Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?
Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels? Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?
OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig – 12.09.2009 chen Menschen, unter dem phlegmathischen Rechtstitel des Verfahrens gegen den ,Unmenschen‘.“ 1 [410] Wo man dermaßen verfährt, kann es nur einen Sieger geben, denn: „Eines kann ja nur leben, das Sittengesetz, oder der Verbrecher. Wo die Verbrecher ungestraft leben, da ist das Sittengesetz untergegangen, und wo dieses waltet, müssen jene fallen. Ihre Feindschaft ist unzerstörbar.“ 2 Damit nehmen Stirners Gedankengänge konkretere Formen an, die weiterhin an den von ihm beschriebenen Formen des Liberalismus ihre Reibfläche finden. „Es ist gerade das christliche Zeitalter das der Barmherzigkeit, der Liebe, der Sorge, den Menschen zukommen zu lassen, was ihnen gebührt, ja sie dahin zu bringen, daß sie ihren menschlichen (göttlichen) Beruf erfüllen. Man hat also für den Verkehr obenan gestellt: dies und dies ist das Wesen des Menschen und folglich sein Beruf, wozu ihn entweder Gott berufen hat oder (nach heutigen Begriffen) sein Menschsein (die Gattung) ihn beruft. Daher der Bekehrungseifer. Daß die Kommunisten und Humanen mehr als die Christen vom Menschen erwarten, bringt sie keineswegs von demselben Standpunkte weg. Dem Menschen soll das Menschliche werden!“ 3 Wie des öfteren erwähnt, ist dabei beiden die Opposition gegen den Egoisten gemein. Grundlage dafür ist in diesem Fall der „auf der Liebe, dem rücksichtsvollen Benehmen, dem Füreinandertun“ beruhende bisherige Verkehr, bei dem man es „Andern schuldig“ war, „ihr Wesen und ihren Beruf ihnen realisieren zu helfen“. 4 Stirner wendet jedoch dagegen ein: „Allein man ist weder sich schuldig, etwas aus sich, noch Andern, etwas aus ihnen zu machen: denn man ist seinem und Anderer Wesen nichts schuldig. Der auf das Wesen gestützte Verkehr ist ein Verkehr mit dem Spuk, nicht mit Wirklichem. Verkehre Ich mit dem höchsten Wesen, so verkehre Ich nicht mit Mir, und verkehre Ich mit dem Wesen des Menschen, so verkehre Ich nicht mit den Menschen. [411] Die Liebe des natürlichen Menschen wird durch die Bildung ein Gebot. Als Gebot aber gehört sie dem Menschen als solchem, nicht Mir; sie ist mein Wesen, von dem man viel Wesens macht, nicht mein Eigentum. Der Mensch, d. h. die Menschlichkeit, stellt jene Forderung an Mich; die Liebe wird gefordert, ist meine Pflicht. Statt also wirklich Mir errungen zu sein, ist sie dem Allgemeinen errungen, dem Menschen, als dessen Eigentum oder Eigenheit: ,dem Menschen, d. h. jedem Menschen ziemt es zu lieben: Lieben ist die Pflicht und der Beruf des Menschen usw.‘ Folglich muß Ich die Liebe Mir wieder vindizieren und sie aus der Macht des Menschen erlösen.“ 5 Stirner will damit ausdrücken, daß der Mensch nicht liebe, im Gegenteil: „Ich liebe die Menschen auch, nicht bloß einzelne, sondern jeden. Aber Ich liebe sie mit dem Bewußtsein des Egoismus; Ich liebe sie, weil die Liebe Mich glücklich macht, Ich liebe, weil Mir das Lieben natürlich ist, weil Mir’s gefällt. Ich kenne kein ,Gebot der Liebe‘. Ich habe Mitgefühl mit jedem fühlenden Wesen, und ihre Qual quält, ihre Erquickung erquickt auch Mich: töten kann Ich sie, martern nicht.“ 6 So gelangt er zu dem Vorwurf: „Ihr liebt den Menschen; darum peinigt Ihr den einzelnen Menschen, den Egoisten; eure Menschenliebe ist Menschenquälerei.“ 7 1 EE 320 f. 2 EE 322. 3 EE 322. 4 EE 322. 5 EE 323. 6 EE 324. 7 EE 325.
OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig – 12.09.2009 Diese findet auch Eingang in dem Ausspruch des „Rechts auf Liebe“. „Eltern, Verwandte, Vaterland, Volk, Vaterstadt usw., endlich überhaupt die Mitmenschen ... behaupten ein Recht auf meine Liebe zu haben und nehmen sie ohne Weiteres in Anspruch. Sie sehen sie als ihr Eigentum an und Mich, wenn Ich dasselbe nicht respektiere, als Räuber, der ihnen entzieht, was ihnen zukommt und das Ihre ist. Ich soll lieben. Ist die Liebe ein Gebot und Gesetz, so muß Ich dazu [412] erzogen, herangebildet und, wenn Ich dagegen Mich vergehe, gestraft werden. Man wird daher einen möglichst starken ,moralischen Einfluß‘ auf Mich ausüben, um Mich zum Lieben zu bringen. Und es ist kein Zweifel, daß man die Menschen zur Liebe aufkitzeln und verführen kann wie zu andern Leidenschaften, z. B. gleich zum Hasse.“ 1 Stirners Ansichten von der Liebe verlauten jedoch gänzlich konträr zu diesem aufoktroyierten Sollen. Denn „die Liebe ist kein Gebot, sondern, wie jedes meiner Gefühle, mein Eigentum. Erwerbt, d. h. erkauft mein Eigentum, dann lasse Ich’s Euch ab. Eine Kirche, ein Volk, ein Vaterland, eine Familie usw., die sich meine Liebe nicht zu erwerben wissen, brauche Ich nicht zu lieben, und ich stelle den Kaufpreis meiner Liebe ganz nach meinem Gefallen. Die eigennützige Liebe steht weit von der uneigennützigen, mystischen oder romantischen Liebe ab. Lieben kann man alles Mögliche, nicht bloß Menschen, sondern überhaupt einen ,Gegenstand‘ (den Wein, sein Vaterland usw.). Blind und toll wird die Liebe dadurch, daß ein Müssen sie meiner Gewalt entzieht (Vernarrtheit), ... d. h. daß der ,Gegenstand‘ Mir heilig wird, oder Ich durch Pflicht, Gewissen, Eid an ihn gebunden werde. Nun ist der Gegenstand nicht mehr für Mich, sonder Ich bin für ihn da. Nicht als meine Empfindung ist die Liebe eine Besessenheit – als jene behalte Ich sie vielmehr im Besitz als Eigentum –, sondern durch die Fremdheit des Gegenstandes. Die religiöse Liebe besteht nämlich in dem Gebote, in dem Geliebten einen ,Heiligen‘ zu lieben oder an einem Heiligen zu hangen; für die uneigennützige Liebe gibt es absolut liebenswürdige Gegenstände, für welche mein Herz schlagen soll, z. B. die Mitmenschen ... usw. Die heilige Liebe liebt das Heilige am Geliebten, und bemüht sich darum auch, aus dem Geliebten immer mehr einen Heiligen (z. B. einen ,Menschen‘) zu machen. [413] Der Geliebte ist ein Gegenstand, der von Mir geliebt werden soll ... ist Gegenstand der Liebe an und für sich ... Er ist also nicht ein Gegenstand meiner Liebe, sondern der Liebe überhaupt: ein Gegenstand, der geliebt werden soll. Die Liebe kommt ihm zu, gebührt ihm, oder ist sein Recht, Ich aber bin verpflichtet, ihn zu lieben. Meine Liebe, d. h. die Liebe, welche Ich ihm zolle, ist in Wahrheit seine Liebe, die er nur als Zoll von Mir eintreibt. Jede Liebe, an welcher auch nur der kleinste Flecken von Verpflichtung haftet, ist eine uneigennützige, und so weit dieser Fleck reicht, ist sie Besessenheit. Wer dem Gegenstande seiner Liebe etwas schuldig zu sein glaubt, der liebt romantisch oder religiös. Familienliebe ... ist eine religiöse Liebe; Vaterlandsliebe, als ,Patriotismus‘ gepredigt, gleichfalls ...