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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 23.07.2013<br />

zeichnet vertrug.“ Darauf entgegne ich, daß gegen dieses Milieu viele norwegische Schriftsteller<br />

angekämpft haben und daß Ibsen naturgemäß seinen Kampf dagegen auf eigene, rein<br />

individuelle Manier geführt hat. Auch negiere ich ja überhaupt nicht die Bedeutung des einzelnen<br />

in der Geschichte im allgemeinen und in der Literaturgeschichte im besonderen. Ohne<br />

Individuen gäbe es ja keine Gesellschaft, folglich auch keine Geschichte. Wenn dieses oder<br />

jenes Individuum gegen die es umgebende Gemeinheit und Lüge protestiert, dann treten seine<br />

geistigen und sittlichen Eigenschaften, sein Scharfsinn, seine Feinfühligkeit, seine Empfänglichkeit<br />

usw. notwendigerweise zutage. Jedes Individuum geht den Weg des Protestes auf<br />

eigene, besondere Weise. Wohin dieser Weg aber führt, das hängt von jener gesellschaftlichen<br />

Umwelt ab, die das protestierende Individuum umgibt. Die Art und Weise der Negierung<br />

wird vom Charakter der Verhältnisse bedingt, die negiert werden.<br />

Ibsen wurde geboren, wuchs auf und wurde zum Manne in kleinbürgerlicher Umgebung, und<br />

die Art und Weise seines Protestes ward, sozusagen, vom Charakter dieser Umgebung schon<br />

vorausbestimmt.<br />

Zu den sittlichen Eigentümlichkeiten dieses Milieus gehört, wie wir schon gesehen, der Haß<br />

gegen alles Originelle, gegen alles, was auch nur um ein weniges von den üblichen gesellschaftlichen<br />

Gewohnheiten abweicht. Schon Mill hat einst bitter über die Tyrannei der öffentlichen<br />

Meinung geklagt. Und dabei war Mill Engländer, ein Bürger jenes Landes, wo das Kleinbürgertum<br />

nicht tonangebend ist. Um kennenzulernen, wie weit die Tyrannei der öffentlichen<br />

Meinung gehen kann, muß man in einem der kleinbürgerlichen Länder Westeuropas gelebt<br />

haben. Eben gegen diese Tyrannei empörte sich Ibsen. Wir sehen, daß er schon als zwanzigjähriger<br />

Jüngling, während seines Aufenthalts in Grimstad, mit der „Gesellschaft“ Krieg führte, sie<br />

in seinen Epigrammen verhöhnte und in seinen Karikaturen zum Gespött machte.<br />

Es ist ein Notizbuch des jungen Ibsen erhalten geblieben, in dem sich eine Zeichnung befindet,<br />

die die „öffentliche Meinung“ symbolisch darstellen soll. Was glauben wohl die Leser,<br />

was diese Zeichnung darstellt? [895] Einen dicken Bürgersmann, der, mit einer Peitsche bewaffnet,<br />

zwei Schweine vor sich hertreibt, die mit tapfer erhobenen Ringelschwänzchen einherschreiten.<br />

1 Ich will nicht gerade behaupten, daß dieser erste Versuch Ibsens auf dem Gebiet<br />

des künstlerischen Symbolismus sehr erfolgreich war: der Gedanke des Autors ist zu<br />

unklar ausgedrückt. Jedenfalls zeigt aber das Bild der beiden Schweine, daß der dieser Zeichnung<br />

zugrunde liegende Gedanke ein äußerst respektloser war.<br />

Die grenzenlose, alles beschnüffelnde, alles wissende Tyrannei der kleinbürgerlichen öffentlichen<br />

Meinung zwingt die Leute zu Heuchelei und Lüge, zu Kompromissen mit dem Gewissen;<br />

sie erniedrigt ihre Charaktere und macht sie inkonsequent und mittelmäßig. Da ist es<br />

Ibsen, der, die Fahne der Empörung gegen diese Tyrannei erhebend, die Forderung aufstellt:<br />

Wahrheit um jeden Preis! und den Grundsatz: „Sei, was du bist!“ Brand sagt:<br />

„Sei, was du bist, auch voll bewußt.<br />

Sei nicht das eine gestern, heut,<br />

Das andere nach ein’ger Zeit.<br />

Bacchanten wirken ideal,<br />

Silenus plastisch genial;<br />

Allein des Trunkenbolds Figur<br />

Ist eine Kunstkarikatur.<br />

Geh nur umher in diesem Land,<br />

Mach mit den Leuten dich bekannt<br />

Ein jeder weiß, ob groß, ob klein,<br />

Von allem etwas nur zu sein.<br />

Ein wenig ernst bei heil’gen Fragen,<br />

1 Dr. Rudolph Lothar, „Ibsen“, S. 9.<br />

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