Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?

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OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig 12.09.2009 Eigenheit, die will Ich Mir nicht entziehen lassen. Und gerade auf die Eigenheit sieht es jede Gesellschaft ab, gerade sie soll ihrer Macht unterliegen. Zwar nimmt eine Gesellschaft, zu der Ich Mich halte, Mir mache Freiheit, dafür gewährt sie Mir aber andere Freiheiten; auch hat es nichts zu sagen, wenn Ich selbst Mich um diese und jene Freiheit bringe (z. B. durch jeden Kontrakt). Dagegen will Ich eifersüchtig auf meine Eigenheit halten. [...] Es ist ein Unterschied, ob durch eine Gesellschaft meine Freiheit oder meine Eigenheit beschränkt wird. Ist nur jenes der Fall, so ist sie eine Vereinigung, ein Übereinkommen, ein Verein; droht aber der Eigenheit Untergang, so ist sie eine Macht für sich, eine Macht über Mir, ein von Mir Unerreichbares, das Ich zwar anstaunen, anbeten, verehren, respektieren, aber nicht bewältigen und verzehren kann, und zwar deshalb nicht kann, weil Ich resigniere. Sie besteht durch meine Resignation, meine Selbstverleugnung, meine Mutlosigkeit, genannt Demut. [422] Meine Demut macht ihr Mut, meine Unterwürfigkeit gibt ihr die Herrschaft. In Bezug aber auf die Freiheit unterliegen Staat und Verein keiner wesentlichen Verschiedenheit. Der Letztere kann ebensowenig entstehen oder bestehen, ohne daß die Freiheit auf allerlei Art beschränkt werde, als der Staat mit ungemessener Freiheit sich verträgt. Beschränkung der Freiheit ist überall unabwendbar, denn man kann nicht alles los werden ... Wie die Religion und am entschiedensten das Christentum den Menschen mit der Forderung quälte, das Unnatürliche und Widersinnige zu realisieren, so ist es nur als die echte Konsequenz jener religiösen Überspanntheit und Überschwenglichkeit anzusehen, daß endlich die Freiheit selbst, die absolute Freiheit zum Ideale erhoben wurde, und so der Unsinn des Unmöglichen grell zu Tage kommen mußte. Allerdings wird der Verein sowohl ein größeres Maß von Freiheit darbieten, als auch namentlich darum für ,eine neue Freiheit‘ gehalten werden dürfen, weil man durch ihn allem dem Staats- und Gesellschaftsleben eigenen Zwang entgeht; aber der Unfreiheit und Unfreiwilligkeit wird er gleichwohl noch genug enthalten. Denn sein Zweck ist eben nicht die Freiheit, die er im Gegenteil der Eigenheit opfert, aber auch nur der Eigenheit. Auf diese bezogen ist der Unterschied zwischen Staat und Verein groß genug. Jener ist ein Feind und Mörder der Eigenheit, dieser ein Sohn und Mitarbeiter derselben, jener ein Geist, der im Geist und in der Wahrheit angebetet sein will, dieser mein Werk, mein Erzeugnis; der Staat ist der Herr meines Geistes, [der Glauben fordert und Mir die Glaubensartikel vorschreibt,] die Glaubensartikel der Gesetzlichkeit; er übt moralischen Einfluß, beherrscht meinen Geist, vertreibt mein Ich, um sich als ,mein wahres Ich‘ an dessen Stelle zu setzen, kurz der Staat ist heilig und gegen Mich, den einzelnen Menschen, ist er der wahre Mensch, der Geist, das Gespenst; der Verein aber ist meine eigene Schöpfung, mein Geschöpf, nicht heilig, nicht eine geistige Macht über meinen Geist, [423] so wenig als irgend eine Assoziation, welcher Art sie auch sei. Wie Ich nicht ein Sklave meiner Maximen sein mag, sondern sie ohne alle Garantie meiner steten Kritik bloßstelle und gar keine Bürgschaft für ihren Bestand zulasse, so und noch weniger verpflichte Ich Mich für meine Zukunft dem Vereine und verschwöre ihm meine Seele, wie es beim Teufel heißt und beim Staat und aller geistigen Autorität wirklich der Fall ist, sondern Ich bin und bleibe Mir mehr als Staat, Kirche, Gott u. dgl., folglich auch unendlich mehr als der Verein.“ 1 Die Gesellschaft, welche der Kommunismus gründen will, erweckt den Anschein, daß sie der „Vereinigung am nächsten“ stehe, denn sie „soll nämlich das ,Wohl Aller‘ bezwecken“. 2 Mit Recht fragt sich Stirner, ob denn bei dieser „Zwangsbeglückung“ wirklich „allen ... gleich wohl“ sei, oder kommen „Wir damit nicht gerade an dem Punkte an, wo die Religion 1 EE 342 ff. Das Wort „Demut“ (hier fett hervorgehoben) im Original gesperrt. Der Text in der eckigen Klammer ohne Angabe von Gründen vom Autor weggelassen. 2 EE 345.

OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig 12.09.2009 ihre Gewaltherrschaft beginnt? Das Christentum sagt: Seht nicht auf irdischen Tand, sondern sucht euer wahres Wohl, werdet fromme Christen: das Christsein ist das wahre Wohl“. 1 Er schreibt weiters: „Indem der Kommunismus das Wohl Aller proklamiert, vernichtet er gerade das Wohlsein derer, welche seither von ihren Renten lebten und sich dabei wahrscheinlich wohler befanden, als bei der Aussicht auf die strengen Arbeitsstunden ... Nicht mehr von den Gebenden, Schenkenden, Liebevollen kommt das Heil, sondern von den Nehmenden, den Aneingnenden (Usurpatoren) ... Der Kommunismus und, bewußt und unbewußt, der den Egoismus lästernde Humanismus zählt immer noch auf die Liebe. Ist einmal die Gemeinschaft dem Menschen Bedürfnis und findet er sich durch sie in seinen Absichten befördert, so schreibt sie ihm auch, weil sein Prinzip geworden, sehr bald ihre Gesetze vor, die Gesetze der Gesellschaft. [424] Das Prinzip der Menschen erhebt sich zur souveränen Macht über sie, wird ihr höchstes Wesen, ihr Gott, und als solcher Gesetzgeber. Der Kommunismus gibt diesem Prinzip die strengste Folge, und das Christentum ist die Religion der Gesellschaft, denn die Liebe ist ... das Wesen des Menschen, d. h. das Wesen der Gesellschaft oder des gesellschaftlichen (kommunistischen) Menschen. Alle Religion ist eine Kultus der Gesellschaft, dieses Prinzipes, von welchem der gesellschaftliche (kultivierte) Mensch beherrscht wird; auch ist kein Gott der ausschließliche Gott eines Ichs, sondern immer der einer Gesellschaft ... Somit hat man allein dann Aussicht, die Religion bis auf den Grund zu tilgen, wenn man die Gesellschaft und alles, was aus diesem Prinzipe fließt, antiquiert. Gerade aber im Kommunismus sucht dies Prinzip zu kulminieren, da in ihm Alles gemeinschaftlich werden soll, zur Herstellung der ,Gleichheit‘.“ 2 Stirner widerstrebt dieser Gleichheitsanspruch in der Gemeinschaftlichkeit. „Ich will aber lieber auf den Eigennutz der Menschen angewiesen sein, als auf ihre ,Liebesdienste‘, ihre Barmherzigkeit, Erbarmen usw. Jener fordert Gegenseitigkeit (wie Du Mir, so Ich Dir), tut nichts ,umsonst‘, und läßt sich gewinnen und erkaufen. Womit aber erwerbe Ich Mir den Liebesdienst? Es kommt auf den Zufall an, ob Ich‘s gerade mit einem ,Liebevollen‘ zu tun habe. Der Dienst des Liebreichen läßt sich nur erbetteln ... Nein, die Gemeinschaft, als das ‚Ziel‘ der bisherigen Geschichte, ist unmöglich. Sagen Wir Uns vielmehr von jeder Heuchelei der Gemeinschaft los und erkennen Wir, daß, wenn Wir als Menschen gleich sind, Wir eben nicht gleich sind, weil Wir nicht Menschen sind. Wir sind nur in Gedanken gleich, nur wenn ,Wir‘ gedacht werden, nicht wie wir wirklich und leibhaftig sind. Ich bin Ich, und Du bist Ich, aber Ich bin nicht dieses gedachte Ich, sondern dieses Ich, [425] worin Wir alle gleich sind, ist nur mein Gedanke. Ich bin Mensch und Du bist Mensch, aber ,Mensch‘ ist nur ein Gedanke, eine Allgemeinheit; weder Ich noch Du sind sagbar, Wir sind unaussprechlich, weil nur Gedanken sagbar sind und im Sagen bestehen. Trachten Wir darum nicht nach der Gemeinschaft, sondern nach der Einseitigkeit. Suchen Wir nicht die umfassendste Gemeinde, die ,menschliche Gesellschaft‘, sondern suchen Wir in den Andern nur Mittel und Organe, die Wir als unser Eigentum gebrauchen! Wie Wir im Baume, im Tiere nicht Unsersgleichen erblicken, so entspringt die Voraussetzung, daß die Andern Unsersgleichen seien, aus einer Heuchelei. Es ist Keiner Meinesgleichen, sondern gleich allen andern Wesen betrachte Ich ihn als mein Eigentum ... Es ist Keiner für Mich eine Respektsperson, auch der Mitmensch nicht, sondern lediglich wie andere Wesen ein Gegenstand, [...] ein brauchbares oder unbrauchbares Subjekt. Und wenn Ich ihn gebrauchen kann, so verständige Ich wohl und einige Mich mit ihm, um durch die Übereinkunft meine Macht zu verstärken und durch gemeinsame Gewalt 1 EE 345. 2 EE 346 f.

