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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 23.07.2013<br />

mokratie in Erscheinung traten. Seine Argumente waren von durchschlagendster Kraft gerade<br />

in den Broschüren, die (gleich zu Beginn der zwanziger Jahre, nach dem Sturz des Ministeriums<br />

Decazes) gegen die reaktionären Bestrebungen der Legitimisten gerichtet waren. Trotz<br />

dieser Ungenauigkeiten sind hier die Rolle und die Ansichten Guizots sehr anschaulich geschildert.<br />

Nehmen wir noch ein Beispiel, und zwar aus einem ganz anderen Gebiet, nämlich<br />

aus der Geschichte des französischen Vaudevilles. Lanson charakterisiert Scribe folgendermaßen:<br />

„Scribe ist ein Künstler: zunächst in dem Sinne, daß seine dramatischen Kombinationen<br />

nichts anderes sind als Selbstzweck. Für ihn ist das Theater eine Kunst, die sich selbst<br />

genügt; Idee, Poesie, Stil – all das braucht er nicht; es genügt, wenn das Stück gut aufgebaut<br />

ist. Das Handwerk, die Technik ist in seinen Augen alles; und darin ist er Meister... Er hat<br />

indes, ganz unbewußt, eine Moral in diese Vaudevilles, die so wenig zu sagen haben, hineingelegt;<br />

sie spiegeln in naiver Weise eine Lebensauffassung, und zwar die des Verfassers und<br />

seines Publikums, ihre gewohnten Grundsätze, nach denen sie sich in ihrer Tätigkeit richteten<br />

und die der anderen beurteilten. Diese Moral ist die vulgärste Mittelmäßigkeit; nichts als<br />

Geld, Stellung, Karriere, Glück, das niedrigste Ideal des positiven Erfolges und materiellen<br />

Wohlstands, das ist es, was Scribe und sein Publikum Vernunft <strong>nennen</strong>... Es muß [956] einen<br />

anwidern, wenn man sieht, wie jede Tat aus Rechtschaffenheit, aus Güte, aus Hingabe unvermeidlich<br />

in Geld, mit einer großen Mitgift oder mit einer reichen Erbschaft gelohnt wird.<br />

Scribe würde einem die überspannte Moral der romantischen Leidenschaft liebenswert machen“<br />

(S. 31/32 der russischen Übersetzung) ...Das ist unbedingt richtig, und man braucht<br />

dem weiter nichts hinzuzufügen, höchstens das eine, daß, wie Lanson sagt, das Publikum, das<br />

Scribe begeistert Beifall zollte, eben das bürgerliche Publikum war.<br />

Der Leser hat vielleicht schon bemerkt, daß Lanson in den von uns angeführten Beispielen<br />

die von ihm charakterisierten Schriftsteller als Vertreter der Bourgeoisie betrachtet. Er bringt<br />

überhaupt sehr gern die Entwicklung der französischen Literatur mit der Entwicklung der<br />

gesellschaftlichen Ordnung in Frankreich in Verbindung. Wer sein Buch aufmerksam liest,<br />

der wird viele Beweise dafür finden, daß, da sich in der Literatur das gesellschaftliche Leben<br />

widerspiegelt und die Gesellschaft, wie Belinski sich ausdrückt, die Einheit der Gegensätze<br />

ist, der Kampf dieser Gegensätze den Gang der literarischen Entwicklung bestimmt. Bedauerlich<br />

ist nur, daß Lanson diese Anschauung nicht in ihrer ganzen Bedeutung begriffen hat und<br />

daß er deshalb auch nicht verstand, sie konsequent auf das Studium der Literaturgeschichte<br />

anzuwenden. Hier und da richtet sich seine Stellungnahme sogar gegen diese Anschauung.<br />

Sein Denken findet sich nicht völlig ab mit dem Determinismus in der Anwendung auf die<br />

Literatur und wohl auch überhaupt auf die historischen Erscheinungen.<br />

„Ich verstehe sehr wohl“, sagt er, „warum es eine französische Tragödie gegeben hat: aber<br />

warum haben Corneille und Racine als bestimmte Personen Tragödien geschrieben? La<br />

Fontaine mußte als Schriftsteller die von Taine analysierte Originalität bekunden: mußte er<br />

sie durch Fabeln bekunden? Das leuchtet mir nicht ein. Ohne die Freiheit eingreifen zu lassen,<br />

liegt hier eine Wirkung vor, die sich durch die drei Ursachen von Taine 1 nicht erklären<br />

läßt.“ Hier haben wir eine ganz offensichtliche und fürchterliche Verwirrung der Begriffe.<br />

Erstens ist es für die Geschichte der Literatur wichtig klarzustellen, wie und warum die französische<br />

Tragödie aufgekommen, wie und warum sie verschwunden ist; aber warum gerade<br />

Corneille, und nicht irgendein anderer den „Cid“ geschrieben hat, das ist eine für die wissenschaftliche<br />

Erklärung der Literaturgeschichte unwesentliche Frage. Wäre der „Cid“ in Wirklichkeit<br />

nicht von Corneille geschrieben worden, sondern von „irgendeinem anderen“, so<br />

könnte man umgekehrt fragen: warum von „irgendeinem anderen“ und nicht von Corneille?<br />

[957] Ähnliche Fragen könnte man unendlich viele bringen, und sie sind gar nicht wert, daß<br />

1 Nämlich: 1. Rasse, 2. Milieu, 3. historisches Moment.<br />

4

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