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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 23.07.2013<br />

ste der großen Revolution. Und trotzdem irrt R. Doumic, wenn er Brands Moral als revolutionär<br />

bezeichnet. Die Moral der Revolutionäre hat einen konkreten Inhalt, während die Moral<br />

Brands – wie wir schon gesehen – eine leere Form darstellt. Ich habe bereits oben bemerkt,<br />

daß Brand mit seiner inhaltlosen Moral in die lächerliche Lage eines Menschen gerät,<br />

der einen Ziegenbock melkt. Ich will in nachfolgendem auf soziologischem Wege zu erklären<br />

suchen, wie er in diese unangenehme Lage gerät. Zunächst muß ich mich aber noch mit einigen<br />

Charakterzügen der uns interessierenden Abart des Gesellschaftsmenschen beschäftigen.<br />

Die geistigen Aristokraten der kleinbürgerlichen Gesellschaft zählen sich nicht selten zu den<br />

Auserwählten oder – wie Nietzsche gesagt hätte – zu den Übermenschen. Doch während sie<br />

so sich selbst als auserwählte Menschen betrachten, beginnen sie die Menge, den „Haufen“,<br />

das Volk von oben herab zu behandeln. Den auserwählten Menschen ist ja alles erlaubt.<br />

Nur sie sind es, an die sich das Gebot richtet: „Sei ganz du selbst!“ Für gewöhnliche Sterbliche<br />

gilt eine andere Moral. Wilhelm Hans hat mit Recht bemerkt, daß bei Ibsen alle diejenigen,<br />

die nicht berufen sind, einzig und allein den Beruf haben, sich selbst aufzuopfern. 1 König<br />

Skule sagt in den „Kronprätendenten“ (fünfter Akt): „Es gibt Männer, die geschaffen<br />

sind, um zu leben, und Männer, die geschaffen sind, um zu sterben.“ Um zu leben, werden<br />

eben auserwählte Männer geboren.<br />

[900] Was das verächtliche Herabsehen unserer Aristokraten auf die Menge betrifft, so bedarf<br />

es keiner weiteren Beispiele: wir haben die bemerkenswerte Rede Doktor Stockmanns noch<br />

sehr gut im Gedächtnis.<br />

IV<br />

Doktor Stockmann gelangt in seiner Rede zu reaktionär-unsinnigen Schlüssen. Das gereicht<br />

Ibsen, der ihm diese Rede in den Mund gelegt, natürlich nicht zur Ehre. Es darf hier aber dennoch<br />

ein Umstand nicht außer acht gelassen werden, der Ibsens Schuld bedeutend verringert.<br />

Der norwegische Dramatiker ließ seinen Helden gegen eine kleinbürgerliche Gesellschaft vorgehen,<br />

in der die „kompakte Majorität“ tatsächlich aus eingefleischten Philistern besteht.<br />

Wenn in der modernen, das heißt entwickelten kapitalistischen Gesellschaft mit ihrem scharf<br />

ausgeprägten Klassengegensatz die von Proletariern gebildete Majorität die einzige Klasse<br />

darstellt, die fähig ist, sich für alles wirklich Vorgeschrittene und Edle mit heiligem Eifer zu<br />

begeistern, so ist eine solche Klasse in der kleinbürgerlichen Gesellschaft überhaupt nicht zu<br />

finden. Auch hier gibt es natürlich Reiche und Arme, doch leben die armen Schichten der<br />

Bevölkerung in gesellschaftlichen Verhältnissen, die ihren Geist nicht wecken, sondern im<br />

Gegenteil nur noch einschläfern und sie selbst zum gehorsamen Werkzeug der „kompakten<br />

Majorität“ machen, die aus mehr oder weniger reichen, mehr oder weniger bemittelten Philistern<br />

besteht. Zur Zeit, als Ibsens Ansichten und Bestrebungen im Werden begriffen waren,<br />

hatte sich eine Arbeiterklasse im heutigen Sinne des Wortes in Norwegen noch nicht gebildet<br />

und sich deshalb im öffentlichen Leben noch in keiner Weise bemerkbar gemacht. Es ist<br />

deshalb durchaus erklärlich, daß Ibsen zur Zeit, als er die Rede für Doktor Stockmann<br />

schrieb, der norwegischen Arbeiterklasse, als einer progressiven gesellschaftlichen Macht,<br />

nicht Erwähnung tat. Für ihn war das Volk das, was es in den klassischen Ländern des Kleinbürgertums<br />

in der Tat ist: eine vollkommen unentwickelte Masse, die, in geistigen Schlaf<br />

versunken, sich nur durch rohere Manieren und weniger saubere Wohnungen von den sie<br />

nasführenden „Stützen der Gesellschaft“ unterscheidet.<br />

Ich will hier nicht wiederholen, daß Stockmann irrt, wenn er die geistige Lethargie der ärme-<br />

1 Wilhelm Hans, „Schicksal und Wille“, München 1906, S. 56.<br />

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