Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?

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OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig 12.09.2009 übersinnliche Welt näher gebracht werden soll. „Dies geschieht durch die Schule in weit höherem Grad als in der Familie. In letzterer gilt das Kind in seiner unmittelbaren Einzelheit ... In der Schule dagegen verliert die Unmittelbarkeit des Kindes ihre Geltung ... hier wird es nicht mehr bloß geliebt, sondern nach allgemeinen Bestimmungen kritisiert und gerichtet, ... überhaupt einer allgemeinen Ordnung unterworfen ... So bildet die Schule den Übergang aus der Familie in die bürgerliche Gesellschaft.“ 1 Die nächste Stufe in der Reihe der Lebensalter ist das Jünglingsalter. In diesem reift der Knabe zum Jüngling, wenn „beim Eintritt der Pubertät das Leben der Gattung in ihm sich zu regen und Befriedigung zu suchen beginnt. Der Jüngling wendet sich überhaupt dem substantiellen Allgemeinen zu; sein Ideal erscheint ihm nicht mehr, wie dem Knaben, in der Person eines Mannes, sondern wird von ihm als ein von solcher Einzelheit unabhängiges Allgemeines aufgefaßt“. 2 Dieses Ideal hat im Jüngling jedoch noch eine „subjektive Gestalt“, worin „nicht nur dessen Gegensatz gegen die vorhandene Welt, sondern auch der Trieb, durch Verwirklichung des Ideals, diesen Gegensatz aufzuheben“ 3 , liegt. „Der Inhalt dieses Ideals flößt den Jüngling das Gefühl der Tatkraft ein; daher wähnt dieser sich berufen und befähigt, die Welt umzugestalten oder wenigstens die ihm aus den [224] Fugen gekommen scheinende Welt wieder einzurichten.“ 4 Der Friede, in dem das Kind noch lebt, wird durch den Jüngling gebrochen und es entsteht der Eindruck, durch die auf das Ideal gerichtete Zielsetzung, daß die Jugend „edleren Sinns und größerer Uneigennützigkeit“ 5 sei, als dies sich „in dem für seine besonderen, zeitlichen Interessen sorgenden Manne zeigt“. 6 So ist es Aufgabe und unmittelbarer Zweck des Jünglings, „sich zu bilden, um sich zur Verwirklichung seiner Ideale zu befähigen“ 7 , um beim Versuche dieser Verwirklichung zum Manne zu werden. Der Übergang aus dem idealen Leben in die bürgerliche Gesellschaft kann vom Jüngling durchaus als schmerzhaft empfunden werden. Da der Jüngling bis hierher sich „nur mit allgemeinen Dingen beschäftigt“ und nur für sich selbst gearbeitet hat, soll er nun im Prozeß der Mannwerdung, dabei ins praktische Leben tretend, „für andere tätig sein und sich mit Einzelheiten befassen“. 8 Der Mensch muß dabei gewärtig werden, daß das Vernünftige, Göttliche die absolute Macht besitzt, sich zu verwirklichen und es hat sich von jeher vollbracht. „Die Welt ist diese Verwirklichung der göttlichen Vernunft; nur auf ihrer Oberfläche herrscht das Spiel vernunftloser Zufälle.“ 9 Indem der Mann „den Plan einer gänzlichen Umgestaltung der Welt aufgibt und seine persönlichen Zwecke, Leidenschaften und Interessen nur in seiner Anschließung an die Welt zu verwirklichen strebt“ 10 , handelt er vernünftig. [225] Dem Manne bleibt, so meint Hegel, noch immer Raum zu „ehrenvoller, weitgreifender und schöpferischer Tätigkeit“ 11 , denn, obwohl die Welt als fertig anerkannt werden muß, ist sie nichts Totes, sondern wie der Lebensprozeß etwas Hervorbringendes, Fortschreitendes, 1 Ebd., S. 82 f. 2 Ebd., S. 83. 3 Ebd. 4 Ebd. 5 Ebd. 6 Ebd. 7 Ebd. 8 Ebd. 9 Ebd., S: 84. 10 Ebd. 11 Ebd.

OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig 12.09.2009 und eben in der Hervorbringung und Weiterführung „besteht die Arbeit des Mannes“. 1 Erst im Rückblick auf das Vergangene kann der Mann das Fortschreiten erkennen. „Diese Erkenntnis sowie die Einsicht in die Vernünftigkeit der Welt befreit ihn von der Trauer über die Zerstörung seiner Ideale.“ 2 Allen menschlichen Geschäften und Tätigkeiten ist etwas substantiell „nämlich das Rechtliche, das Sittliche und das Religiöse“. 3 Und in all diesen Sphären ihrer praktischen Tätigkeit können die Menschen Befriedigung und Ehre finden, vorausgesetzt, „daß die Bildung des zum Manne werdenden Jünglings vollendet sei“. 4 Aber nicht die bloße Bildung macht ihn zu einem vollkommen fertigen Menschen, sondern der Entschluß, für seinen Unterhalt zu sorgen, in dem er für andere tätig zu werden beginnt. „Indem nun der Mann ins praktische Leben übergeht, kann er wohl über den Zustand der Welt verdrießlich und grämlich sein und die Hoffnung auf ein Besserwerden desselben verlieren; trotz dessen haust er sich aber in die objektiven Verhältnisse ein und lebt in der Gewohnheit an dieselben und an seine Geschäfte“, aber „je länger der Mann nun in seinem Geschäfte tätig ist, desto mehr hebt sich ihm dies Allgemeine aus allen Besonderheiten heraus“. 5 [226] Die Tatsache jedoch, „daß seine Tätigkeit seinem Geschäft so vollkommen gemäß geworden ist, ... gerade durch dies vollendete Ausgebildetsein seiner Tätigkeit erlischt die Lebendigkeit derselben; denn zugleich mit dem Gegensatz des Subjekts und des Objekts verschwindet das Interesse des ersteren an dem letzteren“. 6 Jetzt erreicht der Mensch das letzte Stadium „durch die Gewohnheit des geistigen Lebens ebenso wie durch das Sichabstumpfen der Tätigkeit seines physischen Organismus“ 7 er wird zum Greis. Dieser lebt „ohne bestimmtes Interesse, da er die Hoffnung, früher gehegte Ideale verwirklichen zu können, aufgegeben hat und ihm die Zukunft überhaupt nichts Neues zu versprechen scheint“ und er „schon das Allgemeine, Wesentliche zu kennen glaubt. So ist der Sinn des Greises nur diesem Allgemeinen und der Vergangenheit zugewendet ...“ 8 Dies Leben schließt mit der abstrakten Negation der lebendigen Einzelheit dem Tode. Für Hegel schließt sich so „der Verlauf der Lebensalter des Menschen zu einer den Begriff bestimmten Totalität von Veränderungen ab, die durch den Prozeß der Gattung mit der Einzelheit hervorgebracht werden“. 9 [227] 3.2. Stirners „Menschenleben“ Dieser von Hegel reflexionslos übernommenen Ontogenese soll nun der Stirnersche Versuch der Erklärung eines Menschenlebens gegenübergestellt werden. „Stirner überschaut zunächst kurz das Leben eines Menschen: ein Menschenleben von seinem Beginn an bis zu seiner Reife. Er zeigt den Kampf des Kindes, des Realisten, sich zu gewinnen und zu behaupten, bis es, in den Dingen dieser Welt befangen, ihm gelang, hinter sie zu kommen; das Ringen des Jünglings, des Idealisten, mit der Vernunft, um den reinen Gedanken zu finden seine erste Selbstfindung: den Geist: und dessen langsame Überwin- 1 Ebd. 2 Ebd., S. 85. 3 Ebd. 4 Ebd. 5 Ebd. 6 Ebd., S. 85 f. 7 Ebd., S. 86. 8 Ebd. 9 Ebd.

OCR-Texterkennung und Copyright by <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> Archiv Leipzig <strong>–</strong> 12.09.2009<br />

und eben in der Hervorbringung und Weiterführung „besteht die Arbeit des Mannes“. 1<br />

Erst im Rückblick auf das Vergangene kann der Mann das Fortschreiten erkennen. „Diese<br />

