Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?
Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels? Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?
OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig – 12.09.2009 fang, wo die Demütigung beginnt, ja er ist nichts anderes, als diese Demütigung selbst, die Brechung und Beugung des Mutes zur Demut herab ... ein Mensch soll sich da beugen vor dem Beruf des Menschen, soll folgsam sein, [272] demütig werden, soll seinen Willen aufgeben gegen einen fremden, der als Regel und Gesetz aufgestellt wird; er soll sich erniedrigen vor einem Höheren: Selbsterniedrigung“. 1 In diesem Sinne versuchen uns die Pfaffen zur Erniedrigung vor dem höchsten Wesen, vor Gott, zu erziehen, und die Schulmeister uns zur Erniedrigung vor dem Ideal des Menschen. Das eine ist Erziehung zur Gottesfurcht, das andere Erziehung zur Menschenfurcht. Gelingt es jedoch nicht mehr „Gespensterfurcht einzujagen, so ist die Herrschaft der Gespenster zu Ende“. 2 Die Zeit des Mittelalters definiert Stirner in seiner episodenhaften, geschichtlichen Reflexion, als jene, „in welcher man sich mit dem Wahne begnügte, die Wahrheit zu haben, ohne daß man daran ernstlich dachte, ob man selbst vielleicht wahr sein müsse, um die Wahrheit zu besitzen“. 3 Man versuchte mit dem „dinglichen Bewußtsein“ das „Undingliche“ 4 zu fassen. Allein es gelang nicht. „Erst Luther, mit welchem das sogenannte Mittelalter endet, begriff, daß der Mensch selber ein anderer werden müsse, wenn er die Wahrheit auffassen wolle, nämlich ebenso wahr, als die Wahrheit selbst. Nur wer die Wahrheit schon im Glauben hat, nur wer an sie glaubt, kann ihrer teilhaftig werden, d. h. nur der Gläubige findet sie zugänglich und ergründet die Tiefen derselben.“ 5 Derjenige, der nur Sinnliches, Gegenständliches, Dingliches zu denken vermag, für den ist die Wahrheit nur Dingliches. Da die Wahrheit aber Geist ist, „Unsinnliches“, daher ist sie „nur für das ,höhere Bewußtsein‘, nichts für das ,irdisch gesinnte‘“. 6 [273] Somit geht „mit Luther die Erkenntnis auf, daß die Wahrheit, weil sie Gedanke ist, nur für den denkenden Menschen sei. Und dies heißt, daß der Mensch fortan einen schlechthin anderen Standpunkt einnehmen müsse, nämlich den himmlischen, gläubigen, wissenschaftlichen, oder den Standpunkt des Denkens gegenüber seinem Gegenstande dem – Gedanken, den Standpunkt des Geistes gegenüber dem Geiste. Also: Nur der Gleiche erkennt den Gleichen! ,Du gleichst dem Geist, den Du begreifst‘“. 7 Stirner vertritt die Ansicht, daß der Protestantismus die mittelalterliche Hierarchie bloß geknickt, aber nicht gebrochen habe. Er war bloß eine „Reformation“, „also eine Auffrischung der veralteten Hierarchie ... und erst die Reformation stählte die Kraft der Hierarchie“. 8 Und zwar aus dem Grund, so meint er, daß „die Geisterherrschaft oder Geistesfreiheit – was auf Eins hinauskommt – ... nie zuvor so umfassend und allmächtig gewesen [sei], weil die jetzige, statt das religiöse Prinzip von Kunst, Staat und Wissenschaft loszureißen, vielmehr diese ganz aus der Weltlichkeit in das ,Reich des Geistes‘ erhob und religiös machte“. 9 Um dies zu beweisen, stellt er Luther und Descartes nebeneinander: „,Wer glaubt, ist ein Gott‘ und ,Ich denke, also bin Ich‘ (cogito, ergo sum). Der Himmel des Menschen ist das Denken, der – Geist. Alles kann ihm entrissen werden, das Denken nicht, 1 EE 88. 2 EE 89. 3 EE 89. 4 EE 89 f. 5 EE 90. 6 EE 90. 7 EE 90 f. 8 EE 91. 9 EE 91.
OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig – 12.09.2009 nicht der Glaube. Bestimmter Glaube, wie der Glaube an Zeus, Astarte, Jehova, Allah usw. kann zerstört werden, der Glaube selbst hingegen ist unzerstörbar. Im Denken ist Freiheit. Was Ich brauche und wonach Ich Hunger habe, das wird Mir durch keine Gnade mehr gewährt, durch die Jungfrau Maria, durch Fürsprache der Heiligen, oder durch die lösende und bindende Kirche, sondern Ich verschaffe Mir‘s selber. Kurz Mein Sein (das sum) ist ein Leben im Himmel [274] des Denkens, des Geistes, ein cogitare. Ich selber aber bin nichts anderes als Geist, als denkender (nach Cartesius), als Gläubiger (nach Luther). Mein Leib, das bin Ich nicht; Mein Fleisch mag leiden von Gelüsten oder Qualen. Ich bin nicht Mein Fleisch, sondern Ich bin Geist, nur Geist.“ 1 Diese Gedanken, so meint Stirner, durchziehen die Reformationsgeschichte bis in seine Tage und erst die neuere Philosophie seit Descartes „hat Ernst damit gemacht, das Christentum zu vollendeter Wirksamkeit zu bringen“. 2 Das Christentum verdankt seine Wirksamkeit dem Umstand, daß die Philosophie „das ,wissenschaftliche Bewußtsein‘ zum allein wahren und geltenden erhob“. 3 Zu diesem Zwecke „beginnt sie mit dem absoluten Zweifel, dem dubitare, mit der ,Zerknirschung‘ des gemeinen Bewußtseins, mit der Abwendung von Allem, was nicht durch den ,Geist‘, das ,Denken‘ legitimiert wird. Nichts gilt ihr die Natur, nichts die Meinung der Menschen, ihre ,Menschensatzung‘, und sie ruht nicht, bis sie in Alles Vernunft gebracht hat ...“ 4 Hier gelangt nun – wie bereits weiter oben erläutert – die Philosophie zu ihrem Triumph, zu ihrer Despotie und Alleinherrschaft, zur Allgewalt des Geistes. Hier nun spielt Stirner auf den Hegelschen Satz aus der Vorrede zur Rechtsphilosophie an. Hier kann die Philosophie sagen: „Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig.“ 5 Stirner zitiert Hegel wörtlich so: „das Wirkliche ist das Vernünftige und nur das Vernünftige ist das Wirkliche.“ 6 [275] Diesbezüglich fährt er mit seinen Ausführungen weiter fort: „So hat sie endlich den Geist, die Vernunft zum Siege geführt, und Alles ist Geist, weil Alles vernünftig ist, die ganze Natur so gut als selbst die verkehrtesten Meinungen der Menschen Vernunft enthalten: denn ,es muß ja Alles zum Besten dienen‘, d. h. zum Siege der Vernunft führen.“ 7 Darin, daß „nur das Vernünftige ist, nur der Geist ist“, darin sieht Stirner „das Prinzip der neueren Philosophie, das echt christliche“. 8 Sie will in Allem das Göttliche sichtbar machen, das alles Bewußtsein „ein Wissen des Göttlichen werde und der Mensch Gott überall schaue“. 9 Aber – so kritisiert er – diese Philosophie, die christliche, „wird ... das Vernünftige nicht los, und eifert darum gegen das ,bloß Subjektive‘“, und vergißt, daß „Gott ... eben nie ohne den Teufel“ 10 ist. Da man in Allem das Göttliche sichtbar machen will, kann man denjenigen nicht einen Philosophen nennen, der zwar offene Augen und ein richtiges Urteil für die Dinge der Welt, aber eben nur der Welt, hat, d. h. ein bloß gemeines Bewußtsein hat. Sondern „ein Philosoph ist 1 EE 91 f. 2 EE 92. 3 EE 92. 4 EE 92. 5 Hegel: Werke Bd. 2. S. 24. 6 EE 92. 7 EE 92. 8 EE 92 f. 9 EE 93. 10 EE 93.
