Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?
Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels? Harald Pamminger: Max Stirner – ein Schüler Hegels?
OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig – 12.09.2009 zidentiellen zuschreibt“. 1 Dabei darf er jedoch nicht stehen bleiben, sondern er muß sich „zu der Einsicht ... erheben, daß im Gegenteil die Welt als das Substantielle, das Individuum hingegen nur als Akzidenz zu betrachten ist“ 2 –, das heißt für Hegel, daß er in der ihm selbständig gegenüberstehenden Welt seine Betätigung und Befriedigung finden kann und sich die dafür notwendige Geschicklichkeit verschaffen muß. Wenn der Jüngling zu diesem Standpunkt gelangt ist, ist er zum Manne geworden. „In sich selber fertig, betrachtet der Mann auch die sittliche Weltordnung als eine nicht erst von ihm hervorzubringende, sondern als eine im Wesentlichen fertige. So ist er für, nicht gegen die Sache tätig, hat für, nicht gegen die Sache ein Interesse, steht somit, über die einseitige Subjektivität des Jünglings erhaben, auf dem Standpunkt der objektiven Geistigkeit.“ 3 Das Greisenalter wiederum bezeichnet Hegel als „Rückgang zur Interesselosigkeit an der Sache“. 4 Hegels Qntogenese nimmt nach dieser allgemeinen Bestimmung der Unterschiede der Lebensalter konkretere, nähere bestimmende Formen an. So unterscheidet er zuerst drei – da er das ungeborene, „mit der Mutter identische Kind“ 5 in den Kreis seiner Betrachtung aufnimmt – jedoch vier Entwicklungsstufen des Kindesalters: [220] 1. Das ungeborene Kind, dessen Leben für ihn dein einer Pflanze gleicht, „hat noch gar keine eigentliche Individualität“. 6 2. Das Kind, welches sich im Mutterleib in „diesem vegitativen Zustande“ 7 befindet, geht, zur Welt gebracht, „zur animalischen Weise des Lebens über“. 8 Die Geburt ist ein ungeheurer Sprung, denn durch diesen „kommt das Kind aus dem Zustand eines völlig gegensatzlosen Lebens in den Zustand der Absonderung“. 9 Durch das Atmen konstituiert sich das Kind zum ersten zu einem Selbständigen. Sein Körper verändert sich durch ständiges Wachsen – „nur eine Entwicklung des Organismus“ 10 , wobei Hegel hervorhebt, „daß im Menschen der tierische Organismus zu seiner vollkommensten Form gelangt“. 11 Während jedoch das Tier stumm ist und seinem Schmerz nur durch Stöhnen Ausdruck verleiht, „äußert das Kind das Gefühl seiner Bedürfnisse durch Schreien. Durch diese ideelle Tätigkeit zeigt sich das Kind sogleich von der Gewißheit durchdrungen, daß es von der Außenwelt die Befriedigung seiner Bedürfnisse zu fordern ein Recht habe, – daß die Selbständigkeit der Außenwelt gegen den Menschen eine nichtige ist“. 12 Was die geistige Entwicklung betrifft, so macht sich das Kind in dieser Phase mit allen Arten des Sinnlichen vertraut. „Die Außenwelt wird ihm hier ein Wirkliches.“ 13 [221] 3. Der Übergang vom Kindes- zum Knabenalter liegt darin, „daß sich die Tätigkeit des Kindes gegen die Außenwelt entwickelt, – daß dasselbe, indem es zum Gefühl der Wirklichkeit der Außenwelt gelangt, selbst zu einem wirklichen Menschen zu werden und sich als solchen zu fühlen beginnt, damit aber in die praktische Tendenz, sich in jener Wirklichkeit zu 1 Ebd., S. 78. 2 Ebd. 3 Ebd. 4 Ebd. 5 Ebd. 6 Ebd. 7 Ebd. 8 Ebd. 9 Ebd., S. 78 f. 10 Ebd., S. 79. 11 Ebd. 12 Ebd. 13 Ebd., S. 79 f.
OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig – 12.09.2009 versuchen, übergeht“. 1 Dies manifestiert sich dadurch, daß das Kind Zähne bekommt, stehen, gehen und sprechen lernt. Das Aufrechtstehen ist dem Menschen eigentümlich „und kann nur durch seinen Willen hervorgebracht werden; der Mensch steht nur, insofern er stehen will“. 2 Durch das Gehen erhält der Mensch ein „noch freieres Verhältnis zur Außenwelt“. 3 Aber erst die Sprache befähigt den Menschen, „die Dinge als allgemeine aufzufassen, zum Bewußtsein seiner eigenen Allgemeinheit, zum Aussprechen des Ich zu gelangen. Das Erfassen seiner Ichheit ist ein höchst wichtiger Punkt in der geistigen Entwicklung des Kindes; mit diesem Punkt beginnt dasselbe, aus seinem Versenktsein in die Außenwelt in sich zu reflektieren“. 4 4. Das Kind wird zum Knaben, wenn es vom Spielen – durch das Spielen mit den sinnlichen Dingen äußert sich die beginnende Selbständigkeit – „zum Ernst des Lernens übergeht“. 5 Hauptsache dabei ist es, meint Hegel, „das in ihnen erwachende Gefühl, daß sie noch nicht sind, was sie sein sollen, – und der lebendige Wunsch, zu werden, wie die Erwachsenen sind, in deren Umgebung sie leben“. 6 [222] Dem Bedürfnis groß und erwachsen zu werden, gesellt sich das „eigene Streben der Kinder nach Erziehung“ 7 bei. „Da aber der Knabe noch auf dem Standpunkt der Unmittelbarkeit steht, erscheint ihm das Höhere, zu welchem er sich erheben soll, nicht in der Form der Allgemeinheit oder der Sache, sondern in der Gestalt eines Gegebenen, eines Einzelnen, einer Autorität“, welche „das Ideal bildet, das der Knabe zu erkennen und nachzuahmen strebt; nur in dieser konkreten Weise schaut auf diesem Standpunkt das Kind sein eigenes Wesen an.“ 8 Bei der Erziehung muß das Gefühl der Autorität, als höheres Gegebenes, „sorgfältig“ festgehalten werden. Man muß dabei allerdings das eigene Denken der Kinder wecken. Nach der Seite der Erziehung unterscheidet Hegel zwei Seiten: a) die Zucht und b) den Unterricht. a) Was die Zucht anbelangt, so ist es dem Knaben zu untersagen, sich nach eigenem Gutdünken zu gebärden. Der Leitsatz dabei heißt bei Hegel: „Er muß gehorchen, um gebieten zu lernen. Der Gehorsam ist der Anfang aller Weisheit.“ 9 Der Eigenwille des Kindes muß durch die Zucht gebrochen werden. b) Bezüglich der anderen Seite der Erziehung, den Unterricht, bemerkt Hegel, „daß derselbe vernünftigerweise mit dem Abstraktesten beginnt, das vom kindlichen Geiste gefaßt werden kann. Das sind die Buchstaben“. 10 Durch die Sprache erhebt sich das Kind „über das Sinnliche, Einzelne, zum Allgemeinen, zum Denken“. 11 Und gerade diese Befähigung zum Denken ist für den ersten Unterricht von größtem Nutzen. [223] Jedoch gelangt der Knabe nur zum „vorstehenden Denken“, er erkennt die Welt noch nicht in ihrem inneren Zusammenhang, denn zu dieser Erkenntnis gelangt er erst im Manne. Hegel verlangt, daß dem Kind nicht nur die sinnlich vorstellbare Welt, sondern auch die 1 Ebd., S. 80. 2 Ebd. 3 Ebd. 4 Ebd. 5 Ebd. 6 Ebd. 7 Ebd., S. 81. 8 Ebd. 9 Ebd. 10 Ebd., S. 82. 11 Ebd.
