Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?

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OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig 12.09.2009 Abschließend bemerkt, sieht Kant „die Geschichte der Menschengattung im Großen als die Vollziehung eines verborgenen Plans der Natur (an) ..., um eine innerlich- und zu diesem Zwecke auch äußerlich-vollkommene Staatsverfassung zu Stande zu bringen, als den einzigen Zustand, in welchem sie alle ihre Anlagen in der Menschheit völlig entwickeln kann.“ 1 Die darin enthaltene Friedenssicherung durch den Staatenbund erhält für Kant eine zentrale Bedeutung und er greift diesen Gedanken in späteren Jahren in seiner Schrift „Zum Ewigen Frieden“ wieder auf. In der Einführung zu dieser Schrift Reclam-Ausgabe 1973 [17] herausgegeben von Theodor Valentiner heißt es, daß die Idee des ewigen Friedens zu den Vernunftbegriffen gehört, „die die Möglichkeit der Erfahrung übersteigen, ..., zu den Begriffen, bei denen die Vernunft nur eine systematische Einheit in Sinne hat, der sie die empirisch mögliche Einheit zu nähern sucht, ohne sie jemals völlig zu erreichen. Kurz gesagt: Nicht das Ziel ist es, das uns in der Schrift ‚Zum ewigen Frieden‘ beschäftigt das Ziel werden wir doch nie erreichen, es liegt in unendlicher Ferne , vielmehr ist es eine ganz reale Aufgabe, die Kant stellt und an deren Lösung wir mit Erfolg arbeiten können, nämlich die Aufgabe, den Weg zu finden, auf dem wir uns diesem Ziel nähern.“ 2 In den Präliminarartikeln des ersten Abschnittes stellt Kant für den ewigen Frieden unter Staaten folgende Forderungen auf, daß „kein Friedensschluß für einen solchen gelten soll, der mit dem geheimen Vorbehalt des Stoffs zu einem künftigen Krieg gemacht werde“; daß „kein für sich bestehender Staat von einem anderen Staate ... erworben werden könne“, da der Staat nicht „eine Habe“, sondern „eine Gesellschaft von Menschen, über die niemand anders, als er selbst, zu gebieten und zu disponieren hat“; daß „stehende Heere ... mit der Zeit ganz aufhören“ sollen; „keine Staatsschulden in Beziehung auf äußere Staatshändel gemacht werden“; daß „kein Staat sich in die Verfassung und Regierung eines anderen Staats gewalttätig einmischen“ solle und „sich kein Staat im Kriege mit einem andern solche Feindseligkeiten erlaube, welche das wechselseitige Zutrauen im künftigen Frieden unmöglich machen müssen ...“ 3 Der Friedenszustand unter Menschen, die nebeneinander leben, ist für Kant kein Naturzustand, sondern „vielmehr ein Zustand des Krieges ..., d. i. wenngleich nicht immer [18] ein Ausbruch der Feindseligkeiten, doch immerwährende Bedrohung mit denselben.“ 4 Friede muß „gestiftet“ werden. Da Völker, als Staaten, wie einzelne Menschen beurteilt werden können, sieht Kant ein auf einen Föderalismus freier Staaten gegründetes Völkerrecht vor. Zu diesem Zwecke sollen sie „in eine, der bürgerlichen ähnliche, Verfassung“ treten. Dies wäre ein Völkerbund, dessen Gedanke bereits in der ‚Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht‘ zum Ausdruck gekommen ist. Hinsichtlich der innerstaatlichen Verhältnisse soll die bürgerliche Verfassung in jedem Staat republikanisch sein, die erstens „nach Prinzipien der Freiheit der Glieder einer Gesellschaft (als Menschen); zweitens nach Grundsätzen der Abhängigkeit aller von einer einzigen gemeinsamen Gesetzgebung (als Untertan); und drittens, die nach dem Gesetz der Gleichheit derselben (als Staatsbürger) gestiftet“ wird. 5 Die republikanische Verfassung wollte er nicht mit der demokratischen verwechselt haben. Als Staatsformen bezeichnet er Monarchie, Aristokratie und Demokratie, wobei ihm unter den drei Staatsformen die Demokratie, „im eigentlichen Verstande des Wortes, notwendig ein 1 Ebd. S. 33. 2 Kant, I.: Zum ewigen Frieden. Stuttgart 1973. S. 4. 3 Ebd. S. 15 ff. 4 Ebd. S. 23. 5 Ebd. S. 24 f.

OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig 12.09.2009 Despotismus“ war, „weil sie eine exekutive Gewalt gründet, da alle über und allenfalls auch wider einen (der also nicht mit einstimmt), mithin alle, die doch nicht alle sind, beschließen; welches ein Widerspruch des allgemeinen Willens mit sich selbst und der Freiheit ist.“ 1 Für Kant könnte nur der Republikanismus „allmählich einen Zustand herbeiführen, wo allein das Gesetz selbstherrschend sei und an keiner besonderen Person hänge“, wenn Gewaltenteilung bestand. [19] Dafür nannte er drei Gewalten oder „den allgemeinen vereinigten Willen in dreifacher Person: die Herrschergewalt oder Souveränität in der des Gesetzgebers, die vollziehende Gewalt (zufolge dem Gesetz) in der des Regierers und die rechtsprechende Gewalt als Zuerkennung des Seinen eines jeden nach dem Gesetz in der des Richters. Keine der drei Gewalten durfte die Funktion der anderen usurpieren, aber sie mußten dennoch eng zusammenarbeiten, um jedem durch ihr Zusammenwirken sein Recht zukommen zu lassen. Nur wenn der Gesetzgeber die Gesetze nicht zugleich auch vollzog, hielt Kant die Freiheit für gewährleistet.“ 2 Dieser kurze Abschnitt über Immanuel Kant (1742-1804) will nicht den Anspruch der Vollständigkeit erheben; ebenso wie die Beschränkung auf vier seiner Schriften wobei zwei davon als Hauptwerke (‚Kritik der reine Vernunft‘ und ‚Kritik der praktischen Vernunft‘) zu bezeichnen sind und die beiden (‚Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht‘ und ‚Zum Ewigen Frieden‘) eher als kleinere Schriften gelten, was ihrer Bedeutung keinen Abbruch tut eher als Rahmenbedingung für den weiteren Gang dieser Arbeit mitwirken sollen. Kants Schritt von der „Philosophie der Welt zur Philosophie des Ich“ (Kroner) soll auch dieser Arbeit ein Ausgangspunkt sein für den „Gang des Deutschen Idealismus“ (Kroner), den dieser nahm, bis hin zur Spaltung der Hegel-Schule nach dem Tod des „Meisters“. Dieser Spaltung soll noch ausreichend Raum geboten werden, ehe dem tatsächlichen Anliegen nachgegangen werden soll, nämlich dem Vergleich der Hegelschen Rechtsphilosophie in ausgewählten Begriffen (Freiheit und Eigentum) mit dem Werk Max Stirners („Der Einzige und sein Eigentum“), dem wohl radikalsten Schüler Hegels. [20] Die Methode einer philosophiegeschichtlichen, einer biographischen und einer systematischen Betrachtung scheint, durch die Anhäufung philosophischer Geister und die Fülle der daraus geborenen Gedankengänge und -gebäude im ausgehenden 18. und folgenden 19. Jahrhundert, durchaus seine Berechtigung zu haben, obwohl sicherlich manchmal die Qualität darunter leiden mag, jedoch zum Zwecke eines Überblicks und zum Verständnis der Zusammenhänge eine innere Notwendigkeit besteht, da die Gedanken ineinander übergehen oder aufeinander aufbauen. Dies gilt nicht bloß für die Zeit bis zur Hochblüte des Deutschen Idealismus in Hegel, welcher bereits mit Kant seine Eingrenzung erfährt, sondern ebenso für die Zeit des revolutionären Bruchs im philosophisch-politischen Denken des 19. Jahrhunderts nach Hegels Tod. Um den Umfang dieser Arbeit nicht zu sprengen, seien nur zwei Akteure auf der Bühne der Philosophie dieser Epoche in vergleichender Weise herausgegriffen. Kants Kritizismus vollendet und überwindet die Aufklärung, hat „dabei jedoch in der Hauptsache die rationalen Denkmittel des 18. Jahrhunderts eingesetzt. Seine Transzendentalphilosophie überwölbte einen rational-irrationalen Problemgrund, aber daß die kritischen Unterscheidungen und Grenzbestimmungen allesamt analytisch-synthetischen Verstandesbeziehungen verdankt wurden, war nicht zu übersehen“. 3 1 Ebd. S. 28. 2 Fenske, H. Geschichte der politischen Ideen. S. 388. 3 Glockner, Hermann: Die europäische Philosophie. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Stuttgart 1958. Reclam. S. 679.

OCR-Texterkennung und Copyright by <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> Archiv Leipzig <strong>–</strong> 12.09.2009<br />

Despotismus“ war, „weil sie <strong>ein</strong>e exekutive Gewalt gründet, da alle über und allenfalls auch<br />

wider <strong>ein</strong>en (der also nicht mit <strong>ein</strong>stimmt), mithin alle, die doch nicht alle sind, beschließen;<br />

welches <strong>ein</strong> Widerspruch des allgem<strong>ein</strong>en Willens mit sich selbst und der Freiheit ist.“ 1<br />

Für Kant könnte nur der Republikanismus „allmählich <strong>ein</strong>en Zustand herbeiführen, wo all<strong>ein</strong><br />

das Gesetz selbstherrschend sei und an k<strong>ein</strong>er besonderen Person hänge“, wenn Gewaltenteilung<br />

bestand.<br />

[19] Dafür nannte er drei Gewalten oder „den allgem<strong>ein</strong>en ver<strong>ein</strong>igten Willen in dreifacher<br />

