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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 23.07.2013<br />

der oberen Pariser Gesellschaft? Das eine, daß diese Gesellschaft noch nicht reif war für eine<br />

nüchterne philosophische Naturbetrachtung, daß aber zugleich die Glaubensmeinungen die<br />

sich im Mittelalter, in einem viel niedrigeren Stadium der gesellschaftlichen Entwicklung,<br />

herausgebildet hatten, sie nicht mehr befriedigen konnten. Ohne auf die Frage nach der Beziehung<br />

des Wunderglaubens zur menschlichen Natur einzugehen, läßt sich mit Sicherheit<br />

sagen, daß dieser Glaube allein völlig unzureichend ist dafür, daß in einem bestimmten Milieu<br />

ein bestimmtes System von Glaubenssätzen herrscht. Es bedarf dazu einer bestimmten<br />

gesellschaftlichen Stimmung, die bedingt ist durch bestimmte gesellschaftliche Verhältnisse.<br />

In Frankreich brach im vorigen Jahrhundert das Gebäude der alten Glaubensmeinungen gerade<br />

deshalb zusammen, weil das System der alten gesellschaftlichen Verhältnisse immer mehr<br />

ins Wanken geriet.<br />

In der Gegenwart treibt die höhere französische Gesellschaft ebenfalls gern allerlei Teufelswerk.<br />

Sie besteht ebenfalls aus Dekadenten; sie geht ebenfalls ihrem Ende entgegen. Angesichts<br />

dessen kann man fragen: Wieviel ist sie besser oder schlechter als die französische aristokratische<br />

Gesellschaft am Ende des vorigen Jahrhunderts? Maugras stellt sich diese Frage<br />

[973] ebenfalls, wenn auch aus anderen Erwägungen: „War diese sorglose, verfeinerte und<br />

lebensfreudige Gesellschaft wirklich schlechter als die unsere?“ fragt er. „Sehen wir dann<br />

nicht, wie in den tragischen Momenten der Revolution diese gleichen leichtsinnigen Höflinge,<br />

diese verweichlichten Frauen, die fortgerissen wurden vom Strudel der Vergnügungen<br />

und hysterische Anfälle bekamen, mit stoischer Ruhe Untergang, Armut und Kerker ertragen?<br />

Stiegen sie nicht aufs Schafott mit einem Lächeln auf den Lippen, ohne einen Laut, ohne<br />

Tränen, ohne Klagen?“ Diese Frage ist nicht schwer zu beantworten: der dekadente Aristokrat<br />

als menschlicher Typ steht ungleich höher als der dekadente Bourgeois; im dekadenten<br />

Aristokraten ist immer noch eine gewisse Tradition des Rittertums, während im dekadenten<br />

Bourgeois nichts ist als sein unersättlicher Bauch. Wenn man als den typischen Repräsentanten<br />

der dem Verfall entgegengehenden höheren französischen Gesellschaft den Herzog<br />

von Lauzun ansehen kann, so sind die typischen Vertreter der heutigen bürgerlichen Gesellschaft<br />

in Frankreich Gestalten wie die des Bel ami bei Maupassant. Aber darauf braucht man<br />

gar nicht näher einzugehen. Die historische Mission der Bourgeoisie bestand durchaus nicht<br />

in der Heranbildung ritterlicher Charaktere, sondern in der hohen Entwicklung der gesellschaftlichen<br />

Produktivkräfte, ohne die die zivilisierte Menschheit trotz der entzückendsten<br />

„Formeln des Fortschritts“ für immer im Sumpfe der Erstarrung steckengeblieben wäre... 1<br />

Die Übersetzung des Buches von Maugras ist nicht gerade schlecht, aber gut ist sie auch<br />

nicht. Stellenweise ist sie ganz daneben geraten. Man lese zum Beispiel diese Zeilen: „Ich<br />

bitte Sie, meine Liebste, [glauben Sie ja nicht, daß, unter welchem Vorwand auch immer es<br />

sei und welche Wendung Sie auch der Sache geben mögen, wir um keinen Preis eine Gefälligkeit<br />

durch Vermittlung der Frau Marschall annehmen werden. Ich würde lieber alle Qualen<br />

erdulden, als die Schande auf mich zu nehmen, einem Menschen zu Dank verpflichtet zu<br />

sein, den man verachtet. Bedenken Sie, daß man Freunden Gefälligkeiten nur erweisen darf,<br />

indem man Rücksicht nimmt auf ihre Neigungen, und daß der treueste Freund keine Gefälligkeit<br />

verzeihen würde, die erkauft ist] um den Preis der Ehre.“ Glauben Sie ja nicht, daß<br />

wir um keinen Preis annehmen werden bedeutet: wir werden bestimmt annehmen. In Wirklichkeit<br />

soll das aber gerade das Gegenteil bedeuten: wir werden um keinen Preis annehmen.<br />

Auf Seite 503 lesen wir: „Indes, Biron [gehorchte, weil er an militärische Disziplin gewohnt<br />

war, indes, er gab sich keiner Täuschung hin bezüglich des Loses, [974] das ihn erwartete.“]<br />

Hätte man solche Schnitzer nicht vermeiden können? Außerdem werden von dem Übersetzer<br />

1 Hier ist der gedruckte Text der Rezension in „Nowoje Slowo“ zu Ende; der weitere Text ist nach dem im<br />

Plechanow-Museum aufbewahrten Manuskript gedruckt. Die Red.<br />

4

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