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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 23.07.2013 „Du König in Lumpen, der auf dem Throne sitzt, von dem Perlen und Vergoldung heruntergerissen sind! In deinen Augen brennt das Feuer des Neids, die geilen Lüste verzerren deinen Mund zu einem scheußlichen Rachen. Du sperrst deine schrecklichen Basiliskenaugen auf oder schließt sie listig zum Schein, das Tier bezaubernd, das unter deinen Krallen, unter deiner abgemagerten Hand vom Blut gefärbt ist!“ Und dann noch dies: „Du bist der Feind des Geistes! Mit bleiernen Füßen hast du die Blumen zertreten, welche die Hand des göttlichen Sämanns gesät hat! In dem kahlen wüsten Land stellst du einen für den Geist schrecklichen Kadaver hin. Wo du die Grundfesten der alten Heiligtümer zerstört hast – dort erhebt sich ein neuer Tempel für dich. O du unermeßliche, o du göttliche, o du heilige, o Monarch, o König, o Hohepriester! Sieh hier den Hochaltar, ganz mit Gold bedeckt! Darauf bläht sich dein aufgedunsenen Kadaver, die allerhöchste aller hohen Gottheiten, auf seinem Schoß das Laster wartend! Wirst du noch lange herrschen, du blutiger wilder Moloch, der mein Herz verzehrt hat?...“ 1 Wenn Puschkin und Lermontow ihre Angriffe gegen den „Pöbel“ richteten, meinten sie vor allem den vornehmen Pöbel der reichen Salons, die Leute in goldbestickten Uniformen, die hohe Einkünfte bezogen. Bei ihnen ist das Wort „Pöbel“ meistens ein gleichbedeuter Ausdruck für „vornehme Welt“. Aber Kasprowicz meint wie Kareno nicht die „vornehme Welt“, sondern eben das „Volk“, durch dessen Arbeit der Luxus und die Vergnügungen der „vornehmen Welt“ erkauft werden. Wenn Kasprowicz von der „abgemagerten“ Hand der „großen Masse“ spricht, so ist das offenbar eine Folge der Entbehrungen. Kasprowicz haßt gerade diese Masse, die alle möglichen Entbehrungen zu ertragen hat; gerade ihr Sieg muß nach seiner Meinung Sittenlosigkeit und Gemeinheit aller Art mit sich bringen. Und dabei dachte er früher von ihr ganz anders. „Früher, du Masse, warst du meine Gottheit“, sagt er in einem seiner Gedichte. In seiner Jugend hegte er gewisse, allerdings sehr unbestimmte sozialistische Sympathien. Weshalb hat er nun diese Sympathien verloren? „Dein Magen hat meinen Glauben vernichtet“, ruft er, sich an die „Masse“ wendend, aus, „und jetzt kann meine Liebe nicht mehr auf den Stufen deiner entgötterten Altäre demütig knien. Jetzt fluche ich dem Gott mit meiner letzten Kraft, und meine schwache Hand zerfleischt ihren Götzen, den blutigen Moloch, der mein Herz zerfressen und wie ein Vampir das kostbare Gehirn meiner Seele ausgesaugt hat!“ 2 [939] Der Glaube Kasprowiczs wurde, wie er selbst sagt, durch den „Magen der Masse“ vernichtet. Was bedeutet das? Es bedeutet, daß die Forderungen der letzteren ihm zu roh, zu materialistisch, wie sich die Philister aller Länder ausdrücken, erschienen. Kasprowicz möchte, daß die Menschen hohe Ideale haben. Aber er begreift nicht, daß ein hohes Ideal eng verknüpft sein kann mit ganz bestimmten ökonomischen Forderungen. Bei ihm steht auf der einen Seite die Ökonomie und auf der anderen Seite das Ideal; eine gewaltige Kluft trennt das Ideal von der Ökonomie, und es gibt und kann kein Brücke geben, die den Rand der Kluft, auf dem das Ideal steht, mit dem verbindet, auf dem sich die Ökonomie befindet. Das ist eine naive, fast kindische Ansicht, der jedes wissenschaftliche Verständnis des gesellschaftlichen Lebens und der gesellschaftlichen Psychologie fehlt. Die Beweise, die sich auf diese Ansicht gründen, sind durchaus nicht überzeugend. Aber sie sind sehr charakteristisch, weil sie die Einstellung einer ganzen Gesellschaftsschicht in unserer Zeit bekunden, nämlich der „Proletarier der geistigen Arbeit“, zu denen, wie wir gesehen haben, auch unser Held Ivar Kareno gehört. Diese Schicht nimmt in der kapitalistischen Gesellschaft eine Mittelstellung zwischen dem Proletariat im wirklichen Sinne und der Bourgeoisie ein. Obwohl daraus viele Leute hervorgegangen sind, die dem Proletariat unschätzbare Dienste erwiesen haben, so schwankt 1 Siehe A. I. Jazimirski, „Die polnische Literatur der Gegenwart“, Bd. II, S. 284/285. 2 Ebenda, S. 284. 7

