Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?
Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels? Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?
OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig – 12.09.2009 Diejenigen, welche uns gezeigt haben, „daß auch Unsere Vernunft, unser Herz usw. auf Gott führe, haben damit eben gezeigt, daß Wir durch und durch besessen sind“. 1 Dadurch verärgerten sie zwar die Theologen, eröffneten aber der Religion, der Geistesfreiheit, noch mehr Raum, denn „wenn der Geist nicht länger auf das Gefühl oder den Glauben beschränkt ist, sondern auch als Verstand, Vernunft und Denken überhaupt sich, dem Geiste, angehört, also auch in der Form des Verstandes usw., an den geistigen und himmlischen Wahrheiten teilnehmen darf, dann ist der ganze Geist nur mit Geistigem, d. h. mit sich beschäftigt, also frei“. 2 So erst konnte sich die Sittlichkeit in Opposition zur Frömmigkeit setzen, denn „das Prinzip der neben der Frömmigkeit nicht bloß beihergehenden, sondern auf eigenen Füßen stehenden Sittlichkeit liegt nicht mehr in den göttlichen Geboten, sondern im Vernunftgesetze“. 3 Darin bestimmt sich der Mensch „aus sich selbst“, der „vernünftig“ ist und aus dessen Wesen „ergeben sich jene Gesetze mit Notwendigkeit“. 4 „Frömmigkeit und Sittlichkeit scheiden sich darin voneinander, daß jene Gott, diese den Menschen zum Gesetzgeber macht.“ 5 [257] Auf dem Standpunkt der Sittlichkeit bestehen für den Menschen nun zwei Möglichkeiten, welchen er sich unterwerfen kann: „Entweder treibt den Menschen seine Sinnlichkeit, und er ist, ihr folgend, unsittlich, oder es treibt ihn das Gute, welches, in den Willen aufgenommen, sittliche Gesinnung (Gesinnung und Eingenommenheit für das Gute) heißt: dann beweist er sich als sittlich.“ 6 Der Sittlichste ist für ihn jener, „wer am gesetzlichsten gesinnt ist“, denn „man soll das Gesetz, die Satzung in sich tragen“. 7 Dieser Gleichsetzung des Sittlichen mit dem Gesetzlichen, der „Loyalität“ 8 steht die Ungesetzlichkeit, der „Ungehorsam gegen das Gesetz“ 9 , als das Unsittliche entgegen. Aus diesem Grunde ist für Stirner das Gedeihen von „gewisse[n] Oppositionen“ in der Neuzeit, der „Zeit der Neuen“ nicht möglich, da sie „die Bahn der Sittlichkeit oder Gesetzlichkeit nicht verlassen wollen“. 10 Diese, in der Bürgerlichkeit begründet, ist „von dem religiösen Himmel noch zu wenig entfernt und frei, um nicht die Gesetze desselben kritiklos und ohne Weiteres nur auf ihr Gebiet herüber zu verpflanzen, statt eigene und selbständige Lehren zu erzeugen“. 11 Erst dann, wenn sich die „zur Menschlichkeit vollendete Sittlichkeit“ mit der Religion, „aus welcher sie geschichtlich hervorgegangen, ... völlig auseinandergesetzt hat, so hindert sie nichts, auf eigene Hand Religion zu werden. [258] Denn zwischen Religion und Sittlichkeit waltet nur so lange ein Unterschied ob, als unsere Beziehung zur Menschenwelt durch unser Verhältnis zu einen übermenschlichen Wesen geregelt und geheiligt werden, oder so lange als unser Tun ein Tun ,um Gottes willen‘ ist: Kommt es hingegen dahin, daß ,dem Menschen der Mensch das höchste Wesen ist‘, so verschwindet jener Unterschied, und die Sittlichkeit vollendet sich, indem sie ihrer untergeordneten Stellung entrückt wird, zur – Religion“. 12 1 EE 53. 2 EE 53. 3 EE 54. 4 EE 54. 5 EE 54. 6 EE 54. 7 EE 55. 8 EE 55. 9 EE 55. 10 EE 55. 11 EE 60 f. 12 EE 61 f.
OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig – 12.09.2009 Mit dem Sieg der Sittlichkeit tritt „ein vollständiger – Herrenwechsel“ ein; es entsteht „eine neue – Religion“. 1 Der Sparren, die „fixe Idee“ weist noch einige „formelle[n] Seiten“ 2 auf, die Stirner noch gerne angedeutet haben möchte, da es ihm nützlich erscheint. Diese formellen Seiten – meint Mackay – „zeigen uns in dem steten Kampf unserer eigenen Gefühle gegen die uns eingegebenen“. 3 Zu diesen formellen Seiten zählt Stirner u. a. die Selbstverleugnung, die Uneigennützigkeit, die Selbstaufopferung. „So ist die Selbstverleugnung den Heiligen gemein mit den Unheiligen, den Reinen und Unreinen. Der Unreine verleugnet alle ,besseren Gefühle‘, alle Scham, ja die natürliche Furchtsamkeit, und folgt nur der ihn beherrschenden Begierde. Der Reine verleugnet seine natürliche Beziehung zur Welt ... und folgt nur dem ihn beherrschenden ,Verlangen‘.“ 4 Beiden ist gemein, daß sowohl der „Niedrige wie der Erhabene ... nach einem ,Gute‘ [langen], jener nach dem materiellen, dieser nach dem ideellen, dem sogenannten ,höchsten Gute‘, und beide ergänzen zuletzt auch einander wieder, indem der ,materiell Gesinnte‘ einem ideellen Schemen Alles [259] opfert, seiner Eitelkeit, der ,geistlich Gesinnte‘ einem materiellen Genusse, dem Wohlleben“. 5 Ebenso scheint es ihm mit der Uneigennützigkeit, denn „Dir sollst Du nutzen, und doch sollst Du Deinen Nutzen nicht suchen“. 6 So vermeint Stirner, daß man sowohl den „Wohltäter der Menschen“ als auch den „Fanatiker“ für uneigennützig hält. Wo aber beginnt diese Uneigennützigkeit? „Gerade da, wo ein Zweck aufhört, Unser Zweck und Unser Eigentum, mit dem Wir als Eigentümer nach Belieben schalten können, zu sein. ... Man ist nicht uneigennützig, solange man den Zweck in seiner Gewalt behält; man wird es erst bei jenem ,Hier steh‘ ich, ich kann nicht anders‘, dem Kernspruch aller Besessenen, man wird es bei einem heiligen Zwecke durch den entsprechenden heiligen Eifer.“ 7 Die „fixe Idee“ läßt sich auch als „Grundsatz, Prinzip, Standpunkt“ 8 vernehmen, als „Standpunkt außerhalb der Erde“ 9 , nach dem die Menschen fortwährend suchten, den sie so gut sie vermochten, einnahmen. „Dieser fremde Standpunkt ist die Welt des Geistes, der Ideen, Gedanken, Begriffe, Wesen usw.; es ist der Himmel. Der Himmel ist der ,Standpunkt‘, von welchem aus die Erde bewegt, das irdische Treiben überschaut ... wird. Sich den Himmel zu sichern, den himmlischen Standpunkt fest und auf ewig einzunehmen, wie schmerzlich und unermüdlich rang darnach die Menschheit.“ 10 Für Stirner bedeutet das Christentum jenes Bestreben, den Menschen von seiner Naturbestimmung, von den Antrieben der Begierde zu erlösen. Nicht in dem Sinne, daß der Mensch keine Begierden haben solle, sondern, daß die Begierde nicht ihn haben soll. [260] Auf dem Weg zur „Auflösung des Geistes“ 11 überträgt er nun die Machination des 1 EE 62. 2 EE 63. 3 Mackay: Stirner. S. 136. 4 EE 64. 5 EE 64. 6 EE 65. 7 EE 65 f. 8 EE 67. 9 EE 67. 10 EE 67. 11 EE 68.