Erkenntnis sowie die Einsicht in die Vernünftigkeit der Welt befreit ihn von der Trauer über<br />

die Zerstörung s<strong>ein</strong>er Ideale.“ 2<br />

Allen menschlichen Geschäften und Tätigkeiten ist etwas substantiell <strong>–</strong> „nämlich das Rechtliche,<br />

das Sittliche und das Religiöse“. 3<br />

Und in all diesen Sphären ihrer praktischen Tätigkeit können die Menschen Befriedigung<br />

und Ehre finden, vorausgesetzt, „daß die Bildung des zum Manne werdenden Jünglings vollendet<br />

sei“. 4<br />

Aber nicht die bloße Bildung macht ihn zu <strong>ein</strong>em vollkommen fertigen Menschen, sondern<br />

der Entschluß, für s<strong>ein</strong>en Unterhalt zu sorgen, in dem er für andere tätig zu werden beginnt.<br />

„Indem nun der Mann ins praktische Leben übergeht, kann er wohl über den Zustand der<br />

Welt verdrießlich und grämlich s<strong>ein</strong> und die Hoffnung auf <strong>ein</strong> Besserwerden desselben verlieren;<br />

trotz dessen haust er sich aber in die objektiven Verhältnisse <strong>ein</strong> und lebt in der Gewohnheit<br />

an dieselben und an s<strong>ein</strong>e Geschäfte“, aber „je länger der Mann nun in s<strong>ein</strong>em Geschäfte<br />

tätig ist, desto mehr hebt sich ihm dies Allgem<strong>ein</strong>e aus allen Besonderheiten heraus“. 5<br />

[226] Die Tatsache jedoch, „daß s<strong>ein</strong>e Tätigkeit s<strong>ein</strong>em Geschäft so vollkommen gemäß geworden<br />

ist, ... gerade durch dies vollendete Ausgebildets<strong>ein</strong> s<strong>ein</strong>er Tätigkeit erlischt die Lebendigkeit<br />

derselben; denn zugleich mit dem Gegensatz des Subjekts und des Objekts verschwindet<br />

das Interesse des ersteren an dem letzteren“. 6<br />

Jetzt erreicht der Mensch das letzte Stadium <strong>–</strong> „durch die Gewohnheit des geistigen Lebens<br />

ebenso wie durch das Sichabstumpfen der Tätigkeit s<strong>ein</strong>es physischen Organismus“ 7 <strong>–</strong> er<br />

wird zum Greis.<br />

Dieser lebt „ohne bestimmtes Interesse, da er die Hoffnung, früher gehegte Ideale verwirklichen<br />

zu können, aufgegeben hat und ihm die Zukunft überhaupt nichts Neues zu versprechen<br />

sch<strong>ein</strong>t“ und er „schon das Allgem<strong>ein</strong>e, Wesentliche zu kennen glaubt. So ist der Sinn des<br />

Greises nur diesem Allgem<strong>ein</strong>en und der Vergangenheit zugewendet ...“ 8<br />

Dies Leben schließt mit der abstrakten Negation der lebendigen Einzelheit <strong>–</strong> dem Tode.<br />

Für Hegel schließt sich so „der Verlauf der Lebensalter des Menschen zu <strong>ein</strong>er den Begriff<br />

bestimmten Totalität von Veränderungen ab, die durch den Prozeß der Gattung mit der Einzelheit<br />

hervorgebracht werden“. 9<br />

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3.2. <strong>Stirner</strong>s „Menschenleben“<br />

Dieser von Hegel reflexionslos übernommenen Ontogenese soll nun der <strong>Stirner</strong>sche Versuch<br />

der Erklärung <strong>ein</strong>es Menschenlebens gegenübergestellt werden.<br />

„<strong>Stirner</strong> überschaut zunächst kurz das Leben <strong>ein</strong>es Menschen: <strong>ein</strong> Menschenleben von s<strong>ein</strong>em<br />

Beginn an bis zu s<strong>ein</strong>er Reife. Er zeigt den Kampf des Kindes, des Realisten, sich zu<br />

gewinnen und zu behaupten, bis es, in den Dingen dieser Welt befangen, ihm gelang, hinter<br />

sie zu kommen; das Ringen des Jünglings, des Idealisten, mit der Vernunft, um den r<strong>ein</strong>en<br />

Gedanken zu finden <strong>–</strong> s<strong>ein</strong>e erste Selbstfindung: den Geist: und dessen langsame Überwin-<br />

1 Ebd.<br />

2 Ebd., S. 85.<br />

3 Ebd.<br />

4 Ebd.<br />

5 Ebd.<br />

6 Ebd., S. 85 f.<br />

7 Ebd., S. 86.<br />

8 Ebd.<br />

9 Ebd.

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