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 23.07.2013 sie doch im allgemeinen beständig zwischen den beiden sich bekämpfenden Seiten. Heute und an der einen Stelle sympathisiert sie mehr mit den Arbeitern; morgen und anderswo neigt sie mehr auf die Seite der Bourgeoisie. Aber so groß ihre Sympathie für die Arbeiter auch sein mag, so versteht sie doch niemals, sich von den bürgerlichen Vorurteilen frei zu machen. Die innerhalb der Bourgeoisie herrschenden Bestrebungen und Ansichten üben auf sie einen gewaltigen Einfluß aus. Und deshalb haben sogar ihre Sympathien für den Sozialismus bürgerlichen Charakter. Diese Schicht geht äußerst selten über den bürgerlichen oder kleinbürgerlichen Sozialismus hinaus. Und da der bürgerliche ebenso wie der kleinbürgerliche Sozialismus nicht fähig ist, sich auf die materialistische Grundlage zu stellen, so betrachten die davon infizierten Leute die Forderungen des Proletariats hochmütig als „Magen“fragen. Diese Forderungen erscheinen ihnen als ein Erzeugnis des „Neids“. Und wenn diese Leute anfangen, ihre, wenn auch kleinbürgerlichen, sozialistischen Sympathien zu verlieren, so scheint ihnen, daß diese psychologische Wandlung, die, wie wir bereits wissen, bei ihrer Mittelstellung etwas ganz Natürliches ist, sich in ihnen einzig und allein deshalb vollzieht, weil der grobe „Magen“ des Proletariats ihren zarten „Glauben“ verletzt. Und dann finden sie nicht genug Worte, um ihren Haß gegen das Proletariat zum Ausdruck zu bringen; dann beginnen sie, auf das [940] Kommen des Übermenschen, des „Despoten“ usw. zu warten. Hier muß man den Worten Nekrassows beipflichten, daß der Adler, der seine Flügel versengt hat, sehr böse wird. Wenn Menschen dieses Schlages sich herablassen, an der Arbeiterbewegung teilzunehmen, so stellen sie infolge des utopischen Charakters ihrer idealen Bestrebungen an diese ganz unerfüllbare und ganz törichte Forderungen. Und je törichter und unerfüllbarer diese Forderungen sind, desto schneller sind diese Herrschaften vom modernen Sozialismus enttäuscht. Erik Falk sagt bei Przybyszewski: „Ich glaube nicht an den sozialdemokratischen Wohlstand. Ich glaube auch nicht daran, daß die Partei, die Geld im Überfluß hat und Kranken- und Sparkassen einrichtet, irgend etwas erreichen kann... Ich glaube nicht, daß die Partei, die an eine friedliche, rationelle Lösung der sozialen Frage denkt, überhaupt irgend etwas auszurichten vermag. Ebensowenig wie der Edelanarchist Herr John Henry Mackay... Sie alle predigen die friedliche Revolution, daß man ein zerbrochenes Rad gegen ein neues auswechseln soll, während der Wagen sich in Fahrt befindet. Ihr ganzes dogmatisches Gebäude ist gerade deshalb so blödsinnig dumm, weil es so logisch aufgebaut ist, denn es ist auf die Allmacht der Vernunft gegründet. Aber alles, was bisher gewesen ist, war nicht das Werk der Vernunft, sondern der Dummheit, des sinnlosen Zufalls.“ Es ist gar nicht nötig, hier näher zu untersuchen, ob Falk den „sozialdemokratischen Wohlstand“ richtig versteht und ob er die sozialdemokratische Taktik richtig darstellt. Für meinen Zweck genügt es, darauf hinzuweisen, daß das „dogmatische Gebäude“ der modernen Sozialdemokratie gerade durch seinen logischen Aufbau den Zorn dieses Helden erregt. Er erklärt es für „blödsinnig dumm“ gerade deshalb, weil es „auf die Allmacht der Vernunft gegründet ist“, und versichert, daß alles, was bisher gewesen ist, „das Werk der Dummheit, des sinnlosen Zufalls“ gewesen sei. Man kann sich sehr leicht vorstellen, daß seine auf „sinnlose“ Überlegungen gegründete Taktik auch nicht im geringsten zu dem Vorwurf der ‚.Vernünftigkeit“ oder des „logischen Aufbaus“ Anlaß geben könnte. Und ebenso leicht kann man sich vorstellen, daß die Leute vom Schlage eines Herrn Falk, nachdem sie sich der Arbeiterbewegung angeschlossen haben, ungeachtet der bürgerlichen Natur ihres Sozialismus stets zu dem Flügel der Partei hinneigen werden, den sie für den „extremen“ halten: ist ihnen 8

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 23.07.2013<br />

„Du König in Lumpen, der auf dem Throne sitzt, von dem Perlen und Vergoldung heruntergerissen<br />

sind! In deinen Augen brennt das Feuer des Neids, die geilen Lüste verzerren deinen<br />

