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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 11.07.2013<br />

klar ist die Abhängigkeit der Begräbnistanze, wenn wir uns erinnern, daß der Verstorbene ein<br />

Geist wird, um dessen Gunst sich die noch Lebenden ebenso bemühen wie um die Gunst der<br />

übrigen Geister. 1<br />

Die Liebestänze der Naturvölker erscheinen von unserem [Stand]punkt aus als der Gipfel der<br />

Unanständigkeit. Es ist ohne weiteres verständlich, daß derartige Tänze keinerlei unmittelbare<br />

Beziehung zu einer wie nur immer gearteten wirtschaftlichen Tätigkeit haben. Ihre Mimik<br />

dient als unverhüllter Ausdruck des elementaren physiologischen Bedürfnisses und hat wahrscheinlich<br />

gar manches mit der Liebesmimik der großen Menschenaffen gemein. Die Lebensweise<br />

als Jäger bleibt natürlich auch auf diese Tänze nicht ohne Einfluß, aber sie konnte<br />

nur in dem Maße auf sie einwirken, wie sie die gegenseitigen Beziehungen der Geschlechter<br />

in der Urgesellschaft bestimmte.<br />

Ich sehe, geehrter H[err], Sie reiben sich die Hände vor Vergnügen. Sie sagen: „Aha! Also<br />

sind auch bei dem Menschen der Urgesellschaft bei weitem nicht alle Bedürfnisse mit den<br />

ihm eigentümlichen Produktionsmitteln und mit seiner Ökonomik verknüpft. Das Liebesgefühl<br />

beweist das mit außergewöhnlicher Klarheit. Wenn wir aber einmal auch nur eine einzige<br />

Ausnahme der allgemeinen Regel zugelassen haben, müssen wir zugeben, daß der<br />

ökon[omische] Faktor, so groß auch seine Bedeutung sein mag, nicht als ausschließlich geltend<br />

anerkannt werden kann, und damit fällt auch Ihre ganze mater[ialistische] Geschichtserklärung.“<br />

Ich will gleich dazu Stellung nehmen. Keinem unter den Anh[ängern] dieser Erklärung ist es<br />

eingefallen, zu behaupten, daß die ökonomischen Verhältnisse der Menschen von sich aus<br />

ihre grundlegenden physiologischen Bedürfnisse schaffen oder bestimmen. Der Geschlechtssinn<br />

existierte bei unseren <strong>menschenähnlichen</strong> Vorfahren natürlich bereits in jener weit zurückliegenden<br />

Zeit, als auch nicht die allergeringsten Ansätze einer produktiven Tätigkeit<br />

vorhanden waren. 2<br />

[125] Die gegenseitigen Beziehungen der verschiedenen Geschlechter werden nämlich durch<br />

diesen Sinn bedingt. Auf den verschiedenen Stufen der kulturellen Entwicklung der Menschen<br />

nehmen diese Beziehungen jedoch eine verschiedene Form an – in Verbindung mit der<br />

Entwicklung der Familie, die ihrerseits durch die Entwicklung der Produkt[iv]kräfte und den<br />

Charakt[er] der ges[ellschaftlich] ökonom[ischen] Verhältnisse bestimmt wird.<br />

Dasselbe ist von den religiösen Vorstellungen zu sagen. In der Natur geschieht nichts ohne<br />

Ursache. In der Psychologie des Menschen spiegelt sich dieser Umstand in dem Bedürfnis<br />

wider, die Ursache der ihn interessierenden Erscheinungen zu finden. Da der Mensch der<br />

Urgesellschaft über einen äußerst geringen Vorrat an Kenntnissen verfügt, „urteilt er nach<br />

sich selbst“ und schreibt die Naturerscheinungen der vorsätzlichen Handlung bewußter Kräfte<br />

zu. So entsteht der Animismus. Zu den Produktivkräften des Menschen der Urgesellschaft<br />

steht der Animismus in einer Beziehung, die sein Bereich in dem Verhältnis einengt, wie die<br />

Macht des Menschen über die Natur wächst. Das bedeutet natürlich noch nicht, daß der Animismus<br />

seine Entstehung der Ökonomik der Urgesellschaft verdanke. Nein, ihre Entstehung<br />

verdanken die animistischen Vorstellungen der Natur des Menschen; aber sowohl ihre Entwicklung<br />

als auch der Einfluß, den sie auf das gesellschaftliche Verhalten der Menschen gewinnen,<br />

wird letzthin durch die ökonomischen Verhältnisse bestimmt. In der Tat haben die<br />

animistischen Vorstellungen und insbesondere der Glaube an ein Fortleben im Jenseits ur-<br />

1 Bei den brasilianischen Indianern werden bei der Totenfeier Jagdgesänge gesungen (von den Steinen, S. 493),<br />

beim Begräbnis eines Jägers wären andere Lieder viel weniger angebracht.<br />

2 Im Text ist ausgestrichen: „Von diesem Sinn ist aber dasselbe zu sagen, was ich schon im ersten Brief über den<br />

Schönheitssinn gesagt habe: dieser Sinn stammt von der Natur, aber seine Äußerungen...“ Red. L. N.<br />

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