“. 2 Im Gegensatz dazu „ist meine Liebe erst“ mein eigen, „wenn sie durchaus in einem eigennützigen und egoistischen Interesse besteht, mithin der Gegenstand meiner Liebe wirklich mein Gegenstand oder mein Eigentum ist. Meinem Eigentum bin Ich nichts schuldig und habe keine Pflicht gegen dasselbe, so wenig Ich etwa eine Pflicht gegen mein Auge habe, hüte Ich es dennoch mit größter Sorgsamkeit, so geschieht das Meinetwegen. ... Dem Egoisten ist nichts hoch genug, daß er sich davor demütige, nichts so selbständig, daß er ihm zu Liebe lebte, nichts so heilig, daß er sich ihm opferte. Die Liebe des Egoisten 1 EE 325 f. 2 EE 326 f.
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Diese findet auch Eingang in dem Ausspruch des „Rechts auf Liebe“.<br />
„Eltern, Verwandte, Vaterland, Volk, Vaterstadt usw., endlich überhaupt die Mitmenschen ...<br />
behaupten <strong>ein</strong> Recht auf m<strong>ein</strong>e Liebe zu haben und nehmen sie ohne Weiteres in Anspruch.<br />
Sie sehen sie als ihr Eigentum an und Mich, wenn Ich dasselbe nicht respektiere, als Räuber,<br />
der ihnen entzieht, was ihnen zukommt und das Ihre ist. Ich soll lieben. Ist die Liebe <strong>ein</strong> Gebot<br />
und Gesetz, so muß Ich dazu [412] erzogen, herangebildet und, wenn Ich dagegen Mich<br />
vergehe, gestraft werden. Man wird daher <strong>ein</strong>en möglichst starken ,moralischen Einfluß‘ auf<br />
Mich ausüben, um Mich zum Lieben zu bringen. Und es ist k<strong>ein</strong> Zweifel, daß man die Menschen<br />
zur Liebe aufkitzeln und verführen kann wie zu andern Leidenschaften, z. B. gleich<br />
zum Hasse.“ 1<br />
<strong>Stirner</strong>s Ansichten von der Liebe verlauten jedoch gänzlich konträr zu diesem aufoktroyierten<br />
Sollen.<br />
Denn „die Liebe ist k<strong>ein</strong> Gebot, sondern, wie jedes m<strong>ein</strong>er Gefühle, m<strong>ein</strong> Eigentum. Erwerbt,<br />
d. h. erkauft m<strong>ein</strong> Eigentum, dann lasse Ich’s Euch ab. Eine Kirche, <strong>ein</strong> Volk, <strong>ein</strong> Vaterland,<br />
<strong>ein</strong>e Familie usw., die sich m<strong>ein</strong>e Liebe nicht zu erwerben wissen, brauche Ich nicht<br />
zu lieben, und ich stelle den Kaufpreis m<strong>ein</strong>er Liebe ganz nach m<strong>ein</strong>em Gefallen.<br />
Die eigennützige Liebe steht weit von der uneigennützigen, mystischen oder romantischen<br />
Liebe ab. Lieben kann man alles Mögliche, nicht bloß Menschen, sondern überhaupt <strong>ein</strong>en<br />
,Gegenstand‘ (den W<strong>ein</strong>, s<strong>ein</strong> Vaterland usw.). Blind und toll wird die Liebe dadurch, daß <strong>ein</strong><br />
Müssen sie m<strong>ein</strong>er Gewalt entzieht (Vernarrtheit), ... d. h. daß der ,Gegenstand‘ Mir heilig<br />
