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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 23.07.2013<br />

gerade diese Schwäche ihm in den Augen des größten Teiles des lesenden Publikums nicht<br />

nur nicht schadete, sondern im Gegenteil nützlich war. Die „idealen [927] Menschen“, die<br />

„Adelsmenschen“ 1 , sind bei Ibsen undeutlich gezeichnet, sind fast vollständig blutleere Wesen.<br />

Das aber ist notwendig, damit sie in den „denkenden Kreisen“ der Bourgeoisie Erfolg<br />

haben: diese Kreise können nur solchen „idealen Menschen“ Sympathie entgegenbringen, die<br />

ein unklares, undeutliches Streben „nach oben“ an den Tag legen und nichts weniger als den<br />

sündhaften Wunsch hegen, zu denen zu gehören, die „hier auf Erden schon das Himmelreich<br />

errichten“.<br />

Das ist die Psychologie der „denkenden Kreise“ der heutigen Bourgeoisie, eine Psychologie,<br />

die, wie wir gesehen, von der Soziologie erklärt wird. Diese Psychologie hat der gesamten<br />

Kunst der Jetztzeit ihren Stempel aufgeprägt. Ihr ist es zu danken, daß der Symbolismus gegenwärtig<br />

einen so weitgreifenden Erfolg hat. Der unausbleiblichen Undeutlichkeit der von<br />

den Symbolisten geschaffenen künstlerischen Gestalten entspricht die notwendige Verschwommenheit<br />

der praktisch vollkommen machtlosen Bestrebungen der „denkenden Kreise“<br />

der heutigen Gesellschaft, die selbst in Momenten der schärfsten Unzufriedenheit mit der<br />

umgebenden Wirklichkeit außerstande sind, sich bis zu deren revolutionärer Verneinung zu<br />

erheben.<br />

Die vom gegenwärtigen Klassenkampf geschaffene Stimmung der „denkenden Kreise“ der<br />

Bourgeoisie führt also naturnotwendig zur Verflachung der heutigen Kunst. Derselbe Kapitalismus,<br />

der in der Sphäre der Produktion die Ausnutzung aller Produktivkräfte hindert, über<br />

die die Menschheit gegenwärtig verfügt, bildet zugleich auch ein Hemmnis auf dem Gebiet<br />

des künstlerischen Schaffens.<br />

Und das Proletariat? Seine ökonomische Lage ist nicht derart, daß es sich jetzt mit der Kunst<br />

beschäftigen könnte. Inwieweit jedoch die „denkenden Kreise“ des Proletariats sich mit ihr<br />

beschäftigt haben, sind sie selbstverständlich verpflichtet, eine bestimmte Stellung zu unserem<br />

Autor einzunehmen.<br />

Die „denkenden Kreise“ des Proletariats erkennen vollauf die geschilderten Mängel der Denkungsart<br />

und des künstlerischen Schaffens Ibsens, und sie begreifen den Grund dieser Mängel.<br />

Trotzdem können sie nicht umhin, den norwegischen Dichter zu lieben als Menschen, der<br />

den kleinbürgerlichen Opportunismus auf das tiefste gehaßt, und als Künstler, der die Psychologie<br />

dieses Opportunismus grell beleuchtet hat. Denn die „Empörung des Menschengeistes“,<br />

die gegenwärtig in den revolutionären Bestrebungen des Proletariats zum Ausdruck<br />

gelangt, ist neben anderem auch der Ausdruck der Empörung gegen die kleinbürgerliche Trivialität,<br />

gegen die „Schwachheit der Seele“, die Ibsen in seinem „Brand“ bekämpfte.<br />

[928] Wir sehen also, daß Ibsen das paradoxale Beispiel eines Künstlers darstellt, der fast in<br />

gleichem Maße, wenn auch aus entgegengesetzten Motiven, die Sympathien der „denkenden<br />

Kreise“ beider großen einander in unversöhnlicher Feindschaft gegenüberstehenden Klassen<br />

der heutigen Gesellschaft erwirbt. Ein solcher Künstler konnte nur ein Mann sein, dessen<br />

Entwicklung sich in einem Milieu vollzog, das wenig Ähnlichkeit besitzt mit dem Milieu, in<br />

dem sich der grandiose Klassenkampf unserer Zeit abspielt.<br />

Anmerkungen<br />

Dieser Aufsatz <strong>erschien</strong> erstmals in der Ausgabe der „Literaturkritischen Bibliothek ‚Burewestnik‘“,<br />

in der Serie „Bibliothek für alle“ (St. Petersburg 1906), im Bestand der ersten acht<br />

Kapitel. Das neunte Kapitel wurde von G. W. Plechanow auf Ersuchen K. Kautskys speziell<br />

für die deutsche Ausgabe geschrieben, die als Beilage zur „Neuen Zeit“ vom 10. Juli 1908<br />

1 [In der russischen Ausgabe: „Pudelmenschen“.]<br />

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