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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 23.07.2013<br />

Triumph des „geläuterten“ Willens ist gleichbedeutend mit seiner Niederlage und mit dem Siege<br />

dessen, das hier negiert werden sollte. Der poetische Falk tritt vor dem prosaischen Goldstadt<br />

zurück. Im Kampfe mit der bürgerlichen Trivialität ziehen die Ibsenschen Helden stets<br />

den kürzeren, wenn ihr „geläuterter“ Wille seine höchste Entfaltung erreicht hat. Die „Komödie<br />

der Liebe“ könnte mit Recht die „Komödie des autonomen Willens“ genannt werden.<br />

VII<br />

Genosse Jean Longuet hat in der Pariser „Humanité“ Ibsen einen Sozialisten genannt. Ibsen<br />

stand jedoch dem Sozialismus ebenso fremd gegenüber wie jeder anderen Theorie, die auf<br />

gesellschaftlichen Verhältnissen basierte. Ich will hier zum Beweis die Rede anführen, die<br />

Ibsen am 14. Juni 1885 im „Verein Drontheimer Arbeiter“ hielt.<br />

In dieser Rede schilderte der bejahrte Dichter die Eindrücke, die er nach langjährigem Aufenthalt<br />

im Ausland bei seiner Rückkehr in die Heimat empfangen hatte. Viel Erfreuliches<br />

habe er hier wahrgenommen, doch auch manche Enttäuschungen durchgemacht. Mit Bedauern<br />

habe er die Beobachtung gemacht, daß die unentbehrlichsten persönlichen Rechte in seinem<br />

Lande noch nicht die notwendige gesetzliche Anerkennung gefunden hätten. Die Regierungspartei<br />

beschränke eigenmächtig die Glaubensfreiheit und Redefreiheit. Von dieser Seite<br />

sei noch viel zu tun, doch die Demokratie von heute 1 vermöge diese Aufgabe nicht zu lösen.<br />

Damit sie gelöst würde, müsse ein adeliges Element in das Staatsleben, in die Regierung, in<br />

die Volksvertretung und in die Presse kommen. „Ich denke natürlich nicht“ – fügte Ibsen<br />

erläuternd hinzu – „an den Adel der Geburt und auch nicht an den Geldadel, nicht an den<br />

Adel der Wissenschaft und nicht einmal an den Adel des Genies oder der Begabung. Sondern<br />

ich denke an den Adel des Charakters, an den Adel des Willens und der Gesinnung. Der allein<br />

ist es, der uns frei machen kann.“ Und dieser Adel wird – nach Ibsens Worten – von zwei<br />

Seiten kommen: „von unseren Frauen und von unseren Arbeitern“ 2 .<br />

Das alles ist von höchstem Interesse. Erstens erinnert die „Regierungspartei“, mit der Ibsen<br />

unzufrieden ist, unwillkürlich an die „kompakte Majorität“, gegen die Doktor Stockmann zu<br />

Felde zog. Auch sie hatte sich den Vorwurf der Mißachtung der persönlichen Freiheit im allgemeinen<br />

[916] und der Glaubens- und Redefreiheit im besonderen zugezogen. Doch im Gegensatz<br />

zu Doktor Stockmann sagt Ibsen nicht, daß der „Mangel an Sauerstoff“ den Menschen<br />

aus der „Masse“ zum Stumpfsinn verurteile. Nein, die Arbeiterklasse erscheint hier als eine<br />

jener beiden gesellschaftlichen Gruppen, von denen Ibsen die Erneuerung des öffentlichen Lebens<br />

in Norwegen erwartet. Das bestätigt am besten die Richtigkeit meiner Behauptung, daß<br />

Ibsen durchaus nicht ein bewußter Gegner der Arbeiterklasse war. Denkt er an sie als an einen<br />

besonderen Bestandteil der „Masse“ – wie das in Drontheim der Fall war, sonst aber äußerst<br />

selten geschah –‚ so gewinnt es den Anschein, daß er sich mit dem „Melken des Ziegenbocks“,<br />

mit der Befreiungsidee und der „Revolutionierung des Menschengeistes“ um ihrer selbst willen<br />

nicht mehr begnügt, sondern auf eine konkrete politische Aufgabe hinweist: auf die Ausbreitung<br />

und Festigung der persönlichen Rechte. Wie soll aber diese Aufgabe verwirklicht werden,<br />

die – nebenbei gesagt – zu den von Ibsen so scharf verurteilten „Spezialrevolutionen“ gezählt<br />

werden muß? Es scheint, daß der Weg zur Lösung dieser Aufgabe über das Gebiet der Politik<br />

führen müsse. Doch auf politischem Gebiet fühlt sich Ibsen stets höchst ungemütlich. Er beeilt<br />

sich deshalb, auf das gewohnte heimische Gebiet der Moral überzugehen: er erwartet das Beste<br />

vom Hineintragen des adeligen Elementes in das politische Leben Norwegens. Das ist schon<br />

ganz und gar unklar. Es ist, als ob man hier seinen geistigen Sohn Johannes Rosmer sprechen<br />

hörte, der sich als Ziel gesetzt hat, „alle Menschen im Lande zu Adelsmenschen zu machen“<br />

1 Das Wort „heute“ ist im gedruckten Text der Rede in Sperrschrift. [Ebenda, Erster Band, S. 457.]<br />

2 [Ebenda.]<br />

29

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