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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 23.07.2013<br />

gebildet und geleitet werden. Andererseits ist nichts berechtigter als alle die Versuche, die<br />

darauf abzielen, unsere Ideen, unsere einzelnen Eindrücke unter Anwendung wissenschaftlicher<br />

Methoden miteinander zu verbinden, und den Verlauf, das Wachstum 1 und die Wandlungen<br />

der Literatur synthetisch darzustellen. Aber man darf dabei zwei Dinge nicht außer<br />

acht lassen: die Literaturgeschichte hat die Beschreibung von Individuen zum Gegenstand;<br />

individuelle Eingebungen sind ihre Grundlage. Es handelt sich darum, nicht eine Gattung zu<br />

begreifen, sondern Corneille, Hugo: und man begreift sie nicht durch Experimente und Methoden,<br />

die jeder wiederholen kann, die bei allen zu stets gleichen Ergebnissen führen, sondern<br />

durch die Anwendung von Fähigkeiten, die, von Mensch zu Mensch verschieden, notwendigerweise<br />

relative und ungewisse Ergebnisse liefern. Weder der Gegenstand noch die<br />

Mittel der literarischen Kenntnis sind, in des Wortes strenger Bedeutung, wissenschaftlich“<br />

(S. 7).<br />

In der vierten französischen Auflage seines Buches versucht Lanson in einer besonderen<br />

Anmerkung einige Mißverständnisse zu beseitigen, die durch seine Ansicht über das Ziel und<br />

die Mittel des Studiums der Geschichte der Literatur hervorgerufen wurden. „Ich will damit<br />

keineswegs sagen“, sagt er, „wie einige Leser geglaubt haben, daß man zu der Methode Sainte-Beuves<br />

zurückkehren und eine Porträtgalerie aufstellen müsse; sondern daß, wenn alle<br />

Mittel, das Werk eines Schriftstellers zu determinieren, erschöpft sind, nachdem man die<br />

Rasse, das Milieu, das wirkende Moment in gebührender Weise berücksichtigt hat, nachdem<br />

man die fortlaufende Entwicklung der Gattung in Betracht gezogen hat, oft noch etwas übrig<br />

bleibt, was durch keine dieser Erklärungen begriffen werden, was durch keine dieser Ursachen<br />

determiniert werden kann; und gerade in diesem undeterminierten, unerklärten Rest<br />

liegt die tiefere Originalität eines Werkes; dieser Rest ist das, was Corneille und Hugo aus<br />

ihrem Eigenen hinzutun, und dieser Rest macht ihre literarische Individualität aus. Insofern<br />

dieser aus dem Persönlichen stammende Rest der wissenschaftlichen Analyse nicht zugänglich<br />

ist, kann auch die Geschichte der Literatur nicht Gegenstand einer streng wissenschaftlichen<br />

Untersuchung sein...“<br />

Solche Ansichten bekommt man oft zu hören nicht nur in bezug auf die Geschichte der Literatur,<br />

sondern auch bezüglich der Geschichte überhaupt oder sogar bezüglich der ganzen Gesellschaftswissenschaft.<br />

Im [961] Grund sagt Lanson hier gar nichts Neues. Aber in allem,<br />

was dieser kluge und ernsthafte Mann sagt, ist ein gewisser „persönlicher Rest“, der den<br />

Ideen, die im Grunde nicht originell und gänzlich unrichtig sind, etwas Originelles und Überzeugendes<br />

gibt. Originell in dem uns interessierenden Fall ist die Formulierung, die Lanson<br />

dem üblichen Einwurf gegen die Versuche einer wissenschaftlichen Erklärung der gesellschaftlichen<br />

Erscheinungen gibt. Dank dieser Formulierung erscheint er auf den ersten Blick<br />

unwiderlegbar: da sich ein gewisser „persönlicher Rest“ wahrscheinlich in den Werken eines<br />

jeden beliebigen Schriftstellers finden wird, so muß man, wie es scheint, zugeben, daß Lanson<br />

recht hat, das heißt, daß „die literarischen Erkenntnismittel nicht im strengen Sinne des<br />

Wortes wissenschaftlich sind“.<br />

Aber wir wollen uns die Sache etwas genauer betrachten und daher einen der Schriftsteller,<br />

auf die sich Lanson beruft, nämlich Corneille, herausgreifen. Corneille sind die Seiten 545-<br />

564 des von uns besprochenen Buches gewidmet. Wir wollen diese Seiten lesen und sehen,<br />

was für einen „persönlichen Rest“ eigentlich unser Verfasser bei diesem großen Dramatiker<br />

gefunden hat.<br />

Beginnen wir mit der „Psychologie des Helden bei Corneille“. Lanson sagt: „Der Heroismus<br />

bei Corneille ist nichts anderes als Exaltation des Willens, der als unumschränkt frei und als<br />

1 Lanson sagt für „Wachstum“: des accroissements.<br />

7

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