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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 23.07.2013<br />

gen Zeit einzige mögliche Art der wirtschaftlichen Sicherung einer Klasse waren, die sich<br />

schon durch die Art ihres gesellschaftlichen Dienstes an der gesellschaftlichen Produktion<br />

nicht unmittelbar beteiligen konnte. In dem Maße, wie durch die Entwicklung der gesellschaftlichen<br />

Produktivkräfte neue gesellschaftliche Bedürfnisse aufkamen, die damals nur die<br />

absolute Monarchie befriedigen konnte, und in dem Maße, wie mit der Festigung dieser Monarchie<br />

die Bürokratie und das stehende Heer anwuchsen, verschwand auch die historische<br />

Bedeutung des Adelsstandes. Er wurde immer mehr zu einem unnützen Stand, der sich nur<br />

dazu eignete, in den Sälen von Versailles und anderer königlicher Residenzen zu glänzen.<br />

Dementsprechend wurden auch seine Privilegien nachteilig für die bestehende Gesellschaft<br />

und schädlich für ihre weitere gesellschaftliche Entwicklung. Damals begann auch die oppositionelle<br />

Bewegung des ehemals politisch ganz bedeutungslosen dritten Standes, aus der die<br />

Neuerungsbestrebungen des 18. Jahrhunderts auf dem Gebiete der Philosophie, Politik, Literatur<br />

und Kunst hervorgingen. Solange es nicht darum ging, die Einrichtungen, die sich überlebt<br />

hatten, abzuschaffen, wandte sich der gebildete Teil des Adels nicht nur nicht gegen diese<br />

Neuerungsbestrebungen, sondern sympathisierte sogar damit – genauso, wie früher der<br />

gebildete Klerus Italiens mit dem heidnischen Geist der Renaissance sympathisiert hatte. Diese<br />

Erscheinung ist vom Standpunkt der Psychologie der Klassen aus sehr interessant, sie wäre<br />

einer eingehenden Untersuchung wert. Wir wollen wenigstens an die eine Tatsache erinnern,<br />

daß sich im 18. Jahrhundert der französische – sowohl weltliche als auch geistliche – Adel<br />

zur Religion sehr skeptisch verhielt. 1 In ihm breitete sich der Deismus und sogar der Atheismus<br />

rasch aus. „Allein, auch die Ungläubigsten halten nach wie vor die Religiosität für etwas,<br />

was zum guten Ton gehört“, sagt Maugras, „und vor allen Dingen für ein nützliches<br />

Mittel, die unteren Klassen im Zaum zu halten... Daher behält die skeptische und atheistische<br />

Gesellschaft das religiöse Zeremoniell bei und zwingt dem Volke dieselben Glaubensmeinungen<br />

auf, über die sie spottet. Sie geht zur heiligen Messe, zur Kommunion, ruft den Geistlichen<br />

ans Bett der Sterbenden; an manchen besonders hohen Feiertagen sind die Kirchen<br />

überfüllt; am Fronleichnamstag und an anderen hohen Festtagen drängen sich die Kardinäle,<br />

Bischöfe, die bandgeschmückten Würdenträger, die Mitglieder des Gerichtshofes in ihren<br />

roten Amtsmänteln, [972] alle Vertreter der Staatsregierung um die Sakramente; der Zug<br />

zeichnet sich durch größte Feierlichkeit aus; es werden Salutschüsse abgefeuert, das Militär<br />

erweist die Ehrenbezeigungen, alle Anwesenden knien andächtig nieder. Alle kommen den<br />

religiösen Obliegenheiten nach, aber wie viele Atheisten sind nicht unter diesen scheinbar<br />

Gläubigen.“ Als diese gleiche Gesellschaft später für die armen Bauern der Vendée begeistert<br />

Partei ergriff, da sich diese erhoben, um die Religion zu verteidigen, ließ sie sich natürlich<br />

von Erwägungen leiten, die mit der Religion nichts gemein hatten. Es ist bemerkenswert, daß<br />

einer der talentvollsten und glänzendsten Vertreter der französischen Aristokratie, Chateaubriand,<br />

in seinem Buch „Génie du christianisme“, die christliche Religion hauptsächlich<br />

vom ästhetischen Gesichtspunkt aus verteidigt hat. Jeder aufrichtig gläubige Mensch hätte in<br />

dieser Verteidigung nichts anderes erblickt als eine direkte Lästerung der Religion.<br />

„Man glaubt nicht mehr an Gott, da aber der Hang zum Wunderbaren und Übernatürlichen<br />

der menschlichen Natur eigen ist“, sagt Maugras, „so glaubt man an Mesmer, an Cagliostro,<br />

an Zauberei, glaubt man den Wahrsagerinnen und fürchtet den Freitag, der ein schwarzer Tag<br />

ist“ (S. 9). An einer anderen Stelle sagt er verwundert: „Keiner glaubte mehr an Gott, aber<br />

alle glaubten an Cagliostro“, und er erzählt, wie sich sein Held Lauzun zusammen mit dem<br />

Herzog von Chartres und anderen Größen der feinen Gesellschaft mit Teufelsbeschwörung<br />

und ähnlichen albernen Dingen befaßte (S. 402 ff.). Aber was zeigt uns eine solche Haltung<br />

1 Im Manuskript ist der Satz durchgestrichen: „Taine erzählt, daß ein Pariser Geistlicher, als man ihn fragte, ob<br />

die Bischöfe auch wirklich religiös seien, eine Weile überlegt und dann geantwortet habe: ‚Es ist möglich, daß<br />

es unter ihnen noch vier oder fünf gibt, die den Glauben noch nicht verloren haben.‘“ Die Red.<br />

3

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