OCR-Texterkennung und Copyright by <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> Archiv Leipzig <strong>–</strong> 12.09.2009<br />

Eigenheit, die will Ich Mir nicht entziehen lassen. Und gerade auf die Eigenheit sieht es jede<br />

Gesellschaft ab, gerade sie soll ihrer Macht unterliegen.<br />

Zwar nimmt <strong>ein</strong>e Gesellschaft, zu der Ich Mich halte, Mir mache Freiheit, dafür gewährt sie<br />

Mir aber andere Freiheiten; auch hat es nichts zu sagen, wenn Ich selbst Mich um diese und<br />

jene Freiheit bringe (z. B. durch jeden Kontrakt). Dagegen will Ich eifersüchtig auf m<strong>ein</strong>e Eigenheit<br />

halten. [...]<br />

Es ist <strong>ein</strong> Unterschied, ob durch <strong>ein</strong>e Gesellschaft m<strong>ein</strong>e Freiheit oder m<strong>ein</strong>e Eigenheit beschränkt<br />

wird. Ist nur jenes der Fall, so ist sie <strong>ein</strong>e Ver<strong>ein</strong>igung, <strong>ein</strong> Über<strong>ein</strong>kommen, <strong>ein</strong><br />

Ver<strong>ein</strong>; droht aber der Eigenheit Untergang, so ist sie <strong>ein</strong>e Macht für sich, <strong>ein</strong>e Macht über<br />

Mir, <strong>ein</strong> von Mir Unerreichbares, das Ich zwar anstaunen, anbeten, verehren, respektieren,<br />

aber nicht bewältigen und verzehren kann, und zwar deshalb nicht kann, weil Ich resigniere.<br />

Sie besteht durch m<strong>ein</strong>e Resignation, m<strong>ein</strong>e Selbstverleugnung, m<strong>ein</strong>e Mutlosigkeit, genannt<br />

<strong>–</strong> Demut. [422] M<strong>ein</strong>e Demut macht ihr Mut, m<strong>ein</strong>e Unterwürfigkeit gibt ihr die Herrschaft.<br />

In Bezug aber auf die Freiheit unterliegen Staat und Ver<strong>ein</strong> k<strong>ein</strong>er wesentlichen Verschiedenheit.<br />

Der Letztere kann ebensowenig entstehen oder bestehen, ohne daß die Freiheit auf<br />

allerlei Art beschränkt werde, als der Staat mit ungemessener Freiheit sich verträgt. Beschränkung<br />

der Freiheit ist überall unabwendbar, denn man kann nicht alles los werden ...<br />

Wie die Religion und am entschiedensten das Christentum den Menschen mit der Forderung<br />

quälte, das Unnatürliche und Widersinnige zu realisieren, so ist es nur als die echte Konsequenz<br />

jener religiösen Überspanntheit und Überschwenglichkeit anzusehen, daß endlich die<br />

