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Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?

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OCR-Texterkennung und Copyright by <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> Archiv Leipzig <strong>–</strong> 12.09.2009<br />

gegen die frommen Christen eifert, so sehr ist er dennoch selbst Christ geblieben, nämlich <strong>ein</strong><br />

sittlicher Christ“, denn, und darin liegt der Grund: „Der sittliche Glaube ist so fanatisch als<br />

der religiöse!“ 1<br />

Bei dem Ketzer handelt es sich jedoch nicht mehr um <strong>ein</strong>en Ketzer wider den Glauben, sondern<br />

um <strong>ein</strong>en „Ketzer gegen die r<strong>ein</strong>e Sitte“. 2<br />

Es wird an die Stelle Gottes die Sittlichkeit gesetzt. Das höchste Wesen wird angefochten<br />

„zu Gunsten <strong>ein</strong>es <strong>–</strong> andern höchsten Wesens“. 3<br />

<strong>Stirner</strong> verdeutlicht dies mit <strong>ein</strong>em Ausspruch aus Proudhons „De la Création de l‘Ordre<br />

dans l‘Humanite ou Principes d‘Organisation politique“: „Der Mensch ist bestimmt, ohne<br />

Religion zu leben, aber das Sittengesetz (la loi morale) ist ewig und absolut. Wer würde es<br />

heute wagen, die Moral anzugreifen?“ 3a<br />

<strong>Stirner</strong> begreift in diesem Machtwechsel, diesem „Herrenwechsel“ <strong>ein</strong>en vollständigen Wandel,<br />

wenn erst <strong>ein</strong>mal die Sittlichkeit gesiegt hat. Dieser Wandel ist „nicht mehr <strong>ein</strong> ,heiliger‘,<br />

sondern <strong>ein</strong> ,menschlicher‘“. 4<br />

[255] Diesen Schritt rechtfertigt er damit: „Den Gott aus s<strong>ein</strong>em Himmel zu vertreiben und<br />

der ,Transzendenz‘ zu berauben, das kann noch k<strong>ein</strong>en Anspruch auf vollkommene Besiegung<br />

begründen, wenn er dabei nur in die Menschenbrust gejagt, und mit unvertilgbarer Immanenz<br />

beschenkt wird. Nun heißt es: Das Göttliche ist das wahrhaft Menschliche!<br />

Dieselben Leute, welche dem Christentum als der Grundlage des Staates, d. h. dem sogenannten<br />

christlichen Staate widerstreben, werden nicht müde zu wiederholen, daß die Sittlichkeit<br />

,der Grundpfeiler des gesellschaftlichen Lebens und des Staates‘ sei. Als ob nicht die<br />

Herrschaft der Sittlichkeit <strong>ein</strong>e vollkommene Herrschaft des Heiligen, <strong>ein</strong>e ,Hierarchie‘ wäre.“<br />

5<br />

<strong>Stirner</strong> verweist beiläufig auf die „aufklärende Richtung“, die, nachdem die Theologen darauf<br />

bestanden, daß „nur der Glaube fähig [sei], die Religionswahrheiten zu fassen, ... mit der<br />

Behauptung hervorbrach[en], daß auch der ,natürliche Verstand‘, die menschliche Vernunft<br />

fähig sei, Gott zu erkennen. Was heißt das anders, als daß auch die Vernunft darauf Anspruch<br />

macht, ... daß der ganze Mensch mit allen s<strong>ein</strong>en Fähigkeiten sich als religiös erwies; Herz<br />

und Gemüt, Verstand und Vernunft, Fühlen, Wissen und Wollen, kurz Alles am Menschen<br />

erschien religiös“. 6<br />

Dabei gedenkt er Hegel, der <strong>–</strong> für <strong>Stirner</strong> <strong>–</strong> „gezeigt [hat], daß selbst die Philosophie religiös<br />

sei. Und was wird heutigen Tages nicht Alles Religion genannt? Die ,Religion der Liebe‘,<br />

die ,Religion der Freiheit‘, die ,politische Religion‘, kurz jeder Enthusiasmus“. 7<br />

Religion drückt für ihn „den Begriff der Gebundenheit“ 8 aus, und <strong>–</strong> da der Geist frei ist <strong>–</strong><br />

„wäre die richtige affirmative Übersetzung des Wortes Religion die <strong>–</strong> ,Geistesfreiheit‘“! Bei<br />

wem der Geist frei ist, der ist gerade in [256] derselben Weise religiös, wie derjenige <strong>ein</strong><br />

sinnlicher Mensch heißt, bei welchem die Sinne freien Lauf haben. Jenen bindet der Geist,<br />

diesen die Lüste. Gebundenheit oder religio ist also die Religion in Beziehung ... auf den<br />

Geist: der Geist ist frei oder hat Geistesfreiheit“. 9<br />

1 EE 48, 49.<br />

2 EE 50.<br />

3 EE 50.<br />

3a EE 50.<br />

4 EE 62.<br />

5 EE 51 f.<br />

6 EE 52.<br />

7 EE 52.<br />

8 EE 52.<br />

9 EE 52 f.

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