Person: die Herrschergewalt oder Souveränität in der des Gesetzgebers, die vollziehende Gewalt<br />

(zufolge dem Gesetz) in der des Regierers und die rechtsprechende Gewalt als Zuerkennung<br />

des S<strong>ein</strong>en <strong>ein</strong>es jeden nach dem Gesetz in der des Richters. K<strong>ein</strong>e der drei Gewalten<br />

durfte die Funktion der anderen usurpieren, aber sie mußten dennoch eng zusammenarbeiten,<br />

um jedem durch ihr Zusammenwirken s<strong>ein</strong> Recht zukommen zu lassen. Nur wenn der Gesetzgeber<br />

die Gesetze nicht zugleich auch vollzog, hielt Kant die Freiheit für gewährleistet.“ 2<br />

Dieser kurze Abschnitt über Immanuel Kant (1742-1804) will nicht den Anspruch der Vollständigkeit<br />

erheben; ebenso wie die Beschränkung auf vier s<strong>ein</strong>er Schriften <strong>–</strong> wobei zwei davon<br />

als Hauptwerke (‚Kritik der r<strong>ein</strong>e Vernunft‘ und ‚Kritik der praktischen Vernunft‘) zu<br />

bezeichnen sind und die beiden (‚Idee zu <strong>ein</strong>er allgem<strong>ein</strong>en Geschichte in weltbürgerlicher<br />

Absicht‘ und ‚Zum Ewigen Frieden‘) eher als kl<strong>ein</strong>ere Schriften gelten, was ihrer Bedeutung<br />

k<strong>ein</strong>en Abbruch tut <strong>–</strong> eher als Rahmenbedingung für den weiteren Gang dieser Arbeit mitwirken<br />

sollen.<br />

Kants Schritt von der „Philosophie der Welt zur Philosophie des Ich“ (Kroner) soll auch dieser<br />

Arbeit <strong>ein</strong> Ausgangspunkt s<strong>ein</strong> für den „Gang des Deutschen Idealismus“ (Kroner), den<br />

dieser nahm, bis hin zur Spaltung der Hegel-Schule nach dem Tod des „Meisters“.<br />

Dieser Spaltung soll noch ausreichend Raum geboten werden, ehe dem tatsächlichen Anliegen<br />

nachgegangen werden soll, nämlich dem Vergleich der <strong>Hegels</strong>chen Rechtsphilosophie <strong>–</strong><br />

in ausgewählten Begriffen (Freiheit und Eigentum) <strong>–</strong> mit dem Werk <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong>s („Der Einzige<br />

und s<strong>ein</strong> Eigentum“), dem wohl radikalsten <strong>Schüler</strong> <strong>Hegels</strong>.<br />

[20] Die Methode <strong>ein</strong>er philosophiegeschichtlichen, <strong>ein</strong>er biographischen und <strong>ein</strong>er systematischen<br />

Betrachtung sch<strong>ein</strong>t, durch die Anhäufung philosophischer Geister und die Fülle der<br />

daraus geborenen Gedankengänge und -gebäude im ausgehenden 18. und folgenden 19. Jahrhundert,<br />

durchaus s<strong>ein</strong>e Berechtigung zu haben, obwohl sicherlich manchmal die Qualität<br />

darunter leiden mag, jedoch zum Zwecke <strong>ein</strong>es Überblicks und zum Verständnis der Zusammenhänge<br />

<strong>ein</strong>e innere Notwendigkeit besteht, da die Gedanken in<strong>ein</strong>ander übergehen oder<br />

auf<strong>ein</strong>ander aufbauen.<br />

Dies gilt nicht bloß für die Zeit bis zur Hochblüte des Deutschen Idealismus in Hegel, welcher<br />

bereits mit Kant s<strong>ein</strong>e Eingrenzung erfährt, sondern ebenso für die Zeit des revolutionären<br />

Bruchs im philosophisch-politischen Denken des 19. Jahrhunderts nach <strong>Hegels</strong> Tod.<br />

Um den Umfang dieser Arbeit nicht zu sprengen, seien nur zwei Akteure auf der Bühne der<br />

Philosophie dieser Epoche in vergleichender Weise herausgegriffen.<br />

Kants Kritizismus vollendet und überwindet die Aufklärung, hat „dabei jedoch in der Hauptsache<br />

die rationalen Denkmittel des 18. Jahrhunderts <strong>ein</strong>gesetzt. S<strong>ein</strong>e Transzendentalphilosophie<br />

überwölbte <strong>ein</strong>en rational-irrationalen Problemgrund, aber daß die kritischen Unterscheidungen<br />

und Grenzbestimmungen allesamt analytisch-synthetischen Verstandesbeziehungen<br />

verdankt wurden, war nicht zu übersehen“. 3<br />

1 Ebd. S. 28.<br />

2 Fenske, H. Geschichte der politischen Ideen. S. 388.<br />

3 Glockner, Hermann: Die europäische Philosophie. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Stuttgart 1958.<br />

Reclam. S. 679.

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