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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 23.07.2013<br />

ist er eigentlich nur ein gütiger und großmütiger Feudalherr geblieben. Maugras selbst begreift<br />

sehr wohl, daß die damaligen französischen Aristokraten mit den neuen Lehren durchaus<br />

nicht auf dieselbe Art sympathisierten wie die führenden Vertreter des dritten Standes. Er<br />

sagt: „Es gehörte zum guten Ton, über die altväterischen Sitten der Etikette und über die alten<br />

monarchischen Einrichtungen zu spotten. Man pries die Freiheit, die gleichzeitig mit der neuen<br />

Richtung gekommen war. Man schwärmte für die neuen Anschauungen, für Philosophie,<br />

Demokratie, Gleichheit, aber man konnte erkennen, daß alles nur Spiel und Pose war; im<br />

Innersten des Herzens waren diese Menschen überzeugt, daß sich an der Ordnung der Dinge,<br />

die Jahrhunderte hindurch bestanden und ihnen soviel Annehmlichkeiten gewährt hatte,<br />

nichts ändern werde. Die Privilegien der adligen Abstammung mußten auch weiterhin bestehen<br />

bleiben und alle Vorteile und Freuden des Lebens verschaffen. Die Aristokratie dachte<br />

gar nicht daran, auf ihre Privilegien zu verzichten, und die beste Bestätigung hierfür ist zum<br />

Beispiel die Tatsache, daß der Marschall Ségur gerade diesen kritischen Moment wählte, um<br />

zu bestimmen, daß die Offiziersstellen in der Armee ausschließlich dem Adel vorbehalten<br />

bleiben sollten. Die Grandseigneurs, die an der Spitze der alten Adelsfamilien standen, nahmen<br />

an, daß ihre Geltung ebenso unerschütterlich sei wie die französische Monarchie selbst,<br />

und sie gaben sich mit ruhigem Gewissen der Opposition [970] hin, von der sie keinen Schaden<br />

für deren eigentliche Grundlagen befürchteten.“ Das ist durchweg richtig, und das erklärt<br />

sehr schön die reaktionäre Rolle, die die Aristokratie zu spielen begann, sobald sie sah, daß es<br />

nicht darum ging, sich in den Salons gegen die Privilegien zu wenden, sondern daß es sich<br />

um ihre wirkliche Abschaffung handelte. Allerdings verhielt sich Lauzun zu den neuen Bestrebungen<br />

ernsthafter als so viele, viele andere Aristokraten. In der Nacht zum 4. August war<br />

er unter den Adligen, die begeistert auf ihre Privilegien verzichteten. Aber auch in diesem<br />

Verzicht war etwas aber alle Maßen Leichtfertiges: „Als die Sache erledigt war“, so erzählt<br />

Maugras, „konnte er (Lauzun) sich nicht enthalten, zu seinen Freunden zu sagen: ‚Meine<br />

Herren, was haben wir getan? Weiß das jemand?‘ Und um ihn herum gab jeder zu, daß er es<br />

nicht wisse. Später diente Lauzun sogar in den Heeren der Republik. Aber allein schon der<br />

Umstand, daß er mit dem Herzog von Orléans befreundet war, mußte das äußerste Mißtrauen<br />

ihm gegenüber von seiten der Republikaner hervorrufen. Und er selbst fühlte sich auch gar<br />

nicht wohl in der für ihn neuen Umgebung, für deren Bestrebungen er damals jegliches Interesse<br />

verlor. Er ist auch als Opfer seiner widerspruchsvollen Lage zugrunde gegangen. Wir<br />

sind der Meinung, daß seine politische Tätigkeit sehr richtig erklärt wird durch die folgenden<br />

von Maugras angeführten Worte des Herzogs von Lévis: „Die Hauptursache all seines Unglücks<br />

war nicht, wie man annehmen konnte, seine leidenschaftliche Liebe zur Freiheit oder<br />

die Überspanntheit der republikanischen Anschauungen... Mit einem Wort, er glaubte zu<br />

leichten Herzens an die Möglichkeit der Wiederholung der Zeit der Liga und der Fronde, als<br />

die Lehnsherren ungestraft ihre Unzufriedenheit bekunden konnten. Das war sein Untergang.“<br />

Wenn man nun, in Anbetracht all des Gesagten, Lauzun durchaus nicht für den vollkommensten<br />

und glänzendsten Vertreter des ausgehenden 18. Jahrhunderts halten kann, so ist er doch<br />

eine bemerkenswerte und in ihrer Art überaus sympathische Gestalt. Maugras hat sich nicht<br />

getäuscht, als er glaubte, daß die Darstellung seines unruhvollen Lebens bis zu einem gewissen<br />

Grade die ganze obere französische Gesellschaft vor uns werde auferstehen lassen, die<br />

vom Sturm der Revolution unbarmherzig und unwiederbringlich hinweggefegt worden war.<br />

Die französische Aristokratie jener Zeit kann als interessantes Beispiel einer Klasse dienen,<br />

die im Verfall begriffen ist und mit raschen Schritten ihrem Untergang entgegengeht. Der<br />

westeuropäische Adel wurde durch die historische Notwendigkeit der gesellschaftlichen Arbeitsteilung<br />

ins Leben gerufen. In der besten Zeit seines Bestehens war er der regierende und<br />

militärische Stand. Aus diesem seinem gesellschaftlichen Dienst erwuchsen alle seine [971]<br />

Privilegien, die ursprünglich gar nichts Ungerechtes an sich hatten, da sie die in der damali-<br />

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