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fang, wo die Demütigung beginnt, ja er ist nichts anderes, als diese Demütigung selbst, die<br />
Brechung und Beugung des Mutes zur Demut herab ... <strong>ein</strong> Mensch soll sich da beugen vor<br />
dem Beruf des Menschen, soll folgsam s<strong>ein</strong>, [272] demütig werden, soll s<strong>ein</strong>en Willen aufgeben<br />
gegen <strong>ein</strong>en fremden, der als Regel und Gesetz aufgestellt wird; er soll sich erniedrigen<br />
vor <strong>ein</strong>em Höheren: Selbsterniedrigung“. 1 In diesem Sinne versuchen uns die Pfaffen zur Erniedrigung<br />
vor dem höchsten Wesen, vor Gott, zu erziehen, und die Schulmeister uns zur Erniedrigung<br />
vor dem Ideal des Menschen.<br />
Das <strong>ein</strong>e ist Erziehung zur Gottesfurcht, das andere Erziehung zur Menschenfurcht.<br />
Gelingt es jedoch nicht mehr „Gespensterfurcht <strong>ein</strong>zujagen, so ist die Herrschaft der Gespenster<br />
zu Ende“. 2<br />
Die Zeit des Mittelalters definiert <strong>Stirner</strong> in s<strong>ein</strong>er episodenhaften, geschichtlichen Reflexion,<br />
als jene, „in welcher man sich mit dem Wahne begnügte, die Wahrheit zu haben, ohne<br />
daß man daran ernstlich dachte, ob man selbst vielleicht wahr s<strong>ein</strong> müsse, um die Wahrheit<br />
zu besitzen“. 3<br />
Man versuchte mit dem „dinglichen Bewußts<strong>ein</strong>“ das „Undingliche“ 4 zu fassen. All<strong>ein</strong> es gelang<br />
nicht.<br />
„Erst Luther, mit welchem das sogenannte Mittelalter endet, begriff, daß der Mensch selber<br />
<strong>ein</strong> anderer werden müsse, wenn er die Wahrheit auffassen wolle, nämlich ebenso wahr, als<br />
die Wahrheit selbst. Nur wer die Wahrheit schon im Glauben hat, nur wer an sie glaubt, kann<br />
ihrer teilhaftig werden, d. h. nur der Gläubige findet sie zugänglich und ergründet die Tiefen<br />
derselben.“ 5<br />
Derjenige, der nur Sinnliches, Gegenständliches, Dingliches zu denken vermag, für den ist<br />
die Wahrheit nur Dingliches. Da die Wahrheit aber Geist ist, „Unsinnliches“, daher ist sie<br />
„nur für das ,höhere Bewußts<strong>ein</strong>‘, nichts für das ,irdisch gesinnte‘“. 6<br />
[273] Somit geht „mit Luther die Erkenntnis auf, daß die Wahrheit, weil sie Gedanke ist, nur<br />
für den denkenden Menschen sei. Und dies heißt, daß der Mensch fortan <strong>ein</strong>en schlechthin<br />
anderen Standpunkt <strong>ein</strong>nehmen müsse, nämlich den himmlischen, gläubigen, wissenschaftlichen,<br />
oder den Standpunkt des Denkens gegenüber s<strong>ein</strong>em Gegenstande dem <strong>–</strong> Gedanken,<br />
den Standpunkt des Geistes gegenüber dem Geiste. Also: Nur der Gleiche erkennt den Gleichen!<br />
,Du gleichst dem Geist, den Du begreifst‘“. 7<br />
<strong>Stirner</strong> vertritt die Ansicht, daß der Protestantismus die mittelalterliche Hierarchie bloß geknickt,<br />
aber nicht gebrochen habe. Er war bloß <strong>ein</strong>e „Reformation“, „also <strong>ein</strong>e Auffrischung<br />
der veralteten Hierarchie ... und erst die Reformation stählte die Kraft der Hierarchie“. 8<br />
Und zwar aus dem Grund, so m<strong>ein</strong>t er, daß „die Geisterherrschaft oder Geistesfreiheit <strong>–</strong> was<br />
auf Eins hinauskommt <strong>–</strong> ... nie zuvor so umfassend und allmächtig gewesen [sei], weil die<br />
jetzige, statt das religiöse Prinzip von Kunst, Staat und Wissenschaft loszureißen, vielmehr<br />
diese ganz aus der Weltlichkeit in das ,Reich des Geistes‘ erhob und religiös machte“. 9<br />
Um dies zu beweisen, stellt er Luther und Descartes neben<strong>ein</strong>ander:<br />
„,Wer glaubt, ist <strong>ein</strong> Gott‘ und ,Ich denke, also bin Ich‘ (cogito, ergo sum). Der Himmel des<br />
Menschen ist das Denken, der <strong>–</strong> Geist. Alles kann ihm entrissen werden, das Denken nicht,<br />
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