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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 23.07.2013<br />

Wie ich bereits erwähnte, ist viel guter Wille nötig, um in den „Stützen der Gesellschaft“<br />

irgendwelchen Sozialismus zu entdecken. In Wirklichkeit lief der Ibsensche Sozialismus auf<br />

den gutherzigen, aber sehr unklaren Wunsch hinaus; „das Volk auf einen höheren Standpunkt<br />

zu heben“. Das war aber für die „denkenden Kreise Deutschlands“ und anderer kapitalistischer<br />

Länder nicht nur kein Hindernis für den Erfolg Ibsens, sondern es förderte ihn vielmehr.<br />

Wäre Ibsen in der Tat ein Sozialist gewesen, so hätten ihm diejenigen nicht Beifall<br />

gezollt, bei denen der „Minoritätsglaube“ aus der Furcht vor der revolutionären Bewegung<br />

der „Majorität“ entsprang. Und ebendarum, weil der Ibsensche „Sozialismus“ nicht mehr<br />

bedeutete als den Wunsch, „das Volk auf einen höheren Standpunkt zu heben“, mußte er bei<br />

denjenigen Anklang finden, denen die soziale Reform sympathisch ist als Mittel zur Verhinderung<br />

der sozialen Revolution. Hier fand dasselbe Quidproquo [Verwechslung, Mißverständnis]<br />

statt wie bei der Auslegung des „Minoritätsglaubens“. Ibsen ging nicht weiter als<br />

bis zum Wunsche, „das Volk auf einen höheren Standpunkt zu heben“, weil sich seine Ansichten<br />

unter dem Einfluß der kleinbürgerlichen Gesellschaft gebildet hatten, deren Entwicklungsprozeß<br />

noch nicht das große sozialistische Problem in den Vordergrund gerückt hatte.<br />

Allein gerade die Beschränktheit der Ibsenschen Bestrebungen sicherte ihm den Erfolg bei<br />

[926] der höchsten Klasse (den „denkenden Kreisen“) jener Gesellschaften, deren gesamtes<br />

inneres Leben von diesem großen Problem beherrscht ist.<br />

Es muß übrigens bemerkt werden, daß selbst die beschränkten reformatorischen Bestrebungen<br />

Ibsens in seinen dramatischen Werken fast gar nicht zum Ausdruck gelangen. In seinen<br />

Dramen bleibt sein Denken apolitisch im weitesten Sinne dieses Wortes, das heißt fern von<br />

allen gesellschaftlichen Fragen. Er predigt in ihnen die „Läuterung des Willens“, die „Empörung<br />

des menschlichen Geistes“, er weiß aber nicht, welches Ziel sich der „geläuterte Wille“<br />

stellen, gegen welche gesellschaftlichen Beziehungen der Menschengeist nach seiner Empörung“<br />

ankämpfen soll. Das ist ein ungeheurer Mangel; allein auch er mußte, ähnlich den beiden<br />

bereits erwähnten Mängeln, den Erfolg Ibsens in den „denkenden Kreisen“ der kapitalistischen<br />

Welt außerordentlich fördern. Diese Kreise konnten mit der „Empörung des Menschengeistes“<br />

nur so lange sympathisieren als sie um ihrer selbst willen geschah, das heißt<br />

zwecklos blieb, also die bestehende gesellschaftliche Ordnung nicht bedrohte.<br />

Die „denkenden Kreise“ der Bourgeoisie konnten den Worten Brands mit dem größten Mitgefühl<br />

lauschen, wenn er versprach:<br />

Durch die Wüste des Gebirges,<br />

Durch das Land hin, ziehn wir weit;<br />

Lösen alle Geistesschlingen,<br />

Drin das Volk gefesselt schmachtet,<br />

Läutern, leuchten, wo es nachtet. 1<br />

Hätte aber derselbe Brand zu verstehen gegeben, daß er die Seelen nicht nur zu dem Zwecke<br />

läutern und erleuchten wollte, um sie durch die „Wüsten des Gebirges“ spazieren zu führen,<br />

sondern auch, um sie irgendeine bestimmte revolutionäre Tat vollbringen zu lassen, so hätten<br />

die „denkenden Kreise“ voll Entsetzen einen „Demagogen“ in ihm erblickt und Ibsen zu einem<br />

„tendenziösen Schriftsteller“ gestempelt. Und hier hätte auch Ibsens Talent nicht geholfen:<br />

hier hätte es sich deutlich offenbart, daß die „denkenden Kreise“ nicht die Empfänglichkeit<br />

besitzen, die zur Würdigung eines Talentes notwendig ist.<br />

Es ist nun klar, warum die Schwäche Ibsens, die darin bestand, daß er keinen Ausweg aus der<br />

Moral in die Politik zu finden vermochte, und die darin zum Ausdruck gelangte, daß ein<br />

Element des Symbolismus und der Abstraktion in seine Werke hineingetragen wurde: warum<br />

1 [Henrik Ibsens gesammelte Werke, Leipzig, Philipp Reclam jun., Zweiter Band, „Brand“, S. 149.]<br />

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