wird, oder Ich durch Pflicht, Gewissen, Eid an ihn gebunden werde. Nun ist der Gegenstand<br />
nicht mehr für Mich, sonder Ich bin für ihn da.<br />
Nicht als m<strong>ein</strong>e Empfindung ist die Liebe <strong>ein</strong>e Besessenheit <strong>–</strong> als jene behalte Ich sie vielmehr<br />
im Besitz als Eigentum <strong>–</strong>, sondern durch die Fremdheit des Gegenstandes. Die religiöse<br />
Liebe besteht nämlich in dem Gebote, in dem Geliebten <strong>ein</strong>en ,Heiligen‘ zu lieben oder an <strong>ein</strong>em<br />
Heiligen zu hangen; für die uneigennützige Liebe gibt es absolut liebenswürdige Gegenstände,<br />
für welche m<strong>ein</strong> Herz schlagen soll, z. B. die Mitmenschen ... usw. Die heilige Liebe<br />
liebt das Heilige am Geliebten, und bemüht sich darum auch, aus dem Geliebten immer mehr<br />
<strong>ein</strong>en Heiligen (z. B. <strong>ein</strong>en ,Menschen‘) zu machen.<br />
[413] Der Geliebte ist <strong>ein</strong> Gegenstand, der von Mir geliebt werden soll ... ist Gegenstand der<br />
Liebe an und für sich ... Er ist also nicht <strong>ein</strong> Gegenstand m<strong>ein</strong>er Liebe, sondern der Liebe<br />
überhaupt: <strong>ein</strong> Gegenstand, der geliebt werden soll. Die Liebe kommt ihm zu, gebührt ihm,<br />
oder ist s<strong>ein</strong> Recht, Ich aber bin verpflichtet, ihn zu lieben. M<strong>ein</strong>e Liebe, d. h. die Liebe, welche<br />
Ich ihm zolle, ist in Wahrheit s<strong>ein</strong>e Liebe, die er nur als Zoll von Mir <strong>ein</strong>treibt.<br />
Jede Liebe, an welcher auch nur der kl<strong>ein</strong>ste Flecken von Verpflichtung haftet, ist <strong>ein</strong>e uneigennützige,<br />
und so weit dieser Fleck reicht, ist sie Besessenheit. Wer dem Gegenstande s<strong>ein</strong>er<br />
Liebe etwas schuldig zu s<strong>ein</strong> glaubt, der liebt romantisch oder religiös.<br />
Familienliebe ... ist <strong>ein</strong>e religiöse Liebe; Vaterlandsliebe, als ,Patriotismus‘ gepredigt, gleichfalls<br />
...“. 2<br />
Im Gegensatz dazu „ist m<strong>ein</strong>e Liebe erst“ m<strong>ein</strong> eigen, „wenn sie durchaus in <strong>ein</strong>em eigennützigen<br />
und egoistischen Interesse besteht, mithin der Gegenstand m<strong>ein</strong>er Liebe wirklich<br />
m<strong>ein</strong> Gegenstand oder m<strong>ein</strong> Eigentum ist. M<strong>ein</strong>em Eigentum bin Ich nichts schuldig und habe<br />
k<strong>ein</strong>e Pflicht gegen dasselbe, so wenig Ich etwa <strong>ein</strong>e Pflicht gegen m<strong>ein</strong> Auge habe, hüte<br />
Ich es dennoch mit größter Sorgsamkeit, so geschieht das M<strong>ein</strong>etwegen.<br />
... Dem Egoisten ist nichts hoch genug, daß er sich davor demütige, nichts so selbständig,<br />
daß er ihm zu Liebe lebte, nichts so heilig, daß er sich ihm opferte. Die Liebe des Egoisten<br />
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