirklich das Weltliche selbst würde. ... Das Christentum beginnt damit, daß der<br />

Gott zum Menschen wird, und es treibt s<strong>ein</strong> Bekehrungs- und Erlösungswerk alle Zeit hindurch,<br />

um dem Gotte in allen Menschen und allem Menschlichen Aufnahme zu bereiten und<br />

alles mit dem Geiste zu durchdringen: es bleibt dabei, für den ,Geist‘ <strong>ein</strong>e Stätte zu bereiten.<br />

Wenn zuletzt auf den Menschen oder die Menschheit der Akzent gelegt wurde, so war es<br />

wieder die Idee, die man ,ewig sprach‘: ... Man m<strong>ein</strong>te nun die Realität der Idee gefunden zu<br />

haben: Der Mensch ist das Ich der Geschichte, der Weltgeschichte; er, dieser Ideale, ist es,<br />

der sich wirklich entwickelt, d. h. realisiert. Er ist der wirklich Reale, Leibhaftige, denn die<br />

Geschichte ist s<strong>ein</strong> Leib, woran die Einzelnen nur die Glieder sind. [...] es ist der Mensch als<br />

solcher, der Mensch schlechthin der ,Mittelpunkt‘ der Geschichte. In ,dem Menschen‘ kehrt<br />

der imaginäre Anfang wieder; denn ,der Mensch‘ ist so imaginär als Christus es ist. ,Der<br />

Mensch‘ als Ich der Weltgeschichte schließt den Zyklus christlicher Anschauungen“. 2<br />

Dieser „Zauberkreis der Christlichkeit wäre gebrochen, wenn die Spannung zwischen Existenz<br />

und Beruf, d. h. zwischen Mir, wie Ich bin, und Mir, wie Ich s<strong>ein</strong> soll, aufhörte“. 3 Somit<br />

kommt <strong>Stirner</strong> endgültig zum Schluß.<br />

„Daß der Einzelne für sich <strong>ein</strong>e Weltgeschichte ist und an der übrigen Weltgeschichte<br />

s<strong>ein</strong> Eigentum besitzt, das geht übers Christliche hinaus. Dem Christen ist die Weltgeschichte<br />

das Höhere, weil sie die Geschichte Christi oder ,des Menschen‘ ist; dem Egoisten<br />

hat nur s<strong>ein</strong>e Geschichte Wert, weil er nur sich entwickeln will, nicht die Menschheits-Idee,<br />

nicht den Plan Gottes, nicht die Absichten der Vorsehung, nicht die Freiheit<br />

u. dgl. Er sieht sich nicht für <strong>ein</strong> Werkzeug der Idee oder <strong>ein</strong> Gefäß Gottes an, er<br />

er[462]erkennt k<strong>ein</strong>en Beruf an, er wähnt nicht, zur Fortentwicklung der Menschheit<br />

dazus<strong>ein</strong> und s<strong>ein</strong> Scherfl<strong>ein</strong> dazu beitragen zu müssen, sondern er lebt sich aus, unbesorgt<br />

darum, wie gut oder schlecht die Menschheit dabei fahre ... Was, bin Ich dazu in<br />

der Welt, um Ideen zu realisieren? Um etwa zur Verwirklichung der Idee ,Staat‘ durch<br />

m<strong>ein</strong> Bürgertum das M<strong>ein</strong>ige zu tun, oder durch die Ehe, als Ehegatte und Vater, die<br />

Idee der Familie zu <strong>ein</strong>em Das<strong>ein</strong> zu bringen? Was ficht Mich <strong>ein</strong> solcher Beruf an! Ich<br />

lebe so wenig nach <strong>ein</strong>em Berufe, als die Blume nach <strong>ein</strong>em Berufe wächst und duftet.<br />

Das Ideal ‚der Mensch‘ ist realisiert, wenn die christliche Anschauung umschlägt in den<br />

Satz: ,Ich, dieser Einzige, bin der Mensch‘. Die Begriffsfrage: ,was ist der Mensch?‘ <strong>–</strong><br />

hat sich dann in die persönliche umgesetzt ,wer ist der Mensch?‘ Bei ,was‘ sucht man<br />

den Begriff, um ihn zu realisieren; bei ,wer‘ ist’s überhaupt k<strong>ein</strong>e Frage mehr, sondern<br />

die Antwort im Fragenden gleich persönlich vorhanden: die Frage beantwortet sich von<br />

selbst.<br />

Man sagt von Gott: ,Namen nennen Dich nicht‘. Das gilt von Mir: k<strong>ein</strong> Begriff drückt<br />

mich aus, nichts, was man als m<strong>ein</strong> Wesen angibt, erschöpft Mich; es sind nur Namen.<br />

Gleichfalls sagt man von Gott, er sei vollkommen und habe k<strong>ein</strong>en Beruf, nach Vollkommenheit<br />

zu streben. Auch das gilt all<strong>ein</strong> von Mir.<br />

1 EE 408.<br />

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