Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?
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OCR-Texterkennung und Copyright by <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> Archiv Leipzig <strong>–</strong> 12.09.2009<br />
Geist‘, d. h. das personifizierte Denken, das Denken als Gespenst; im kritischen Liberalismus<br />
heißt es stets: ,die Kritik‘ tue das und das, oder auch: ,das Selbstbewußts<strong>ein</strong>‘<br />
finde das und das. Gilt aber das Denken für das persönlich Handelnde, so muß das<br />
Denken selbst vorausgesetzt s<strong>ein</strong>, gilt die Kritik [451] dafür, so muß gleichfalls <strong>ein</strong> Gedanke<br />
voranstehen. Denken und Kritik könnten nur von sich aus tätig s<strong>ein</strong>, [...] da sie,<br />
ohne zu s<strong>ein</strong>, nicht tätig s<strong>ein</strong> könnten. Das Denken aber, als Vorausgesetztes, ist <strong>ein</strong> fixer<br />
Gedanke, <strong>ein</strong> Dogma: Denken und Kritik könnten also nur von <strong>ein</strong>em Dogma ausgehen,<br />
d. h. von <strong>ein</strong>em Gedanken, <strong>ein</strong>er fixen Idee, <strong>ein</strong>er Voraussetzung“. 1<br />
Das, was <strong>Stirner</strong> „dienstbare Kritik“ nannte, „ist nicht m<strong>ein</strong> eigen“.<br />
Anders als bei der dienstbaren Kritik verhält es sich, „wenn das D<strong>ein</strong>ige nicht zu <strong>ein</strong>em<br />
Fürsichseienden gemacht, nicht personifiziert, nicht als <strong>ein</strong> eigener ,Geist‘ verselbständigt<br />
wird. D<strong>ein</strong> Denken hat nicht ,das Denken‘ zur Voraussetzung, sonder Dich. Aber so setzest<br />
Du Dich doch voraus? Ja, aber nicht Mir, sondern m<strong>ein</strong>em Denken. Vor m<strong>ein</strong>em<br />
Denken bin <strong>–</strong> Ich. Daraus folgt, daß m<strong>ein</strong>em Denken nicht <strong>ein</strong> Gedanke vorhergeht, oder daß<br />
m<strong>ein</strong> Denken ohne <strong>ein</strong>e ,Voraussetzung‘ ist. Denn die Voraussetzung, welche Ich für m<strong>ein</strong><br />
Denken bin, [...] ist das gesetzte Denken selbst, ist der Eigner des Denkens, und beweist nur,<br />
daß das Denken nichts weiter ist, als <strong>–</strong> Eigentum, d. h. daß <strong>ein</strong> ,selbständiges‘ Denken, <strong>ein</strong><br />
,denkender Geist‘ gar nicht existiert“. 2<br />
Mit kurzen Worten ausgedrückt, will <strong>Stirner</strong> nur sagen, „daß nicht der Mensch das Maß von<br />
Allem, sondern daß Ich dieses Maß sei“. Und so setzt er den unterschied zwischen dienstbarer<br />
und eigener Kritik noch <strong>ein</strong>mal fest: „Der dienstbare Kritiker hat <strong>ein</strong> anderes Wesen, <strong>ein</strong>e<br />
Idee, vor Augen, welchem er dienen will; darum schlachtet er s<strong>ein</strong>em Gotte nur die falschen<br />
Götzen. Was diesem Wesen zu Liebe geschieht, was wäre das anders, als <strong>ein</strong> <strong>–</strong> Werk der Liebe?<br />
Ich aber habe, wenn Ich kritisiere, nicht <strong>ein</strong>mal Mich vor Augen, sondern mach Mir nur<br />
<strong>ein</strong> Vergnügen, amüsiere Mich nach m<strong>ein</strong>em Geschmacke: je nach m<strong>ein</strong>em Bedürfnis zerkaue<br />
Ich die Sache, oder ziehe nur Ihren Duft <strong>ein</strong>.“ 3<br />
[452] Was sind nun die Wahrheiten, derer der Kritiker bedarf, die das Kriterium s<strong>ein</strong>er Kritik<br />
sind?<br />
„Die Wahrheit oder ,die Wahrheit überhaupt‘ will man nicht aufgeben, sondern suchen. Was<br />
ist sie anders als das être suprême, das höchste Wesen? Verzweifeln müßte auch die ,wahre<br />
Kritik‘, wenn sie den Glauben an die Wahrheit verlöre. Und doch ist die Wahrheit nur <strong>ein</strong> <strong>–</strong><br />
Gedanke, aber nicht bloß <strong>ein</strong>er, sondern sie ist der Gedanke, sie ist der Gedanke selbst, der alle<br />
andern erst heiligt, ist die Weihe der Gedanken, der ,absolute‘, der ,heilige‘ Gedanke. Die<br />
Wahrheit hält länger vor, als alle Götter; denn nur in ihrem Dienste und ihr zu Liebe hat man<br />
die Götter und zuletzt selbst Gott gestürzt. Den Untergang der Götterwelt überdauert ,die<br />
Wahrheit‘, denn sie ist die unsterbliche Seele dieser vergänglichen Götterwelt, sie ist die<br />
Gottheit selber.“ 4<br />
Eben deshalb <strong>–</strong> so m<strong>ein</strong>t <strong>Stirner</strong> <strong>–</strong> solange „Du an die Wahrheit glaubst, glaubst Du nicht an<br />
Dich und bist <strong>ein</strong> <strong>–</strong> Diener, <strong>ein</strong> <strong>–</strong> religiöser Mensch. Du all<strong>ein</strong> bist die Wahrheit, oder vielmehr,<br />
Du bist mehr als die Wahrheit, die vor Dir gar nichts ist. Allerdings fragst auch Du<br />
nach der Wahrheit, allerdings ,kritisierst‘ auch Du, aber Du fragst nicht nach <strong>ein</strong>er ,höhern<br />
Wahrheit‘, die nämlich höher wäre als Du, und kritisierst nicht nach dem Kriterium <strong>ein</strong>er solchen.<br />
Du machst Dich an die Gedanken und Vorstellungen wie an die Ersch<strong>ein</strong>ungen der<br />
Dinge nur zu dem Zwecke, um sie Dir mundgerecht, genießbar und eigen zu machen, Du<br />
1 EE 394 f.<br />
2 EE 395.<br />
3 EE 395 f.<br />
4 EE 396.