Freiheit selbst, die absolute Freiheit zum Ideale erhoben wurde, und so der Unsinn des Unmöglichen<br />

grell zu Tage kommen mußte. <strong>–</strong> Allerdings wird der Ver<strong>ein</strong> sowohl <strong>ein</strong> größeres<br />

Maß von Freiheit darbieten, als auch namentlich darum für ,<strong>ein</strong>e neue Freiheit‘ gehalten werden<br />

dürfen, weil man durch ihn allem dem Staats- und Gesellschaftsleben eigenen Zwang<br />

entgeht; aber der Unfreiheit und Unfreiwilligkeit wird er gleichwohl noch genug enthalten.<br />

Denn s<strong>ein</strong> Zweck ist eben nicht <strong>–</strong> die Freiheit, die er im Gegenteil der Eigenheit opfert, aber<br />

auch nur der Eigenheit. Auf diese bezogen ist der Unterschied zwischen Staat und Ver<strong>ein</strong><br />

groß genug. Jener ist <strong>ein</strong> F<strong>ein</strong>d und Mörder der Eigenheit, dieser <strong>ein</strong> Sohn und Mitarbeiter<br />

derselben, jener <strong>ein</strong> Geist, der im Geist und in der Wahrheit angebetet s<strong>ein</strong> will, dieser m<strong>ein</strong><br />

Werk, m<strong>ein</strong> Erzeugnis; der Staat ist der Herr m<strong>ein</strong>es Geistes, [der Glauben fordert und Mir<br />

die Glaubensartikel vorschreibt,] die Glaubensartikel der Gesetzlichkeit; er übt moralischen<br />

Einfluß, beherrscht m<strong>ein</strong>en Geist, vertreibt m<strong>ein</strong> Ich, um sich als ,m<strong>ein</strong> wahres Ich‘ an dessen<br />

Stelle zu setzen, kurz der Staat ist heilig und gegen Mich, den <strong>ein</strong>zelnen Menschen, ist er der<br />

wahre Mensch, der Geist, das Gespenst; der Ver<strong>ein</strong> aber ist m<strong>ein</strong>e eigene Schöpfung, m<strong>ein</strong><br />

Geschöpf, nicht heilig, nicht <strong>ein</strong>e geistige Macht über m<strong>ein</strong>en Geist, [423] so wenig als irgend<br />

<strong>ein</strong>e Assoziation, welcher Art sie auch sei. Wie Ich nicht <strong>ein</strong> Sklave m<strong>ein</strong>er <strong>Max</strong>imen<br />

s<strong>ein</strong> mag, sondern sie ohne alle Garantie m<strong>ein</strong>er steten Kritik bloßstelle und gar k<strong>ein</strong>e Bürgschaft<br />

für ihren Bestand zulasse, so und noch weniger verpflichte Ich Mich für m<strong>ein</strong>e Zukunft<br />

dem Ver<strong>ein</strong>e und verschwöre ihm m<strong>ein</strong>e Seele, wie es beim Teufel heißt und beim Staat und<br />

aller geistigen Autorität wirklich der Fall ist, sondern Ich bin und bleibe Mir mehr als Staat,<br />

Kirche, Gott u. dgl., folglich auch unendlich mehr als der Ver<strong>ein</strong>.“ 1<br />

Die Gesellschaft, welche der Kommunismus gründen will, erweckt den Ansch<strong>ein</strong>, daß sie der<br />

„Ver<strong>ein</strong>igung am nächsten“ stehe, denn sie „soll nämlich das ,Wohl Aller‘ bezwecken“. 2<br />

Mit Recht fragt sich <strong>Stirner</strong>, ob denn bei dieser „Zwangsbeglückung“ wirklich „allen ...<br />

gleich wohl“ sei, oder kommen „Wir damit nicht gerade an dem Punkte an, wo die Religion<br />

1 EE 342 ff. <strong>–</strong> Das Wort „Demut“ (hier fett hervorgehoben) im Original gesperrt. Der Text in der eckigen<br />

Klammer ohne Angabe von Gründen vom Autor weggelassen.<br />

2 EE 345.

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