Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?
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OCR-Texterkennung und Copyright by <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> Archiv Leipzig <strong>–</strong> 12.09.2009<br />
nicht der Glaube. Bestimmter Glaube, wie der Glaube an Zeus, Astarte, Jehova, Allah usw.<br />
kann zerstört werden, der Glaube selbst hingegen ist unzerstörbar. Im Denken ist Freiheit.<br />
Was Ich brauche und wonach Ich Hunger habe, das wird Mir durch k<strong>ein</strong>e Gnade mehr gewährt,<br />
durch die Jungfrau Maria, durch Fürsprache der Heiligen, oder durch die lösende und<br />
bindende Kirche, sondern Ich verschaffe Mir‘s selber. Kurz M<strong>ein</strong> S<strong>ein</strong> (das sum) ist <strong>ein</strong> Leben<br />
im Himmel [274] des Denkens, des Geistes, <strong>ein</strong> cogitare. Ich selber aber bin nichts anderes<br />
als Geist, als denkender (nach Cartesius), als Gläubiger (nach Luther). M<strong>ein</strong> Leib, das bin<br />
Ich nicht; M<strong>ein</strong> Fleisch mag leiden von Gelüsten oder Qualen. Ich bin nicht M<strong>ein</strong> Fleisch,<br />
sondern Ich bin Geist, nur Geist.“ 1 Diese Gedanken, so m<strong>ein</strong>t <strong>Stirner</strong>, durchziehen die Reformationsgeschichte<br />
bis in s<strong>ein</strong>e Tage und erst die neuere Philosophie seit Descartes „hat<br />
Ernst damit gemacht, das Christentum zu vollendeter Wirksamkeit zu bringen“. 2<br />
Das Christentum verdankt s<strong>ein</strong>e Wirksamkeit dem Umstand, daß die Philosophie „das<br />
,wissenschaftliche Bewußts<strong>ein</strong>‘ zum all<strong>ein</strong> wahren und geltenden erhob“. 3<br />
Zu diesem Zwecke „beginnt sie mit dem absoluten Zweifel, dem dubitare, mit der<br />
,Zerknirschung‘ des gem<strong>ein</strong>en Bewußts<strong>ein</strong>s, mit der Abwendung von Allem, was nicht durch<br />
den ,Geist‘, das ,Denken‘ legitimiert wird. Nichts gilt ihr die Natur, nichts die M<strong>ein</strong>ung der<br />
Menschen, ihre ,Menschensatzung‘, und sie ruht nicht, bis sie in Alles Vernunft gebracht hat<br />
...“ 4<br />
Hier gelangt nun <strong>–</strong> wie bereits weiter oben erläutert <strong>–</strong> die Philosophie zu ihrem Triumph, zu<br />
ihrer Despotie und All<strong>ein</strong>herrschaft, zur Allgewalt des Geistes. Hier nun spielt <strong>Stirner</strong> auf den<br />
<strong>Hegels</strong>chen Satz aus der Vorrede zur Rechtsphilosophie an. Hier kann die Philosophie sagen:<br />
„Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig.“ 5<br />
<strong>Stirner</strong> zitiert Hegel wörtlich so: „das Wirkliche ist das Vernünftige und nur das Vernünftige<br />
ist das Wirkliche.“ 6<br />
[275] Diesbezüglich fährt er mit s<strong>ein</strong>en Ausführungen weiter fort: „So hat sie endlich den<br />
Geist, die Vernunft zum Siege geführt, und Alles ist Geist, weil Alles vernünftig ist, die ganze<br />
Natur so gut als selbst die verkehrtesten M<strong>ein</strong>ungen der Menschen Vernunft enthalten:<br />
denn ,es muß ja Alles zum Besten dienen‘, d. h. zum Siege der Vernunft führen.“ 7<br />
Darin, daß „nur das Vernünftige ist, nur der Geist ist“, darin sieht <strong>Stirner</strong> „das Prinzip der<br />
neueren Philosophie, das echt christliche“. 8<br />
Sie will in Allem das Göttliche sichtbar machen, das alles Bewußts<strong>ein</strong> „<strong>ein</strong> Wissen des Göttlichen<br />
werde und der Mensch Gott überall schaue“. 9<br />
Aber <strong>–</strong> so kritisiert er <strong>–</strong> diese Philosophie, die christliche, „wird ... das Vernünftige nicht los,<br />
und eifert darum gegen das ,bloß Subjektive‘“, und vergißt, daß „Gott ... eben nie ohne den<br />
Teufel“ 10 ist.<br />
Da man in Allem das Göttliche sichtbar machen will, kann man denjenigen nicht <strong>ein</strong>en Philosophen<br />
nennen, der zwar offene Augen und <strong>ein</strong> richtiges Urteil für die Dinge der Welt, aber<br />
eben nur der Welt, hat, d. h. <strong>ein</strong> bloß gem<strong>ein</strong>es Bewußts<strong>ein</strong> hat. Sondern „<strong>ein</strong> Philosoph ist<br />
1 EE 91 f.<br />
2 EE 92.<br />
3 EE 92.<br />
4 EE 92.<br />
5 Hegel: Werke Bd. 2. S. 24.<br />
6 EE 92.<br />
7 EE 92.<br />
8 EE 92 f.<br />
9 EE 93.<br />
10 EE 93.