Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?

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OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig 12.09.2009 phen sei“. 1 [29] Einige seiner Schriften waren der konkreten Gestaltung der Gesellschaft gewidmet. „Den wirklichen Staat sah er in der Entwicklung zum Vernunftstaat begriffen; Politik war ihm die stete Linie, auf der sich der wirkliche in den Vernunftstaat wandelte.“ 2 Fichte legt Wert auf die „Verbindung zwischen Ich und Gesellschaft“, die sich von selbst ergibt, „wenn man folgendes bedenkt. Das freie Selbstsein, das die Philosophie als Wesen des Menschen erkennt, ist nur in der Gesellschaft möglich. Ein Ich zu sein setzt die Anerkennung durch Seinesgleichen voraus. Der Mensch wird nur unter Menschen er selbst“. 3 Den Begriff der Gesellschaft deduziert Fichte erstmals in der „Rechts- und Sittenlehre“, die er nach den Prinzipien der Wissenschaftslehre entwickelte. „Er entwarf eine Planwirtschaft, in der die Gemeinschaft schlechthin Vorrang vor den Individuen hatte. Damit die Wirtschaftsplanung nicht immer wieder gestört würde, war eine weitgehende Abschließung von Ausland notwendig. Der Staat sollte möglichst autark sein, und er mußte auf jeden Fall das Monopol des Außenhandels haben. Geschah all dies ,mit Ordnung, Übersicht des ganzen, und nach einem festen Plan‘, so machte sich der Staat weitgehend entbehrlich ... Schließlich erachtete er die Bildung geschlossener Handelsstaaten als sicherste Gewähr für einen dauerhaften Frieden.“ 4 Fichte erlangte keine unmittelbare politische Wirkung, „jedoch ist nirgends in dieser frühen Zeit der Gedanke einer gelenkten Wirtschaft so klar wie bei ihm“. 5 Die Erklärung der Gesellschaft aus dem Begriff des Ich wirkt „oft wiederholte(n) Vorwürfe(n) eines übersteigerten [30] Egozentrismus der Fichteschen Philosophie“ entgegen. 6 Wohl war ihm die wahre Philosophie „eine Sache des richtigen Menschseins. Jeder Leser sollte sich unmittelbar zur eigentlichen ,Bestimmung des Menschen‘ aufgerufen fühlen. Auch eine ,Anweisung zum seligen Leben‘ hat Fichte geliefert“, aber aus „dem Innersten dieser Philosophie läßt sich beweisen, daß die Betonung der individuellen Einzelheit nicht in ihrer Absicht lag“. 7 Fichte hat den deutschen Idealismus auf den Weg gebracht, „auf dem seine eigene Position alsbald überholt werden sollte. Paradoxerweise vollzieht sich ein solcher Schritt gerade im Namen der Vollendung des Denkens, die Fichte als erster beschworen hatte. Die Absolutheit, auf der er bestand, wurde gegen ihn selbst und seine dogmatische Einseitigkeit gewendet. Die Wissenschaftslehre des Ich war gleichsam noch nicht absolut genug. Schelling hat auf dieser Linie planmäßig weitergearbeitet“. 8 [31] 2.3. Schelling unter Einbeziehung der Hegelschen „Differenzschrift“ G. W. F. Hegel beschreibt in seinen ‚Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III‘ Dritter Abschnitt: Neueste deutsche Philosophie die „Kantische, Fichtesche und Schellingsche Philosophie“ 9 demgemäß: „In diesen Philosophien ist die Revolution als in der Form des Gedankens niedergelegt und ausgesprochen, zu welcher der Geist in der letzteren Zeit in Deutschland fortgeschritten ist; ihre Folge enthält den Gang, welchen das Denken genommen hat. An dieser Epoche in der 1 Fenske, H.: Geschichte der politischen Ideen. S. 426. 2 Ebd. 3 Buber, R.: Dt. Idealismus. S. 117. 4 Fenske. Ebd. 5 Ebd. 6 Buber. R. Ebd. 7 Ebd. S. 116 f. 8 Ebd. S. 118. 9 Hegel: Werke. Bd. 20. S. 314.

OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig 12.09.2009 Weltgeschichte, deren innerstes Wesen begriffen wird in der Weltgeschichte, haben nur diese zwei Völker teilgenommen, das deutsche und das französische Volk, sosehr sie entgegengesetzt sind, oder gerade weil sie entgegengesetzt sind. Die anderen Nationen haben keinen Teil daran genommen, wohl ihre Regierungen, auch Völker, politisch, aber nicht innerlich. In Deutschland ist dies Prinzip als Gedanke, Geist, Begriff, in Frankreich in die Wirklichkeit hinausgestürmt. Was in Deutschland von Wirklichkeit hervorgetreten, erscheint als eine Gewaltsamkeit äußerer Umstände und Reaktion dagegen. Die Aufgabe der Philosophie bestimmt sich dahin, die Einheit des Denkens und Seins, welche ihre Grundidee ist, selbst zum Gegenstand zu machen und sie zu begreifen, d. i. das Innerste der Notwendigkeit, den Begriff zu erfassen. Die Kantische Philosophie stellt das Formelle der Aufgabe zunächst auf, hat aber nur die abstrakte Absolutheit der Vernunft im Selbstbewußtsein zum Resultate und einerseits eine Seichtigkeit und eine Mattheit, die im Kritischen und Negativen bleibt und für etwas Positives sich an Tatsachen des Bewußtseins und Ahnen hält, die auf den Gedanken Ver[32]zicht tut und zum Gefühl zurückkehrt, andererseits aber die Fichtesche Philosophie zur Folge gehabt, welche das Wesen des Selbstbewußtseins als konkrete Ichheit spekulativ erfaßt, aber über diese subjektive Form des Absoluten nicht hinauskommt, von welcher die Schellingsche Philosophie ausgehet, sie dann hinwegwirft und die Idee des Absoluten, das Wahre an und für sich aufstellt.“ 1 Nach diesen einleitenden Bemerkungen schreitet Hegel daran die Philosophie Jacobis, Kants, Fichtes und Schellings zu beleuchten, ohne bezüglich biographischer Daten zu vergessen zu bemerken, daß „nicht vollständig noch schicklich über sein (Schellings) Leben gesprochen werden (kann), da er noch lebt“. 2 Nicht umhin kommt Hegel jedoch, festzustellen, daß „das bedeutendste oder in philosophischer Rücksicht einzig bedeutende Hinausgehen über die Fichtesche Philosophie hat Schelling endlich getan. Die höhere echte Form, die sich an Fichte anschloß, ist die Schellingsche Philosophie“. 3 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775-1854) trat bereits als Fünfzehnjähriger ins Tübinger Stift ein, wo er auf die fünf Jahre älteren Hegel und Hölderlin traf. So schreibt Hölderlin „im Wintersemester 1790 ... an seine Schwester: auf seiner Stube seien aus seiner Promotion Hegel und Märklin, ,und die wenigen andern sind auch brave Leute, darunter Breyer und Schelling‘“. 4 Aus diesem Zusammentreffen in Tübingen entstand eine lang[33]jährige Freundschaft, auch wenn sie sich später weit voneinander entfernen sollten. Man kann sagen, daß es eine „glückliche Konstellation“ war, die „die verheißungsvollsten jungen Köpfe“ im Theologischen Stift zu Tübingen zusammenführte, die sich in der „Zielsetzung einig wußten“, den durch „Fichtes Vorstoß in die Aktstruktur des Ich“ „angezeigten Wege weiterschreitend das Absolute ohne alle Abstriche zum eigentlichen Thema zu machen. Eine wahre Theorie des Absoluten würde die Philosophie auf ihre älteste Aufgabe verpflichten und so die Weisheit eines Plato, Spinoza oder Leibniz wieder zu Ehren bringen“. 5 So mag „Hölderlin der geheime Anreger gewesen sein, dessen philosophische Bedeutung über seiner tragischen Dichterexistenz lange verkannt worden ist“; Schelling „war jedenfalls der strahlende Protagonist, der mit genialen Entwürfen frühen Ruhm erntete“ und Hegel, der „zunächst im Schatten (stand), hat dann ... nach später Reife mit seinem philosophischen 1 Ebd. S. 314 f. 2 Ebd. S. 420. 3 Ebd. 4 Schröter, Klaus (Hrsg.): G. W. F. Hegel. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt von Wiedemann, Franz. Rororo-Bildmonographie. Hamburg 1986. S. 16. 5 Bubner, R.: Dt. Idealismus. S. 220.

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Weltgeschichte, deren innerstes Wesen begriffen wird in der Weltgeschichte, haben nur diese<br />

zwei Völker teilgenommen, das deutsche und das französische Volk, sosehr sie entgegengesetzt<br />

sind, oder gerade weil sie entgegengesetzt sind. Die anderen Nationen haben k<strong>ein</strong>en Teil<br />

daran genommen, wohl ihre Regierungen, auch Völker, politisch, aber nicht innerlich. In<br />

Deutschland ist dies Prinzip als Gedanke, Geist, Begriff, in Frankreich in die Wirklichkeit<br />

hinausgestürmt. Was in Deutschland von Wirklichkeit hervorgetreten, ersch<strong>ein</strong>t als <strong>ein</strong>e Gewaltsamkeit<br />

