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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 11.07.2013<br />

[110]fügbaren Beförderungsmittel zur Beförderung entkräfteter Stammesmitglieder nicht<br />

ausreichen, zwingt die Not dazu, sie ihrem Schicksal zu überlassen, und dann erscheint der<br />

Tod von Freundeshand als das geringste aller möglichen Übel. Dazu ist noch zu bedenken,<br />

daß man es bis zum letzten hinauszögert, die Greise ihrem Schicksal zu überlassen oder zu<br />

töten, und daß es deshalb selbst bei den Stämmen sehr selten vorkommt, die in dieser Hinsicht<br />

bekannt geworden sind. Ratzel bemerkt, daß – entgegen der oft wiederholten Erzählung<br />

Darwins, derzufolge die Feuerländer ihre alten Weiber verspeisen – die Greise und Greisinnen<br />

bei diesem Stamme mit Rücksicht behandelt werden. 1 Das gleiche sagt Earle von den<br />

Negritos der Philippinen 2 und Ehrenreich (nach den Worten Martius’) von den brasilianischen<br />

Botokuden 3 . Die Indianer Nordamerikas nennt Heckewelder ein Volk, das wie kaum<br />

ein anderes Volk große Achtung vor den Greisen hat. 4 Von den afrikanischen Djur sagt<br />

Schweinfurth, daß sie sich nicht nur besorgt um ihre Kinder kümmern, sondern auch ihre<br />

alten Leute verehren, was einem in jedem beliebigen Weiler auffällt. 5 Und nach den Worten<br />

Stanleys bildet die Achtung vor den Greisen die allgemeine Regel in ganz Innerafrika. 6<br />

Bücher betrachtet die Erscheinung abstrakt, die man nur erklären kann, wenn man sich ganz<br />

und gar auf konkreten Boden stellt. Zur Tötung der Greise und zur Kindestötung führen nicht<br />

die Charaktereigenschaften des primitiven Menschen, nicht sein angeblicher Individualismus<br />

und nicht das Fehlen einer lebendigen Verbindung zwischen den Generationen, sondern jene<br />

Bedingungen, unter denen der Wilde den Kampf um sein Dasein führen muß. Im ersten Brief<br />

habe ich Sie an diesen Gedanken Darwins erinnert, daß die Menschen, wenn sie unter solchen<br />

Bedingungen lebten wie die Bienen, ohne Gewissensbisse und sogar mit einem angenehmen<br />

Gefühl der erfüllten Pflicht die unproduktiven Mitglieder ihrer [111] Gemeinschaft austilgen<br />

würden. Die Wilden leben bis zu einem gewissen Grade unter solchen Bedingungen, unter<br />

denen die Ausmerzung unproduktiver Mitglieder eine sittliche Verpflichtung der Gesellschaft<br />

gegenüber ist. Und insofern sie in solche Bedingungen hineingeraten, erweisen sie sich als<br />

gezwungen, überflüssige Kinder und entkräftete Greise zu töten. Daß sie deshalb nicht die<br />

Egoisten und Individualisten werden, als die sie Bücher schildert, das beweisen die von mir<br />

angeführten Beispiele mehr als genug. Dieselben Bedingungen des wilden Lebens, die zur<br />

Tötung der Kinder und Greise führen, führen auch zur Unterhaltung einer engen Verbindung<br />

zwischen den am Leben bleibenden Mitgliedern des Verbandes. Dadurch erklärt sich auch<br />

das Paradoxon, daß die Tötung von Kindern und Greisen manchmal auch bei Stämmen üblich<br />

ist, die sich gleichzeitig durch stark entwickelte Elternliebe und große Achtung vor den Greisen<br />

auszeichnen. Es handelt sich nicht um die Psychologie des Wilden, sondern um seine<br />

Ökonomik.<br />

Bevor ich mit den Ausführungen Büchers über den Charakter des primitiven Menschen zu<br />

Ende komme, muß ich noch zwei diesbezügliche Bemerkungen machen.<br />

Erstens, eine der markantesten Erscheinungen des von ihm den Wilden zugeschriebenen Individualismus<br />

ist in seinen Augen die bei ihnen sehr verbreitete Gewohnheit, die Mahlzeiten<br />

getrennt einzunehmen.<br />

gegen die psychologische Wahrheit verstößt: „Nikita... starb, sich aufrichtig darüber freuend, daß er durch seinen<br />

Tod seinen Sohn und seine Schwiegertochter von einer überflüssigen Last befreie“ usw.? Nach meiner Ansicht<br />

liegt hier keine psychologische Unwahrheit vor. Und wenn das nicht der Fall ist, dann ist auch in der von<br />

mir angeführten Behauptung Catlins nichts psychologisch Unmögliches.<br />

1 [Ratzel,] „Völkerkunde“, [2. Auflage,] I, 524.<br />

2 [Earle,] „Native Races of the Indian Archipelago“, p. 133.<br />

3 „Über die Botocudos“ etc.; „Zeitschrift für Ethnologie“, XIX, S. 52.<br />

4 Gen. Werk [Heckewelder, „Histoire, mœurs et coutumes...“], S. 251.<br />

5 [Schweinfurth,] „Au cœur de l’Afrique“, t. I, p. 210.<br />

6 [Stanley,] „Dans les ténèbres de l’Afrique“, II, 361.<br />

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