Mund zu einem scheußlichen Rachen. Du sperrst deine schrecklichen Basiliskenaugen auf<br />

oder schließt sie listig zum Schein, das Tier bezaubernd, das unter deinen Krallen, unter deiner<br />

abgemagerten Hand vom Blut gefärbt ist!“<br />

Und dann noch dies: „Du bist der Feind des Geistes! Mit bleiernen Füßen hast du die Blumen<br />

zertreten, welche die Hand des göttlichen Sämanns gesät hat! In dem kahlen wüsten Land<br />

stellst du einen für den Geist schrecklichen Kadaver hin. Wo du die Grundfesten der alten<br />

Heiligtümer zerstört hast – dort erhebt sich ein neuer Tempel für dich. O du unermeßliche, o<br />

du göttliche, o du heilige, o Monarch, o König, o Hohepriester! Sieh hier den Hochaltar, ganz<br />

mit Gold bedeckt! Darauf bläht sich dein aufgedunsenen Kadaver, die allerhöchste aller hohen<br />

Gottheiten, auf seinem Schoß das Laster wartend! Wirst du noch lange herrschen, du<br />

blutiger wilder Moloch, der mein Herz verzehrt hat?...“ 1<br />

Wenn Puschkin und Lermontow ihre Angriffe gegen den „Pöbel“ richteten, meinten sie vor<br />

allem den vornehmen Pöbel der reichen Salons, die Leute in goldbestickten Uniformen, die<br />

hohe Einkünfte bezogen. Bei ihnen ist das Wort „Pöbel“ meistens ein gleichbedeuter Ausdruck<br />

für „vornehme Welt“. Aber Kasprowicz meint wie Kareno nicht die „vornehme Welt“,<br />

sondern eben das „Volk“, durch dessen Arbeit der Luxus und die Vergnügungen der „vornehmen<br />

Welt“ erkauft werden. Wenn Kasprowicz von der „abgemagerten“ Hand der „großen<br />

Masse“ spricht, so ist das offenbar eine Folge der Entbehrungen. Kasprowicz haßt gerade<br />

diese Masse, die alle möglichen Entbehrungen zu ertragen hat; gerade ihr Sieg muß nach seiner<br />

Meinung Sittenlosigkeit und Gemeinheit aller Art mit sich bringen. Und dabei dachte er<br />

früher von ihr ganz anders. „Früher, du Masse, warst du meine Gottheit“, sagt er in einem<br />

seiner Gedichte. In seiner Jugend hegte er gewisse, allerdings sehr unbestimmte sozialistische<br />

Sympathien. Weshalb hat er nun diese Sympathien verloren? „Dein Magen hat meinen Glauben<br />

vernichtet“, ruft er, sich an die „Masse“ wendend, aus, „und jetzt kann meine Liebe nicht<br />

mehr auf den Stufen deiner entgötterten Altäre demütig knien. Jetzt fluche ich dem Gott mit<br />

meiner letzten Kraft, und meine schwache Hand zerfleischt ihren Götzen, den blutigen Moloch,<br />

der mein Herz zerfressen und wie ein Vampir das kostbare Gehirn meiner Seele ausgesaugt<br />

hat!“ 2<br />

[939] Der Glaube Kasprowiczs wurde, wie er selbst sagt, durch den „Magen der Masse“ vernichtet.<br />

Was bedeutet das? Es bedeutet, daß die Forderungen der letzteren ihm zu roh, zu materialistisch,<br />

wie sich die Philister aller Länder ausdrücken, <strong>erschien</strong>en. Kasprowicz möchte,<br />

daß die Menschen hohe Ideale haben. Aber er begreift nicht, daß ein hohes Ideal eng verknüpft<br />

sein kann mit ganz bestimmten ökonomischen Forderungen. Bei ihm steht auf der einen<br />

Seite die Ökonomie und auf der anderen Seite das Ideal; eine gewaltige Kluft trennt das<br />

Ideal von der Ökonomie, und es gibt und kann kein Brücke geben, die den Rand der Kluft,<br />

auf dem das Ideal steht, mit dem verbindet, auf dem sich die Ökonomie befindet. Das ist eine<br />

naive, fast kindische Ansicht, der jedes wissenschaftliche Verständnis des gesellschaftlichen<br />

Lebens und der gesellschaftlichen Psychologie fehlt. Die Beweise, die sich auf diese Ansicht<br />

gründen, sind durchaus nicht überzeugend. Aber sie sind sehr charakteristisch, weil sie die<br />

Einstellung einer ganzen Gesellschaftsschicht in unserer Zeit bekunden, nämlich der „Proletarier<br />

der geistigen Arbeit“, zu denen, wie wir gesehen haben, auch unser Held Ivar Kareno<br />

gehört. Diese Schicht nimmt in der kapitalistischen Gesellschaft eine Mittelstellung zwischen<br />

dem Proletariat im wirklichen Sinne und der Bourgeoisie ein. Obwohl daraus viele Leute<br />

hervorgegangen sind, die dem Proletariat unschätzbare Dienste erwiesen haben, so schwankt<br />

1 Siehe A. I. Jazimirski, „Die polnische Literatur der Gegenwart“, Bd. II, S. 284/285.<br />

2 Ebenda, S. 284.<br />

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