Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?

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OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig 12.09.2009 Anders ausgedrückt: „Der Eigner kann alle Gedanken, die seinem Herzen lieb waren und seinen Eifer entzündeten, von sich werfen und wird gleichfalls ,tausendfältig wieder gewinnen‘, weil Er, ihr Schöpfer, bleibt. Unbewußt und unwillkürlich streben Wir alle der Eigenheit zu, und schwerlich wird Einer unter Uns sein, der nicht eine heiliges Gefühl, einen heiligen Gedanken, einen heiligen Glauben aufgegeben hätte, ja Wir begegnen wohl keinem, der [457] sich nicht aus einem oder dem andern seiner heiligen Gedanken noch erlösen könnte. All unser Streit wider Überzeugungen geht von der Meinung aus, daß Wir den Gegner etwa aus seinen Gedankenverschanzungen zu vertreiben fähig seien. Aber was Ich bewußt tue, das tue Ich halb, und darum werde Jch nach jedem Siege über einen Glauben wieder der Gefangene (Besessene) eines Glaubens, der dann von neuem mein ganzes Ich in seinen Dienst nimmt und Mich zum Schwärmer für die Vernunft macht ...“ 1 Stirner kommt schließlich zu dem Schluß: „Wir sind allzumal vollkommen: Denn wir sind jeden Augenblick Alles, was Wir sein können, und brauchen niemals mehr zu sein.“ 2 Dabei wendet er sich gegen den von der Religion aufgestellten Satz „Wir seien allzumal Sünder“. Seine Argumentation besteht darin, daß „kein Mangel an Uns haftet, so hat auch die Sünde keinen Sinn. Zeigt Mir noch einen Sünder in der Welt, wenn‘s Keiner mehr einem Höheren recht zu machen braucht! Brauche Ich‘s nur Mir recht zu machen, so bin Ich kein Sünder, wenn Ich‘s Mir nicht recht mache, da Ich in Mir keinen ‚Heiligen‘ verletze; soll Ich dagegen fromm sein, so muß Ich‘s Gott recht machen, soll Ich menschliche handeln, so muß Ich‘s dem Wesen des Menschen, der Idee der Menschheit usw. recht mache. Was die Religion den ,Sünder‘ nennt, das nennt die Humanität den ,Egoisten‘. Nochmals aber, brauche Ich‘s keinem Andern recht zu machen, ist dann der ,Egoist‘, in welchem die Humanität sich einen neumodischen Teufel geboren hat, mehr als ein Unsinn? Der Egoist, vor dem die Humanen schaudern, ist so gut ein Spuk, als der Teufel einer ist: er existiert nur als Schreckgespenst und Phantasiegestalt in ihrem Gehirne.“ 3 Anders ausgedrückt: „Es gibt keinen Sünder und keinen sündigen Egoismus“ und wider den „Menschenfreund“: „Nenne [458] die Menschen nicht Sünder [...]: Du, der Du die Menschen zu lieben wähnst, Du gerade wirfst sie in den Kot der Sünde, Du gerade scheidest sie in Lasterhafte und Tugendhafte, in Menschen und Unmenschen, Du gerade besudelst sie mit dem Geifer deiner Besessenheit; denn Du liebst nicht die Menschen, sondern den Menschen. Ich aber sage Dir, Du hast niemals einen Sünder gesehen, Du hast ihn nur geträumt.“ 4 Hier nur erreicht Stirner sein Endprodukt „den Einzigen“. „Der Selbstgenuß wir Mir dadurch verleidet, daß Ich einem Andern dienen zu müssen meine, daß Ich Mich ihm verpflichtet wähne, daß Ich Mich zu ,Aufopferung‘, ,Hingebung‘, ,Begeisterung‘ berufen halte. Wohlan, diene Ich keiner Idee, keinem ,höheren Wesen‘ mehr, so findet sich‘s von selbst, daß Ich auch keinem Menschen mehr diene, sondern unter allen Umständen Mir. So aber bin Ich nicht bloß der Tat oder dem Sein nach, sondern auf für mein Bewußtsein der Einzige. Dir kommt mehr zu, als das Göttliche, das Menschliche usw.; Dir kommt das Deinige zu. Sieh Dich als mächtiger an, als wofür man Dich ausgibt, so hast Du mehr Macht; sieh Dich als mehr an, so hast Du mehr. Du bist nicht bloß berufen zu allem Göttlichen, berechtigt zu allem Menschlichen, son- 1 EE 403. 2 EE 403 f. 3 EE 404. 4 EE 405.

OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig 12.09.2009 dern Eigner des Deinigen, d. h. alles dessen, was Du Dir zu eigen zu machen Kraft besitzest, d. h. Du bist geeignet und befähigt zu allem Deinigen. Man hat immer gemeint, Mir eine außerhalb Meiner liegende Bestimmung geben zu müssen, so daß man zuletzt Mir zumutete, Ich sollte das Menschliche in Anspruch nehmen, weil Ich Mensch sei. Dies ist der christliche Zauberkreis. Auch Fichtes Ich ist dasselbe Wesen außer Mir, denn Ich ist Jeder, und hat nur dieses Ich Rechte, so ist es ,das Ich‘, nicht Ich bin es. Ich bin aber nicht ein Ich neben andern Ichen, sondern das alleinige Ich: Ich bin einzig. [459] Daher sind auch meine Bedürfnisse einzig, meine Taten, kurz Alles an Mir ist einzig. Und nur als dieses einzige Ich nehme Ich Mir Alles zu eigen, wie Ich nur als dieses Mich betätige und entwickle: Nicht als Mensch und nicht den Menschen entwickle Ich, sondern als Ich entwickle Ich Mich. Dies ist der Sinn des Einzigen.“ 1 5. 3. Der Einzige Dieser letzte Abschnitt von Stirners Werk rekapituliert noch einmal „ein entgegengesetztes Ziel“, welche die „[V]vorchristliche und christliche Zeit verfolgen, [...] jene will das Reale idealisieren, diese das Ideal realisieren“. 2 Allerdings ist der „Gegensatz des Realen und Idealen ... ein unversöhnlicher, und es kann das eine niemals das andere werden: würde das Ideale zum Realen, so wäre es eben nicht mehr das Ideale, und würde das Reale zum Idealen, so wäre allein das Ideale, das Reale aber gar nicht. Der Gegensatz beider ist nicht anders zu überwinden, als wenn man beide vernichtet. Nur in diesem ,man‘, dem Dritten, findet der Gegensatz sein Ende; sonst aber decken Idee und Realität sich nimmermehr. Die Idee kann nicht so realisiert werden, das sie Idee bleibe, sondern nur, wenn sie als Idee stirbt, und ebenso verhält es sich mit dem Realen“. 3 Beide sowohl die Alten als auch die Neuen hegen einen ,frommen Wunsch‘. Den einen ist es die ,Heiligkeit‘, den andern die ,Leibhaftigkeit‘. „Wie aber das Altertum untergehen mußte, wenn seine Sehnsucht befriedigt werden sollte (denn es bestand nur in der Sehnsucht), so kann es auch innerhalb des Ringes der [460] Christlichkeit nimmermehr zur Leibhaftigkeit kommen. Wie der Zug der Heiligung oder Reinigung durch die alte Weit geht ... so geht der der Verleiblichung durch die christliche: der Gott stürzt sich in diese Welt, wird Fleisch und will sie erlösen, d. h. mit sich erfüllen; da er aber ,die Idee‘ oder ,der Geist‘ ist, so führt man ... am Schlusse die Idee in Alles, in die Welt, ein und beweist, ,daß die Idee, die Vernunft in Allem sei‘ ... Durch das Christentum schlingt sich die Frage nach dem ,Dasein Gottes‘ hindurch, die, immer und immer wieder aufgenommen, Zeugnis dafür ablegt, daß der Drang nach dem Dasein, der Leibhaftigkeit, der Persönlichkeit, der Wirklichkeit, unaufhörlich das Gemüt beschäftigte, weil er niemals eine befriedigende Lösung fand. Endlich fiel die Frage nach dem Dasein Gottes, aber nur, um wieder aufzustehen in dem Satze, daß das ,Göttliche‘ Dasein habe [(Feuerbach)]. Aber auch dieses hat kein Dasein, und die letzte Zuflucht, daß das ,rein Menschliche‘ realisierbar sei, wird auch nicht mehr lange Schutz gewähren. Keine Idee hat Dasein, denn keine ist der Leibhaftigkeit fähig. [...] Die Christenwelt arbeitet daran, die Ideen in den einzelnen Verhältnissen des Lebens, den Institutionen und Gesetzen der Kirche und des Staates zu realisieren; aber sie widerstreben und behalten immer etwas unverkörpertes (Unrealisierbares) zurück. Rastlos geht es gleichwohl 1 EE 405 f. 2 EE 407. 3 EE 407.

OCR-Texterkennung und Copyright by <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> Archiv Leipzig <strong>–</strong> 12.09.2009<br />

dern Eigner des D<strong>ein</strong>igen, d. h. alles dessen, was Du Dir zu eigen zu machen Kraft besitzest,<br />

d. h. Du bist geeignet und befähigt zu allem D<strong>ein</strong>igen.<br />

Man hat immer gem<strong>ein</strong>t, Mir <strong>ein</strong>e außerhalb M<strong>ein</strong>er liegende Bestimmung geben zu<br />

müssen, so daß man zuletzt Mir zumutete, Ich sollte das Menschliche in Anspruch nehmen,<br />

weil Ich <strong>–</strong> Mensch sei. Dies ist der christliche Zauberkreis. Auch Fichtes Ich ist<br />

dasselbe Wesen außer Mir, denn Ich ist Jeder, und hat nur dieses Ich Rechte, so ist es<br />