äußerer Umstände und Reaktion dagegen.<br />

Die Aufgabe der Philosophie bestimmt sich dahin, die Einheit des Denkens und S<strong>ein</strong>s, welche<br />

ihre Grundidee ist, selbst zum Gegenstand zu machen und sie zu begreifen, d. i. das Innerste<br />

der Notwendigkeit, den Begriff zu erfassen. Die Kantische Philosophie stellt das Formelle<br />

der Aufgabe zunächst auf, hat aber nur die abstrakte Absolutheit der Vernunft im<br />

Selbstbewußts<strong>ein</strong> zum Resultate und <strong>ein</strong>erseits <strong>ein</strong>e Seichtigkeit und <strong>ein</strong>e Mattheit, die im<br />

Kritischen und Negativen bleibt und für etwas Positives sich an Tatsachen des Bewußts<strong>ein</strong>s<br />

und Ahnen hält, die auf den Gedanken Ver[32]zicht tut und zum Gefühl zurückkehrt, andererseits<br />

aber die Fichtesche Philosophie zur Folge gehabt, welche das Wesen des Selbstbewußts<strong>ein</strong>s<br />

als konkrete Ichheit spekulativ erfaßt, aber über diese subjektive Form des Absoluten<br />

nicht hinauskommt, von welcher die Schellingsche Philosophie ausgehet, sie dann hinwegwirft<br />

und die Idee des Absoluten, das Wahre an und für sich aufstellt.“ 1<br />

Nach diesen <strong>ein</strong>leitenden Bemerkungen schreitet Hegel daran die Philosophie Jacobis, Kants,<br />

Fichtes und Schellings zu beleuchten, ohne <strong>–</strong> bezüglich biographischer Daten <strong>–</strong> zu vergessen<br />

zu bemerken, daß „nicht vollständig noch schicklich über s<strong>ein</strong> (Schellings) Leben gesprochen<br />

werden (kann), da er noch lebt“. 2<br />

Nicht umhin kommt Hegel jedoch, festzustellen, daß „das bedeutendste oder in philosophischer<br />

Rücksicht <strong>ein</strong>zig bedeutende Hinausgehen über die Fichtesche Philosophie hat Schelling<br />

endlich getan. Die höhere echte Form, die sich an Fichte anschloß, ist die Schellingsche<br />

Philosophie“. 3<br />

Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775-1854) trat bereits als Fünfzehnjähriger ins Tübinger<br />

Stift <strong>ein</strong>, wo er auf die fünf Jahre älteren Hegel und Hölderlin traf.<br />

So schreibt Hölderlin „im Wintersemester 1790 ... an s<strong>ein</strong>e Schwester: auf s<strong>ein</strong>er Stube seien<br />

aus s<strong>ein</strong>er Promotion Hegel und Märklin, ,und die wenigen andern sind auch brave Leute,<br />

darunter Breyer und Schelling‘“. 4<br />

Aus diesem Zusammentreffen in Tübingen entstand <strong>ein</strong>e lang[33]jährige Freundschaft, auch<br />

wenn sie sich später weit von<strong>ein</strong>ander entfernen sollten.<br />

Man kann sagen, daß es <strong>ein</strong>e „glückliche Konstellation“ war, die „die verheißungsvollsten<br />

jungen Köpfe“ im Theologischen Stift zu Tübingen zusammenführte, die sich in der „Zielsetzung<br />

<strong>ein</strong>ig wußten“, den durch „Fichtes Vorstoß in die Aktstruktur des Ich“ „angezeigten<br />

Wege weiterschreitend das Absolute ohne alle Abstriche zum eigentlichen Thema zu machen.<br />

Eine wahre Theorie des Absoluten würde die Philosophie auf ihre älteste Aufgabe verpflichten<br />

und so die Weisheit <strong>ein</strong>es Plato, Spinoza oder Leibniz wieder zu Ehren bringen“. 5<br />

So mag „Hölderlin der geheime Anreger gewesen s<strong>ein</strong>, dessen philosophische Bedeutung<br />

über s<strong>ein</strong>er tragischen Dichterexistenz lange verkannt worden ist“; Schelling „war jedenfalls<br />

der strahlende Protagonist, der mit genialen Entwürfen frühen Ruhm erntete“ und Hegel, der<br />

„zunächst im Schatten (stand), hat dann ... nach später Reife mit s<strong>ein</strong>em philosophischen<br />

1 Ebd. S. 314 f.<br />

2 Ebd. S. 420.<br />

3 Ebd.<br />

4 Schröter, Klaus (Hrsg.): G. W. F. Hegel. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt von Wiedemann,<br />

Franz. Rororo-Bildmonographie. Hamburg 1986. S. 16.<br />

5 Bubner, R.: Dt. Idealismus. S. 220.

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