Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?

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OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig 12.09.2009 Knecht, und er kann nichts um seinetwillen tun, ohne es zugleich um seines Herren willen zu tun, gerade wie der Gottesfürchtige.“ 1 Was nun den Eid und den Bruch dessen angeht, so vertritt er die Meinung: „Es ist verächtlich, ein Vertrauen, das [Wir freiwillig hervorrufen, zu täuschen; aber Jeden, der] Uns durch einen Eid in seine Gewalt bekommen will, an der Erfolglosigkeit seiner zutrauenslosen List verbluten zu lassen, macht dem Egoismus keine Schande. Hast Du Mich binden wollen, so erfahre denn, daß Ich deine Bande zu sprengen weiß. Es kommt darauf an, ob Ich dem Vertrauenden das Recht zum Vertrauen gebe ...“ 2 [418] Und weiter: „Wer an der Wahrheit ein Idol, ein Heiliges hat, der muß sich vor ihr demütigen, darf ihren Anforderungen nicht trotzen, nicht mutig widerstehen, kurz er muß dem Heldenmut der Lüge entsagen. Denn zur Lüge gehört nicht weniger Mut als zur Wahrheit, ein Mut, an welchem es am meisten Jünglingen zu gebrechen pflegt, die lieber die Wahrheit gestehen und das Schafott dafür besteigen, als durch die Frechheit einer Lüge die Macht der Feinde zu Schande machen mögen. Jenen ist die Wahrheit ,heilig‘, und das Heilige fordert allezeit blinde Verehrung, Unterwerfung und Aufopferung. Seid Ihr nicht frech, nicht Spötter des Heiligen, so seid Ihr zahm und seine Diener. Man streue Euch nur ein Körnchen Wahrheit in die Falle, so pickt Ihr sicherlich darnach, und man hat den Narren gefangen. Ihr wollt nicht lügen? Nun so fallt als Opfer der Wahrheit und werdet Märtyrer! Märtyrer wofür? Für Euch, für die Eigenheit? Nein, für eure Göttin, die Wahrheit. Ihr kennt nur zweierlei Dienst, nur zweierlei Diener: Diener der Wahrheit und Diener der Lüge. Dient denn in Gottes Namen der Wahrheit! Andere wieder dienen auch der Wahrheit, aber sie dienen ihr ,mit Maß‘ und machen z. B. einen großen Unterschied zwischen einer einfachen und einer beschworenen Lüge. Und doch fällt das ganze Kapitel vom Eide mit dem von der Lüge zusammen, da ein Eid ja nur eine stark versicherte Aussage ist. Ihr haltet Euch für berechtigt zu lügen, wenn Ihr nur dazu nicht noch schwört?“ 3 Wenn man jedoch so verfährt, bleibt man „aus Furcht vor dem Heiligen stets auf halbem Wege stehen“, denn gegen „das Heilige habt Ihr keinen eigenen Willen. Ihr lügt mit Maß, wie Ihr frei seid ,mit Maß‘, religiös ,mit Maß‘ ..., monarchisch gesinnt ,mit Maß‘ (Ihr wollt einen durch die Verfassung, ein Staatsgrundgesetz, beschränkten Monarchen), Alles hübsch temperiert, lau und flau, halb Gottes, halb des Teufels“. 4 [419] Stirner beläßt nun jene in diesem Mittelmaß und beschließt seine Gedanken über Wahrheit, Eid und Lüge. „Ein Ehrenwort, ein Eid ist nur für den eines, den Ich berechtige, es zu empfangen; wer Mich dazu zwingt, erhält nur ein erzwungenes, d. h. ein feindliches Wort, das Wort eines Feindes, dem man zu trauen kein Recht hat; denn der Feind gibt Uns das Recht nicht.“ 5 Bezüglich der Entbindung vom Eid durch ein staatliches Gericht sie „erkennen ... nicht einmal die Unverbrüchlichkeit eines Eides an“ vermerkt er lapidar: „Kann Mich irgendeine Macht des Eides entbinden, so bin Ich selber doch wohl die allererste Macht, die darauf Anspruch hat.“ 6 Der letzte Abschnitt diese Kapitels gehört dem Verein und dem Weg, wie man zu diesem gelange der Empörung. „In Einem Gebiete scheint das Prinzip der Liebe längst vom Egoismus überflügelt worden zu 1 EE 335. 2 EE 337. Der Text in der eckigen Klammer ohne Angabe von Gründen vom Autor weggelassen. 3 EE 337 f. 4 EE 339. 5 EE 339 f. 6 EE 340.

OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig 12.09.2009 sein und nur noch des sichern Bewußtseins, gleichsam des Sieges mit gutem Gewissen, zu bedürfen. Dies Gebiet ist die Spekulation in ihrer doppelten Erscheinung als Denken und als Handel. Man denkt frisch darauf los, was auch herauskommen möge, und man spekuliert, wie Viele auch unter unseren spekulativen Unternehmungen leiden mögen. Aber wenn es endlich zum Klappen kommt, wenn auch der letzte Rest von Religiosität, Romantik oder ,Menschlichkeit‘ abgetan werden soll, dann schlägt das religiöse Gewissen und man bekennt sich wenigstens zur Menschlichkeit. Der habgierige Spekulant wirft einige Groschen in die Armenbüchse und ,tut Gutes‘, der kühne Denker tröstet sich damit, daß er zur Förderung des Menschengeschlechts arbeite und daß seine Verwüstung der Menschheit ,zu Gute komme‘, oder auch, daß er ,der Idee diene‘; die Menschheit, die Idee ist ihm jenes Etwas, von dem er sagen muß: es geht Mir über Mich. Es ist bis auf den heutigen Tag gedacht und gehandelt worden um Gottes willen.“ 1 [420] Die Einen, welche wochentags „durch ihre eigennützigen Zwecke alles niedertraten, opferten“ sonntags dem „Herrn“, die Anderen, welche „durch ihr rücksichtsloses Denken zerstörten“, taten dies für eine andere „gute Sache“ außer sich, für „das Volk, die Menschheit u. dgl. Dieses Andere aber ist ein Wesen über ihnen, ein höheres oder höchstes Wesen, und darum sage Ich, sie mühen sich um Gottes willen. Ich kann daher auch sagen, der letzte Grund ihrer Handlungen sei die Liebe. Aber nicht eine freiwillige, nicht ihre eigene, sondern eine zinspflichtige, oder des höhern Wesens ... eigene Liebe, kurz nicht die egoistische, sondern die religiöse, eine Liebe, die aus ihrem Wahne entspringt, daß sie einen Tribut der Liebe entrichten müssen, d. h. daß sie keine ,Egoisten‘ sein dürfen“. 2 Dies bedeutet für Stirner jedoch Unfreiheit, von der die Welt befreit werden soll, aber „nicht ihret- sondern Unsertwegen: denn da Wir keine Welterlöser von Profession und aus ,Liebe‘ sind, so wollen Wir sie nur Andern abgewinnen. Wir wollen sie Uns zu eigen machen; nicht Gott (der Kirche), nicht dem Gesetze (Staate) soll sie länger leibeigen sein, sondern unser eigen ... Ist die Welt unser, so versucht sie keine Gewalt mehr gegen Uns, sondern nur mit Uns. Mein Eigennutz hat ein Interesse an der Befreiung der Welt, damit sie mein Eigentum werde“. 3 Stirner bekennt wohl, daß die „Gesellschaft unser Natur-Zustand“ sei und „nicht die Isoliertheit oder das Alleinsein“ 4 . Dennoch ist er mit diesem Zustand nicht sehr glücklich; er will die Gesellschaft auflösen. „Die Auflösung der Gesellschaft aber ist der Verkehr oder Verein. Allerdings entsteht auch durch Verein eine Gesellschaft, aber nur wie durch einen Gedanken eine fixe Idee [421] entsteht, dadurch nämlich, daß aus dem Gedanken die Energie des Gedankens, das Denken selbst, diese rastlose Zurücknahme aller sich verfestigenden Gedanken, verschwindet. Hat sich ein Verein zur Gesellschaft kristallisiert, so hat er aufgehört, eine Vereinigung zu sein; denn Vereinigung ist ein unaufhörliches Sich-Vereinigen; er ist zu einem Vereinigtsein geworden, zum Stillstand gekommen, zur Fixheit ausgeartet, er ist tot als Verein, ist der Leichnam des Vereins oder der Vereinigung, d. h. er ist Gesellschaft, Gemeinschaft. Ein sprechendes Exempel dieser Art liefert die Partei.“ 5 Stirner unterscheidet noch in einer anderen Weise zwischen Verein und Gesellschaft. Und zwar bezüglich der Beschränkung der Freiheit und der Eigenheit. „Daß eine Gesellschaft ... Mir die Freiheit schmälere, das empört Mich wenig ... Aber die 1 EE 340 f. 2 EE 341. 3 EE 341 f. 4 EE 342. 5 EE 342.

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s<strong>ein</strong> und nur noch des sichern Bewußts<strong>ein</strong>s, gleichsam des Sieges mit gutem Gewissen, zu<br />

bedürfen. Dies Gebiet ist die Spekulation in ihrer doppelten Ersch<strong>ein</strong>ung als Denken und als<br />

Handel. Man denkt frisch darauf los, was auch herauskommen möge, und man spekuliert, wie<br />

Viele auch unter unseren spekulativen Unternehmungen leiden mögen. Aber wenn es endlich<br />

zum Klappen kommt, wenn auch der letzte Rest von Religiosität, Romantik oder<br />

,Menschlichkeit‘ abgetan werden soll, dann schlägt das religiöse Gewissen und man bekennt<br />

sich wenigstens zur Menschlichkeit. Der habgierige Spekulant wirft <strong>ein</strong>ige Groschen in die<br />

Armenbüchse und ,tut Gutes‘, der kühne Denker tröstet sich damit, daß er zur Förderung des<br />

