Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?
Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels? Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?
OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig – 12.09.2009 quillt aus dem Eigennutz, flutet im Bette des Eigennutzes und mündet wieder in den Eigennutz. Ob dies noch Liebe heißen kann? Wißt Ihr ein anderes Wort dafür, so wählt es immerhin; dann mag das süße Wort der Liebe mit der abgestorbenen Welt verwelken; Ich wenigstens finde für jetzt keines in unserer christlichen Sprache, und bleibe daher bei dem alten Klange und ,liebe‘ meinen Gegenstand, mein – Eigentum“. 1 [414] Mit kurzen Worten umreißt Stirner noch einmal den Unterschied zwischen eigennütziger und uneigennütziger Liebe. „Nur als eines meiner Gefühle hege Ich die Liebe, aber als eine Macht über Mir, als göttliche Macht (Feuerbach), als eine Leidenschaft, der Ich Mich nicht entziehen soll, als eine religiöse und sittliche Pflicht – verschmähe Ich sie. Als mein Gefühl ist sie mein; als Grundsatz, dem Ich meine Seele weihe und ,verschwöre‘, ist sie Gebieterin und göttlich, wie der Haß als Grundsatz teuflisch ist: eins nicht besser als das andere. Kurz die egoistische Liebe, d. h. meine Liebe ist weder heilig noch unheilig, weder göttlich noch teuflisch.“ 2 Stirner setzt seine Beziehung zur Welt wohl auch im Bereich der Liebe an, gibt dieser jedoch eine andere Gestalt. „Gegen die Welt, besonders gegen die Menschen, soll ich eine bestimmte Empfindung annehmen, und ihn von Anfang an mit der Empfindung der Liebe, ,mit Liebe entgegenkommen‘. Freilich offenbart sich hier weit mehr Willkür und Selbstbestimmung, als wenn Ich Mich durch die Welt von allen möglichen Empfindungen bestürmen lasse und den krausesten, zufälligsten Eindrücken ausgesetzt bleibe. Ich gehe vielmehr an sie mit einer vorgefaßten Empfindung, gleichsam einem Vorurteil ... Wider die Herrschaft der Welt sichere Ich Mich durch den Grundsatz der Liebe; denn was auch kommen mag, Ich – liebe. Das Häßliche z. B. macht auf Mich einen widerwärtigen Eindruck; allein, entschlossen zu lieben, bewältige Ich diesen Eindruck, wie jede Antipathie. Aber die Empfindung, zu welcher Ich Mich von Haus aus determiniert und – verurteilt habe, ist eben eine bornierte Empfindung, weil sie eine prädestinierte ist, von welcher Ich selber nicht loskommen oder Mich loszusagen vermag. Weil vorgefaßt, ist sie ein Vorurteil. Ich zeige Mich nicht gegenüber der Welt, sondern meine Liebe zeigt sich. [415] Zwar beherrscht die Welt Mich nicht, desto unabwendbarer aber beherrscht Mich der Geist der Liebe. Ich habe die Welt überwunden, um ein Sklave dieses Geistes zu werden. Sagte Ich erst, Ich liebe die Welt, so setze Ich jetzt ebenso hinzu: Ich liebe sie nicht, denn Ich vernichte sie, wie Ich Mich vernichte: Ich löse sie auf. Ich beschränke Mich nicht auf Eine Empfindung für die Menschen, sondern gebe allen, deren Ich fähig bin, freien Spielraum. Wie sollte Ich‘s nicht in aller Grellheit auszusprechen wagen? Ja, Ich benutze die Welt und die Menschen! Dabei kann Ich Mich jedem Eindruck offen erhalten, ohne von einem derselben Mir selber entrissen zu werden. Ich kann lieben, mit voller Seele lieben und die verzehrendste Glut der Leidenschaft in meinem Herzen brennen lassen, ohne den Geliebten für etwas Anderes zu nehmen, als für die Nahrung meiner Leidenschaft, an der sie immer von Neuem sich erfrischt. All meine Sorge um ihn gilt nur dem Gegenstande meiner Liebe, nur ihm, den meine Liebe braucht, nur ihm, dem ,Heißgeliebten‘. Wie gleichgültig wäre er Mir ohne diese – meine Liebe. Nur meine Liebe speise Ich mit ihm, dazu nur benutze Ich ihn: Ich genieße ihn. ... Wo Mir die Welt in den Weg kommt – und sie kommt Mir überall in den Weg – da verzehre Ich sie, um den Hunger meines Egoismus zu stillen. Du bist für Mich nichts als – meine Speise, gleichwie auch Ich von Dir verspeiset und verbraucht werde. Wir haben zueinander 1 EE 328. 2 EE 328.
OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig – 12.09.2009 nur Eine Beziehung, die der Brauchbarkeit, der Nutzbarkeit, des Nutzens.“ 1 Anhand der Begriffe „Wahrheit“ und „Lüge“ versucht Stirner ein weiteres Mal den Verkehr mit Menschen aus egoistischer Sicht zu erklären. „Zu derjenigen Liebe, welche sich auf das ,Wesen des Menschen‘ gründet oder in der kirchlichen und sittlichen Periode als ein ,Gebot‘ auf Uns liegt, muß man erzogen werden. In welcherlei Art der moralische Einfluß, das Hauptingredienz unserer Erziehung, den Verkehr der Menschen zu [416] regeln sucht, soll hier wenigstens an Einem Beispiele mit egoistischen Augen betrachtet werden. Die Uns erziehen, lassen sich‘s angelegen sein, frühzeitig Uns das Lügen abzugewöhnen und den Grundsatz einzuprägen, daß man stets die Wahrheit sagen müsse. Machte man für diese Regel den Eigennutz zur Basis, so würde Jeder leicht begreifen, wie er das Vertrauen zu sich, welches er bei Andern erwecken will, durch Lügen verscherze, und wie richtig sich der Satz erweise: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht. Zu gleicher Zeit würde er jedoch auch fühlen, daß er nur demjenigen mit der Wahrheit entgegenzukommen habe, welchen er befugt, die Wahrheit zu hören.“ 2 Auch der Staat macht den Eigennutz zur Basis, denn er „verfährt überall ungläubig gegen die Individuen, weil er in ihrem Egoismus seinen natürlichen Feind erkennt ... Der Staat glaubt und vertraut dem Einzelnen nicht, und stellt sich so selbst mit ihm auf den Lügen-Komment: er traut Mir nur, wenn er sich von der Wahrheit meiner Aussage überführt hat, wozu ihm oft kein anderes Mittel bleibt als der Eid. Wie deutlich beweist auch dieser, daß der Staat nicht auf unsere Wahrheitsliebe und Glaubwürdigkeit rechnet, sondern auf unser Interesse, unseren Eigennutz: er verläßt sich darauf, daß Wir Uns nicht durch einen Meineid werden mit Gott überwerfen wollen“. 3 Stirner vertritt jedoch seine egoistische Ansicht, indem er meint: „Ich will Euch belügen, weil Ich Euch keinen Anspruch und kein Recht auf meine Aufrichtigkeit gegeben habe. Mag der Gott, ,welcher die Wahrheit ist‘, noch so drohend herabsehen, mag das Lügen Mir noch so sauer werden. Ich habe dennoch den Mut der Lüge, und selbst wenn ich meines Lebens überdrüssig wäre, selbst wenn Mir nichts willkommener erschiene, als euer Henkerschwert, so sollt Ihr dennoch die Freude nicht haben, an Mir einen Sklaven [417] der Wahrheit finden, den Ihr durch eure Pfaffenkünste zum Verräter an seinem Willen macht. Als Ich jene hochverräterischen Worte sprach, da wollte Ich, daß Ihr nichts davon wissen solltet; desselben Willen behalte Ich jetzt bei und lasse Mich durch den Fluch der Lüge nicht schrecken.