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zidentiellen zuschreibt“. 1 Dabei darf er jedoch nicht stehen bleiben, sondern er muß sich „zu<br />
der Einsicht ... erheben, daß im Gegenteil die Welt als das Substantielle, das Individuum hingegen<br />
nur als Akzidenz zu betrachten ist“ 2 <strong>–</strong>, das heißt für Hegel, daß er in der ihm selbständig<br />
gegenüberstehenden Welt s<strong>ein</strong>e Betätigung und Befriedigung finden kann und sich die dafür<br />
notwendige Geschicklichkeit verschaffen muß. Wenn der Jüngling zu diesem Standpunkt<br />
gelangt ist, ist er zum Manne geworden.<br />
„In sich selber fertig, betrachtet der Mann auch die sittliche Weltordnung als <strong>ein</strong>e nicht erst<br />
von ihm hervorzubringende, sondern als <strong>ein</strong>e im Wesentlichen fertige. So ist er für, nicht gegen<br />
die Sache tätig, hat für, nicht gegen die Sache <strong>ein</strong> Interesse, steht somit, über die <strong>ein</strong>seitige<br />
Subjektivität des Jünglings erhaben, auf dem Standpunkt der objektiven Geistigkeit.“ 3<br />
Das Greisenalter wiederum bezeichnet Hegel als „Rückgang zur Interesselosigkeit an der Sache“.<br />
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<strong>Hegels</strong> Qntogenese nimmt nach dieser allgem<strong>ein</strong>en Bestimmung der Unterschiede der Lebensalter<br />
konkretere, nähere bestimmende Formen an.<br />
So unterscheidet er zuerst drei <strong>–</strong> da er das ungeborene, „mit der Mutter identische Kind“ 5 in<br />
den Kreis s<strong>ein</strong>er Betrachtung aufnimmt <strong>–</strong> jedoch vier Entwicklungsstufen des Kindesalters:<br />
[220] 1. Das ungeborene Kind, dessen Leben für ihn d<strong>ein</strong> <strong>ein</strong>er Pflanze gleicht, „hat noch gar<br />
k<strong>ein</strong>e eigentliche Individualität“. 6<br />
2. Das Kind, welches sich im Mutterleib in „diesem vegitativen Zustande“ 7 befindet, geht,<br />
zur Welt gebracht, „zur animalischen Weise des Lebens über“. 8<br />
Die Geburt ist <strong>ein</strong> ungeheurer Sprung, denn durch diesen „kommt das Kind aus dem Zustand<br />
<strong>ein</strong>es völlig gegensatzlosen Lebens in den Zustand der Absonderung“. 9<br />
Durch das Atmen konstituiert sich das Kind zum ersten zu <strong>ein</strong>em Selbständigen. S<strong>ein</strong> Körper<br />
verändert sich durch ständiges Wachsen <strong>–</strong> „nur <strong>ein</strong>e Entwicklung des Organismus“ 10 , wobei<br />
Hegel hervorhebt, „daß im Menschen der tierische Organismus zu s<strong>ein</strong>er vollkommensten<br />
Form gelangt“. 11<br />
Während jedoch das Tier stumm ist und s<strong>ein</strong>em Schmerz nur durch Stöhnen Ausdruck verleiht,<br />
„äußert das Kind das Gefühl s<strong>ein</strong>er Bedürfnisse durch Schreien. Durch diese ideelle Tätigkeit<br />
zeigt sich das Kind sogleich von der Gewißheit durchdrungen, daß es von der Außenwelt<br />
die Befriedigung s<strong>ein</strong>er Bedürfnisse zu fordern <strong>ein</strong> Recht habe, <strong>–</strong> daß die Selbständigkeit<br />
der Außenwelt gegen den Menschen <strong>ein</strong>e nichtige ist“. 12<br />
Was die geistige Entwicklung betrifft, so macht sich das Kind in dieser Phase mit allen Arten<br />
des Sinnlichen vertraut. „Die Außenwelt wird ihm hier <strong>ein</strong> Wirkliches.“ 13<br />
[221] 3. Der Übergang vom Kindes- zum Knabenalter liegt darin, „daß sich die Tätigkeit des<br />
Kindes gegen die Außenwelt entwickelt, <strong>–</strong> daß dasselbe, indem es zum Gefühl der Wirklichkeit<br />
der Außenwelt gelangt, selbst zu <strong>ein</strong>em wirklichen Menschen zu werden und sich als<br />
solchen zu fühlen beginnt, damit aber in die praktische Tendenz, sich in jener Wirklichkeit zu<br />
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2 Ebd.<br />
3 Ebd.<br />
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9 Ebd., S. 78 f.<br />
10 Ebd., S. 79.<br />
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12 Ebd.<br />
13 Ebd., S. 79 f.