18.09.2015 Views

erschien nennen menschenähnlichen

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

SHOW MORE
SHOW LESS
  • No tags were found...

You also want an ePaper? Increase the reach of your titles

YUMPU automatically turns print PDFs into web optimized ePapers that Google loves.

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 11.07.2013<br />

Manche Stämme Nordamerikas fertigen auf ihrer Haut mittels Tätowierung Abbildungen<br />

ihrer vermutlichen Ahnherren aus dem Tierreich. 1 Auch die brasilianischen Indianer vom<br />

Stamme der Bakaïri schmücken die Haut ihrer Kinder mit schwarzen Punkten und Kreisen,<br />

um sie dem Fell des Jaguars ähnlich zu machen, der als Ahnherr dieses Stammes gilt. 2 Der<br />

Gang der Entwicklung ist hier völlig klar: ursprünglich zeichnete der Wilde auf seiner Haut<br />

gewisse Zeichen, später begann er, sozusagen, sie einzuschneiden. Wozu brauchte er das?<br />

Was die Abbildungen des vermeintlichen Stammvaters des Stammes betrifft, so wird die am<br />

natürlichsten erscheinende Antwort folgende sein: Der Wunsch, auf seiner Haut diese Abbildungen<br />

zu zeichnen oder einzuschneiden, trat beim Wilden unter dem Einfluß der Beziehung<br />

zum Stammvater oder des festen Glaubens an eine geheimnisvolle Verbindung zwischen ihm<br />

und allen seinen [134] Nachkommen auf. Mit anderen Worten: Die Annahme ist ganz natürlich,<br />

daß die Tätowierung als Frucht des urgesellschaftlichen religiösen Gefühls entstand.<br />

Sollte diese Hypothese richtig sein, müßten wir so sagen: Die Lebensweise als Jäger erzeugte<br />

die Jägermythologie, die dann ihrerseits die Grundlage einer der Arten der urgesellschaftlichen<br />

Ornamentik bildete. Das würde selbstverständlich der materialistischen Geschichtsbetrachtung<br />

nicht nur nicht widersprechen, es wäre vielmehr eine deutliche Illustration jener<br />

These, nach der die Entwicklung der Kunst in ursächlichem, wenn auch nicht immer unmittelbarem<br />

Zusammenhang mit der Entwicklung der Produktivkräfte steht. Aber die erwähnte<br />

Hypothese, die auf den ersten Blick so natürlich erscheint, wird durch die Beobachtung nicht<br />

in vollem Maße bestätigt. Die Rothäute Nordamerikas schnitzen oder zeichnen die Abbildung<br />

ihres vermeintlichen Stammvaters auf ihre Waffe, auf ihre Kähne, Hütten und sogar auf ihr<br />

Hausgerät. 3 Kann man annehmen, daß sie das alles aus religiösen Antrieben machen? Mir<br />

scheint, nein. Am wahrscheinlichsten ist, daß sie sich dabei von dem Wunsche leiten lassen,<br />

die Zugehörigkeit der Gegenstände zu den Gliedern einer gegebenen Sippe (gens) zu bezeichnen.<br />

Und wenn das so ist, darf man wohl denken, daß auch die brasilianische Indianerin,<br />

wenn sie die Haut ihres Kindes nach dem Muster des Jaguarfelles ausmalt, ganz einfach den<br />

Wunsch hat, seine verwandtschaftlichen Beziehungen darzustellen, und zwar anschaulich<br />

darzustellen. Diese anschauliche Darstellung der verwandtschaftlichen Beziehungen eines<br />

Individuums, die schon in seinem Kindesalter nützlich ist, zum Beispiel im Falle seiner Entführung,<br />

wird beim Eintritt der Geschlechtsreife einfach zur Notwendigkeit. Bekanntlich gibt<br />

es bei Naturvölkern ein verwickeltes System von Verordnungen, die die gegenseitigen Beziehungen<br />

der Geschlechter bestimmen. Das Übertreten dieser Verordnungen wird streng verfolgt,<br />

und zur Vermeidung möglicher Irrtümer werden auf der Haut der Personen, die das<br />

geschlechtsreife Alter erreichen, entsprechende Merkzeichen gemacht. Kinder, die von Frauen<br />

ohne solche Merkzeichen geboren werden, gelten als illegitim und werden manchenorts<br />

getötet. 4 So wird auch verständlich, warum die jungen Leute beim Eintritt der Geschlechtsreife<br />

bestrebt sind, sich tätowieren zu lassen – ohne Rücksicht auf den Schmerz, der durch die<br />

Operation des Tätowierens verursacht wird. 5<br />

[135] Aber das ist natürlich noch nicht alles. Mittels der Tätowierung stellt der Wilde nicht<br />

nur seine verwandtschaftlichen Beziehungen dar, sondern, so kann man sagen, sein ganzes<br />

1 J. G. Frazer, „Le Totémisme“, p. 43.<br />

2 P. Ehrenreich, „Mitteilungen über die zweite Xingu-Expedition in Brasilien“; „Zeitschrift für Ethnologie“,<br />

1890, Bd. XXII [S. 87].<br />

3 Frazer, 1. c., p. 45 ff.<br />

4 J. S. Kubary, „Das Tätowieren in Mikronesien, speciell auf den Carolinen“, in dem von mir schon zitierten<br />

Buche von Joest: „Tätowieren etc.“, S. 86.<br />

5 „The girls... are always anxious to have this ceremony performed.“ [„Den Mädchen ist stets daran gelegen, daß<br />

diese Zeremonie an ihnen vollzogen wird.“] Eyre, 1. c., p. 343. – Auf den Karolinen: „...sobald das Mädchen<br />

Umgang mit Männern pflegt, trachtet sie, die unentbehrliche ‚telengekel‘-[135]Tätowierung zu erwerben,<br />

weil ohne diese kein Mann sie ansehen würde“; Kubary, 1. c., S. 75.<br />

66

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!