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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 23.07.2013<br />

nigen nicht, der sie beherrscht; sie verleiht im Gegenteil seinem Gedanken Elastizität und<br />

Konsequenz. Die Widersprüche, in die Ibsen sich verwickelt, haben mit ihr nicht das geringste<br />

gemein. Sie sind eine Folge des obenerwähnten apolitischen Charakters seiner Denkweise.<br />

Der Widerwille, den die Abgeschmacktheit des kleinbürgerlichen – privaten wie öffentlichen<br />

– Lebens in Ibsen erweckte, trieb ihn, ein Gebiet aufzusuchen, wo seine wahrheitsdürstende,<br />

kraftvolle Seele, wenn auch nur kurze Zeit, ausruhen konnte. Anfangs fand er ein solches<br />

Gebiet in der Vergangenheit des Volkes. Die romantische Schule veranlaßte ihn, diese Vergangenheit<br />

zu studieren, in der alles der trivialen kleinbürgerlichen Gegenwart unähnlich und<br />

von wilder Kraft und heldenhafter Poesie erfüllt war.<br />

Die kraftvollen Vorfahren der zeitgenössischen Philister, die norwegischen Wikinger, lockten<br />

seine schöpferische Phantasie, und er schilderte sie in einigen seiner dramatischen Werke.<br />

Das bemerkenswerteste unter ihnen ist unzweifelhaft das Drama „Die Kronprätendenten“.<br />

Ibsen hat dieses Werk sozusagen in seiner Seele ausgetragen. Der Plan dazu war schon 1858<br />

entworfen, geschrieben wurde das Drama aber erst 1863. Ibsen wollte, nach den Worten de<br />

Collevilles und Zepelins, bevor er seine Heimat verließ, „wo die Söhne der Wikinger zu bleichen,<br />

egoistischen Bourgeois geworden waren, diesen die ganze Tiefe ihres Niederganges vor<br />

Augen führen“ 1 . Auch sonst ist das Drama dank der ihm zugrunde liegenden politischen Idee<br />

von Interesse: Der Hauptheld des Stückes, König Hakon Hakonsson, kämpft um die Einigkeit<br />

Norwegens. Hier hört also die Denkweise unseres Autors auf, apolitisch zu sein. Sie bleibt<br />

aber nicht lange auf dieser Höhe. Die Neuzeit kann von den Ideen einer längst ent-<br />

[906]schwundenen Vergangenheit nicht leben. Die Ideen dieser Vergangenheit besaßen für<br />

die Zeitgenossen des Dichters nicht den geringsten praktischen Wert. Diese liebten es, bei<br />

einem Glase Weines der tapferen Wikinger zu gedenken, sie selbst aber lebten natürlich das<br />

Leben der Gegenwart. Der Vogt sagt im Gespräch mit Brand: „Ein Großes wächst aus hohen<br />

Ahnen“, worauf Brand verächtlich entgegnet:<br />

„Wenn sie zur Tat, zu Großem mahnen<br />

Kann euch der Väter Helmbusch nützen?<br />

Ihr macht daraus nur Narrenmützen.“ 2<br />

Die politischen Ideen der Vergangenheit erwiesen sich also in der Gegenwart als machtlos,<br />

während die Gegenwart selbst keine politischen Ideen hervorbrachte, die imstande gewesen<br />

wären, Ibsen zu begeistern. Es blieb ihm deshalb nichts anderes übrig, als sich auf das Gebiet<br />

der Moral zu flüchten, was er auch wirklich tat. Von seinem Standpunkt aus – vom Standpunkt<br />

eines Mannes, der nur die kleinbürgerliche Politik kannte und sie verachtete – mußte es<br />

als selbstverständlich erscheinen, daß die sittliche Predigt, die Predigt der abstrakten „Läuterung<br />

des Willens“, unvergleichbar wichtiger war als die Teilnahme an den kleinlichen, widerlichen<br />

Zänkereien kleinbürgerlicher Parteien, die, um taube Nüsse miteinander streitend, unfähig<br />

waren, sich geistig über diese tauben Nüsse zu erheben. Doch der politische Kampf<br />

spielt sich auf dem Boden gesellschaftlicher Beziehungen ab, während die sittliche Predigt<br />

die Vervollkommnung einzelner Individuen als Ziel erstrebt. Nachdem Ibsen sich einmal von<br />

der Politik abgewendet und mit seinen Hoffnungen und Erwartungen der Moral zugewendet<br />

hatte, geriet er naturgemäß auf den Standpunkt des Individualismus. Doch dort angelangt,<br />

mußte er das Interesse für alles verlieren, was über die Grenzen der individuellen Selbstvervollkommnung<br />

hinausging. Daher sein gleichgültiges, ja feindseliges Verhalten zu Gesetzen<br />

– das heißt zu jenen obligatorischen Normen, die dem persönlichen Willen einzelner im In-<br />

1 Vicomte de Colleville et F. Zepelin, „Le maître du drame moderne – Ibsen“, p. 216.<br />

2 [Henrik Ibsens gesammelte Werke, Leipzig, Philipp Reclam jun., Zweiter Band, „Brand“, S. 68.]<br />

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