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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 11.07.2013<br />

ren Bedürfnisses verwenden konnte, konnten indes Zeugnis und gewissermaßen Aushängeschild<br />

seiner Kraft, seines Wagemuts oder seiner Geschicklichkeit sein. Deshalb begann er<br />

seinen Körper mit Fellen zu bedecken, auf seinem Kopfe Hörner zu befestigen, sich Klauen<br />

und Zähne an den Hals zu hängen oder auch in seine Lippen, in seine Ohrmuschel oder in die<br />

Nasenscheidewand Federn zu stecken. Beim Hineinstecken von Federn mußte neben dem<br />

Wunsche, sich mit seinem gelungenen Unternehmen zu brüsten, noch ein anderer „Faktor“<br />

wirksam sein: das Bestreben, seine Fähigkeit zum Ertragen physischen Schmerzes zu zeigen<br />

– natürlich eine sehr wertvolle Eigenschaft des Jägers, der zugleich Krieger ist. „... ein junger<br />

Mann kam sich gewiß im vollen Wortsinn ‚schneidiger‘ vor, wenn er sein Kleinod in einem<br />

Loch der Nase, der Lippe oder der Ohren zur Schau trug, als wenn er es an einer Schnur umhängen<br />

hatte.“ 1 So entwickelte und festigte sich allmählich die Gewohnheit der Durchstechung<br />

der Nase und der Ohren, und deren Umgehung mußte das ästhetische Empfinden der<br />

Jäger der Urgesellschaft unangenehm berühren. Bis zu welchem Grade diese Annahme richtig<br />

ist, beweist folgendes: Wie ich [137] schon gesagt habe, legen die zivilisierten Völker bei<br />

ihren Tänzen häufig Masken an, die Tiere darstellen sollen. Von den Steinen 2 hat bei den<br />

brasilianischen Indianern viele Masken gefunden, die Vögel und selbst Fische darstellten.<br />

Aber beachten Sie, daß der brasilianische Indianer, wenn er die Züge – zum Beispiel – der<br />

Taube darstellt, nicht vergißt, ihr eine Feder in die Nase zu stecken: offenbar erscheint ihm<br />

der zahme Vogel mit dieser Jagdtrophäe schöner. 3<br />

Wenn die Jagdtrophäe durch ihr Aussehen ein angenehmes Gefühl hervorzurufen beginnt, mag<br />

es [denn] auch noch so unabhängig von jeglichen bewußten Erwägungen über die Kraft oder<br />

Geschicklichkeit des mit ihr geschmückten Jägers sein, wird sie zum Gegenstand eines ästhetischen<br />

Genusses, und dann gewinnt ihre Farbe und ihre Form eine große und selbständige Bedeutung.<br />

Die Indianerstämme Nordamerikas stellten manchmal äußerst schöne Arten von<br />

Kopfputz aus bunt gefärbten Vogelfedern her. 4 Auf den Gesellschaftsinseln waren der wichtigste<br />

Gegenstand des Handels die roten Federn eines der polynesischen Vögel. 5 Solcher Beispiele<br />

kann man sehr viele anführen, aber sie alle müssen als abgeleitete Erscheinungen betrachtet<br />

werden, die durch die grundlegenden Bedingungen der Lebensweise als Jäger erzeugt werden.<br />

Aus einem sehr verständlichen Grunde, d. h. weil die Jagd keine Beschäftigung der Frau ist,<br />

tragen die Frauen niemals Jagdtrophäen. Aber die Gewohnheit, in den Ohren, in den Lippen<br />

oder in der Nasenscheidewand Jagdtrophäen zu tragen, hat schon sehr früh zu der Sitte geführt,<br />

in diese Körperteile Knochen, Holz-, Stroh- oder Steinstückchen einzuführen. Die brasilianische<br />

Botoka ist offenbar aus dieser Art des Schmuckes entstanden. Da diese Art des Schmuckes<br />

in keinem unbedingten Zusammenhang mit der ausschließlich männlichen Beschäftigung – der<br />

Jagd – [138] stand, lag nichts im Wege, daß auch Frauen ihn trugen. Ja, mehr noch. Es ist sehr<br />

1 Von den Steinen, gen. Werk, S. 179.<br />

2 Ebenda, S. 305.<br />

3 Auf der Rückseite von S. 72 ‹54› findet sich folgendes Bruchstück, das offenbar zur ursprünglichen Fassung<br />

des Textes gehörte:<br />

„Wie groß hier der Einfluß der Arbeitsteilung ist, zeigen die folgenden Worte von F. Prescott: ‚The men make<br />

all the arms and implements of war, and the women are not allowed to touch them, nor go near them – (sic!),<br />

particularly when menstruation is with them‘ [Die Männer fabrizieren alle Waffen und Kriegsgeräte, und die<br />

Frauen dürfen sie nicht berühren noch sich ihnen nähern (sic!) besonders während der Menstruation.]<br />

(Schoolcraft, 1. c., III, p. 235). Auf einer höheren Entwicklungsstufe der Produktivkräfte ist es den Frauen der<br />

Hirtenstämme oft verboten, das Vieh zu versorgen und die Hürden zu betreten, wo man es während der Nacht<br />

einschließt. (Vgl. Ratzel, 1. c., [1. Auflage,] I. Band, S. 252, und Casalis, ‚Les Bassoutos‘, p. 131.“ Red. L. N.)<br />

4 Schoolcraft, 1. c., III, p. 67. Ich habe schon im ersten Briefe erwähnt, daß der Lieblingsschmuck der Rothäute<br />

des nordamerikanischen Westens die Klauen des Grislybären sind. Diese Tatsache ist ein schöner Hinweis darauf,<br />

daß der Jagdschmuck ursprünglich als Aushang der „Geschicklichkeit“ des Jägers dient, ähnlich wie der<br />

Skalp Zeugnis ablegt von einem gelungenen kriegerischen Unternehmen.<br />

5 Ratzel, „Völkerkunde“, [1. Auflage,] II, S. 141.<br />

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