Menschengeschlechts arbeite und daß s<strong>ein</strong>e Verwüstung der Menschheit ,zu Gute komme‘,<br />

oder auch, daß er ,der Idee diene‘; die Menschheit, die Idee ist ihm jenes Etwas, von dem er<br />

sagen muß: es geht Mir über Mich.<br />

Es ist bis auf den heutigen Tag gedacht und gehandelt worden um <strong>–</strong> Gottes willen.“ 1<br />

[420] Die Einen, welche wochentags „durch ihre eigennützigen Zwecke alles niedertraten,<br />

opferten“ sonntags dem „Herrn“, die Anderen, welche „durch ihr rücksichtsloses Denken zerstörten“,<br />

taten dies für <strong>ein</strong>e andere „gute Sache“ außer sich, für „das Volk, die Menschheit u.<br />

dgl. Dieses Andere aber ist <strong>ein</strong> Wesen über ihnen, <strong>ein</strong> höheres oder höchstes Wesen, und darum<br />

sage Ich, sie mühen sich um Gottes willen.<br />

Ich kann daher auch sagen, der letzte Grund ihrer Handlungen sei die <strong>–</strong> Liebe. Aber nicht <strong>ein</strong>e<br />

freiwillige, nicht ihre eigene, sondern <strong>ein</strong>e zinspflichtige, oder des höhern Wesens ... eigene<br />

Liebe, kurz nicht die egoistische, sondern die religiöse, <strong>ein</strong>e Liebe, die aus ihrem Wahne<br />

entspringt, daß sie <strong>ein</strong>en Tribut der Liebe entrichten müssen, d. h. daß sie k<strong>ein</strong>e ,Egoisten‘<br />

s<strong>ein</strong> dürfen“. 2<br />

Dies bedeutet für <strong>Stirner</strong> jedoch Unfreiheit, von der die Welt befreit werden soll, aber „nicht<br />

ihret- sondern Unsertwegen: denn da Wir k<strong>ein</strong>e Welterlöser von Profession und aus ,Liebe‘<br />

sind, so wollen Wir sie nur Andern abgewinnen. Wir wollen sie Uns zu eigen machen; nicht<br />

Gott (der Kirche), nicht dem Gesetze (Staate) soll sie länger leibeigen s<strong>ein</strong>, sondern unser eigen<br />

... Ist die Welt unser, so versucht sie k<strong>ein</strong>e Gewalt mehr gegen Uns, sondern nur mit<br />

Uns. M<strong>ein</strong> Eigennutz hat <strong>ein</strong> Interesse an der Befreiung der Welt, damit sie <strong>–</strong> m<strong>ein</strong> Eigentum<br />

werde“. 3<br />

<strong>Stirner</strong> bekennt wohl, daß die „Gesellschaft unser Natur-Zustand“ sei und „nicht die Isoliertheit<br />

oder das All<strong>ein</strong>s<strong>ein</strong>“ 4 . Dennoch ist er mit diesem Zustand nicht sehr glücklich; er will<br />

die Gesellschaft auflösen.<br />

„Die Auflösung der Gesellschaft aber ist der Verkehr oder Ver<strong>ein</strong>. Allerdings entsteht<br />

auch durch Ver<strong>ein</strong> <strong>ein</strong>e Gesellschaft, aber nur wie durch <strong>ein</strong>en Gedanken <strong>ein</strong>e fixe Idee [421]<br />

entsteht, dadurch nämlich, daß aus dem Gedanken die Energie des Gedankens, das Denken<br />

selbst, diese rastlose Zurücknahme aller sich verfestigenden Gedanken, verschwindet. Hat<br />

sich <strong>ein</strong> Ver<strong>ein</strong> zur Gesellschaft kristallisiert, so hat er aufgehört, <strong>ein</strong>e Ver<strong>ein</strong>igung zu s<strong>ein</strong>;<br />

denn Ver<strong>ein</strong>igung ist <strong>ein</strong> unaufhörliches Sich-Ver<strong>ein</strong>igen; er ist zu <strong>ein</strong>em Ver<strong>ein</strong>igts<strong>ein</strong> geworden,<br />

zum Stillstand gekommen, zur Fixheit ausgeartet, er ist <strong>–</strong> tot als Ver<strong>ein</strong>, ist der<br />

Leichnam des Ver<strong>ein</strong>s oder der Ver<strong>ein</strong>igung, d. h. er ist <strong>–</strong> Gesellschaft, Gem<strong>ein</strong>schaft. Ein<br />

sprechendes Exempel dieser Art liefert die Partei.“ 5<br />

<strong>Stirner</strong> unterscheidet noch in <strong>ein</strong>er anderen Weise zwischen Ver<strong>ein</strong> und Gesellschaft.<br />

Und zwar bezüglich der Beschränkung der Freiheit und der Eigenheit.<br />

„Daß <strong>ein</strong>e Gesellschaft ... Mir die Freiheit schmälere, das empört Mich wenig ... Aber die<br />

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