“ 4 Stirner ändert die Sache ein wenig ab und schreibt: „Ein Meineid und Lüge um – Meinetwillen! Hieße das nicht jeder Niederträchtigkeit das Wort reden? Es scheint allerdings so, nur gleicht es darin ganz und gar dem ,um Gottes willen‘. Denn wurde nicht jede Niederträchtigkeit um Gottes willen verübt, alle Blutgerüste um seinetwillen erfüllt ...? Brach man nicht heilige Gelübde um seinetwillen, und ziehen nicht alle Tage noch Missionäre und Pfaffen umher, um Juden, Heiden, Protestanten oder Katholiken usw. zum Verrat am Glauben ihrer Väter zu bringen – um seinetwillen? Und das sollte bei dem um Meinetwillen schlimmer sein? Was heißt denn Meinetwegen? Da denkt man gleich an ,schnöden Gewinn‘. Wer aber aus Liebe zu schnödem Gewinne handelt, tut das zwar seinetwegen ... jedoch ist er, für den er den Gewinn sucht, ein Sklave des Gewinnes, nicht erhaben über Gewinn ist Einer ... nicht sich, ist nicht sein eigen. Muß ein Mensch, den die Leidenschaft der Habgier beherrscht, nicht den Geboten dieser Herrin folgen ...? Also ein Habgieriger ist kein Eigner, sondern ein 1 EE 329 ff. 2 EE 332. 3 EE 333. 4 EE 334.
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OCR-Texterkennung und Copyright by <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> Archiv Leipzig <strong>–</strong> 12.09.2009<br />
quillt aus dem Eigennutz, flutet im Bette des Eigennutzes und mündet wieder in den Eigennutz.<br />
Ob dies noch Liebe heißen kann? Wißt Ihr <strong>ein</strong> anderes Wort dafür, so wählt es immerhin;<br />
dann mag das süße Wort der Liebe mit der abgestorbenen Welt verwelken; Ich wenigstens<br />
finde für jetzt k<strong>ein</strong>es in unserer christlichen Sprache, und bleibe daher bei dem alten Klange<br />
und ,liebe‘ m<strong>ein</strong>en Gegenstand, m<strong>ein</strong> <strong>–</strong> Eigentum“. 1<br />
[414] Mit kurzen Worten umreißt <strong>Stirner</strong> noch <strong>ein</strong>mal den Unterschied zwischen eigennütziger<br />
und uneigennütziger Liebe. „Nur als <strong>ein</strong>es m<strong>ein</strong>er Gefühle hege Ich die Liebe, aber als <strong>ein</strong>e<br />
Macht über Mir, als göttliche Macht (Feuerbach), als <strong>ein</strong>e Leidenschaft, der Ich Mich nicht<br />
entziehen soll, als <strong>ein</strong>e religiöse und sittliche Pflicht <strong>–</strong> verschmähe Ich sie. Als m<strong>ein</strong> Gefühl<br />
ist sie m<strong>ein</strong>; als Grundsatz, dem Ich m<strong>ein</strong>e Seele weihe und ,verschwöre‘, ist sie Gebieterin<br />
und göttlich, wie der Haß als Grundsatz teuflisch ist: <strong>ein</strong>s nicht besser als das andere. Kurz<br />
die egoistische Liebe, d. h. m<strong>ein</strong>e Liebe ist weder heilig noch unheilig, weder göttlich noch<br />
teuflisch.“ 2<br />
<strong>Stirner</strong> setzt s<strong>ein</strong>e Beziehung zur Welt wohl auch im Bereich der Liebe an, gibt dieser jedoch<br />
<strong>ein</strong>e andere Gestalt.<br />
„Gegen die Welt, besonders gegen die Menschen, soll ich <strong>ein</strong>e bestimmte Empfindung annehmen,<br />
und ihn von Anfang an mit der Empfindung der Liebe, ,mit Liebe entgegenkommen‘.<br />
Freilich offenbart sich hier weit mehr Willkür und Selbstbestimmung, als wenn Ich<br />
