Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?
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OCR-Texterkennung und Copyright by <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> Archiv Leipzig <strong>–</strong> 12.09.2009<br />
Reichtümer dieser Welt nicht glücklich machen, so auch die Wahrheiten nicht“. 1<br />
[449] Denn „Wahrheiten sind Phrasen, Redensarten, Worte (λογοσ) in Zusammenhang<br />
oder in Reih‘ und Glied gebracht, bilden sie die Logik, die Wissenschaft, die Philosophie“,<br />
jedoch zum „Denken und Sprechen brauche Ich die Wahrheiten und Worte, wie<br />
zum Essen die Speisen; ohne sie kann Ich nicht denken noch sprechen. Die Wahrheiten sind<br />
der Menschen Gedanken, in Worten niedergelegt und deshalb ebenso vorhanden, wie andere<br />
Dinge, obgleich nur für den Geist oder das Denken vorhanden. Sie sind Menschensatzungen<br />
und menschliche Geschöpfe, und wenn man sie auch für göttliche Offenbarungen ausgibt, so<br />
bleibt ihnen doch die Eigenschaft der Fremdheit für Mich, ja als m<strong>ein</strong>e eigenen Geschöpfe<br />
sind sie nach dem Schöpfungsakte Mir bereits entfremdet“, deshalb „existiert also k<strong>ein</strong>e<br />
Pflicht und k<strong>ein</strong> Beruf für Dich, mit Gedanken (Ideen, Wahrheiten) Dich abzugeben, willst<br />
Du‘s aber, so wirst Du wohltun, das, was Anderer Kräfte in Erledigung dieser schwierigen<br />
Gegenstände schon gefördert haben, zu benutzen.<br />
... aber die Aufgabe zu denken oder zu glauben hat K<strong>ein</strong>er ... K<strong>ein</strong>e Sache, k<strong>ein</strong> sogenanntes<br />
,höchstes Interesse der Menschheit‘, k<strong>ein</strong>e ‚heilige Sache‘ ist wert, daß Du ihr dienst, und um<br />
ihretwillen Dich damit befassest; ihren Wert magst Du all<strong>ein</strong> darin suchen, ob sie Dir um<br />
D<strong>ein</strong>etwillen wert ist“. 2<br />
Wie bereits erwähnt, wird das Denken ebensowenig aufhören wie das Empfinden, aber „die<br />
Macht der Gedanken und Ideen, die Herrschaft der Theorien und Prinzipien, die<br />
Oberherrlichkeit des Geistes, kurz die <strong>–</strong> Hierarchie währt so lange, als die Pfaffen, d. h.<br />
Theologen, Philosophen, Staatsmänner, Philister, Liberale, Schulmeister, Bedienten, Eltern,<br />
Kinder, Eheleute, Proudhon, George Sand, Bluntschli usw., usw. das große Wort<br />
führen: die Hierarchie wird dauern, solange man an Prinzipien glaubt, denkt, oder<br />
auch sie kritisiert: denn selbst die unerbittlichste Kritik, die alle geltenden Prinzipien<br />
untergräbt, glaubt schließlich doch an das Prinzip“. 3<br />
[450] Obwohl Jeder kritisiert, ist das „Kriterium ... verschieden ... Der Kritiker geht von <strong>ein</strong>em<br />
Satz, <strong>ein</strong>er Wahrheit, <strong>ein</strong>em Glauben aus“; für <strong>Stirner</strong> hat das die Bedeutung, daß „das<br />
Geheimnis der Kritik ... irgend <strong>ein</strong>e ,Wahrheit‘ [ist]: diese bleibt ihr energierendes Mysterium“.<br />
4<br />
Er jedoch unterscheidet „zwischen dienstbarer und eigener Kritik. Kritisiere Ich unter der<br />
Voraussetzung <strong>ein</strong>es höchsten Wesens, so dient m<strong>ein</strong>e Kritik dem Wesen und wird um s<strong>ein</strong>etwillen<br />
geführt: bin Ich z. B. besessen von dem Glauben an <strong>ein</strong>en ,freien Staat‘, so kritisiere<br />
Ich alles dahin Einschlagende von dem Gesichtspunkte aus, ob es diesem Staate konventiert;<br />
denn Ich liebe diesen Staat ...“, somit ist die Kritik „bis auf den heutigen Tag <strong>ein</strong> Werk der<br />
Liebe geblieben: denn wir übten sie allezeit <strong>ein</strong>em Wesen zu Liebe. Alle dienstbare Kritik ist<br />
<strong>ein</strong> Liebesprodukt, <strong>ein</strong>e Besessenheit, und verfährt nach jenem neutestamentlichen: ,Prüfet<br />
Alles und das Gute behaltet.‘ [1. Thess. 5, 21] ‚Das Gute‘ ist der Prüfst<strong>ein</strong>, das Kriterium.<br />
Das Gute, unter tausenderlei Namen und Gestalten wiederkehrend, blieb immer die Voraussetzung,<br />
blieb der dogmatisch feste Punkt für diese Kritik, blieb die <strong>–</strong> fixe Idee“. 5<br />
Was nun die Voraussetzung betrifft, so heißt „Voraussetzen ... nichts anderes, als <strong>ein</strong>en<br />
Gedanken voranstellen, oder etwas vor allem Andern denken und von diesem Gedachten<br />
aus das Übrige denken, d. h. es daran messen und kritisieren ... All<strong>ein</strong> die Personifikation<br />
des Denkens bringt eben jene unzähligen Irrtümer zu Stande. Im <strong>Hegels</strong>chen System<br />
wird immer so gesprochen, als dächte und handelte das Denken oder ,der denkende<br />
1 EE 390.<br />
2 EE 390 ff.<br />
3 EE 392 f.<br />
4 EE 393.<br />
5 EE 393 f.