Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?
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OCR-Texterkennung und Copyright by <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> Archiv Leipzig <strong>–</strong> 12.09.2009<br />
„Wie ich Mich hinter den Dingen finde, und zwar als Geist, so muß Ich Mich später auch<br />
hinter den Gedanken finden, nämlich als ihr Schöpfer und Eigner. In der Geisterzeit wuchsen<br />
Mir die Gedanken über den Kopf, dessen Geburten sie doch waren; wie Fieberphantasien umschwebten<br />
und erschütterten sie Mich, <strong>ein</strong>e schauervolle Macht. Die Gedanken waren für sich<br />
selbst leibhaftig geworden, waren Gespenster, wie Gott, Kaiser, Papst, Vaterland usw. Zerstöre<br />
ich ihre Leibhaftigkeit, so nehme Ich sie in die M<strong>ein</strong>ige zurück und sage: Ich all<strong>ein</strong> bin<br />
leibhaftig. Und nun nehme Ich die Welt als das, was sie Mir ist, als die M<strong>ein</strong>ige, als M<strong>ein</strong> Eigentum:<br />
Ich beziehe alles auf Mich.<br />
Stieß Ich als Geist die Welt zurück ..., so stoße Ich als Eigner die Geister oder Ideen zurück<br />
...“ 1<br />
[234] S<strong>ein</strong>en ontogenetischen Entwicklungsprozeß faßt <strong>Stirner</strong> folgendermaßen zusammen:<br />
„Das Kind war realistisch, in den Dingen dieser Welt befangen, bis ihm nach und nach hinter<br />
eben diese Dinge zu kommen gelang; der Jüngling war idealistisch, von Gedanken begeistert,<br />
bis es sich zum Manne hinaufarbeitete, dem egoistischen, der mit den Dingen und Gedanken<br />
nach Herzenslust gebahrt und s<strong>ein</strong> persönliches Interesse über alles setzt. Endlich der<br />
Greis? Wenn ich <strong>ein</strong>er werde, so ist noch Zeit genug, davon zu sprechen.“ 2<br />
4. <strong>Hegels</strong> „phylogenetische Konstruktion“ versus<br />
<strong>Stirner</strong>s „Menschen der alten und neuen Zeit“<br />
4. 1. <strong>Hegels</strong> „phylogenetische Konstruktion“ der Weltgeschichte“<br />
Formal ist <strong>ein</strong>e Über<strong>ein</strong>stimmung zwischen Hegel und <strong>Stirner</strong> gegeben, aber <strong>–</strong> und hier<br />
pflichte ich Bernd Kast bei <strong>–</strong> diese kann leicht „über die grundsätzlichen Unterschiede hinwegtäuschen,<br />
die zwischen <strong>Hegels</strong> Konstruktion und <strong>Stirner</strong>s Schematisierung dieser Konstruktion<br />
bestehen“. 3<br />
Die formale Über<strong>ein</strong>stimmung, die wir bezüglich der Ontogenese gesehen haben, besteht<br />
auch in Bezug auf die Phylogenese, wie sie Hegel in s<strong>ein</strong>er Einteilung der „Vorlesungen<br />
über die Philosophie der Geschichte“ vornimmt.<br />
[235] Gemäß s<strong>ein</strong>er „Reihe der Lebensalter“ 4 verfährt Hegel auch beim „Gang der Weltgeschichte“,<br />
dem „große(n) Tagwerk des Geistes“. 5<br />
Für ihn geht die Weltgeschichte <strong>–</strong> „in der geographischen Übersicht ist im allgem<strong>ein</strong>en der<br />
Zug der Weltgeschichte angegeben worden“ 6 <strong>–</strong> „von Osten nach Westen, denn Europa ist<br />
schlechthin das Ende der Weltgeschichte, Asien der Anfang“. 7<br />
Sie ist „die Zucht von der Unbändigkeit des natürlichen Willens zum Allgem<strong>ein</strong>en und zur<br />
subjektiven Freiheit. Der Orient wußte und weiß nur, daß Einer frei ist, die griechische und<br />
römische Welt, daß Einige frei seien, die germansiche Welt weiß, daß Alle frei sind. Die erste<br />
Form, die wir daher in der Weltgeschichte sehen, ist der Despotismus, die zweite ist die Demokratie<br />
und Aristokratie, und die dritte ist die Monarchie“. 8<br />
So wie die „Sonne, das Licht ... im Morgenlande auf[geht]“ 9 , ist es „das erste, womit wir anzufangen<br />
haben, ... der Orient. Dieser Welt liegt das unmittelbare Bewußts<strong>ein</strong>, die substantielle<br />
Geistigkeit zugrunde, zu welcher sich der subjektive Wille zunächst als Glaube, Zutrau-<br />
1 EE 14 f.<br />
2 EE 15.<br />
3 Kast, B.: Eigner. S. 134.<br />
4 Hegel: Werke. Bd. 10. S. 76.<br />
5 Ebd., S. 134.<br />
6 Ebd., S. 133.<br />
7 Ebd., S. 134.<br />
8 Ebd.<br />
9 Ebd., S. 133.