Mich durch die Welt von allen möglichen Empfindungen bestürmen lasse und den krausesten,<br />
zufälligsten Eindrücken ausgesetzt bleibe. Ich gehe vielmehr an sie mit <strong>ein</strong>er vorgefaßten<br />
Empfindung, gleichsam <strong>ein</strong>em Vorurteil ... Wider die Herrschaft der Welt sichere Ich<br />
Mich durch den Grundsatz der Liebe; denn was auch kommen mag, Ich <strong>–</strong> liebe. Das Häßliche<br />
z. B. macht auf Mich <strong>ein</strong>en widerwärtigen Eindruck; all<strong>ein</strong>, entschlossen zu lieben, bewältige<br />
Ich diesen Eindruck, wie jede Antipathie.<br />
Aber die Empfindung, zu welcher Ich Mich von Haus aus determiniert und <strong>–</strong> verurteilt habe,<br />
ist eben <strong>ein</strong>e bornierte Empfindung, weil sie <strong>ein</strong>e prädestinierte ist, von welcher Ich selber<br />
nicht loskommen oder Mich loszusagen vermag. Weil vorgefaßt, ist sie <strong>ein</strong> Vorurteil. Ich zeige<br />
Mich nicht gegenüber der Welt, sondern m<strong>ein</strong>e Liebe zeigt sich. [415] Zwar beherrscht die<br />
Welt Mich nicht, desto unabwendbarer aber beherrscht Mich der Geist der Liebe. Ich habe die<br />
Welt überwunden, um <strong>ein</strong> Sklave dieses Geistes zu werden.<br />
Sagte Ich erst, Ich liebe die Welt, so setze Ich jetzt ebenso hinzu: Ich liebe sie nicht, denn Ich<br />
vernichte sie, wie Ich Mich vernichte: Ich löse sie auf. Ich beschränke Mich nicht auf Eine<br />
Empfindung für die Menschen, sondern gebe allen, deren Ich fähig bin, freien Spielraum. Wie<br />
sollte Ich‘s nicht in aller Grellheit auszusprechen wagen? Ja, Ich benutze die Welt und die<br />
Menschen! Dabei kann Ich Mich jedem Eindruck offen erhalten, ohne von <strong>ein</strong>em derselben<br />
Mir selber entrissen zu werden. Ich kann lieben, mit voller Seele lieben und die verzehrendste<br />
Glut der Leidenschaft in m<strong>ein</strong>em Herzen brennen lassen, ohne den Geliebten für etwas Anderes<br />
zu nehmen, als für die Nahrung m<strong>ein</strong>er Leidenschaft, an der sie immer von Neuem sich<br />
erfrischt. All m<strong>ein</strong>e Sorge um ihn gilt nur dem Gegenstande m<strong>ein</strong>er Liebe, nur ihm, den m<strong>ein</strong>e<br />
Liebe braucht, nur ihm, dem ,Heißgeliebten‘. Wie gleichgültig wäre er Mir ohne diese <strong>–</strong><br />
m<strong>ein</strong>e Liebe. Nur m<strong>ein</strong>e Liebe speise Ich mit ihm, dazu nur benutze Ich ihn: Ich genieße ihn.<br />
... Wo Mir die Welt in den Weg kommt <strong>–</strong> und sie kommt Mir überall in den Weg <strong>–</strong> da verzehre<br />
Ich sie, um den Hunger m<strong>ein</strong>es Egoismus zu stillen. Du bist für Mich nichts als <strong>–</strong> m<strong>ein</strong>e<br />
Speise, gleichwie auch Ich von Dir verspeiset und verbraucht werde. Wir haben zu<strong>ein</strong>ander<br />
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