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Mit dem Sieg der Sittlichkeit tritt „<strong>ein</strong> vollständiger <strong>–</strong> Herrenwechsel“ <strong>ein</strong>; es entsteht<br />
„<strong>ein</strong>e neue <strong>–</strong> Religion“. 1<br />
Der Sparren, die „fixe Idee“ weist noch <strong>ein</strong>ige „formelle[n] Seiten“ 2 auf, die <strong>Stirner</strong> noch<br />
gerne angedeutet haben möchte, da es ihm nützlich ersch<strong>ein</strong>t.<br />
Diese formellen Seiten <strong>–</strong> m<strong>ein</strong>t Mackay <strong>–</strong> „zeigen uns in dem steten Kampf unserer eigenen<br />
Gefühle gegen die uns <strong>ein</strong>gegebenen“. 3<br />
Zu diesen formellen Seiten zählt <strong>Stirner</strong> u. a. die Selbstverleugnung, die Uneigennützigkeit,<br />
die Selbstaufopferung. „So ist die Selbstverleugnung den Heiligen gem<strong>ein</strong> mit den<br />
Unheiligen, den R<strong>ein</strong>en und Unr<strong>ein</strong>en. Der Unr<strong>ein</strong>e verleugnet alle ,besseren Gefühle‘, alle<br />
Scham, ja die natürliche Furchtsamkeit, und folgt nur der ihn beherrschenden Begierde. Der<br />
R<strong>ein</strong>e verleugnet s<strong>ein</strong>e natürliche Beziehung zur Welt ... und folgt nur dem ihn beherrschenden<br />
,Verlangen‘.“ 4<br />
Beiden ist gem<strong>ein</strong>, daß sowohl der „Niedrige wie der Erhabene ... nach <strong>ein</strong>em ,Gute‘ [langen],<br />
jener nach dem materiellen, dieser nach dem ideellen, dem sogenannten ,höchsten Gute‘,<br />
und beide ergänzen zuletzt auch <strong>ein</strong>ander wieder, indem der ,materiell Gesinnte‘ <strong>ein</strong>em<br />
ideellen Schemen Alles [259] opfert, s<strong>ein</strong>er Eitelkeit, der ,geistlich Gesinnte‘ <strong>ein</strong>em materiellen<br />
Genusse, dem Wohlleben“. 5<br />
Ebenso sch<strong>ein</strong>t es ihm mit der Uneigennützigkeit, denn „Dir sollst Du nutzen, und doch<br />
sollst Du D<strong>ein</strong>en Nutzen nicht suchen“. 6<br />
So verm<strong>ein</strong>t <strong>Stirner</strong>, daß man sowohl den „Wohltäter der Menschen“ als auch den „Fanatiker“<br />
für uneigennützig hält. Wo aber beginnt diese Uneigennützigkeit?<br />
„Gerade da, wo <strong>ein</strong> Zweck aufhört, Unser Zweck und Unser Eigentum, mit dem Wir als Eigentümer<br />
nach Belieben schalten können, zu s<strong>ein</strong>. ... Man ist nicht uneigennützig, solange<br />
man den Zweck in s<strong>ein</strong>er Gewalt behält; man wird es erst bei jenem ,Hier steh‘ ich, ich kann<br />
nicht anders‘, dem Kernspruch aller Besessenen, man wird es bei <strong>ein</strong>em heiligen Zwecke<br />
durch den entsprechenden heiligen Eifer.“ 7<br />
Die „fixe Idee“ läßt sich auch als „Grundsatz, Prinzip, Standpunkt“ 8 vernehmen, als „Standpunkt<br />
außerhalb der Erde“ 9 , nach dem die Menschen fortwährend suchten, den sie so gut sie<br />
vermochten, <strong>ein</strong>nahmen.<br />
„Dieser fremde Standpunkt ist die Welt des Geistes, der Ideen, Gedanken, Begriffe, Wesen<br />
usw.; es ist der Himmel. Der Himmel ist der ,Standpunkt‘, von welchem aus die Erde bewegt,<br />
das irdische Treiben überschaut ... wird. Sich den Himmel zu sichern, den himmlischen<br />
Standpunkt fest und auf ewig <strong>ein</strong>zunehmen, wie schmerzlich und unermüdlich rang darnach<br />
die Menschheit.“ 10<br />
Für <strong>Stirner</strong> bedeutet das Christentum jenes Bestreben, den Menschen von s<strong>ein</strong>er Naturbestimmung,<br />
von den Antrieben der Begierde zu erlösen. Nicht in dem Sinne, daß<br />
der Mensch k<strong>ein</strong>e Begierden haben solle, sondern, daß die Begierde nicht ihn haben<br />
soll.<br />
[260] Auf dem Weg zur „Auflösung des Geistes“ 11 überträgt er nun die Machination des<br />
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3 Mackay: <strong>Stirner</strong>. S. 136.<br />
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