,das Ich‘, nicht Ich bin es. Ich bin aber nicht <strong>ein</strong> Ich neben andern Ichen, sondern das<br />

all<strong>ein</strong>ige Ich: Ich bin <strong>ein</strong>zig. [459] Daher sind auch m<strong>ein</strong>e Bedürfnisse <strong>ein</strong>zig, m<strong>ein</strong>e Taten,<br />

kurz Alles an Mir ist <strong>ein</strong>zig. Und nur als dieses <strong>ein</strong>zige Ich nehme Ich Mir Alles zu<br />

eigen, wie Ich nur als dieses Mich betätige und entwickle: Nicht als Mensch und nicht<br />

den Menschen entwickle Ich, sondern als Ich entwickle Ich <strong>–</strong> Mich.<br />

Dies ist der Sinn des <strong>–</strong> Einzigen.“ 1<br />

5. 3. Der Einzige<br />

Dieser letzte Abschnitt von <strong>Stirner</strong>s Werk rekapituliert noch <strong>ein</strong>mal „<strong>ein</strong> entgegengesetztes<br />

Ziel“, welche die „[V]vorchristliche und christliche Zeit verfolgen, [...] jene will das Reale<br />

idealisieren, diese das Ideal realisieren“. 2 Allerdings ist der „Gegensatz des Realen und<br />

Idealen ... <strong>ein</strong> unversöhnlicher, und es kann das <strong>ein</strong>e niemals das andere werden: würde<br />

das Ideale zum Realen, so wäre es eben nicht mehr das Ideale, und würde das Reale<br />

zum Idealen, so wäre all<strong>ein</strong> das Ideale, das Reale aber gar nicht. Der Gegensatz beider<br />

ist nicht anders zu überwinden, als wenn man beide vernichtet. Nur in diesem ,man‘,<br />

dem Dritten, findet der Gegensatz s<strong>ein</strong> Ende; sonst aber decken Idee und Realität sich<br />

nimmermehr. Die Idee kann nicht so realisiert werden, das sie Idee bleibe, sondern nur, wenn<br />

sie als Idee stirbt, und ebenso verhält es sich mit dem Realen“. 3<br />

Beide <strong>–</strong> sowohl die Alten als auch die Neuen <strong>–</strong> hegen <strong>ein</strong>en ,frommen Wunsch‘. Den <strong>ein</strong>en<br />

ist es die ,Heiligkeit‘, den andern die ,Leibhaftigkeit‘.<br />

„Wie aber das Altertum untergehen mußte, wenn s<strong>ein</strong>e Sehnsucht befriedigt werden sollte<br />

(denn es bestand nur in der Sehnsucht), so kann es auch innerhalb des Ringes der [460]<br />

Christlichkeit nimmermehr zur Leibhaftigkeit kommen. Wie der Zug der Heiligung oder R<strong>ein</strong>igung<br />

durch die alte Weit geht ... so geht der der Verleiblichung durch die christliche: der<br />

Gott stürzt sich in diese Welt, wird Fleisch und will sie erlösen, d. h. mit sich erfüllen; da er<br />

aber ,die Idee‘ oder ,der Geist‘ ist, so führt man ... am Schlusse die Idee in Alles, in die Welt,<br />

<strong>ein</strong> und beweist, ,daß die Idee, die Vernunft in Allem sei‘ ...<br />

Durch das Christentum schlingt sich die Frage nach dem ,Das<strong>ein</strong> Gottes‘ hindurch, die, immer<br />

und immer wieder aufgenommen, Zeugnis dafür ablegt, daß der Drang nach dem Das<strong>ein</strong>,<br />

der Leibhaftigkeit, der Persönlichkeit, der Wirklichkeit, unaufhörlich das Gemüt beschäftigte,<br />

weil er niemals <strong>ein</strong>e befriedigende Lösung fand. Endlich fiel die Frage nach dem Das<strong>ein</strong> Gottes,<br />

aber nur, um wieder aufzustehen in dem Satze, daß das ,Göttliche‘ Das<strong>ein</strong> habe [(Feuerbach)].<br />

Aber auch dieses hat k<strong>ein</strong> Das<strong>ein</strong>, und die letzte Zuflucht, daß das ,r<strong>ein</strong> Menschliche‘<br />

realisierbar sei, wird auch nicht mehr lange Schutz gewähren. K<strong>ein</strong>e Idee hat Das<strong>ein</strong>, denn<br />

k<strong>ein</strong>e ist der Leibhaftigkeit fähig. [...]<br />

Die Christenwelt arbeitet daran, die Ideen in den <strong>ein</strong>zelnen Verhältnissen des Lebens, den Institutionen<br />

und Gesetzen der Kirche und des Staates zu realisieren; aber sie widerstreben und<br />

behalten immer etwas unverkörpertes (Unrealisierbares) zurück. Rastlos geht es gleichwohl<br />

1 EE 405 f.<br />

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3 EE 407.

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